Freitag, 22. August 2008

Samadhi als Erfahrung des Selbst (Teil 2)

Den Dharma zu hören und ihn zu lehren, vollzieht sich mit unserem ganzen Körper in jedem Augenblick, in unserem ganzen Leben. Dadurch lassen wir nach Dôgen unser Leben nicht sinnlos vergehen und erweitern unsere Praxis von einer Stunde zu einem Tag und von einem Jahr zum ganzen Leben.
Buddhastatue in der Höhle von Datong

Dabei sei es nicht wichtig, alles intellektuell und durch Unterscheidung vollkommen zu begreifen, weil wir sonst endlose Weltzeitalter abwarten müssten. Dies sei auch gar nicht möglich, denn "denn der Geist kann nicht erfasst werden."

Die Übertragung durch einen wahren Meister hat eine sehr große Bedeutung, weil sonst der wahre buddhistische Zustand überhaupt nicht erreicht werden kann und zwar als körperlich-ganzheitliche Erfahrung. Dies gilt auch bei einer angeborenen hohen Intelligenz des Schülers. Dôgen sagt wörtlich:

"Das Selbst als körperliche Erfahrung zu verwirklichen und die externe Welt als körperliche Erfahrung zu verwirklichen, ist die große Wahrheit der buddhistischen Vorfahren im Dharma."

Damit schiebt er einen Riegel vor eine einseitige geistige oder intellektuelle Vorstellung, die lehrt, dass der Körper bei der Verwirklichung des Selbst keine Rolle spielt. Auch im Buddhismus gibt es die von Dogen abgelehnte Vorstellung, dass alles nur unkörperlicher Geist sei. Im Buddha- Dharma geht es für den Menschen um die Einheit von Körper und Geist, die Überwindung der ideellen und materiellen Sicht durch das Handeln und das Erlangen der Wirklichkeit selbst. Dann ist der Dualismus überwunden, der nicht einmal für psychologische Probleme geeignet ist und spirituellen Lebensbereichen überhaupt nicht gerecht werden kann.
Dôgen fasst das Gesagte noch einmal zusammen:

"Wenn primitive Menschen jedoch die Worte "Erfahrung des Selbst" und "Verwirklichung des Selbst" usw. hören denken sie, dass wir die Übertragung von einem (wahren) Lehrer nicht erhalten müssen, sondern (nur) durch uns selbst studieren sollten. Dies ist ein großer Fehler."

Dôgen erläutert im zweiten Teil dieses Kapitels am Beispiel des angeblichen Meisters Soko ein falsches und verkürztes Verständnis der Erfahrung des Selbst. Soko hatte zunächst eine theoretische Ausbildung über Sûtras und Kommentare absolviert und begann das Lernen in der Praxis bei dem authentischen Zen-Meister Dobi. Soko lebte von 1088 bis 1163, also etwa einhundert Jahre, bevor Dôgen in China weilte, und damit bereits in einer späten Phase des Zen- Buddhismus, als es nicht mehr viele wahre Meister gab. Dôgen berichtet, dass Meister Dobi seinem Schüler Soko nicht sein Innerstes und das Auge des Buddhismus offenbarte, weil dieser dafür noch nicht reif sei. Dôgen drückt dies wie folgt aus:


"Zen-Meister Soko setzte sein Lernen in der Praxis für eine recht lange Zeit fort, aber er war unfähig, (Meister) Dobis Haut, Fleisch, Knochen und Mark zu ertasten."

Als Soko erfuhr, dass es die Möglichkeit gäbe, die Bestätigung der Dharma-Übertragung selbst dadurch zu forcieren, dass man ein brennendes Räucherstäbchen trotz der Schmerzen im Ellbogen fest hält, bedrängte er dadurch seinen Meister Dobi auf diese Weise. Aber Dobi erlaubte ihm die Dharma-Nachfolge nicht und erklärte ihm, dass er nicht übereilt und ungeduldig danach streben, sondern im Hier und Jetzt sorgfältig und ausdauernd praktizieren solle. Er sagte:

"Ich missgönne dir die Übertragung nicht, aber du bist einfach noch nicht mit den (wahren) Augen ausgestattet."

Soko beharrte jedoch auf seinem Anliegen und widersprach dem Meister:

"Ursprünglich beschenkt mit den wahren Augen erfahre ich das Selbst und verwirkliche das Selbst. Wie kann es sein, dass du mir die Übertragung nicht gibst?"

Er wollte damit klipp und klar sagen, dass er bereits die Erleuchtung erlangt habe und dass es für ihn völlig unverständlich sei, dass sein Meister ihm die Dharma-Übertragung vorenthält. Er selbst war also nicht in der Lage, sich richtig einzuschätzen. In seiner Vorstellung und in seinem Geist war er bereits erleuchtet und meinte, die Erfahrung des wahren Selbst erlangt zu haben. Auch heute gibt es ähnliche Beispiele. Manche haben z. B. unter Drogeneinfluss subjektiv den unerschütterlichen illusionären Glauben, sie seien erleuchtet. Sie lassen sich dann von anderen entsprechend bewundern.

Es wird berichtet, dass Meister Dobi damals nur lächelte und es dabei bewenden ließ. Dôgen berichtet weitere Begebenheiten von Soko und dem Meister Dobi, die verdeutlichen, dass Soko sogar die Verantwortung für seine eigene schwierige Entwicklung und für vorhandene Probleme auf seinen Meister abwälzte. Sicher nicht zuletzt dadurch verhinderte er selbst den eigenen positiven Lernprozess.

Soko setzte dann seine Praxis unter einem anderen Meister, Tando, fort und studierte das Diamant-Sûtra. Meister Tando war jedoch nicht davon überzeugt, dass Soko das Diamant-Sûtra wirklich erfahren habe. Er bezeichnete ihn als einen intellektuell ausgerichteten „hohen Priester“, der die Wirklichkeit dieses Sûtra nicht erfahren könne. Auch nach längerer Schulung unter Meister Tando machte Soko keine grundsätzlichen Fortschritte, obgleich er verschiedene Bereiche des Buddhismus erlernt habe. Tando sagte zu ihm:


"Aber es gibt genau einen Punkt, der in dir noch nicht gegenwärtig ist. Erkennst du, was es ist oder nicht?"

Er erläuterte ihm, dass er zwar während des Hörens einer Dharma-Rede Verständnis für den Buddhismus entwickeln würde, dass er aber nach dem Verlassen der Dharma-Halle mit dem Buddha-Dharma nicht mehr vertraut sei. Soko selbst äußerte dazu, dass es sein eigener Zweifel sei, der ihn behindern würde. Meister Tando empfahl ihm kurz vor seinem Tod, einen anderen Meister aufzusuchen und dort seine Studien und vor allem seine Praxis fortzusetzen.

Soko versuchte mit aller Gewalt immer wieder, die Erleuchtung zu erlangen und wollte unbedingt ein berühmter Meister werden. Aber der eine Punkt, von dem Meister Tando gesprochen hatte, fehlte ihm deswegen. So kam es, dass er diesen Punkt nicht erlangen konnte aber sich auch nicht von diesem Gedanken, der in ihm bohrte, befreien konnte. Soko gelang es nicht, seine Zweifel wirklich anzugehen, auszuräumen und sie zu überwinden.


Er hatte nach Dôgen leider nicht den wahren großen Zweifel am Leben, der notwendig ist, um bescheiden zu sein und durch den man erkennt, dass der „Geist nicht erfasst werden kann“. Ohne wirkliche Grundlagen strebte er mit großer Anstrengung danach, die Bestätigung der Dharma-Übertragung zu bekommen. Dies ist nach Dôgen


"ein vollständiges Fehlen des Willens zur Wahrheit und ein vollständiges Fehlen der Achtung und Wertschätzung der Alten (Meister)."

Damit wird auch gesagt, dass er nachlässig praktizierte, weil sein Geist auf das egoistische Ziel der Dharma-Übertragung und Erleuchtung gerichtet war und nicht auf die Praxis selbst. Es fehlte der aufrichtige Wille zur Wahrheit.
Dôgen sagt dazu:


"Durch die Gier nach Ruhm und durch die Liebe zum Profit wollte er in das innerste Heilige des buddhistischen Vorfahren im Dharma einbrechen. Es ist bedauerlich, dass er die Worte des buddhistischen Vorfahren im Dharma ignoriert. Er versteht nicht, dass die Achtung und Wertschätzung der Alten genau die Erfahrung des Selbst ist."

Dôgen bezeichnet dies als Selbsttäuschung und sagt, dass Soko die Grundlage zur Wirklichkeit fehlen würde.
Bei dem nächsten Meister Engo hatte Soko nach der Überlieferung eine mystische Verwirklichung, als dieser auf seinen Zen-Sitz stieg. Meister Engo bestätigte aber nicht dessen Verwirklichung und sagte: "Du hast niemals den großen Dharma geklärt."

Bei einer späteren Lehrrede über die Existenz und Nichtexistenz in der Lehre von Nâgârjuna erlangte Soko "den Zustand des großen Friedens und der Freude im Dharma." Auch dies berichtete er seinem Meister Engo, der allerdings lachte und sagte: "Ich überlege, ob ich dich getäuscht habe."

Dôgen sagt in aller Klarheit, dass die berichtete mystische Verwirklichung und der Zustand des großen Friedens und der Freude im Dharma nicht das Wesentliche gewesen seien und fügt hinzu: "Denkt nicht, dass (Soko) wichtig ist."


Er sei nur ein Schüler des Lernens in der Praxis geblieben und könne auf keinen Fall auf die gleiche Stufe wie Meister Engo, seinem letzten Lehrer, gestellt werden. Dieser sei ein ewiger Buddha.

Dogen bedauert, dass Soko später selbst Lehrer wurde und Schüler sowie Mönche angeleitet habe und sagt: "Die Worte, die er hinterließ, erreichen niemals die Randgebiete des großen Dharma." Dessen ungeachtet werde Soko von Unwissenden der späteren Zeit in die Nähe der großen Vorfahren im Dharma gerückt. Dies sei aber beschämend. Alle kundigen Meister seien sich darin einig, dass er auf keinen Fall erleuchtet gewesen sei. Gleichwohl hatte er in den späteren Zeiten viele Schüler, und diese kritisierten Meister Dobi scharf, dass er ihm die Dharma-Übertragung und den Zugang zu seinem Innersten verwehrt habe.

Dôgen sagt am Ende des Kapitels allerdings, dass es in seiner eigenen Zeit, als er in China nach einem wahren Lehrer suchte, noch wesentlich schlechter um den Buddha-Dharma bestellt sei. Er fügt hinzu:


"In seinem ganzen Leben hat der sog. Meister Soko nicht die Worte verstanden: "Erfahrung des Selbst" und "Verwirklichung des Selbst."


Daher sei es auch unmöglich, dass seine nachfolgenden Schüler diese Worte verstehen könnten. Diese Worte des Selbst und der externen Welt beinhalten ohne jeden Zweifel "den Körper-Geist und die Augen der großen buddhistischen Meister, die ewige Buddhas sind.“