Mittwoch, 24. Mai 2017

Zen-Meditation und Buddha-Natur



Meister Konin fragt den jungen Daikan Eno (Hui Neng)

Wie kannst du erwarten, ein Buddha zu werden?“
Das kann man wie folgt zu verstehen:

Welche Art von Buddha-Werden erwartest du?“
Also etwa: Welchen Weg der Verwirklichung möchtest Du einschlagen?

Es geht auch für uns nicht um die Frage, dass wir die Buddha-Natur verwirklichen können, sondern wie wir das machen. Nach Dôgens Überzeugung ist es nicht hilfreich zu sagen, man hat eine Buddha-Natur oder man hat sie nicht. Es geht nicht um eine Ding-Metaphorik des Habens oder nicht Habens oder des Besitzens oder nicht Besitzens. Es geht überhaupt nicht um philosophische Metaphysik sondern konkret darum, wie der Mensch erwacht und sich von unnötigem Ballast befreit. Wie kann er das machen? Er sollte sich aus den Fesseln von Dogmen, Ideologien und anderen Abhängigkeiten befreien. Sie sind gerade keine die Stütze, sondern Hemmnisse und nicht das Hier und Jetzt.

Das lehrte Gautama Buddha und die chinesischen großen Meister praktizierten es und gaben es an uns weiter. Im Achtfachen Pfad der Befreiung sind die ersten beiden Blöcke: "Rechte Sichtweise" und "Rechte Entscheidung" und der achte die "Rechte Meditation". Das ist jedem zugänglich.

Dôgen gibt eine Fülle von sehr genauen Antworten zu Fragen über die Buddha-Natur. Er macht eine ganz zentrale Aussage über die Ganzheit der Buddha-Natur mit dem Zustand und der Dynamik des Erwachens:

„Die Wahrheit der Buddha-Natur ist, dass wir nicht über die Buddha-Natur verfügen, bevor wir den Zustand des Erwachens und damit Buddhas verwirklichen. Wir sind mit ihr ausgestattet und folgen der Verwirklichung des Zustandes von Buddha.“

Das Erwachen und die Buddha-Natur sind also unlösbar miteinander verbunden. Das heißt, dass wir die wahre Natur des Menschen erfahren, wenn wir erwacht und erleuchtet sind. Ganz wichtig ist es laut Dôgen, nicht nur theoretisch die Einheit von Buddha-Natur und erwachtem Zustand zu denken, sondern diese in der Praxis und Wirklichkeit selbst zu erfahren. Und dabei geht es um die Beobachtung und Achtsamkeit unserer eigenen Veränderungen auf dem Weg der Befreiung

Nishijima Roshi sagt in seiner direkten Art, dass bei der Meditation der Zazen-Praxis sich genau die erste Erleuchtung ereignet. Und das heißt nichts anderes, als dass wir dann eine Ganzheit mit der Buddha-Natur sind. Dôgen hält fest:

„Die Buddha-Natur und die Verwirklichung von Buddha werden unausweichlich zusammen im selben Zustand erfahren.“

Die Einheit von Buddha-Natur und Erwachen ist nach Dôgen ganz genau und wahr. Alle Lehren, die etwas anderes verkünden oder behaupten, sind selbst weit von der Buddha-Natur entfernt, erklärt er. Es wäre unmöglich, dass die große Wahrheit der Buddha-Natur den heutigen Tag erreicht hätte, wenn sie nicht die Qualität der Ganzheit mit dem erwachten Zustand hätte. Nur so könne man die Buddhaschaft verwirklichen. Und nur so könne die Aussage von Meister Konin verstanden werden:

„Die Menschen südlich der Berggipfel sind ohne (das Unwirkliche), (sie sind) die Buddha-Natur.“

Nishijima und Cross[i] erläutern hierzu, dass wir Buddha werden, wenn wir uns frei von allem machen, was nicht wirklich zu uns gehört.

Einen solchen Zustand erfahren wir in der Zazen-Praxis.






[i] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 12, Fußnote 55

Sonntag, 7. Mai 2017

Unlösbar verbunden: das Erwachen und die Buddha-Natur


Solandra auf La Gomera

Das folgende Kôan-Gespräch zwischen dem fünften und sechsten Nachfolger in China, also dem überragenden Meister Daikan Enô (Hui Neng), eröffnet eine tiefgründige Dimension der Buddha-Natur. Dieses Gespräch hat laut der Überlieferung stattgefunden, als der junge Daikan Enô im Kloster seines Meisters Daiman Konin als „Anfänger“ ankam.
Daiman Konin fragte den Ankömmling:

„Woher kommst du?“ Und dieser antwortete:

„Ich bin ein Mann vom Süden der Berggipfel.“ Der Meister fragte weiter:

„Was möchtest du durch dein Herkommen erlangen?“  Daikan Enô erwiderte:

„Ich möchte Buddha werden.“ Daraufhin sagte Meister Konin scheinbar abweisend:

„Ein Mann aus dem Süden der Berggipfel ist ohne, (das ist) die Buddha-Natur. Wie kannst du erwarten, Buddha zu werden?“

Das klingt paradox, weil doch Daikan Enô als einer der größten und einflussreichsten Meister des Chan in China und des Zen in Japan gilt. Wie kann man dieses Kôan auflösen?

Meinte der alte Meister damit etwa, dass der Ankömmling aus dem Süden nicht Buddha werden kann? Das Gegenteil ist richtig. Hierzu muss man wissen, dass der Süden Chinas damals spirituell, kulturell und zivilisatorisch weniger entwickelt war als der Norden, in dem auch der Buddhismus einen deutlich höheren Entwicklungsstand hatte. Es geht hier um ein falsches Verständnis der Buddha-Natur und der Leerheit, das von Meister Konin richtig gestellt wird.

Das Kloster von Meister Konin lag im Norden Chinas, und man könnte seine Aussage daher so verstehen, dass ein Mann aus dem unterentwickelten Süden überhaupt keine Buddha-Natur habe und deshalb nicht Buddha werden könne.

Auf der Grundlage der in einem anderen Kôan-Gespräch zu dem Begriff „ohne“ wiedergegebenen Bedeutung ergibt sich jedoch eine zweite, viel wichtigere Bedeutungsebene: die Leerheit von Täuschungen und ethisch unheilvollen Doktrinen.

Diese Bedeutung wird bereits vom indischen Meister Nagarjuna in der tiefen Weisheit des Mittleren Weges herausgearbeitet. Damit sagt Meister Konin nichts anderes, als dass die wahre Bedeutung von Buddha-Natur und Leerheit gleich sind. Also ist die Leerheit kein Nichts sondern die höchste dem Menschen zugängliche Wahrheit! Und sie ist keine Idee und kein Ding sondern viel mehr: die reine Wirklichkeit ohne Störungen, Täuschungen, Verzerrungen, genau in der Wahrheit des Augenblicks.

Zweifellos hat Meister Konin dieses im Sinn, denn die Bedeutung der Leerheit ist sein Hauptthema, wie aus anderen Ausführungen deutlich wird. Seine Aussage ist also keineswegs eine Diskriminierung des Schülers aus dem Süden, sondern bedeutet etwa Folgendes:

Unabhängig davon, ob du, Daikan Enô, aus dem Süden oder aus irgendeiner anderen Gegend kommst, bist du ohne, also frei von allem, was nicht die Wahrheit und Wirklichkeit ist, zum Beispiel frei von Täuschungen, Illusionen, Ängsten, affektiven Abhängigkeiten, Gier, Hass und Verblendung usw..

Du bist nur die Wahrheit und Wirklichkeit, sonst nichts. Wer aber wie du die wahre Natur – die Buddha-Natur – verwirklicht, der ist damit auch in der Wahrheit und ist Buddha. Es bedarf also keiner fundamental neuen Existenz, du bist bereits Buddha. Es kommt nur darauf an, das im Augenblick zu verwirklichen, das ist Dein Erwachen.