Mittwoch, 19. April 2017

Zen in der Kunst des Bogenschießens und des Lebens

:

Der große Bogenmeister Genshiro Inagaki

Der zentrale Satz "ES hat geschossen!"

aus Herrigels berühmten Buch "Zen in der Kunst des Bogenschießens" hat mich ein Leben lang begleitet, aber erst seit wenigen Jahren schieße ich nun selbst. Was fasziniert an diesem Satz so sehr ? Oder sollten wir besser sagen: Welche Wahrheit gibt uns das Bogenschießen für die Kunst unseres eigenen Lebens?

Nachdem der bis dahin verkopfte deutsche Philosoph Herrigel in Japan Zen-Philosophie studieren wollte, machten ihm seine japanischen Freunde klar, dass er mit magerer Theorie nicht erfahren könne, was Zen wirklich ist. Er müsse eine Zen-Kunst erlernen, dann werde er selbst ohne fremde Einflussnahme seine eigenen existentiellen Erfahrungen machen. Seine erste Zeit mit dem Bogen-Meister waren vor allem durch Enttäuschungen, Missverständnisse und Rückschläge gekennzeichnet.

Aber dann eines Tages: Als der erste wahre Schuss gelungen war, verbeugte sich sein Meister und sagte "ES hat geschossen". Und er fügte hinzu, dass er sich nicht vor dem Menschen Herrigel verbeugen würde, weil es um mehr ginge. Das Es ist das gelungene Zusammen-Wirken von Mensch, Bogen, Sehne, Pfeil, Luft, Ziel usw. , aber auch und gerade ist es die Wechsel-Wirkung von Energie, Bewegung, Ruhe, Achtsamkeit, Körper-und-Geist, Kreativität und nicht zuletzt unserer eigenen Klarheit und Freiheit. Das ist der Augenblick: Entspannt in der höchsten Spannung, der Pfeil fliegt seinen wunderbaren Flug.

Es geht um das ganze Leben und es geht um das heutige Leben im Umfeld von Stress, digitaler Fragmentierung, Überforderung und drohenden Katastrophen. Aber ein solcher Schuss ist Emanzipation und Impuls für das weitere freie Leben zugleich: Welt und Menschen öffnen sich, Neuland des Lebens lädt ein, Ganzheit und Konzentration des Augenblicks sind da, das ist ZEN.

Übungsgruppe der Altbäckersmühle

Mein Freund, der Zen- und Bogenmeister KyuSei (Kurt Österle), drückt das in seinem neuen Buch "Zen im Weg des Bogens: Über die Kraft, aus der wir leben" (S. 39) treffend aus:

"Nimm den Bogen in die Hand und begegne dem ´Alltäglichen´ bzw. das ´Alltägliche´ wird dir begegnen. Damit habe ich eine Möglichkeit gefunden, die Herauforderungen des Lebens als eine Kunst zu begreifen" Und weiter: "...in jedem Augenblick die Sehne zu spannen, sodass der Pfeil fliegen kann."

Hier der link

Er hat den Zen-Weg des Bogens für den Westen mit westlichen Bögen gestaltet und in unsere Kultur integriert, ohne die Wahrheit des Zen-Bogens zu verlassen.

Wann und wo erfahren Sie selbst: "Es hat geschossen?"

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Sonntag, 16. April 2017

Buddha-Natur und die Leerheit des Herz-Sutra


Im Herz-Sûtra heißt es

 „Form - Leere. Leere - Form“. 

Keineswegs ist damit nach Dôgen gemeint, dass es überhaupt keine Form und keine materielle Welt gibt und dass nur die isolierte Leere die Wirklichkeit ist [i]
Dies wäre eine irreführende philosophische Vorstellung, die sicher nicht der Inhalt des ursprünglichen buddhistischen Textes ist und schon gar nicht mit dem Verständnis und der Praxis des Zen-Buddhismus übereinstimmt. Zentrale Aussage des Herz-Sûtra ist demgegenüber, dass die Leerheit als Freiheit von falschen Doktrinen, wie des âtman, die immaterielle Seite der Wahrheit ist, die mit der materiellen Seite der Form in Übereinstimmung sein muss. Die Welt hat also immer eine materielle Seite der konkreten Einzelheiten und die nicht-materielle Seite, die ebenso real ist. Aber wir dürfen nicht auf die äußere Form fixiert sein.

Dôgen kritisiert massiv, dass manche behaupten, Materie könne absichtlich und mithilfe des Willens in Leerheit umgewandelt werden und umgekehrt könne die Leerheit aufgeteilt werden, um Materie zu erzeugen. Tatsächlich gibt es auch in einigen neueren buddhistischen Texten ein Erklärungsmodell, das versucht, die Leerheit materiell zu beweisen: Wenn man die Materie immer weiter aufteilt, bliebe schließlich nichts mehr übrig, daher sei die Materie leer. Als Begründung wird die moderne Physik herangezogen, die besagt, dass es keine Atome als kleinste unteilbare Einheiten gibt, wie uns von den Griechen übermittelt wurde, sondern dass man Materie immer weiter unterteilen kann, bis man zu den subatomaren Elementarteilchen gelangt. Diese seien aber immer weiter teilbar, beziehungsweise als kleine Energieprozesse existieren.

Dieser Argumentation liegt eine materielle, naturwissenschaftliche Lebensphilosophie zugrunde. Sie ist methodisch zweifelhaft, weil sie eine Schlussfolgerung aufbaut, die die Leerheit gerade materialistisch beweisen soll.

Genau diese materielle Scheinlogik lehnt Dôgen ab, denn die Leerheit ist eine Erfahrung der Freiheit vom Ideologien und Doktrinen der vierten und höchsten Dimension des Lebens nach dem Erwachen. Materielle Argumente können nur unvollständige Teilwahrheiten erfassen. Genauso unsinnig ist es, immaterielle Ideen oder unkörperliche Wesen als Ursprung anzunehmen, aus denen sich das Materielle und Formgebundene entwickeln würde oder ableiten ließe. Dôgen drückt das ganz einfach so aus:

„Leerheit, in der die Leerheit genau Leerheit ist.“

Die Erfahrung der Leerheit kann nur in der Leerheit selbst gemacht werden. Dazu zitiert er Meister Seikiso Keisho, der auf die Frage eines Mönchs

Was war die Absicht des alten Meisters (Bodhidharma), als er aus dem Westen kam?“ antwortete: „Ein Stein im Raum.[ii]

Das klingt nach einem der angeblich unverständlichen und paradoxen Zen-Zitate, ist es aber nicht. Nach meiner Ansicht will der Meister damit jedoch sagen, dass der konkrete Stein als Realität wichtig ist und wir uns nicht in spekulativen Welten des Denkens verlieren sollten. Denn woher soll der Meister die wirkliche Absicht von Bodhidharma kennen, ohne zu behaupten, dass er selbst allwissend ist? Das ist einem Zen-Meister total fremd. Der Raum zählt im Buddhismus bekanntlich zu den materiellen Elementen, also hier den Dharmas. Die spekulative Frage des Mönchs beantwortet der Meister indirekt, indem er sinngemäß sagt, dass der Mönch zu seinen Ideen und schönen spirituellen Fantasien die konkrete Form hinzufügen muss, um zur Wirklichkeit zu gelangen.

Der einseitige Idealismus ist genauso wenig wie der einseitige Materialismus in der Lage, die Wahrheit der Leerheit und der Buddha-Natur zu verwirklichen. Häufig wird  sogar behauptet, dass nur die Leere wie das Nichts die wahre Wirklichkeit ist. Dies wäre eine irreführende philosophische Vorstellung, die sicher nicht der Inhalt des ursprünglichen buddhistischen Textes ist und schon gar nicht mit dem Verständnis und der Praxis des Zen-Buddhismus übereinstimmt.

Häufig wird bei der den Begriffen „Form - Leere. Leere - Form“ beides durch ein "ist" verbunden, also "Form ist Leere". Das "ist" gibt es im Original des Sanskrit aber  nicht. Dann kann es allerdings zu Missverständnissen führen. Es geht m. E. gerade nicht um die Identität von Form und Leerheit, denn nach dem Mittleren Weg Nagarjunas gibt es in unserer Wirklichkeit weder die totale Identität noch die totale Differenz. Eine solche behauptete totale Identität wäre ja auch paradox und schwer nachvollziehbar.






[i] Kap. 2, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 36 ff.: „Die große intuitive Weisheit, die das Denken überschreitet (Makahannya haramitsu)“
[ii] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 10, Fußnote 49

Montag, 10. April 2017

Einfach so: Erleuchtung und Absichtslosigkeit im ZEN



 In buddhistischen Gruppen hört man  richtiger Weise für die eigene Lebensgestaltung den Ausdruck „einfach so“. Das gilt gerade im Zen für ein Leben im Gleichgewicht von Körper-und-Geist oder nach Dôgen für die höchste dem Menschen mögliche Weisheit. Dann ist unser Leben wirklich einfach! Er wird aber von manchen etwas leichtfertig dafür benutzt, dass man keine Ziele, Pläne und Absichten haben solle und sich nicht für die Gemeinschaft engagieren müsse. Kann man schon dadurch Erleuchtung erlangen? Dies ist nach meiner Kenntnis und Erfahrung leider ein Missverständnis, denn die im Buddhismus oft zitierte Absichtslosigkeit bedeutet vor allem, keine egoistischen, rücksichtslosen und völlig unrealistischen Absichten zu verfolgen, also ethisch zu denken und zu handeln und sich nicht von Dogmatik, eingefahrenen Grenzen und Schein-Zielen dominieren zu lassen. Das könnte unversehens zu der von Buddha genannten Hemmnis "Erstarren und Trägsein" führen, wäre also gerade kein wahrer ZEN.

Was sagt nun Buddha selbst dazu? Dazu ein kurzer Rückblick zur wahren Erfahrung seiner Erleuchtung: Am Anfang seines großen Übungsweges meditierte er unter zwei weit bekannten Lehrern der damaligen vedischen Tradition. Nachdem er das von ihnen Lernbare erlernt hatte, war er letztlich enttäuscht: Erleuchtung hatte er nicht erlangt. Warum?

Er erläuterte später, dass die Yogis falsche Ziele und eine falsche unerreichbare Absicht hatten: Sie wollten die Allwissenheit Brahmans erlangen. Aber das kann kein Mensch und wegen der falschen Absicht blockierten, begrenzten sie sich selbst und untergruben die Wirksamkeit ihre eigenen Meditation. Sie konnten daher spirituell nicht auf Neuland vorstoßen, sondern hingen fest an der überkommenden Religion. Erst als Buddha dieses Ziel als unerreichbar erkannte und aufgab, konnte er richtig meditieren und erlangte so die Erleuchtung: Ganz im Hier und Jetzt: Meditieren als Meditieren und sonst nichts. Das war etwas völlig Neues in der menschlichen Kultur und brachte ihm innere und äußere Ruhe, Klarheit, Glück und Heiterkeit. Eben Erleuchtung!

Meister Dôgen arbeitet in mehreren Kapiteln heraus, dass es darauf ankommt, sich von der Fixierung auf Ziele zu lösen und sich ganz dem Handeln und Tun im Augenblick zu öffnen.[i] Das heißt im Klartext, dass Absicht und Handeln im Augenblick eine unlösbare Ganzheit sein sollen. Absicht und Ziel dürfen wie beim Zazen nicht getrennt werden, das um so mehr, wenn es unrealistische und unerreichbare Ziele sind. Ich erinnere mich, dass Nishijima Roshi diese fundamentale Wahrheit häufig betonte.

Wenn die verbissene Ausrichtung auf Ziele und Ergebnisse unseren Geist dominiert, werden wir von der Gegenwart in eine ferne Zukunft weggezogen und verlieren den Kontakt zur Wirklichkeit des Hier und Jetzt. Dann lebt ein Mensch nicht mehr in der Realität, sondern im Denken, in der Hoffnung und in Angst; meist wird er darüber hinaus von Affekten oder Illusionen gebeutelt, sodass sogar seine Vernunft leidet.

Dôgen grenzt in diesem Zusammenhang sein Verständnis der Leerheit von verschiedenen anderen nicht immer klaren Begriffen ab und interpretiert seine Worte „ohne sein“ im Zen folgendermaßen: Die Leerheit ist ohne alles das, was nicht die Wirklichkeit ist, also künstlich hinzugesetzt wurde. Das gilt vor allem für die Abhängigkeit von Ideologien und extremen Doktrinen. Ich verstehe das so, dass er uns durch seine ungewöhnliche Formulierung dazu auffordert, den Begriff und die Bedeutung der Leerheit selbst ganz genau zu untersuchen und mit der Praxis, nicht zuletzt des Zazen, zu verbinden: 

Was wäre in unserem Leben OHNE besser? Und gerade dadurch gelangen wir auf Neuland.

Im Europa des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurde der indische Begriff der Leerheit meist falsch verstanden und hat zu falschen Schlussfolgerungen geführt. Manche Schwärmer und Idealisten, die mit der westlichen Kultur unzufrieden waren, haben darunter die Auflösung der Wirklichkeit und das Verlöschen der unerfreulichen Realität verstanden. Im Zen gibt es solche Tendenzen des Rückzugs nicht, es sei denn für eine bestimmte Zeit der Praxis, Befreiung und der Weiter-Entwicklung.

Mein Eindruck ist, dass zum Beispiel auch der Philosoph Schopenhauer diesem Irrtum zumindest teilweise unterlag. Allerdings gab es damals noch keine wirklich verlässliche Übersetzungen der buddhistischen Sûtras und schon gar keine belastbaren Dokumente aus dem Zen-Buddhismus. Das Shôbôgenzô von Meister Dôgen war praktisch unbekannt und selbst in Japan kaum erschlossen. Es war nur einem kleinen Zirkel von Mönchen zugänglich. Außerdem wurde damals in Europa häufig zwischen Buddhismus und Hinduismus nicht klar genug unterschieden.

Der Buddhismus gehört im Sinne von Nishijima Roshi zu den realistischen Religionen, während er den Hinduismus als idealistisch bezeichnet, da dieser geistige, spirituelle und metaphysische Bereiche unabhängig vom Körperlichen und Formgebundenen für wahr hält. Im Zen gibt es demgegenüber immer die Ganzheit von Körper-und-Geist.

Der depressive Kulturpessimismus des Westens wollte sich damals offensichtlich aus der oft harten Realität verabschieden und in einen fast suizidalen Nihilismus flüchten. Das ist aber kein wahrer Buddhismus, denn dieser ist gerade durch eine optimistische Weltsicht des Konkreten und Ganzen gekennzeichnet. 

   Und mit Weltflucht hat Zen schon gar nichts zu tun: Das Gegenteil ist richtig.






[i] vgl. Seggelke, Yudo J.: Strahlende Zeit zum Handeln. Im Auge des Zen, Bd. 2

Samstag, 1. April 2017

Hier und Jetzt des Zen: Das Berg-Kloster in Südtirol

(Niko Schulmeister)


 Der Raum hinter dem Altar des Bergklosters schien uns der geeignete Ort für unsere Sitz-Perioden zu sein. So dachten wir. Voller Vorfreude und Neugier, auch mit Bewunderung für den alten, kühlen Kalk-Stein, aus dem das Kloster erbaut worden war, machte ich mich auf, um die Räumlichkeiten zu entdecken.

Von dem sonnigen Innenhof führen eine niedrige Tür und ein paar ausgetretene Stufen hinunter in den gesonderten Bereich hinter dem Altar. Die ganze Kapelle ist so in zwei Bereiche unterteilt: Das ist die überlieferte Form der Franziskaner-Klöster. Der eine ist von außen durch den Eingang zugänglich, der andere für die kleine Schar der Mönche und jetzt für unsere Zen-Gruppe.
Mich erinnerte die hölzerne Trennung zwischen Gebetsraum der Kapelle und Aufenthaltsraum für die Mönche an einen Januskopf. Zu beiden Seiten des hölzernen Altars waren Bildnisse und Schnitzereien Jesu’ und dessen Kreuzigung zu sehen. Dankbar, an solch einem Ort meine Meditation praktizieren zu dürfen, legte ich mir wie die anderen mein Kissen für das Zazen zurecht.

Obwohl wir uns in knapp 1000 m Höhe befanden, waren es im Südtiroler Hochsommer im geschützten Innenhof des Klosters angenehme 25 Grad. Nachdem wir aber die paar Stufen hinabgestiegen war, merkten wir die alten kühlen Steine, die Wärme blieb draußen: doch etwas befremdlich. Eine neue Kälte von unten wurde immer spürbarer und drang auch durch die sorgfältig zurechtgelegten Decken und Kissen. Meine eine innere Unruhe nahm noch weiter zu.

Die ersten Sitzperioden unter dem überlebensgroßen Gekreuzigten waren mühsam. Ein Unbehagen und ein irgendwie rastloser Geist waren nicht zu unterdrücken. Zunächst dachte ich während des Sitzens und auch danach, dass dies die wahrscheinlich üblichen Schwierigkeiten der Eingewöhnung seien. Trotz des Versuchs solche fast drückenden Gedanken ins innere Gleichgewicht zu bringen, war ich immer froh, nach jeder Sitz-Periode wieder ans Tageslicht und ins Freie zurückzukehren.: Welch wunderbare Umgebung und Aussicht auf das weite sommerliche Etsch-Tal.

Zwischenzeitlich graute es mir davor, dies eine Woche durchhalten zu müssen. Abends bei Tisch entwickelte sich zwischen uns ein Gespräch, das sich langsam vortastend, zumeist, auf die Übel in der Welt bezog und mich selbst in eine bleierne Schwere versetzte. Eine letzte Sitzperiode ließ mich dann müde und abgekämpft in meine Mönchs-Kammer gehen.

Am nächsten Morgen in der Frühe erschien Yudo nicht, der nebenan wohnte. Wir warteten nach dem Frühstück auf ihn, um mit unserem Programm zu beginnen. Kurzerhand entschloss sich Eberhard-Gensa, Yudo aufzusuchen. Nach einiger Zeit kamen Gensa und Yudo dann gemeinsam zu uns ins Kloster. Er war übrigens gesundheitlich nach zwei schweren Operationen noch etwas angeschlagen. Er teilte uns seine Eindrücke des Vortages mit und bat um gemeinsame Unterstützung, wie wir die Klarheit, positive Kraft und tiefe Meditation des Zen hier verwirklichen können. Er sagte uns ohne Umschweife, dass wir etwas Tiefgreifendes, den Geist des Ganzen, ändern müssten, damit wir uns frei der Meditation hingeben und dem Buddha-Dharma öffnen könnten.

Das Zusammenkommen an diesem Ort hätte bisher keine Wirkung der Befreiung und Freude bewirkt, sondern wirkte eher hemmend und beengt. Wir untersuchten, ob und inwiefern uns das Jahrhunderte alte klösterliche Gemäuer, und insbesondere der Raum hinter dem Altar, in eine bedrückenden Stimmung brachten, belasteten und sowohl unser Befinden als auch unseren Geist trübten. Yudo erzählte, dass er seit Jahren nach Assisi, der Stadt des Franziskus fährt und dort die Spiritualität der Klarheit, Heiterkeit und tiefen Lebensfreude mit seinem Gedicht "Der Sonnengesang" kennengelernt habe: so wie er den Zen-Buddhismus versteht. Wo sei denn der Unterschied zwischen einem solchen Christentum und dem Buddhismus?
So beschlossen wir, die gegebene Situation zu verändern. Ein wichtige Veränderung war die volle Integration der wunderbaren uns umgebenden Natur in den Tagesablauf. Das war es doch, warum wir uns vor einiger Zeit entschlossen hatten, an diesem besonderen  Ort zusammenzukommen. Schon Buddha hatte empfohlen, in der Natur und Stille zu meditieren.

Von nun an saßen wir im Freien, im offenen einfachen und geradezu urigen Innenhof, der viel von den Mönchen benutzt und geprägt worden war. Nach zügigen gemeinsamen Umräumarbeiten hatten wir dort unter einem kleinen Vordach genügend Fläche geschaffen, um dort sitzen und meditieren zu können. Der ohnehin schon reich mit Pflanzen und Blumen geschmückte Hof und das Leben und Atmen im Hauch der Luftströmungen und in südlicher Sonne waren einladend und uns bald vertraut. Als das Wetter umschlug saßen wir bei Regenschauern und Gewittern dort enger beisammen, und waren wirklich froh, draußen zu sein.



Das Meditations-Gehen des KinHin zwischen den Sitzperioden praktizierten wir im Garten des Klosters: barfuß auf Gras und Erde. Eine große alte Linde war unser Freund. Das vormittägliche Studium führte uns in die Berge, da wir der Natur so nah wie möglich sein wollten.
Was es genau war, kann ich nicht sagen, aber das Überwinden des ersten deutlichen Widerstandes durch gemeinsames Handeln und das sich Öffnen für neue Möglichkeiten und Perspektiven verwandelten das anfänglich empfundene Unbehagen in großes Glück. 

Ich konnte nicht mehr sagen, ob die offene und grenzenlose Schönheit der uns umgebenden Natur nun außen oder innen war. Was wollen die Menschen überhaupt mit außen und innen ausdrücken? Wir hatten den Sinn dafür verloren. Das Erkennen des eigenen Widerstandes, die bewusste Entscheidung für eine Veränderung und das gemeinsame Handeln waren im Moment wie ein Samen, der sofort Wurzeln schlägt und weiter in die eigene Entfaltung führt.


Gemeinsam tief atmend auf einem Berg zu sitzen und dem Windspiel bei Gewitter zu begegnen war für mich größtes Glück an diesem Ort.