Samstag, 18. August 2007

Tiefes Vertrauen in das Gesetz von Ursache und Wirkung (Shinjin-inga)

In diesem Kapitel (Kap. 89, Shinjin-inga)beschreibt Meister Dôgen sein tiefes Vertrauen in das Gesetz von Ursache und Wirkung im Buddhismus, das nicht nur für die materielle oder wie wir heute sagen würden, die naturwissenschaftliche Sicht der Welt gilt, sondern darüber hinaus ganz allgemein eine umfassende Gültigkeit im Buddhismus und nicht zuletzt für Moral und Ethik hat.


Tempel Tokein in Shizuoka

Es gab und gibt immer wieder buddhistische Gruppen, die mit unterschiedlichen Begründungen das Gesetz von Ursache und Wirkung entweder ganz leugnen oder zumindest als unwichtig erklären. Es handelt sich dabei meist um spitzfindige Beweisführungen, z. B. mit dem falsch verstandenen Begriff der "Leerheit" im Mahayana-Buddhismus oder auch mit einem einseitig verstandenen Zeitbegriff des Augenblicks. Dann wird eine zeitliche Beziehung von Ursache und Wirkung abgelehnt, indem die einzelnen Augenblicke der Zeit vollständig gegeneinander abgrenzt werden und geleugnet wird, dass es auch eine Verbindung von der Vergangenheit zur Gegenwart und weiter in die Zukunft gibt. Das Gesetz von Ursache und Wirkung gründet sich auf die unmittelbare Erfahrung des Lebens und des Universums, ist also keine philosophische Spekulation, sondern beschreibt die Wirklichkeit selbst.
Wie schon erwähnt, verwendet die moderne Naturwissenschaft und Technik, die zweifellos eine wirklich große Kulturleistung des Westens ist und inzwischen die ganze Welt erfasst hat, gerade die Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung. Dies ist nach der Lehre des Buddha-Dharma von Nishijima Roshi die zweite Lebensphilosophie oder Lebensdimension, die alle materiellen, formgebundenen, farbbezogenen und sonstigen Merkmale der sinnlichen Wahrnehmung umfasst. Für diesen Bereich wird also kaum jemand das Gesetz von Ursache und Wirkung infrage stellen. Jede Planung und jedes pragmatische Vorgehen im Alltag hat zweifellos die Logik von Ursache und Wirkung zur Grundlage, auch dies ist sicher unbestritten. Ähnliches gilt für alle Lernprozesse, die gerade im Zen-Buddhismus so sehr geschätzt werden. Auf den scheinbaren Widerspruch zur buddhistischen Sein-Zeit des Hier und Jetzt soll noch in einem gesonderten Beitrag eingegangen werden.
Wie steht es nun mit moralischen und ethischen Fragen und dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung? Hier wird häufig die unauflösbare Beziehung von Ursache und Wirkung abgelehnt oder übergangen, es wird also von den guten oder schlechten Taten und den entsprechenden Rückwirkungen auf den Verursacher abgesehen. Beim sog. gesunden Menschenverstand wird nicht zuletzt in der gegenwärtigen Zeit sogar oft behauptet, dass Verbrecher ungeschoren davonkommen, wenn sie nur geschickt sind, ihre unmoralischen Handlungen verbergen können und diese nicht aufgedeckt werden. Sie haben also nur Vorteile von ihrem Verhalten. Wenn das so in Ordnung wäre, würde damit in der Tat das Gesetz von Ursache und Wirkung außer Kraft gesetzt. Nach der buddhistischen Lehre, die Meister Dôgen hier in aller Klarheit beschreibt, ist dies jedoch völlig falsch. Es mag allerdings sein, dass die negativen Wirkung von unmoralischem Handeln nicht sofort einsetzt, sondern verzögert auftritt. Nach Ursache und Wirkung bestraft sich nämlich ein Handelnder durch seine schlechten moralischen Taten früher oder später zweifellos selbst und die Wirkung seines Handelns schlägt wie bei einem Bumerang genau dort wieder ein, von wo sie ausgegangen ist.
Meister Dôgen erläutert das Gesetz von Ursache und Wirkung anhand des alten chinesischen Gleichnisses eines alten Meisters, der bei seiner eigenen früheren Lehrtätigkeit gegenüber seinen Schülern das Gesetz von Ursache und Wirkung abgestritten hatte. In dieser Geschichte heißt es, dass immer ein alter Mann, der nicht zu den Mönchen des Klosters gehörte, bei den Dharma-Reden des zuständigen Zen-Meisters anwesend war. Eines Tages erzählte dieser alte Mann dem Meister nun, dass er viele Wiedergeburten als wilder Fuchs erleben musste, weil er zu seiner eigenen Zeit als Meister gelehrt hatte, dass man bei

"der großen Praxis des Buddha-Dharma nicht unter das Gesetz von Ursache und Wirkung fällt“,

also davon unabhängig sei. Wegen dieser Irrlehre müsse er nun immer wieder als Fuchs geboren werden, denn das Gesetz von Ursache und Wirkung, dies sei ihm jetzt völlig klar, dulde keine Ausnahme und sei immer gültig. Auf die entsprechende Frage des alten Mannes an den Meister, ob das Gesetz wirklich gültig sei, hatte dieser wörtlich geantwortet:

"Sei nicht unklar über Ursache und Wirkung".

Der alte Mann bat dann darum, dass der Meister und die Mönche für ihn eine ordentliche Beerdigungszeremonie abhalten sollten, damit er endlich erlöst werden könne Dies wurde ihm vom Meister auch zugesagt. Am nächsten Tag wurde hinter dem Kloster ein toter wilder Fuchs gefunden, der dann entsprechend den Beerdigungszeremonien eingeäschert wurde. Damit war der alte Mann erlöst. Was bedeutet dieses Gleichnis nun und wie interpretiert es Dôgen?
Dieses Gleichnis wurde in der Geschichte des Zen-Buddhismus von verschiedenen großen Meistern gedeutet und vertieft behandelt. Dabei ergab sich vor allem die Notwendigkeit, den Satz: " Sei nicht unklar über Ursache und Wirkung" zu erklären und zu kommentieren. Manche waren z. B. der Meinung, dass damit die Aufhebung und nicht die Bestätigung des buddhistischen Gesetzes von Ursache und Wirkung gemeint sei. Dôgen macht aber ganz deutlich, dass dieser Satz unmissverständlich Klarheit schafft, dass es überhaupt keine Ausnahme in diesem Gesetz gibt, und zwar, wie er sagt, nicht von einem Hundertstel oder einem Tausendstel. Daher solle ein Buddhist ein unerschütterliches Vertrauen in Ursache und Wirkung haben.
Ein alter großer indischer Meister machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass es für das Gesetz von Ursache und Wirkung drei verschiedene Zeitenspannen gibt, die beachtet werden müssen. Z. B. werde häufig behauptet, dass ein gewalttätiger und aggressiver Mensch lange lebt während ein moralisch guter Mensch schon bald sterben müsse und daher das Gesetz von Ursache und Wirkung nicht gelten könne. Dieses sei aber nicht richtig, denn die Wirkung folgt manchmal nicht sofort, sondern mit Sicherheit dann mittel- oder langfristig. Dôgen betont anschließend, dass wir besonders in dem Fall dieses Gesetzes bei der Übernahme der Lehren und Lebensweisen der alten Meister nicht nachlässig sein sollen, sondern im Gegenteil, uns anstrengen sollen, ihrem guten Beispiel zu folgen. Es sei ganz besonders bedauerlich, wenn buddhistische Lehrer oder gar Meister die falsche Lehre an ihre Schüler übermitteln, dass es Ausnahmen von
Ursache und Wirkung gibt. Sie würden damit einen nicht wieder gut zu machenden Schaden anrichten und viele Schüler in die Irre führen.
Besonders würden sich oft bestimmte Zen-Buddhisten, die nicht an die Wiedergeburt glauben, von diesem Gesetz abwenden, da es für dieses eine überschaubare Leben nicht anwendbar sei. Sie beziehen sich dabei auf die Geschichte des wilden Fuchses, der immer wieder in dieser Tierform wiedergeboren worden sei. Da sie aber nicht an die Wiedergeburt glauben , sondern nur an den gegenwärtigen Augenblick kann dieses Gesetz nicht richtig sein! Dôgen lässt diese Begründung überhaupt nicht gelten und unterstreicht noch einmal den Grundsatz, dass wir mit Sicherheit eine bestimmte Wirkung erfahren, wenn eine bestimmte Ursache in Gang gesetzt worden ist.
Dôgen zitiert dann im Folgenden den großen indischen Meister Nagarjuna, der ganz allgemein sagt, dass es ohne das Gesetz von Ursache und Wirkung überhaupt keine Zukunft geben kann und dass die gesamte buddhistische Lehre des Erwachens und der Überwinden des Leidens ohne dieses Gesetz zerstört würde.

Wir könnten dann der Gier nach Profit, Ruhm und Macht sowie der Beschränktheit des Geistes nicht entkommen, und diese Gier ist in der Tat die Ursache für so vieles Unrecht und Leid auf dieser Welt.

Dadurch gäbe es nach Nagârjuna überhaupt keine richtige Gegenwart, die erst den jetzigen Augenblick des Handelns, der Wirklichkeit und Wahrheit offenbart. Meister Nagarjuna geht dabei auf verschiedene spirituelle und materialistische Lehren seiner Zeit ein, die nach seiner Erfahrung in die Irre führten und sich in bezeichnender Weise auf die Ablehnung des Gesetzes von Ursache und Wirkung stützten und dadurch ihre zweifelhafte Nahrung erhielten. Es sei daher notwendig, selbst durch die Übungspraxis diese Wahrheit zu erfahren und gute Lehrer auf dem Weg des Buddha-Dharma zu finden.
Der Begriff der Leerheit (shunyata) dürfe auf keinen Fall dazu führen, dass man das große Gesetz von Ursache und Wirkung ablehnt oder nur auf die leichte Schulter nimmt, denn man würde, wie ein alter Meister sagt,

"in einem Morast der Nachlässigkeit"

versinken und Unglück und Fehler gewaltig anziehen. Wenn man das eigene Handeln und Denken genau und unverstellt betrachtet, braucht man in der Tat viel Mut und einen festen Willen, um sich selbst ungeschminkt zu sehen. Nur all zu leicht macht man sich selbst was vor, beschönigt das eigene Handeln und entwickelt eine subjektive Sichtweise zu Lasten der anderen und meint dann, dies sei die objektive Wahrheit. Dies ist aber nur eine subjektive „Wahrheit“, die psychologisch das eigene Ego schützen und erhöhen soll. Dies bestätigen auch Psychologen in aller Klarheit. Man findet ein solches Verhalten natürlich auch in bestimmten buddhistischen Gruppen, wo das Gesetz von Ursache und Wirkung ebenfalls deformiert wird, um sich selbst aufzuwerten, indem andere entsprechen abgewertet werden. Dies gibt es meist in der Lebensphilosophie der Ideen und des Denkens, wie Nishijima häufig betont. Die moralischen Fehler der anderen werden also von uns Menschen meist besonders klar gesehen und auch vergrößert, um dadurch das eigene Denken und Handeln gerade moralisch aufzuwerten. Dies führt natürlich auf dem Weg des Buddha-Dharma nicht weiter.
Dôgen beklagt am Ende dieses Kapitels, dass es bei vielen Meistern und Kommentatoren wirklich an Klarheit fehlt, wenn es um das Gesetz von Ursache und Wirkung geht. Er sagt:

"Wenn man die Praxis des Buddha-Dharma lernt, ist von höchster Priorität, das Gesetz von Ursache und Wirkung zu klären".

Wer diesen Zusammenhang leugnet, erzeuge sehr wahrscheinlich eine falsche Sichtweise, die nach Vorteil und Profit strebt und die guten Wurzeln des eigenen Lebens zerschneidet. Ursache und Wirkung unterliegen nicht der Willkür eines Menschen und sind nicht beliebig zu manipulieren. Es ist ein Gesetz von lebendiger Klarheit: Menschen, die Schlechtes begehen, sinken, und die Gutes praktizieren, steigen auf. Dies gilt ohne Ausnahme und ohne eine Abweichung von einem Hundertstel oder einem Tausendstel. Ohne das Gesetz von Ursache und Wirkung wäre es unmöglich, dass die Menschen überhaupt dem Buddha begegnen und den Dharma hören. Wenn man Ursache und Wirkung ablehnt oder vernachlässigt, wird das Gift dieser falschen Sichtweise in der Tat wirksam sein. Daher ist die Klarheit über Ursache und Wirkung so außerordentlich wichtig und steht am Anfang auf dem Buddha-Weg.

Weitere Informationen:

Das Gesetz von Ursache und Wirkung

Die vier Lebensphilosophien des Buddhismus

Ratschläge für das Streben nach der Wahrheit (Gakudo-yojin-shu) von Meister Dogen