Sonntag, 22. Februar 2009

Die Buddhas und Meister zusammen mit den Buddhas und Meistern verwirklichen die Form (Teil 3)

Dôgen kommt dann auf die beunruhigenden Verwirrungen und Täuschungen zu sprechen, die wir häufig in dieser Welt erleben. Wie kann man ihnen entfliehen oder wie kann man sie bewältigen?
Dazu fragte ein Mönch einen hoch verehrten Meister:

"Wenn unendlich viele (komplexe) Umstände auf einmal alle zusammenkommen, was sollte ich tun?" Der Meister sagte:
"Versuche nicht sie (mit Gewalt) zu steuern."
Er will damit sagen, dass es äußerst vielfältige und komplexe Zusammenhänge in dieser Welt gibt, auf die wir keinen direkten Einfluss nehmen können, die uns aber nicht verwirren sollen.
Der Meister tadelte den Mönch nicht wegen dieser Frage, in der sicher dessen Lebensangst mitschwingt. Sie zielt nämlich auf die große Vielfalt der Wirklichkeit und wie wir mit ihr sinnvoll umgehen können. Denn wir sind ein Teil dieser komplexen Vielfalt. Wenn wir sie als externe Objekte außerhalb von uns selbst auffassen, die wir unbedingt steuern und beherrschen wollen, kann dies nur scheitern und uns ins Leiden stürzen.
Dôgen zitiert einen alten Meister und Buddha, der sagte:
"Die Berge, Flüsse, die Erde und die Menschen werden zusammen geboren. Die Buddhas der drei Zeiten und die Menschen haben immer zusammen praktiziert."
Er erläutert, dass die Trennung der Berge, Flüsse und der Erde vom Menschen ein falsches Verständnis sei, denn sie alle entstehen zusammen in jedem Augenblick und sind dann die große Wirklichkeit. Die Menschen würden sozusagen nicht gesondert oben auf die Berge, Flüsse und die Erde gelegt und dies wird dann als Geburt bezeichnet. Sie lassen in jedem Augenblick gemeinsam die Wirklichkeit entstehen.
Dôgen schätzte derartige alte Zitate sehr, aber betonte auch, dass es abweichende zukünftige Interpretationen gab und geben musste. Dann treffen die alten Aussagen mit einer neuen Aktualität zusammen und damit ergibt sich in kreativer Weise die volle Wirklichkeit. Er fragt selbst, was mit den Menschen und mit der Geburt im obigen Zitat gemeint ist und bittet uns, dass wir uns darüber klar werden, was es eigentlich bedeutet, dass die Berge, Flüsse und die Erde zusammen mit uns geboren werden.

Im zweiten Satz dieses Zitates wird die Zazen-Praxis hervorgehoben. Dies sei von wesentlicher Bedeutung bei den Buddhas der drei Zeiten und den Menschen, denn ohne diese Praxis könne es keine Dharma-Übertragung und keine authentische Nachfolge bei den wahren Meister geben. Dôgen sagt:
"Zu Anfang (der Interpretation) sollten wir das Tun und Handeln des Buddhas (wirklich) verstehen."

Dieses Handeln vollzieht sich im Augenblick in der Einheit mit der ganzen Erde und zusammen mit allen Lebewesen. Wenn dabei irgendetwas ausgeklammert wird, kann dies nicht das wahre Tun und Handeln der Buddhas sein.

Nachdem wir den Bodhi-Geist des Erwachens erweckt haben und bis wir die Verwirklichung erlangen, geschieht unser Handeln ohne jeden Zweifel zusammen mit der ganzen Erde und allen Lebewesen. Dabei sollten wir uns nicht davon verunsichern lassen, dass es vieles gibt, das über das Wissen unseres Verstandes hinausgeht. Wir bewähren uns nach der Erweckung des Bodhi-Geistes des Erwachens durch die Zazen-Praxis und die buddhistische Lehre. Auf diese Weise ist es gesichert, dass sich unser Körper-und-Geist auf keinen Fall „verringert“ und dass er sich verirrt. Dôgen sagt weiter:

"Wenn wir in aller Ruhe bei uns selbst (gründlich) reflektieren, existiert die Wahrheit in der Tatsache, dass unser eigener Körper-und-Geist in derselben Weise praktiziert hat wie die Buddhas der drei Zeiten. Die Wahrheit ist auch offensichtlich, dass wir den Geist erweckt haben."

Dies sollten wir genau und in allen Einzelheiten bedenken und uns sollte klar sein, dass wir bei der Untersuchung des Menschen erkennen, dass das Ich nicht vom anderen Mensch abgetrennt ist. Beide sind keine statischen, stagnierenden Subjekte oder Objekte, und es sei unsinnig zu denken, dass sie von den drei Zeiten getrennt sind. Dôgen sagt:
"Kurz gesagt, sollte die Wahrheit ´jenseits von Wissen oder Nichtwissen´ genannt werden."
Dôgen zitiert dann einen anderen alten Meister wie folgt:

"Auch das Zusammenstürzen (von Illusionen) ist nichts Verschiedenes;
das Fließende ist (ohne jede Begrenzung) jenseits von Diskussionen;
Berge, Flüsse und die Erde
sind genau die vollständige Offenbarung vom Körper des Dharma-Königs."

Hier wird in dichterischer Form gesagt, dass die Täuschungen und Illusionen im Lernprozess zusammenbrechen und dass dies auch Teil des buddhistischen Weges ist. Durch den Begriff des „Fließenden“ wird ausgedrückt, dass es keine Behinderungen, Stauungen, Grenzen und künstliche Verengungen im Buddha-Dharma gibt. Dôgen wiederholt damit eine Formulierung aus dem ersten Kapitel des Shôbôgenzô zum Streben nach der Wahrheit und zur Zazen-Praxis (Bendowa), wo es heißt, dass es waagerecht und senkrecht keine Begrenzungen gibt.
Der Körper Buddhas ist dasselbe wie die Berge, die Flüsse und die ganze Erde. Diese Aussage kommt häufiger im Shôbôgenzô vor und ist typisch für den Zen-Buddhismus, der eine strenge Unterscheidung zwischen materiellen Objekten wie Berge und Flüsse und Buddha ablehnt. Dôgen sagt, dass wir von früheren Irrtümern nicht behindert werden, wenn wir zu der in dem Gedicht beschriebenen neuen Wirklichkeit erwacht sind. Das frühere falsche Verständnis war damals so, wie es war. Es sei unsinnig, dies mit dem jetzigen Erwachen und der Verwirklichung zu vermischen, also abzuwerten oder romantisierend zu überhöhen.
Er sagt zur Verwirklichung:
"Das Verstehen wird sich ereignen, wenn die Stimme schon in die Ohren hineingegangen ist. Dann wird das Samadhi offensichtlich. Wir sollten nicht denken, dass das Nicht-Verstehen (früher) gravierend war, obgleich das (frühere) Verstehen (in der Tat) gegenüber dem heutigen Verstehen klein ist“.

Er sagt weiter, dass der Körper des Dharma-Königs wie oben beschrieben wirklich existiert, und wir dies in der Helligkeit des Lichtes und in der Lehre des Dharma verstehen.
Dôgen untersucht gegen Ende des Kapitels die Worte, dass nur ein Fisch den Geist eines Fisches kennt und dass nur ein Vogel dem Zug der anderen Vögel folgen kann. Er sagt wörtlich:

"Jene, die dieses nur so interpretieren, dass die Menschen den Geist der Fische nicht kennen und dass Menschen den Geist der Vögel nicht kennen, haben (diese Worte) missverstanden."

Er erläutert, dass die Fische gegenseitig nur zusammen mit den anderen Fischen ihren Geist erkennen. Sie seien nicht wie die Menschen ignorant gegenüber den anderen Menschen. Die Fische schwimmen und handeln gemeinsam in den großen Strömen Chinas als Fisch-Schwarm und überwinden zusammen die gefährlichen Stromschnellen. Sie sind eines Geistes und kennen so "den Geist der anderen Fische". In gleicher Weise können die Lebewesen, die am Boden auf der Erde leben, den Zug der Vögel oben am Himmel nicht verstehen, und sie wissen nicht einmal, dass es diese Fluglinien der Vögel gibt.
Die Zugvögel kennen aber den Geist der anderen Zugvögel, wenn sie von Norden nach Süden oder von Süden nach Norden fliegen und auf diese Weise den Jahreszeiten folgen. Derartige Fluglinien seien für die Vögel sogar offensichtlicher als "Radspuren auf einem Fahrweg oder der Abdrucke der Pferdehufe, die man im Gras sieht." Ganz ähnlich wie die Vögel die Fluglinien der anderen Zugvögel sehen, sei dieser Grundsatz auch für die Buddhas und Vorfahren im Dharma gültig. Dôgen sagt hierzu:
"Dies können wir überhaupt nicht erkennen, wenn wir keine Buddhas sind."
Er fügt hinzu, dass wir mit den Augen des Buddhas ausgestattet sein müssen, um solche Spuren zu erkennen. Diese Fähigkeit wird durch die Dharma-Übertragung vom Meister auf den Schüler vermittelt.
Dôgen sagt am Ende dieses Kapitels:
"Diese Spuren zu erkennen mag der Buddha-Dharma genannt werden."