Dienstag, 1. Januar 2013

Gautama Buddhas Wille zur Wahrheit


(von Nishijima Roshi, editierte Fassung)


Durch die Fürsorge seines Vaters schien Gautama Buddha glücklich zu sein, aber in Wirklichkeit war er nicht im Gleichgewicht und litt unter schwankenden Stimmungen und Gefühlen. Seit seiner Jugend wollte er mit großem Ernst wissen, ob die  Wahrheit in der Welt als Wirklichkeit existiert oder nicht. Er dachte, dass er diese Wahrheit selbst in aller Klarheit erlangen wollte, wenn es sie wirklich in der Welt gab. Obgleich er verheiratet war und einen Sohn hatte, litt er an dem bohrenden Zweifel, ob es nicht besser wäre, ein Mönch zu werden.

Gautama Buddha hatte in jener Zeit nicht die Freiheit, einfach in die nahe gelegene Stadt zu gehen, weil dies gegen den Befehl seines Vaters verstieß, aber eines Tages versuchte er einfach das Schloss zu verlassen. Zunächst versuchte er durch das Osttor hinaus zu gelangen, und schon bald traf er einen Menschen, der sehr alt und gebrechlich war. Dieser erschütterte ihn wegen seines elenden Zustandes sehr. Er wandte sich um und wollte durch das Südtor hinausgehen, traf aber wieder einen Menschen, der von starker Krankheit gezeichnet war, so dass er wieder umkehrte und dann durch das Westtor hinausgehen wollte. Dort traf er eine Prozession, die zu einer Begräbniszeremonie gehörte und einen Toten bei sich führte. Deshalb kehrte er schon fast verzweifelt wieder um. Anschließend verließ er das Schloss durch das Nordtor und dort erblickte er einen Mönch, der heiter und mit großer innerer Ruhe voranschritt. Als Gautama Buddha diesen Mönch genauer ansah, war er tief beeindruckt. Dieser heitere Mönch ohne allen Besitz verstärkte die große Anziehungskraft, die das Leben eines Mönches schon früher auf ihn ausgeübt hatte.

Abschied vom Familienleben
Nachdem Gautama Buddha lange Zeit hin und her überlegt hatte, entschied er sich endgültig, seine Familie zurückzulassen und ein religiöser Mönch zu werden. Haus und Familie zu verlassen bedeutet, dass ein Mann oder eine Frau Mönch oder Nonne wird, um der religiösen Wahrheit zu folgen. Ich nehme an, dass Gautama Buddha sich viele Gedanken und Sorgen darüber gemacht hatte, ob es moralisch zu vertreten sei, die Familie zu verlassen und nicht mehr für sie zu sorgen und sie nicht mehr unterstützen zu können. Aber es erschien ihm unmöglich, dem Drang nach der Wahrheit nicht zu folgen, denn dies war sein Ziel seit langer Zeit:

Er wollte den Menschen in der unruhigen schweren Welt helfen und sie retten, indem er die wirkliche Wahrheit der Welt finden und mit ihnen teilen wollte. Als er 29 Jahre alt war, sagte er seinem Diener mit dem Namen Channa, dass er sein weißes Pferd in den Garten des Schlosses bringen solle. Dann verließ Gautama Buddha das Schloss unbemerkt, er hatte seine Familie vorher nicht über seine Pläne eingeweiht. Der Diener Channa folgte Gautama Buddha bis zu einem Hain mit dem Namen Anupiya und dort gab Gautama Buddha Channa den Befehl, zu seinen Eltern und seiner Familie zurückzukehren. Er nahm die wertvollen Kleider Gautama Buddhas auf dessen Bitte mit sich, die dieser nicht mehr tragen wollte. So machte sich Gautama Buddha auf, nach der Wahrheit zu forschen.

Die beiden Denker als Lehrer von Gautama Buddha
Am Anfang seiner Suche nach der Wahrheit ging Gautama Buddha zu einem Denker mit Namen Alara Kalama, der nahe der Stadt Vaisali mit ca. 300 Schülern lebte. Er war vermutlich kein Brahmane, aber er war ein Denker mit einer neuen Lehre, der von sich behauptete, dass er "den Zustand nichts zu haben" erlangt hatte. Wir Menschen haben im Allgemeinen immer das Verlangen nach bestimmten Dingen und Besitztümern. Aber Alara Kalama vertrat mit Nachdruck den hohen moralischen Wert, nicht irgendeine Sache oder materielle Dinge haben zu wollen und nicht an ihnen zu hängen. Im Allgemeinen haben die Menschen starkes Begehren etwas zu besitzen. Eine solche Schwäche ist manchmal sehr gefährlich und macht die Menschen blind für konkrete Gefahren und Fehlentwicklungen. In diesem Sinne lehrte uns Alara Kalama, nicht gierig zu sein. Aber Gautama Buddha verstand schon bald, dass der Ansatz von Alara Kalama sehr intellektuell und nicht sehr praktisch war. Daher entschloss er sich, ihn zu verlassen und einen anderen Denker aufsuchen.

Dieser zweite Denker, den Buddha besuchte, war Udraka Ramaputra. Es wird berichtet, dass Udraka Ramaputra nicht weit entfernt von dem Ort des Alara Kalama lebte, aber die Überlieferung ist in diesem Fall nicht ganz sicher, weil auch andere Orte infrage kommen. Der Name Udraka Ramaputra bedeutet “das Kind von Rama“ und es wird berichtet, dass dort insgesamt ca. 700 Schüler zusammenlebten. Er war selbst vollständig überzeugt von seiner eigenen Lehre, die etwa beinhaltet: "Der Zustand des Nichtdenkens; des nicht Nichtdenkens". Diese Lehre könnte etwa Folgendes bedeuten: "Der Zustand, in dem man Denken und Sinneswahrnehmung überschreitet". Wir können aber annehmen, dass diese beiden ersten Lehrer und Denker im Bereich des abstrakten Denkens und der theoretischen Lehre verharrten, obgleich sie teilweise durchaus realistische Philosophien vertraten. Gautama Buddha fand es jedoch schwierig, ihre philosophischen Standpunkte als fundierten Realismus und als Wirklichkeit selbst anzunehmen. Er spürte: Philosophien bleiben immer im Dualismus, sie sind nicht die ungeteilte Wirklichkeit selbst, die mit Denken und Worten nicht erfasst werden kann und allein das große Gleichgewicht von Körper und Geist realisiert.