Sonntag, 26. Dezember 2010

Dōgen verbreitet die Lehre in Japan

In den zwei großen Übertragungslinien, die im Zen-Buddhismus von Daikan Enō ausgingen, hatte die Zazen-Praxis einen zentralen Stellenwert. Daraus entwickelten sich weitere bedeutende Traditionen des Zen-Buddhismus, die sich über ganz China verbreiteten.


Dōgen betont, dass es ohne diese Erfahrung in der Zazen-Praxis kaum möglich sei, den Wert der buddhistischen Lehre richtig einzuschätzen. Dieser Ansatz ist auch ein wichtiges Thema im Kapitel über das Sūtra-Lesen und wird außerdem im Lotus-Sūtra hervorgehoben.


Nach seiner Rückkehr spürte Dōgen, dass es seine dringende Verpflichtung war, die wahre Lehre, die er in China erlernt und erfahren hatte, auch in seinem Heimatland Japan bekannt zu machen. Zunächst habe er daran gedacht, als wandernder Mönch durch Japan zu ziehen und so die Lehre zu verbreiten.


Eine solche Lebensweise der Mönche wurde im alten Japan als „fließende Wasserpflanze“ bezeichnet und war ein Brauch der alten Heiligen. Dōgen wusste, dass in Japan der Buddhismus häufig unklar gelehrt wurde, sodass ernsthafte Schüler ohne seine Hilfe etwas Falsches oder zumindest nur teilweise Richtiges erlernen würden.


Deshalb fasste er den Entschluss, den wahren Dharma in Japan nicht nur mündlich zu lehren, sondern auch schriftliche Aufzeichnungen zu verfassen, zu denen zum Beispiel die Anleitung zur Zazen-Praxis (Fukan zazengi) und „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“ (Shōbōgenzō) gehören.


Die tiefgründige und nicht einfache Lehre Dōgens war viele Jahrhunderte lang nur einem kleinen Kreis von Mönchen des Klosters Eihei-ji, dem Haupttempel der Sōtō-Linie, als authentischer Text direkt zugänglich und im Westen völlig unbekannt. Selbst der Philosoph Herrigel, der Zen-Buddhismus vor dem Zweiten Weltkrieg in Japan studierte und anhand der Zen-Kunst des Bogenschießens praktizierte, erwähnt das Shōbōgenzō nicht und vermerkt es nicht einmal im Literaturverzeichnis.


Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde es in Japan für einige wenige Interessierte geöffnet und galt aber nach wie vor als außerordentlich schwierig. Langsam wurde jedoch immer klarer, dass der Wert dieses großartigen Werkes kaum überschätzt werden konnte. Es ist die große Lebensleistung von Nishijima Roshi, der sich über 40 Jahre lang mit dieser Schrift intensiv beschäftigte, das Shōbogenzō für die Welt, insbesondere im Westen, verfügbar gemacht und interpretiert zu haben.

Samstag, 18. Dezember 2010

Dōgen auf dem Buddha-Weg


Dōgen hatte sich seit seinem zwölften Lebensjahr, als er in Japan in ein buddhistisches Kloster der Tendai-Linie eingetreten war, intensiv um den Weg des Buddha-Dharma bemüht und sich insbesondere in der Lehre geschult. Aber er konnte bis zu seinem 23. Lebensjahr in Japan nicht seinen wahren Meister finden und reiste deswegen nach China, obwohl eine solche Fahrt über das Meer mit den nicht sehr seetüchtigen Schiffen der damaligen Zeit ein gefährliches Wagnis bedeutete.
Zwei Jahre lang besuchte er viele verschiedene Klöster in China, ohne dass es ihm jedoch gelang, einen wahren Meister zu finden, der die Lehre und vor allem die Praxis des Buddhismus authentisch lehrte. Viele dieser Klöster gehörten der Rinzai-Linie an und arbeiteten mit Kōans. Dōgen fand auf diesem Weg allerdings nicht die Klarheit und Wirklichkeit des Buddhismus und die angestrebte Erleuchtung, für die er so viele Mühen auf sich genommen und so hart gearbeitet hatte.

Am 1. Mai 1225 begegnete er dann dem großen Meister Tendō Nyojō, der sein wahrer Lehrer wurde und unter dessen Leitung er die Praxis und Theorie des Buddhismus erlernen konnte. Diese Begegnung brachte die entscheidende Wende in Dōgens Leben auf dem buddhistischen Weg und ihr verdanken wir nicht zuletzt das großartige Werk Shōbōgenzō.
Dōgen empfand es als großes Geschenk, den Buddhismus selbst in einer authentischen Übertragungslinie von Gautama Buddha zu Tendō Nyojō erlernt zu haben. Im Zen-Buddhismus ist es von zentraler Bedeutung, dass die Dharma-Übertragung vom Meister auf den Schüler direkt in der lebendigen Gegenwart beider vollzogen wird. Daraus wird ersichtlich, dass eine solche praktische Dharma-Übertragung über die schriftliche Theorie, so wichtig sie auch sein möge, hinausgeht. Die direkte, lebende und existenzielle Verbindung vom Lehrer zum Schüler hat eine fundamentale Bedeutung.

Die Funktion der Zazen-Praxis
Dōgen schildert, dass uns die im Zazen erfahrene Dharma-Wahrheit ganz natürlich erfüllt, wenn wir die Praxis geschehen lassen und keinen angestrengten Kraftakt vollziehen, um Erleuchtung zu erreichen. Diese Wahrheit habe schon immer unsere Hände erfüllt. Allerdings könne man mit Zahlenangaben und Messungen nach Größe und Gewicht die Dharma-Wahrheit des Zazen auf keinen Fall erfassen. Mit einer materialistischen Lebensführung lässt sich deshalb diese Wahrheit nicht erkennen. Beim Zazen werde der Mund davon erfüllt, wenn wir sprechen. Wesentlich ist vor allem, dass es keine Begrenzungen und Blockaden bei dieser Praxis gibt, und die Buddhas halten sich darin andauernd auf. In diesem Zustand existiert eine umfassende Einheit der Wirklichkeit. Das heißt, die Dualität von Subjekt und Objekt, von Denken und Wahrnehmung usw. ist überwunden. Dōgen sagt:
„Die Anstrengung bei der Suche nach der Wahrheit, die ich jetzt lehre, lässt die unzählbaren Dharmas in der Erfahrung wirklich werden und umfasst die Einheit der Wirklichkeit auf dem Weg der Befreiung.“

Damit beschreibt Dōgen die wesentliche Funktion der Zazen-Praxis. Die Wirklichkeit der Dinge und Phänomene, die er hier als „unzählbare Dharmas“ beschreibt, wird dabei genauso erfasst wie die große Einheit der Wirklichkeit.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Zazen befreit uns von quälenden Gedanken

Nishijima Roshi sagt, dass wir in der westlichen Kultur dem denkenden Geist einen sehr hohen Rang zuweisen und dass eine Philosophie des Handelns dagegen kaum entwickelt wurde. Dies sei aber gerade der zentrale Kern des Buddhismus.

Die Verwirklichung wird nach Dōgen durch Erfahrung, also wiederum durch die Praxis, ermöglicht. Die im Zen-Buddhismus gelehrte Praxis ist keine Meditation zu einem bestimmten Thema oder das Visualisieren einer bildlichen Vorstellung. Nishijima Roshi sagt dazu:

„Viele Menschen verstehen auch Zazen als eine Art von Meditation.“

Aber eine solche Interpretation darf nicht mit der wahren Praxis des Zazen verwechselt werden, denn Zazen ist

„keine bestimmte Art von konzentriertem Denken“.

Beim Zazen kommt es gerade darauf an, nicht zu denken und die Vorstellungen, Ideen und drängenden Emotionen abzustellen und „fallen zu lassen“.

Nachdem ich wiederholt den Achtfachen Pfad von Gautama Buddha studierte habe, bin ich fest davon überzeugt, dass Zazen die vierte Vertiefung des Samadhi ist, also zum letzten der acht Pfade zur Überwindung des Leidens gehört. Ich betrachte Zazen als die höchste Stufe der acht Pfade, die im Zen-Buddhismus in ganz großartiger Weise ausgearbeitet wurde und von Dôgen als lebendige Praxis zu uns gekommen ist.

Die Meditation ist dabei der siebte Pfad, der zusammen mit den anderen Pfaden ebenfalls wichtig ist. Das stützt die Aussage von Nishijima Roshi, denn beim Zazen, dem „König der Samadhis“, gibt es kein unterscheidendes Denken und kein Visualisieren mehr. Das sinnlose Pendeln zwischen kurzen Phasen der Euphorie und lang anhaltenden Zeiten des Leidens wird überwunden, es ist der mittlere Weg der intuitiven Wahrheit und Befreiung.

Ein solches „Nicht-Denken“ ist in der Tat in der westlichen Gesellschaft und Philosophie sehr ungewöhnlich und kennzeichnet die Zazen-Praxis des Buddhismus in ganz eigenständiger Weise. Besonders deutlich wird das im Kapitel „Die heilende Bambusnadel der Zazen-Praxis“ (Zazenshin) und in Dōgens Anleitung zur Zazen-Praxis (Fukan zazengi). Nishijima Roshi bekräftigt:

„Im Zazen konzentrieren wir unsere Anstrengung darauf, genau eine kontrollierte Sitzhaltung einzunehmen und so zu handeln und zu sitzen.“

Diese Lebensphilosophie sei die entscheidende Grundlage des Buddhismus und werde von vielen Buddhisten ganz sorgfältig praktiziert. Nishijima Roshi fügt sogar hinzu, dass es ohne Zazen keinen wahren Buddhismus gäbe und dass Buddhismus Zazen sei.

Zweifellos ist es der Sinn des buddhistischen Weges, genau zu erkennen, dass und wie wir in der Wirklichkeit selbst leben und handeln. Denn diese Wirklichkeit ist die große Wahrheit, die Gautama Buddha gefunden und gelehrt hat, und sie zeigt den Ausweg aus dem Leiden. Durch die Zazen-Praxis erlangen wir den direkten Zugang zu dieser Wirklichkeit, die nicht von eigenen Gedanken, Emotionen und Vorstellungen verdeckt oder verzerrt ist.
Nishijima Roshi sagt dazu:

„Wir Menschen sind heute im Begriff, endlich dem Zeitalter des wahren Realismus (des Buddhismus) zu begegnen. Wir sollten daher von ganzem Herzen eine tiefe Dankbarkeit für Gautama Buddha, Meister Nāgārjuna, Meister Bodhidharma und Meister Dōgen usw. haben.“

Samstag, 4. Dezember 2010

Die heilende Bambusnadel des Zazen (Zazenschin)

In größter Verehrung für die Verse des früheren Meisters Wanshi zum Zazenshin verfasste Dôgen sein eigenes Gedicht. Er betont, dass dessen Verse keinesfalls unvollkommen seien, sondern im Gegenteil von höchster Aussagekraft und Schönheit sind.


Er verfasste das im folgenden wiedergegebene Zazenshin und beide haben große Ähnlichkeit. Sie sind das Herzstück des Zen-Buddhismus und die Einzigartigkeit der Zazen-Praxis auf dem buddhistischen Weg für Anfänger, Fortgeschrittene und Meister. Beide Fassungen liegen zeitlich nur 85 Jahre auseinander.
Dôgens Zazenshin lautet wie folgt:

Zentral Wesentliches eines jedes Buddha.
Wesentlich Zentrales jedes wahren Meisters
Jenseits des Denkens: Verwirklichung,
Jenseits der Komplikation: Verwirklichung.

Jenseits des Denkens: Verwirklichung
Die Verwirklichung ist natürlich und unmittelbar.
Jenseits der der Komplikation: Verwirklichung.
Die Verwirklichung ist natürlich und ein Zustand der Erfahrung.

Die Verwirklichung ist natürlich und unmittelbar.
Es gab keine Beschmutzung.
Die Verwirklichung ist natürlich und ein Zustand der Erfahrung:
Es gab kein Richtiges und keine Abweichung.

Es gab keine Beschmutzung des Unmittelbaren.
Jenes Unmittelbare hängt von nichts ab, schon wird es frei.
Es gab kein Richtiges und keine Abweichung in der Erfahrung:
Der Zustand der Erfahrung ist ohne Plan, aber er macht Anstrengung.

Das Wasser ist rein, ganz bis zum Grund,
Fische schwimmen als Fische
Der Himmel ist weit, klar bis zum Himmel.
Und Vögel fliegen als Vögel!

Dôgen unterstreicht zusammengefasst und poetisch die außerordentliche Wichtigkeit, im Zazen zu sitzen und zu
praktizieren. Dies ist das zentrale Anliegen und das zentrale Tun der Kinder und Enkel der großen buddhistischen Vorfahren im Dharma:

Dies ist das authentische Siegel, das empfangen und weitergegeben wird, von einem-zum-anderen."

Zazen ist die direkte Verwirklichung und Befreiung der Menschen. Diese Praxis ist direkt und einfach, also nicht kompliziert und erzeugt auch keine Komplikationen und Verwirrungen. Sie ist nichts Künstliches, das zufällig entstanden ist und von uns in dieser Form gelernt wird, sondern sie ist natürlich und von unmittelbarer Direktheit.
Die Zazen-Praxis erzeugt keine unnötigen komplexen Zustände in unserem Leben. Sie ist keine ideologische Erfindung, sondern kann ganz einfach von jedem Menschen erfahren und erlebt werden.


Wer in diesem Sinne keine eigenen praktischen Erfahrungen hat, kann nach Dôgen daher diese Praxis nicht erahnen, nicht beschreiben und nicht schätzen. Bei der Zazen-Praxis gab es niemals Verschmutzung und es wird sie auch niemals geben. Da sie natürlich ist, kann man eigentlich gar nicht abweichen oder dogmatisch behaupten, etwas dabei sei richtig und nicht anders. Zazen ist keine falsche Ideologie.

Es gibt dabei keine Abhängigkeit von irgendetwas, sondern die Praxis ist von Anfang an frei, ohne dass es einen Anfang gibt, der als Start zur angestrebten Erleuchtung verstanden werden könnte. Daher gibt es auch keine vordergründige Absicht und kein willentliches Erstreben des Zustandes der Erleuchtung, die in Zukunft erreicht werden soll. Aber es ist unbedingt erforderlich, sich anzustrengen und intensiv zu praktizieren, die genaue Haltung beim Sitzen einzuhalten und so die Einheit von Körper-und-Geist zu erfahren.

Wie bei Meister Wanshi werden die Fische im klaren Wasser und die Vögel im weiten Himmel poetisch und gleichnishaft angesprochen. Dôgen sagt in einem anderen Kapitel, dass die Natur den Dharma lehrt und dass besonders die Wasser und Berge Teil der großen Buddha-Wahrheit sind. Fische sind ganz einfach Fische und Vögel sind ganz einfach Vögel. Sie leben natürlich in ihrem Element und sind dabei frei.