Sonntag, 3. Juli 2011

Haben wir heute überhaupt Zeit für die Zazen-Praxis?

Frage an Dōgen:


„Die Menschen, die ihr Zuhause verlassen haben, werden sofort von allen (bisherigen) Bindungen frei, sodass sie keine Hindernisse mehr bei der Praxis des Zazen haben und nach der Wahrheit streben. Wie kann ein viel beschäftigter Laie die Übungen mit ganzer Hingabe praktizieren und eins mit dem Zustand der buddhistischen Wahrheit sein, die ohne (Berechnung) und Absicht ist?“


Dōgen nimmt wie folgt dazu Stellung:
„Der buddhistische Vorfahre im Dharma (Bodhidharma), übervoll des Erbarmens, hinterließ ein offenes, weites und großartiges Tor des Mitgefühls, sodass alle Lebewesen (den Zustand der Wahrheit) erfahren und in ihn eingehen können. Welcher Mensch oder Gott wollte nicht (in das Tor des Zazen) eintreten?“


Er macht klar, dass das Tor, das Bodhidharma durch die Zazen-Praxis geöffnet hat, jedem zugänglich ist, unabhängig davon, ob er Laie oder ordiniert ist. Weil sie eigentlich so einfach ist, hat sie sich in Japan sehr schnell verbreitet.


Obgleich dieses Thema auf den ersten Blick für die Gegenwart scheinbar keine große Rolle spielt, da es besonders im westlichen Buddhismus nur wenige ordinierte Nonnen und Mönche gibt, die in Klöstern leben, ist es dennoch auch für die heutige Zeit sehr bedeutsam. Häufig wird gegen die Zen-Meditation nämlich eingewendet, dass man angesichts der großen Last von beruflichen und familiären Aufgaben überhaupt keine Zeit mehr habe, um sich dieser Praxis zu widmen.


Ist das richtig? Dieses Argument dürfte jedoch meistens an der Wirklichkeit des Tagesablaufs total vorbeigehen. Wenn wir uns nur daran erinnern, wie viel Zeit heute die meisten Menschen vor dem Fernseher verbringen und wie viel Freizeit überhaupt zur Verfügung steht, so wird klar, dass sich immer etwas Zeit für die Praxis finden lässt. Schon 15 Minuten täglich wären ein wichtiger Schritt – und das gilt besonders, wenn wir in Hektik, Stress und Zeitnot zu versinken drohen. Übertriebener Aktionismus hat häufig eine sehr geringe Effizienz zur Folge, während mit innerem Gleichgewicht und größerer Ruhe die Arbeit sich nicht nur qualitativ verbessert, sondern auch manche unnötige Aktion ganz überflüssig würde. Wir machen auch deutlich weniger Fehler.

Wir sollten unseren Alltag deshalb so organisieren, dass wir Zeit für die Praxis haben, und uns einen ruhigen Ort schaffen, an dem wir sitzen können. Gerade wer im Beruf starkem Stress und psychischen Belastungen ausgesetzt ist, braucht unbedingt einen Ausgleich, um das Gleichgewicht zu halten, sich nicht unnötig aufzureiben und falschen Zielen nachzurennen. Auch Nishijima Roshi rät uns dringend, die tägliche Zazen-Praxis auf keinen Fall aufzugeben oder zu vernachlässigen. Gerade wenn es uns nicht so gut geht!


Er fügt hinzu, dass es in jedem Leben nicht nur aus ausgeglichene und gute Tage gibt, sondern auch Turbulenzen und Situationen, in denen wir hin- und hergeworfen werden, wenn wir nicht über eine wirkungsvolle Methode verfügen, die uns zurück ins Gleichgewicht bringen kann. Zusammenfassend bekräftigt er:


„Wenn wir daher durch Zazen glücklich werden wollen, ist es für uns notwendig, jeden Tag Zazen zu praktizieren.“