Donnerstag, 11. April 2013

Einheit von Körper und Geist



Am 3. Juli 2012 ergab die Suchanfrage „Geist“ bei Google im Internet die kaum vorstellbare Zahl von ca. 49 Millionen Treffern. Es wäre sicher eine Mammut-Aufgabe, in dieser Vielfalt den roten Faden bei der Frage zu finden, was der Geist wirklich ist und wie er in verschiedenen Kulturen und Traditionen verstanden wird. Einen solchen Versuch möchte ich nicht unternehmen, sondern die Frage nach dem Geist auf den Zen-Buddhismus zuschneiden.

Vielleicht gewinnt sie durch die jüngsten Ergebnisse der Gehirnforschung sogar eine ganz neue Pragmatik und zusätzliche Dimensionen. Das heißt nichts anderes, als dass unsere westliche, scheinbar überwiegend materialistische Gesellschaft ein außerordentlich hohes Interesse gerade an den spirituellen, philosophischen und psychischen Bereichen hat, die mit dem Begriff Geist verbunden werden.

Die meisten Menschen möchten nicht zuletzt Befreiung von vielfältigen Fesseln des Geistes erleben. Sie möchten mehr Klarheit über sich selbst, das soziale Zusammenleben und die politischen Abhängigkeiten gewinnen. Denn es ist sicher unbestritten, dass unsere Welt eine bisher in der Menschheit völlig unbekannte, gewaltige Komplexität erreicht hat. Allein die Überflutung mit verschiedensten Informationen und Daten, zum Beispiel durch die Medien, hat ungeahnte Dimensionen angenommen.

Dabei verwirrt nicht nur die gewaltige Informationsmenge, sondern auch die unüberschaubare Vielfalt und Widersprüchlichkeit der moralischen Werte und Bewertungen. Kann der Zen-Buddhismus hier fulminante Impulse geben und den Aufbruch zu neuer Klarheit ermöglichen? Ich meine ja, auf jeden Fall! Die suggestiven Versprechungen der Konsumgesellschaft und die sehr begrenzten Möglichkeiten, die der materielle Reichtum bietet, können den meisten von uns offenbar auf dem Weg zur geistigen Freiheit und Klarheit nicht helfen.

Wie ist es dazu gekommen, dass Gautama Buddha den Weg der Befreiung von den Fesseln von Körper-und-Geist und der Überwindung psychisch-geistiger Leiden mit großem Scharfsinn und unermüdlicher Ausdauer gegangen ist? Er musste einen ganz neuen, eigenen Weg suchen. Und tatsächlich fand er neben anderen Lehren vor allem mit den Vier Edlen Wahrheiten und dem Achtfachen Pfad den Weg zum Erwachen des Geistes und zur Überwindung des menschlichen Leidens.

Dieser Weg ist wesentlicher Teil der sogenannten „Geistigen Gegebenheiten“ im Sūtra der Grundlagen der Achtsamkeit. Dabei spielen die umfassend verstandene Achtsamkeit und die Sammlung, der Samādhi, mit den vier Vertiefungsstufen (Jhana) eine zentrale Rolle. Die vierte Stufe der Vertiefung ist nach meiner festen Überzeugung identisch mit der Zazen-Praxis des Zen-Buddhismus, die für Meister Dōgen zum Schlüssel des Erwachens, der Erleuchtung und der Klärung von Körper-und-Geist wurde.

Für Dōgens Weg zur Befreiung und Klarheit ist es zwingend, die Einheit von Körper, Psyche, Geist und Universum zu erlernen und zu praktizieren. Dabei sind abstrakte Theorien und Lehren nur von begrenzter Wirksamkeit, denn das Lernen und die Klarheit des Geistes sind nicht auf unser Neuhirn beschränkt, und selbst das ist Teil unseres Körpers. Mit Dōgen lernen wir, ganz konkret und mit intuitiver Klarheit im Hier und Jetzt zu handeln, nicht zuletzt durch die Zen-Meditation. Diese Klarheit schließt gerade Ethik und Moral mit ein. Von großer Bedeutung ist dabei ein ausgeprägter Realitätssinn, wo die Grenzen unserer Vernunft liegen, denn Dōgen sagt: „Der Geist kann nicht (vollständig) erfasst werden.“

Nach meinem Verständnis ist eine solche Bescheidenheit notwendig, um die Qualität intuitiver Vernunft und Klarheit so auszubauen, wie es unserer wahren Natur entspricht. Wer seinen Geist permanent überschätzt, kann sein eigenes, fast unbegrenztes Potential in seinem Leben niemals wirklich entwickeln und ausschöpfen. Dadurch sind schwere Existenzkrisen vorprogrammiert und kaum zu vermeiden.