Mittwoch, 26. September 2007

Die wunderbare Udumbara-Blume

Die Udumbara-Blume (Shôbôgenzô, Kap. 68, Udonge) hat eine hohe symbolische Bedeutung im Zen-Buddhismus und sie steht für die Übertragung des Dharma von einem authentischen Meister auf den Nachfolger. Gleichzeitig bedeutet sie den wahren Buddhismus in Form der Zazen-Praxis, die von Meister Dôgen so außerordentlich geschätzt wurde.




Die Udumbara-Blume symbolisiert etwas, das sehr selten vorkommt, so wie es z. B. nicht häufig geschieht, dass ein Mensch im Sinne des Buddha-Dharma voll erwacht ist, also die zweite Erleuchtung erlangt hat. Im alten Indien wurde die Udumbara-Blume in diesem Sinne häufig im Buddhismus verwendet. Wir wissen heute allerdings aus der Biologie, dass der Udumbara-Baum ein tropisches Maulbeergewächs ist, das ganz unscheinbare kleine Blüten rund um die Frucht trägt, so dass man diese gar nicht als Blüten erkennen kann. Daher glaubten die alten Inder, dass der Udumbara-Baum normalerweise überhaupt keine Blüten hat, sondern dass er nur außerordentlich selten und vielleicht einmal in einem Zeitalter blüht. Das Gleichnis der Udumbara-Blume bedeutet also in jedem Fall etwas sehr Seltenes und Wunderbares, aber auch gleichzeitig etwas ganz Wirkliches, das es tatsächlich gibt und das auf dem Buddhaweg eine sehr hohe Bedeutung hat.

Es ist ziemlich sicher, das die Übertragung des Dharma von Gautama Buddha auf Mahakashyapa in Form des Gleichnisses der Udumbara-Blume nicht in Indien, sondern in China entstanden ist, da uns in den Sûtra aus Indien diese Geschichte nicht überliefert ist. Daher gab es von einigen Buddhisten die Kritik, dass das Gleichnis der Udumbara-Blume nicht authentisch sei und daher keine große Bedeutung für den wahren Buddhismus habe. Meister Dôgen lehnt eine solche Kritik grundsätzlich ab, weil auch die Sûtra außerhalb von Indien, die von wahren buddhistischen Meistern entwickelt, eingebracht und weiter übertragen werden, wahrer Buddhismus sind und nicht gering geschätzt werden dürfen. Er spricht von den großen chinesischen Meistern auch oft als von ewigen Buddhas und meint damit nicht nur Gautama Buddha, sondern auch seine großen Nachfolger, die voll erwacht waren und den wahren Buddhismus in ihrem Leben verwirklicht hatten.
Blumen haben im Buddhismus eine sehr große Bedeutung und werden in vielen Sûtra, nicht zuletzt im Shôbôgenzô, erwähnt und beschrieben. Zum Beispiel gibt es die Geschichte eines großen Meisters, der beim Anblick blühender Pfirsichbäume die zweite Erleuchtung erlebte. Wir alle kennen buddhistische Gedichte und Geschichten von den Pflaumenblüten, den Kirschblüten, Chrysanthemen, Pfingstrosen und natürlich vor allem von den Lotusblumen. Dôgen spricht bei der Buddha-Lehre zum Beispiel von der Dharma-Blume, die sich dreht und die von wahren Buddhisten gedreht wird.
Es heißt im Lotus-Sûtra, dass Gautama Buddha vor vielen Menschen eine Udumbara-Blume in den Händen hielt und sie drehte. Sein großer Schüler Mahakashyapa bemerkte diese wortlose Geste mit der Udumbara-Blume und ein Lächeln erhellte sein Gesicht. Gautama Buddha sah dies und sagte:

"Ich besitze den Schatz des wahren Dharma-Auges und den wunderbaren Geist des Nirwana. Ich übertrage sie auf Mahakashyapa".

Die Dharma-Übertragung hat auch im Zen-Buddhismus von China, Japan und Korea eine sehr große Bedeutung. Da es bei der Buddhalehre nicht allein um Wissen und Theorie allein geht, sondern um die umfassende Verwirklichung im eigenen Handeln und Leben, hat die lebendige Übertragung von einem Meister zum anderen in der Tat eine Bedeutung, die kaum überschätzt werden kann. Der Meister muss seinen Schüler genau kennen, wie dieser also redet, handelt und sich in den verschiedenen Situationen des Alltags verhält. Dies gilt z. B. in der Freude, bei Schmerzen, bei Auseinandersetzungen, in der Zusammenarbeit, wie er anderen hilft, ohne sich selbst dabei in den Vordergrund zu stellen usw. Zwischen Meister und Schüler besteht daher ein sehr enges vertrauensvolles Verhältnis, das im Zen-Buddhismus, in dem das Handeln so wichtig ist, auch jenseits der Worte und Sätze verwirklicht wird. Der Buddhismus hat eine optimistische positive Sicht des Lebens und der Welt und schätzt die Schönheit der Natur und vor allem der Blumen außerordentlich.

Die Dharma-Übertragung ohne Worte durch das Hochhalten und Drehen der Udumbara-Blume von Gautama Buddha, das wortlose tiefgreifende Verstehen seines Schülers Mahakashyapa und die Dharma-Übertragung mit den oben genannten darauf folgenden Worten sind in der Tat von großer symbolischer Kraft und poetischer Feinheit. So ist es nicht verwunderlich, dass Dôgen das Gleichnis der Udumbara-Blume häufig im Shôbôgenzô erwähnt. Dabei ist weiterhin wichtig, dass Mahakashyapa der erste Nachfolger von Gautama Buddha war und die Übertragungslinie dann in Indien fortgeführt wurde, bis Meister Bodhidharma nach China kam und dort die großen Linien des Zen-Buddhismus begründete, bei denen die Zazen-Praxis Kernelement des Buddha-Dharma war und ist. Die Übertragungslinie ging dann über den großen Meister Daikan Enô zu Tendo Nyojo und weiter zu Meister Dôgen, der diesen wahren Buddhismus nach Japan brachte. In der Linie des Soto-Buddhismus gibt es in neuerer Zeit die großen Meister Kodo Sawaki, Renpo Niwa und Nishijima Roshi.
So kann man sagen, dass die sich drehende Blume von Gautama Buddha den wahren Buddhismus bis in die Gegenwart authentisch übermittelt und dass er dadurch auch zu uns in den Westen gekommen ist.
Dôgen drückt dies wie folgt aus:

"Alle Buddhas praktizieren, erfahren und verwirklichen dieses Drehen der Blume auf dem Weg ihrer Weiterentwicklung, sie lassen die Blüte sich öffnen und erblühen und sie erlangen Klarheit über die sich drehenden Blumen des Hier und Jetzt".

So schön und bedeutungsvoll die Geschichte von Gautama Buddha, der die Dharma-Blume in seinen Händen dreht auch sein mag, so bittet uns Dôgen inständig, dem Hier und Jetzt den Vorrang zu geben und mit ganzem Körper und Geist zu erleben, zu erfahren und zu erforschen, dass sich die Dharma-Blume jetzt und je in diesem Augenblick dreht und den wahren Dharma verkündet. So kann man sagen, dass die Blumen sich selbst drehen und dass dies die Pflaumenblüten, die Lotusblumen, alle Blumen im Jetzt des Frühlings sind. Man kann mit Dôgen auch sagen:

Wenn die Blüten sich öffnen, entsteht die Welt" und "eine Blüte öffnet ihr fünf Blütenblätter und ihre Früchte reifen von selbst auf natürliche Weise".

Das Drehen der Dharmablume gab und gibt es zu allen Zeiten und dadurch verwirklicht sich die große Wahrheit. Die Dharma-Übertragung und das Drehen der Blumen sind keine Fantasiegebilde und sind nicht allein in den Vorstellungswelten zu Hause, sondern sie sind die Wirklichkeit selbst und haben ihre Schönheit der Farben und Formen im Raum, wenn sie auf der Erde wachsen oder als Blüten auf einem Baum blühen. So sind sie Teil der großen Natur, der Berge und Flüsse, der Erde, der Sonne und des Mondes, des Windes und des Regens und auch der Menschen und Tiere.
In der Geschichte der Udumbara-Blume und der Übertragung des Dharma heißt es auch, dass Gautama Buddha ein Zeichen mit den Augen gab, als er die Blume in der Hand drehte und dass dann ein Lächeln auf dem Gesicht von Mahakashyapa erschien. Dadurch verschwindet auch unsere bisherige begrenzte Sicht der Welt, die oft von Enttäuschungen und Verletzungen der Vergangenheit und Sorgen um die Zukunft getrübt ist. Dôgen sagt hierzu, dass wir unsere alten Augen verlieren und mit den neuen die strahlende helle Welt und der sich drehenden Blumen erkennen. Die alten Augen haben nicht gesehen, dass wir den Schatz des Dharma bereits von Natur aus haben und er sich in der Übertragung und beim Drehen der Blumen offenbart. Dann wird unser Geist leicht und beschwingt, als ob wir mit dem Geist spielerisch umgehen. Ein alter Meister sagt dies in dem folgenden Gedicht:

"Gautama verliert seine (bisherigen) Augen. Nur ein Zweig Pflaumenblüten im Schnee! Jetzt sind alle Orte beschwerlich und voller Dornen und doch lachen die tanzenden Blüten im Frühlingswind".

Durch die Erwähnung der Dornen wird klar, dass nicht eine träumerische Welt der Illusion gemeint ist, in die wir uns abseits vom Alltag mit seinen Sorgen und verantwortungsvollen Aufgaben hineinträumen, sondern dass es um diese Wirklichkeit selbst geht und genau dort lachen die tanzenden Blüten im Frühlingswind. Und wenn die Pfirsichblüten herunterfallen, dann fällt auch der Körper und Geist ab.