Sonntag, 29. Oktober 2017

Meister Fuke, ein unbequemer "Zen-Knochen"


Dôgen zitiert eine Stelle aus einem Kôan-Gespräch zwischen Meister Rinzai und Meister Fuke,[i] dem von Rinzai Grobheit vorgeworfen wurde. Fuke möchte ich als "verrückten Heiligen" bezeichnen, ein unkonventioneller ja querköpfiger "Zen-Knochen", der einen untrüglichen Sinn für Direktheit und Ehrlichkeit besaß. Er ist mir auch deswegen sympathisch, weil er der Ahnherr der Meditationsflöte Shakuhachi ist, die ich selbst regelmäßig spiele und sehr schätze. Mit der Zen-Flöte kann man wirklich nicht lügen.

Meister Fuke stieß bei einer gemeinsamen Einladung zusammen mit Meister Rinzai und hochgestellten Persönlichkeiten mit Absicht den gesamten Tisch mit Essen um, weil ihm das theoretische, spirituelle Gerede von Meister Rinzai auf die Nerven ging. Dieses berühmte Kôan-Gespräch ist auch im Shinji Shôbôgenzô enthalten und von Nishijima Roshi eingehend kommentiert worden.[ii]

Offensichtlich will Dôgen damit von einer abstrakten Sichtweise, spirituellen Fantasien und intellektueller Spitzfindigkeit zum real Körperlichen des Hier und Jetzt kommen. Er fügt hinzu, dass es notwendig sei, die Subjektivität abzulegen, denn es gehe nicht um die Individualität des Selbst, sondern um die Physis der Buddhas:

„Der sich manifestierende Körper selbst ist jenseits des (nur) sichtbaren Körpers und jenseits der Welt der einzelnen skandhas. Die äußere Erscheinung ist zwar gleich wie die der skandhas, aber sie demonstriert die konkreten (und wahren) Mittel der Lehre von Meister Nâgârjunas für die anwesenden Menschen und ist die wirkliche Physis der Buddhas.“ Und weiter heißt es bei Dôgen:

„Die Ganzheit der Dharma-Lehre transformiert den Augenblick (!) und ist die Manifestation eines freien Körpers, der jenseits von (nur materiellen) Tönen und dem Sichtbaren ist.

Die Augenblicke kommen und gehen und sind die gegenwärtige Erscheinung eines ganz natürlichen Kreises.“

Dôgen kommt dann auf Nâgârjunas Nachfolger Kanadeva zu sprechen, der als einziger der Anwesenden volle und tiefe Einsicht in die Rundheit des Mondes hatte und den sich manifestierenden Körper als wahre wunderbare Natur der Buddhas erkannte.

„Die anderen (Teilnehmer von Nagarjunas Dharma-Rede) sagen nur, dass die Buddha-Natur nicht durch die Augen gesehen wird, nicht durch die Ohren gehört wird, nicht durch den Geist erkannt wird usw. Sie wissen nicht, dass der sich manifestierende Körper selbst die Buddha-Natur ist.“

Dôgen betont hier besonders, dass die Buddha-Natur etwas ist, das sich durch den Körper selbst manifestiert und verwirklicht. Das bedeutet aber, dass sie auch gesehen und gehört werden kann, sie ist nicht unsichtbar wie ein Geist – allerdings in einem erweiterten Sinne und nicht nur als materielle Dimension der äußeren Form. Es geht gerade nicht um einen abgehobenen isolierten Geist!

Wer sich vor Missbrauch und Verführung schützen will, sollte nicht nur den schönen Worten glauben, sondern die Harmonie und Klarheit des ganzen Menschen, Lehrer oder Meister, genau anschauen. Gibt es eine intuitive und ganzheitliche Vertrauensbasis oder stimmt an dem Menschen vor mir irgendetwas nicht? Dann sollte man lieber Abstand einhalten.







[i] Shinji Shobogenzo Bd. 1, Nr. 96
[ii] ebd.

Freitag, 20. Oktober 2017

Die wahre Natur des Menschen sehen



Wer auf dem Weg ist, die wahre NATUR des Menschen, also die Buddha-Natur, zu sehen, reduziert sich nicht allein auf die äußere Form. Gerade in Familien und in der Partnerschaft sollten wir auf Feinheiten im Ausdruck des Gesichts und auf die ganze Körpersprache achten. Wie verändert sich die Sprache des Gesichts und des Körpers in Wechselwirkung mit unseren eigene Worten und unserer Tonlage? Machen wir, dass sich ein Lächeln zeigt, das uns mehr über den inneren Prozess beim anderen sagt, als der formale Inhalt des Gespräches? Und: Die wahre Natur ist keine Erinnerung und keine Erwartung, denn beides ist recht unzuverlässig, sondern genau dasjenige, was im AUGENBLICK da ist. Diese tiefe Weisheit des Zen wird von der modernen Gehirnforschung voll bestätigt.

Laut Nishijima und Cross unterscheidet Dôgen zwei verschiedene Arten des Sehens.[i] Zum einen geht es um das materielle Sehen der äußeren Form, also um eine oft eingeengte Dimension der Wahrnehmung mit den Augen. Zum anderen ist das intuitive, umfassende Sehen und Schauen gemeint, das für den Lernprozess und die Erfahrung der Buddha-Natur maßgeblich ist.

Dôgen untersucht Nâgârjunas Lehre mit großer Sorgfalt. Er beginnt damit, dass der Körper die Rundheit des Mondes manifestiert und die Physis der Buddhas damit zeigt. Er interpretiert die Physis und Rundheit des Mondes also sehr konkret als Form und nimmt damit Abstand von einer esoterischen und nicht-körperlichen Erklärung. Auch diese Rundheit will genau beobachtet sein!

Nishijima und Cross erläutern, dass Nâgârjuna aber von seinem Körper-und-Geist redet, der ganz konkrete Eigenschaften habe, aber gleichzeitig eine ungeteilte Ganzheit mit dem Universum sei.[ii] Es geht also um die spirituelle und konkrete umfassende Ganzheit.

Dôgen grenzt sich konsequent von jenen ab, denen der eigene Körper fremd geworden ist. Sie seien nicht nur ignorant gegenüber der Rundheit des Mondes, sondern auch gegenüber der Physis der Buddhas. Insbesondere kritisiert er törichte Menschen, welche

die Rundheit des Mondes als die Manifestation eines fantastisch transformierten (übernatürlichen!) Körpers“

bezeichnen. Solche Versionen gibt es auch heute bei manchen buddhistischen Lehrern. Das führt aber von der klaren Wirklichkeit fort in die spekulative Scheinwelten der Illusionen und gibt falschen Heiligen den angestrebten Raum für Macht und Missbrauch. Dies ist nach Dôgen eine völlig abwegige Idee derjenigen, die keine authentische Übertragung von Buddhas Wahrheit empfangen hätten.

An welchem Ort und in welchem Augenblick mag es eine andere Manifestation eines ganz anderen Körpers geben?“,

fragt er und erklärt, Nâgârjuna habe ganz einfach wie jeder andere Mensch auf seinem Sitz gesessen. Er habe sich als Meister ganz konkret manifestiert, jenseits von diffusen Begriffen oder Vorstellungen wie Existenz und Nicht-Existenz oder von Unsichtbarkeit oder Sichtbarkeit:

„Es ist genau der Körper, der sich genau (und umfassend) manifestiert.“

Anschließend führt Dôgen aus, dass die Rundheit des Mondes symbolisch für die Erleuchtung und die Buddha-Natur steht:

„Dieser Ort ist der Ort, wo etwas Unfassbares da ist. Erkläre es (wenn du willst) als fein, oder erkläre es als grob.“ 





[i] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 16, Fußnote 71
[ii] ebd., Fußnote 72

Freitag, 13. Oktober 2017

Die Rundheit des Mondes


Die Buddha-Natur wird ganzheitlich und maßgeblich durch die äußere Form zum Beispiel eines Meisters offenbar. So manifestiert sie sich als Wirklichkeit. Gerade bei nicht authentischen Meistern kann man daher durch genaue und geschulte Beobachtung erkennen, ob sie ihre Schüler vielleicht missbrauchen oder nicht. Wenn zwischen dem wahren Buddhismus und dem Handeln eine Lücke klafft, kann das einer genauen Beobachtung nicht entgehen. Ich möchte z. B. an die Probleme bei Sogyal Rinpoche erinnern, denn für den Missbrauch ist das falsche Vertrauen der Schüler notwendig.

Dôgen fügt dann eine weitere Erläuterung hinzu, die sicher oft zu Missverständnissen Anlass gibt:

„Der formlose(nicht fixierte) Zustand des Samâdhi in seinem körperlichen Zustand stellt den vollen Mond dar. Die (wahre) Bedeutung der Buddha-Natur ist offensichtlich und klar in aller Transparenz.“

Nishijima und Cross erläutern hierzu, dass damit nicht gemeint ist, dass es sich um einen unsichtbaren imaginären Zustand des Samâdhi handelt, sondern dass fixierte und starre Formen des Samâdhi ausgeschlossen werden sollen. Der Zustand Nâgârjunas ist also nicht fixiert und festgelegt, sondern beweglich je nach dem Hier und Jetzt.[i]

Nach der Überlieferung verschwand der Kreis des vollen Mondes umgehend, und der Meister saß auf seinem Sitz und lehrte die versammelten Menschen:

„(Dieser) Körper manifestiert die Rundheit des Mondes,
dadurch zeigt (der Körper) die physische (Form) der Buddhas.
Die Lehre des Dharma hat keine fixierte Form.
Die wahre Funktion ist jenseits von Tönen und Sichtbarem.“

Dôgen verdeutlicht anschließend noch einmal in eigenen Worten, dass die wirkliche Funktion jenseits der Manifestation von Tönen und Sichtbarem ist und dass es keine festgelegte Form gibt, wie der Buddha-Dharma gelehrt wird. Auch hierbei soll also keine dogmatische Fixierung erfolgen. Ich vermute, dass falsche Lehrer häufig mit fixierten Formen, Gesten und Posen arbeiten.

Er geht er auf die einzelnen Aussagen und Geschehnisse der geschilderten und sehr bekannten Überlieferung der Manifestation der Buddha-Natur zu Nâgârjuna und Kanadeva ein. Dabei legt er Wert auf ein tiefgründiges und spirituelles Verständnis, das die wesentlichen buddhistischen Schwerpunkte aufzeigt und erläutert.

Es ist klar, dass wir die Buddha-Natur verwirklichen können, aber dies ist unmöglich, wenn Ich-Stolz vorherrscht. Dieser kann in sehr verschiedenen Formen und Varianten auftreten und ist nicht immer leicht als solcher zu erkennen. Auch in buddhistischen Gruppen kommt es vor, dass äußerliche Bescheidenheit und Höflichkeit verbergen, dass der betreffende Mensch eigentlich überheblich und von der eigenen Großartigkeit erfüllt ist.

Oft basiert die versteckte Arroganz auf dem Gefühl der Überlegenheit in der buddhistischen Theorie oder Praxis. Solche Menschen sind meist sehr empfindlich, wenn ihre überzogene Selbstdarstellung in Gefahr gerät und angezweifelt wird. Sie reagieren dann oft erstaunlich aggressiv, sodass deutlich wird, dass die bescheidene und höfliche äußere Form nur eine dünne, oberflächliche Schicht ist. Der Buddha-Dharma ist sozusagen in das Innere des Menschen nicht vorgedrungen, sondern beschränkt sich auf äußere Verhaltensweisen und sein Gebaren.
Es gibt vielfältige Möglichkeiten, den Ich-Stolz zu überwinden, erklärt Dôgen:

Aber sie sind alle (Methoden) der Verwirklichung der Buddha-Natur, die wir als Verwirklichung durch die Augäpfel und das Sehen mit den Augen lernen sollten.“






[i] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 15, Fußnote 69

Montag, 2. Oktober 2017

Die Buddha-Natur und der Körper Nâgârjunas

Dôgen berichtet, dass Nâgârjunas den Buddha-Dharma tiefgründig und sehr lebendig erläuterte. Die Zuhörer waren von der Treffsicherheit und Klarheit seiner Erläuterungen so beeindruckt, dass sie ihre vorherigen begrenzten Meinungen ablegten und sich der Fülle seiner Lehre öffneten. Ihr eingeschränkter Geist war verschwunden.

Wie es heißt, saß Nâgârjuna auf seinem Sitz vor ihnen und manifestierte und offenbarte seinen „freien Körper, der dem perfekten Kreis des Vollmonds zu gleichen schien“. Die Buddha-Natur manifestierte sich so als Körper Nâgârjunas.

Dann macht Dôgen seine zentrale Aussage zur Verbindung der Buddha-Natur mit dem Körper:
„Alle dort Versammelten hörten nur den Klang des Dharma. Sie sahen nicht die Form des Meisters.“

Der Nachfolger Nâgârjunas, Meister Kanadeva, erkannte dies ganz klar und fragte die Menschen: „Wisst ihr, was diese Form ist, oder nicht?“

Man kann sich diese Situation sehr gut vorstellen: Der große Meister Nâgârjuna legt die buddhistische Lehre in einem neuen und tiefgründigen Sinne aus und erläutert die Buddha-Natur, sodass die versammelten Menschen ganz von seinen Ausführungen gefangen waren, sie waren ganz Ohr. Aber zu hören reicht nicht, um die umfassende Wirklichkeit gerade eines erleuchteten großen Meisters zu erfahren. Dazu gehören seine Ausstrahlung, seine Gesten, seine Mimik und selbstverständlich der gesamte Körper. Dôgen nennt hierzu mehrere Beispiele von großen Meistern, die den Buddha-Dharma durch ihre Gestik und Mimik ganz wortlos lehrten.

Nachdem Kanadeva die Versammelten auf die Gleichheit des Körpers von Nâgârjuna und der Rundheit des Mondes als Symbol der Erleuchtung aufmerksam gemacht hatte, sagten sie:

„Die gegenwärtige (Form) ist etwas, das unsere Augen niemals vorher gesehen haben, unsere Ohren vorher niemals gehört haben, unser Geist niemals gekannt hat und unsere Körper vorher niemals erfahren haben.“

Das heißt, dass sie sich nun auch der konkreten körperlichen Form des Hier und Jetzt geöffnet hatten und nicht nur buddhistische Informationen mit ihren Ohren hörten. Kanadeva fasste dies folgendermaßen zusammen:

Der Ehrwürdige manifestiert hier die Form der Buddha-Natur, um sie uns zu zeigen.“