Samstag, 26. Dezember 2009

Verlassen des Familienlebens für den Buddha-Weg (Shukke), Teil 3

Dogen zitiert dann aus einem großen Mahayana-Sutra, in dem der weltgeehrte Buddha sagte:
Garten des Tempels Gion-ji, Mito"
Ein Bodhisattva-Mahasattva denkt, dass ich zu einer Zeit dem Thron entsagen und das Familienleben verlassen werde, und an diesem Tag werde ich den höchsten wahren und im Gleichgewicht befindlichen Zustand des Bodhi verwirklichen. An diesem Tag werde ich auch das wundervolle Dharmarad drehen und bewirken, dass zahllose Lebewesen dem Staub entkommen und den Schmutz verlassen. Ich werde bewirken, dass sie das wahre Dharma-Auge haben und gleichzeitig ... alle Ausschweifungen beenden, und (damit) ihren Geist und ihre Intuition befreien."

Dogen unterstreicht im Folgenden, dass die Entscheidung, die üblichen Ziele und Werte des sozialen Lebens zu verlassen, von maßgeblicher Bedeutung für uns ist. Dann können wir den höchsten Zustand des Bodhi-Erwachens verwirklichen. Er vergleicht diese Entscheidung und den folgenden Neubeginn unseres Lebens mit einem Salto in die richtige Richtung. Dann können wir in unserem Leben das große Dharmarad drehen. Er sagt:

"Denkt daran, dass dies die Situation ist, in der das Gute für uns selbst und das Gute für andere vollständig an diesem konkreten Ort erreicht wird. Es gibt dort kein Zurückfallen und kein Abirren vom höchsten Zustand des Erwachens. Dies (wird verwirklicht), wenn wir das (übliche) Familienleben verlassen und die Gelöbnisse empfangen."
Diese Wahrheit sei jenseits von Einheit und Unterschied. Auch die nur erlernten Vorstellungen der buddhistischen Lehre sowie die begrenzte Ebene der Begriffe und der Worte werde dann eindeutig überschritten. Wir erreichen dann den Bereich des wahren Handelns und des Augenblicks im Hier und Jetzt. Der Tag, an dem wir das (übliche) Familienleben verlassen, sei genau die Wirklichkeit dieses Tages, wie sie ist.
Er erinnert an die Geschichte, dass Gautama Buddha die Weisen und Heiligen seiner Zeit dazu bewegte, den von ihm entwickelten Großen Weg zu gehen und sich von dem allzu gewöhnlichen Leben zu verabschieden. Dies vollzieht sich mit dem ganzen Körper und Geist, ist also kein nur idealistisches oder nur körperliches Handeln.
Am Ende dieses Kapitels fasst er den wesentlichen Inhalt noch einmal zusammen und lässt einen Gesprächspartner fragen:

"Wie wichtig ist die Tugend, das (gewöhnliche) Familienleben zu verlassen?"
Dogen antwortet diesem Menschen:
"So wichtig wie dein Kopf."

Sonntag, 20. Dezember 2009

Verlassen des Familienlebens für den Buddha-Weg (Shukke), Teil 2


Dogen zitiert einen buddhistischen Text, der die damaligen Zen-Klöster wie folgt beschreibt:
"Die Buddhas der drei Zeiten sagen alle, dass man die Wahrheit verwirklicht, wenn man das (übliche) Familienleben verlässt. Die achtundzwanzig Vorfahren im Dharma in Indien und sechs im China der Tang-Zeit, die das Siegel des Buddha-Geistes übertrugen, waren alle Mönche, die die Ausschweifungen überwunden und sich vor dem Falschen gehütet haben: Wie ist es sonst möglich, den Zustand des Buddha zu verwirklichen und ein Nachfolger im Dharma zu werden?"
Der großartige Kairakuen Garden Mito
Es wird dann erwähnt, dass ein Mönch sich seine Kleidung und Essschalen nicht ausleihen sollte, sondern dass sie ihm selbst gehören und dass er dann mit diesen Zeichen als Mönch die Gelöbnisse empfangen kann. Dann sollten die werdenden Mönche die sechzehn Bodhisattva-Gelöbnisse empfangen, auch wenn sie bereits vorher andere umfangreiche Gelübde eines Mönchs oder einer Nonne abgelegt hatten.

Dogen bekräftigt dann noch einmal, dass die Verwirklichung der Wahrheit der Buddhas und alten großen Meister nichts anderes sei, als das „normale“ Familienleben zu verlassen und die Gelöbnisse zu empfangen. Dies sei das Lebensblut der Buddhas. Ein Mensch, der dieses Familienleben nicht verlassen habe, könne niemals ein buddhistischer großer Meister sein.

Diese Aussagen sollten nach Nishijima Roshi gleichnishaft als der entscheidende Schritt verstanden werden, sich von den Fesseln der Gier nach Reichtum, Ruhm, Macht und Ansehen zu befreien und sich ganz auf den Weg der Wahrheit zu konzentrieren. Wenn man sich nicht vom materiellen Streben nach eigenem Vorteil oder von ideologischer Rechthaberei löst, ist der Weg zur Wahrheit versperrt. Die Wahrheit eröffnet sich nur, wenn wir die Wirklichkeit erleben, so wie sie ist, und nicht von Begierden, Wünschen und Ängsten hin- und hergeworfen werden. Das Familienleben zu verlassen bedeutet also, die gewöhnlichen Ziele und Interessen des sozialen Lebens in unserer Gesellschaft zu hinterfragen und sich entschlossen von ihnen freizumachen.

Sonntag, 13. Dezember 2009

Verlassen des Familienlebens für den Buddha-Weg (Shukke), Teil 1


Dogen hat im Shobogenzo in zwei verschiedenen Kapiteln beschrieben, wie wichtig es ist, das übliche Familienleben in der sozialen Gesellschaft zu verlassen, um sich dem Buddha-Dharma zu widmen. Das erste dieser Kapitel wurde zu seinen Lebzeiten im Jahre 1246 verfasst und ist recht kurz und kompakt gehalten.
Ein zweites Kapitel wurde erst zwei Jahre nach seinem Tod veröffentlicht und ist sicher von seinem Nachfolger Ejo aus dem Nachlass zusammengestellt, veröffentlicht und eventuell auch von ihm bearbeitet worden. Wir wissen, dass Dogen durch Krankheit und Tod seinen Plan nicht mehr vollenden konnte, einige neue Kapitel seiner tiefgründigen und umfassenden buddhistischen Lehre und Praxis auszuarbeiten.
Als Vorbereitung für die endgültige Fassung im Shobogenzo sammelte er umfangreiches Material und viele Zitate aus verschiedenen Sutras, um sie dann zu kommentieren, neu auszuloten und zu interpretieren. Wir wissen, dass Dogen insgesamt 100 Kapitel für das Shobogenzo vorgesehen hatte, davon enthält die heutige umfangreiche Fassung insgesamt 95 Kapitel.
Eine tiefgründige und umfangreiche Ausarbeitung ist bei einigen nach seinem Tode veröffentlichten Kapiteln nicht immer erkennbar, vermutlich weil Meister Ejo im Wesentlichen die gesammelten Originaltexte der Sutras verwendete, weil Dogens eigene Ausarbeitungen nicht vorlagen.
Besonders in der Zeit von Gautama Buddha war es im alten Indien nicht selten, dass die Sucher nach der Wahrheit ihr soziales und familiäres Leben verließen, um zu großen Meistern zu gehen. Sie wollten sich von den Zwängen des gewöhnlichen Lebens befreien und sich ganz der spirituellen Wahrheit widmen.
Buddha selbst hat bekanntlich auch diesen Weg der Sucher gewählt und ist freiwillig aus einem recht angenehmen wohlhabenden und auch Erfolg versprechenden sozialen Leben ausgestiegen. Er hätte mit seinen großartigen Begabungen zweifellos auch den Weg des politischen und ökonomischen Erfolges wählen können. Es gab die Weissagung, dass er dann ein großer König und Herrscher über viele Länder in Indien geworden wäre.
Er lebte in einer Zeit des politischen, sozialen und religiösen Umbruchs, in der sich kleinere Königreiche einigen wenigen expandierenden Machthabern unterwerfen mussten, sodass große zentral beherrschte Reiche entstanden. Buddha wählte jedoch nicht den politischen Weg und entwickelte die, wie wir glauben, einzigartige und geniale Lehre, die wir heute als Buddhismus bezeichnen. Als er neunundzwanzig Jahre alt war, erlebte er das große Erwachen oder, wie es heute heißt, die tiefe Erleuchtung. Er hatte diesen Weg gewählt, um für andere und sich selbst die Befreiung aus den Ängsten, Täuschungen und Leiden des menschlichen Daseins und Handelns zu finden.

Im Buddhismus wird daher seit alters her sehr hoch geschätzt, wenn jemand sich ganz dem Weg der Wahrheit widmet und sein übliches, soziales Familienleben verlässt, um sich ganz auf sein großes Anliegen zu konzentrieren. Dies ist in Zeiten des politischen, wirtschaftlichen und religiösen Umbruchs häufiger zu beobachten, als in sicheren Zeiten. Wir können sogar sagen, dass die Zeiten Gautama Buddhas durchaus Ähnlichkeiten mit der sogenannten Postmoderne im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg haben.

Nishijima Roshi betont, dass wir das Verlassen des Familienlebens nicht unbedingt zu eng und dogmatisch verstehen sollen, sondern dass es vor allem darum geht, die Fesseln und Bindungen eines unreflektierten sozialen Lebens in der jeweiligen Epoche zu überwinden. Dabei ist die Befreiung von der Gier nach Reichtum, Ruhm und Macht besonders wichtig, um dadurch die eigene Unwissenheit zu überwinden. Dies sei die eigentliche Bedeutung des von Dogen beschriebenen Entschlusses, das Familienleben zu verlassen.
Gerade in Zeiten des Materialismus, des religiösen Niederganges und der Gier nach allen möglichen dinglichen Genüssen, Ablenkungen und der oberflächlichen Unterhaltung, ist es von großer Bedeutung, sich von diesen Zwängen freizumachen und von den scheinbar unumstößlichen Regeln der Gesellschaft zu distanzieren. Die Formulierung: "Verlassen des Familienlebens", ist daher so zu verstehen, dass wir im buddhistischen Sinn die gesellschaftlichen und psychischen Zwänge hinter uns lassen.

Montag, 30. November 2009

Die Dharma-Blume der Wahrheit (Lotos-Sūtra ), Teil 3 mit Video

Dōgens zentrale Aussage:

„Die Dharma-Blume (der Wahrheit) dreht die Blume der Dharma-Welt“

erschließt sich zunächst nicht dem unterscheidenden Denken, weil scheinbar genau dasselbe zweimal gesagt wird, die doppelte Aussage wäre daher redundant. Sie geht also über das lineare, unterscheidende Denken hinaus und will offensichtlich eine höhere intuitive Wahrheit ansprechen, die zudem mit poetischer Ausstrahlung verbunden ist. Im gesamten Kapitel wird die Dharma-Blume als Symbol der Welt und des Universums beschrieben.

Die Dharma-Blume dreht sich nach Dôgen bei der ursprünglichen Praxis des Bodhisattva-Weges und weicht nicht einmal geringfügig davon ab. Es ist die den unterscheidenden Verstand und Intellekt überschreitende Weisheit der Buddhas und damit fest auf der Wirklichkeit gegründet. Diese intuitive Weisheit ereignet sich nach Dōgen vor allem im Samadhi und in der Zazen-Praxis und ist schwer zu erfassen und schwer zu erlangen. Die Buddhas sind darin zusammen mit den Buddhas und existieren genau so, wie sich die Dharma-Blume dreht.

Gleichzeitig offenbaren sich die konkreten Dinge und Phänomene dieser Welt unmittelbar in der wunderbaren Dharma-Blume. Sie verliert sich nicht in fantastischen Illusionen und wirklichkeitsfernen Träumen, denn so etwas endet immer in Enttäuschungen und Negativität. Im Gegensatz dazu enthüllt, offenbart und verwirklicht sich die Dharma-Blume, und damit ist der Zugang zu ihr für die Menschen in der ganzen Welt und im großen Universum eröffnet.

Zum Video bitte hier anklicken

Mittwoch, 25. November 2009

Die Dharma-Blume der Wahrheit (Lotos-Sūtra ), Teil 2, mit Video

Als ganz junger Mönch trat Dōgen in ein buddhistisches Kloster der Tendai-Linie ein, die das Lotos-Sūtra als wichtigste Lehre und Grundlage hat. Er hatte also ausgezeichnete Kenntnisse dieses Sūtras, war aber mit dem damaligen sehr theoretischen Verständnis überhaupt nicht zufrieden und legt in diesem Kapitel sein eigenes umfassendes Verstehen dar. Was ist nun der Kern dieses großen Werkes?

Der japanische Ausdruck ten im Titel diese Kapitels Hokke ten hokke bedeutet „bewegen“ und „drehen“, so dass das Lotos-Sūtra diese Bewegung, also das Handeln und Geschehenlassen, als zentrale Aussage enthält. Es geht nicht um das unbewegte, unveränderliche Sein außerhalb der Zeit, das zumeist die Grundlage der westlichen Philosophie ist. bedeutet „Wirklichkeit“, „Wahrheit“ oder das „Gesetz des Universums“, und ke bedeutet „Blume“. Eine andere Übersetzung könnte wie folgt lauten:

Die wunderbare Welt (und Wahrheit) ist wie eine Blume und bewegt die wunderbare Welt, die selbst wie eine Blume ist.“

Damit ist auch das buddhistische Weltbild und die buddhistische Lehre Dōgens charakterisiert: Wir leben in einer wunderbaren Welt, die für uns immer klarer und schöner wird, je mehr wir ins Gleichgewicht gelangen. Dieses Gleichgewicht ereignet sich in der Zazen-Praxis und im Handeln des täglichen Lebens. Die Welt ist also in der Balance der Bewegung.

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Mittwoch, 18. November 2009

Die Dharma-Blume der Wahrheit (Lotos-Sūtra ), Teil 1, mit Video

In diesem Kapitel 17 des Shobogenzo beschreibt Dōgen sein Verständnis des Lotos-Sūtra und geht dabei über die üblichen Interpretationen dieses großen Werkes weit hinaus.

Das Lotos-Sūtra ist zweifellos eines der wichtigsten und am meisten gelesenen buddhistischen Schriften Asiens. Es ist überaus poetisch und entfaltet nicht zuletzt durch die Gleichnisse, zum Beispiel vom brennenden Haus und verlorenen Sohn, die volle Kraft und Lebensbejahung des Buddhismus. Wörtlich könnte man es als „Sūtra der Lotosblume des wunderbaren Dharma“ bezeichnen.

Es liegt daher nahe, das Lotos-Sūtra als die Offenbarung der strahlenden, wunderbaren Welt und des großen Universums zu verstehen, in dem wir leben und dessen wir uns oft nicht bewusst sind.

Das Lotos-Sūtra ist jedoch leider oft als eine Art Märchenbuch missverstanden worden, das von übernatürlichen Wundern und Fantasien berichtet und so ein naives und wundergläubiges Weltbild vermittelt. Wenn es sich tatsächlich so verhielte, würde es nach Meister Nishijima lediglich das begrenzte Weltverständnis der Ideen, Vorstellungen und Fantasien widerspiegeln, also nur eine der vier buddhistischen Lebensphilosophien umfassen, nämlich den Idealismus. Dann würden der Realismus des praktischen Handelns und vor allem die umfassende buddhistische Lebenspraxis und Lehre des Gleichgewichts und Erwachens fehlen. Dem ist aber nicht so.

Bitte hier das Video anklicken

Freitag, 13. November 2009

Den Buddhas und alten Meistern Gaben spenden (Koyo-shobutsu), Teil 3

Nach Nagarjuna kommt es dabei nicht auf die Menge an, sondern es reicht schon ein einziger Vers, eine einzige tiefe Verbeugung, ein einziges Stück Räucherwerk und eine einfache Blume.

"Solche (scheinbar) kleinen Handlungen bringen uns zweifellos dazu, Buddha zu werden."

Es gäbe Fälle, in denen durch eine geringe Ursache große Wirkungen erzeugt werden. Daher sollten wir auch kleine Taten durch Gaben nicht gering schätzen, um Buddha und den großen Meistern zu dienen. Es müssen also nicht teure und aufwendige Opfergaben sein, die maßgeblich den Weg des Buddha-Dharma beeinflussen.

Dogen verwendet in diesem Kapitel häufig die Formulierung "alle Dharmas sind wirkliche Form" und bringt damit den Bezug zur Wirklichkeit im Buddhismus unmissverständlich zum Ausdruck. Dharmas sind die vielen Dinge und Phänomene dieser Welt. die in idealistischen Religionen leider z. T. weniger geschätzt werden. Manchmal werden sie sogar so gekennzeichnet, dass sie gar nicht existieren und nur durch den Geist erzeugt werden, so wie eine Fata Morgana sich in nichts auflöst, weil sie nicht wirklich ist.

Denn sie ist nur eine Luftspiegelung und nicht eine wirkliche Oase in der Wüste. Nagarjuna wird zitiert, dass die Buddhas den Dharma verehren und ihm durch Gaben dienen. Den Dharma, also die Wirklichkeit des Universums, verehrt man, indem man den Buddhas und großen Meistern Gaben darbringt. Der Dharma hat sich damit sozusagen durch die großen Meister verkörpert, und indem wir diese ehren, ehren wir die Wirklichkeit und das Gesetz des Universums.

Gautama Buddha selbst habe einem blinden Mönch geholfen, indem er den Faden wieder in die Nadel einfädelte, weil dieser ohne sein Augenlicht dazu nicht in der Lage war. Der Mönch hatte dabei die Stimme Buddhas erkannt und ihn gefragt, warum er denn helfen würde, obgleich er schon der vollkommene Buddha sei. Dieser habe geantwortet, dass er die große Kraft kenne, die dem Menschen durch das selbstlose Geben zuwächst, wenn er dafür keinen eigenen Vorteil haben will. Der Vorgang und das Handeln beim Geben selbst ist also das Wichtige und Wertvolle und nicht, dass man etwas im Gegenzug dafür haben möchte.

Das falsche Verständnis und die falschen Sichtweisen bestehen nach Dogen auch bei den manchen „edlen“ Idealisten, die sich selbst aufwerten und edel einschätzen, wenn sie „großzügig“ etwas geben. Sie sind dann stolz auf sich selbst, auf ihren Edelmut und ihre Freigiebigkeit, wollen also eigentlich ihr eigenes Ego aufwerten, und dies ist das eigentliche Motiv des Gebens. Ein solches Verhalten ist nicht immer einfach als erkennbarer Egoismus erkennbar.
Nagarjuna wird mit den zehn verschiedenen Arten von Gaben zitiert, mit denen man dient:
1. Gaben für einen Menschen.
2. Für einen Schrein.
3. Für etwas, das gegenwärtig ist.
4. Für etwas, das nicht gegenwärtig ist.
5. Durch unser eigenes Handeln.
6. Durch das Handeln anderer.
7. Durch das Geben von Eigentum
8. Durch das Geben von ganz Besonderem.
9. Durch unbeflecktes Geben.
10. Durch Geben für das Erlangen des Zustandes der Wahrheit.
Gautama Buddha wird mit einem Gedicht zitiert:

"Tausende (Geschenke) der Menschen aus Gold ,
die als Almosen gegeben werden,
gleichen nicht dem einen guten Geist,
der sich in tiefer Verehrung vor Buddhas Stupa verbeugt."

Dogen beschreibt dann in seiner typischen Art sehr genau, wie ein Stupa gebaut wird und wie das Fundament gestaltet ist. Er führte damit die traditionelle chinesische Bauweise durch seine sehr genauen Beschreibungen auch nach Japan ein. Die Konstruktion des Stupa solle auf guten Boden und für einen guten Standort erfolgen. Sie sollten östlich oder südlich des Klosters aufgestellt werden. Wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass Hunde herumlaufen und den Stupa beschmutzen könnten, sollte ein Zaun um den ganzen Standort gezogen werden.

Die Gebäude der Mönche sollten daher im Westen oder Süden des Stupa stehen. Sie sollte außerdem einen hohen und gut sichtbaren Standort haben. Innerhalb des Umkreises des Stupa sollten keine Roben und Kleidungsstücke gewaschen oder gefärbt werden, und sie sollten dort auch nicht zum Trocknen aufgehängt werden. Es ist wichtig, dass der Stupa Nischen enthält, in denen Blumen aufgestellt werden. In ihnen sollten auch Flaggen und Baldachine aufgehängt werden.

Die Gaben sollten den anwesenden und nicht anwesenden Meistern, also den Vorfahren im Dharma, gewidmet werden. Es sei wichtig, auch andere Menschen dazu zu bewegen, dass sie beim Geben nicht träge und nachlässig sind, sondern aktiv und mit freudigem Herzen geben. Die Gaben sollten mit großer Wertschätzung, mit reinem, vertrauenden Geist und mit dem Willen gegeben werden, etwas Gutes und Tugendhaftes zu übermitteln. Wenn wir etwas von unserem persönlichen Eigentum geben, sollte dieses mit einem selbstlosen Geist erfolgen. Unser Eigentum sollte nicht dadurch beschmutzt sein, dass es den Dharma verletzt hat.

Donnerstag, 12. November 2009

Den Buddhas und großen Meistern Gaben spenden (Koyô-shobutsu),Teil 2

Anschließend erzählt Dôgen verschiedene legendäre Geschichten aus den Sûtras, an deren Ende Buddha jeweils sagt:


„Jene Buddhas bestätigten mir noch nicht: ‚In einem kommenden Zeitalter wirst du in der Lage sein, Buddha zu werden.’ Aus welchem Grund? Weil ich die Erwartung hatte, einen Vorteil zu bekommen.“

Damit betont Dôgen, dass die edelsten Gaben und aufwendigsten Spenden für die buddhistische Entwicklung unwirksam sind, wenn der Spender dabei im Sinn hat, etwas dafür zu erhalten und sich einen Vorteil zu verschaffen.

Gautama Buddha musste nach diesen Legenden zunächst erst selbst den wesentlichen Schritt tun, dass er keine Gegenleistung für seine Spenden und Gaben erwartete, sondern diese selbstlos den anderen ohne die Vorstellung eines eigenen Vorteils zuteil werden ließ. Die Wendungen „nichts zu bekommen“ und „nichts zu erwarten“ erscheinen an wesentlicher Stelle auch im Herz-Sûtra, das im Shôbôgenzô im zweiten Kapitel behandelt wird. Gautama Buddha äußerte sich zu diesem Thema wie folgt:

„Zu jener Zeit konnte ich nicht vollständig verstehen, dass alle Dharmas wirkliche Form sind. Ich war der Sicht gierig verhaftet, die den Vorteil für das berechnende Ich will.“

Dôgen erläutert, dass Buddha später seine Gaben selbstlos gegeben habe und keine Gegenleistung oder Vorteile für sich selbst erreichen wollte. Damit tat er den entscheidenden Schritt, selbst ein Buddha zu werden. Bei seinen Spenden ließ er nichts aus und gab zum Beispiel seinen Körper und sein Leben, seine Königreiche und Städte, die er besaß. So heißt es von ihm:

„Er diente mit Gaben von silbernen Schalen, die bis zum Rand mit goldener Hirse gefüllt waren, oder mit goldenen oder silbernen Schalen, die bis zum Rand mit der Hirse der sieben Schätze gefüllt waren.“

Er gab Blumen des Wassers, zum Beispiel Lotos oder Seerosen, und Blumen des Landes, zum Beispiel Peonien. Er gab Sandelholz, Aloe und anderes Räucherwerk. Er spendete brennende Fackeln, den besonderen blauen Lotos mit fünf Stängeln, den er für 500 Stück Gold und Silber gekauft hatte. Dôgen betont aber, dass man mit diesen Gaben den Buddhas eigentlich nichts geben kann, was für sie selbst wesentlich sein könnte:

Von welchem Nutzen sind auch Gold und Silber für die Buddhas?“

Das Wesentliche sei das Tun des Gebens und Spendens im Augenblick selbst, und dass die Buddhas diese Gaben annehmen. Darin äußern sich ihre große Freundlichkeit und ihr tiefes Mitgefühl. Durch dieses Handeln ohne Gegenleistung und Vorteil für sich selbst entsteht erst die wirkliche Tugend für die Lebewesen. Dann zitiert Dôgen aus dem Lotos-Sûtra:

„Wenn die Menschen für Stûpas und Schreine,
Für Juwelen-Bilder und gemalte Bilder
Mit Blumen, Räucherwerk, Fahnen und Baldachinen
Achtungsvoll mit Gaben dienen;
(oder) Wenn sie andere veranlassen, zu musizieren,
Trommeln zu schlagen, Hörner und Muscheln zu blasen,
Panflöten, Flöten, Lauten oder Lyras sowie
Harfen, Gongs und Zimbeln (zu spielen)
Und viele feine Töne wie diese (ertönen zu lassen),
(dann) Geben sie dies vollständig als Gaben.
Oder (wenn) sie mit freudigem Herzen
Lobpreisungen von Buddhas Tugend singen,
Auch in einem kleinen Ton
Haben sie alle die Wahrheit Buddhas verwirklicht.“

Donnerstag, 5. November 2009

Den Buddhas und großen Meistern Gaben spenden (Koyô-shobutsu),Teil 1


Dôgen war zu seiner Zeit zweifellos ein ganz „moderner“ buddhistischer Meister, der nach umfassendem Studium und tiefer Praxis des damaligen Buddhismus in Japan und China den Zen in Ostasien mit seinem Werk „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“ von Grund auf erneuert hat.
Diese Erneuerung wirkt sich gerade in der heutigen Zeit durch kräftige Impulse in den Westen und eine weltweite Akzeptanz des Buddhismus aus. Dôgen hat mit großer Ehrlichkeit sich selbst beobachtet und illusionäre Erleuchtungserlebnisse abgelehnt. Genauso klar ist er gegen nur theoretische Abstraktionen der buddhistischen Lehre vorgegangen, die sich von der Wirklichkeit abgelöst hatten und sich in glitzernden Glasperlenspielen ergingen.
Seine Arbeiten zur Sein-Zeit, zum Handeln, zu den vier verschiedenen Dimensionen des Lebens und Universums und sein umfassender optimistischer Lebensansatz gehören ohne jeden Zweifel zu den genialen Leistungen der Weltkultur. Auf der anderen Seite pflegte er buddhistische Traditionen mit großer Sorgfalt und Liebe zum Detail und erläuterte auch sehr praktische Einzelheiten des buddhistischen Lebens in den damaligen Klöstern Chinas und Japans.

In diesem Kapitel, das erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde und auf seinen umfassenden Aufzeichnungen beruht, beschreibt Dôgen sehr genau, wie man für die Bildnisse Buddhas, für die großen Meister und Vorfahren im Dharma, für Pagoden, buddhistische Schreine und generell für Klöster spenden soll. Er geht dabei vertieft auf geistige und psychische Phänomene ein und warnt uns davor, etwas zu spenden, weil wir uns Vorteile davon versprechen.
Es gab damals wie heute spirituell veranlagte Menschen, die es für überflüssig halten, Spenden zu leisten und die jegliche materielle Dimension des Buddhismus ablehnen. Dieser ist jedoch eine Religion der Wirklichkeit und des Tuns, daher ist der Augenblick des Spendens und Gebens für die Menschen selbst auf dem Buddha-Weg von zentraler Bedeutung.
Der materielle Wert der Spenden darf jedoch nicht im Mittelpunkt stehen, denn im Handeln des Gebens selbst und in der vertrauensvollen Verfassung von Körper-und-Geist zeigen sich der wirkliche Wert und die wirkliche Kraft. Dôgen formuliert es so:

„Wie könnten Lebewesen, die niemals mit Gaben auch nur einem einzigen Buddha gedient haben, selbst Buddha werden? Es gibt kein Buddha-Werden ohne Ursache (zum Beispiel Geben).“

Er zitiert dann aus einem Sûtra Gautama Buddha, der die folgenden Gaben, die er spendete, aufzählt: Kleidung, Essen und Trinken, Übernachtung und Schlafstatt, Medizin, außerdem Flaggen, Baldachine, Blumen und Räucherwerk. Aber Buddha fügt selbst hinzu, dass die früheren Buddhas, denen er gedient hatte, ihm nicht die für ihn so wichtige Weissagung erteilt hätten, dass er selbst einmal Buddha werden würde. Er habe damals den Körper eines Heiligen, eines sogenannten radrollenden Königs, besessen und herrschte über vier Kontinente.

Freitag, 30. Oktober 2009

ZEN Schatzkammer, Band 3

Liebe Bloggerinnen und Blogger,


gerade ist der neue Band 3 meiner Einführung „ZEN Schatzkammer“ herausgekommen. Ich freue mich, dass damit alle 3 Bände der einführenden Gesamtausgabe zu dem großen Werkes Shobogenzo von Meister Dogen fertig gestellt sind. Das heißt, dass damit alle 95 Kapitel des Shobogenzo auch von denen studiert werden können, die zunächst nicht die Zeit für die Originaltexte haben. An der deutschen Übersetzung dieses Quellenwerkes habe ich selbst 8 Jahre mitgearbeitet.


Nach meiner Kenntnis ist dies die erste Gesamtausgabe einer, wie ich hoffe, gut verständlichen und authentischen Einführung zum Shobogenzo in Deutsch und überhaupt in einer westlichen Sprache. Er enthält weitere zentrale Kapitel , z. B.

- Wie begegnen wir Buddha und den großen Meistern?

- Die Drachen singen in den kahlen Bäumen

- Die Erweckung des Willens zur höchsten Wahrheit

- Die 37 Elemente des Erwachens

- Die Wirkung des Karma in den drei Zeiten

- Tiefes Vertrauen in das Gesetz von Ursache und Wirkung


- Die acht Wahrheiten eines wirklich großen Menschen

Die Inhalte des Buches wurden ganz eng mit dem großen Altmeister des Shobogenzo, Nishijima Roshi, abgestimmt, der ohne Zweifel der ´Vater´ aller Übersetzungen dieses großen Werkes ist.


Zusammen mit der Lektorin Gabriele Ernst haben wir versucht, eine größtmögliche Verständlichkeit dieses so wichtigen Werkes zu erreichen, ohne die wesentlichen Aussagen zu verwässern oder zu popularisieren. Die Zitate und Koan-Gespräche sind in originaler Fassung dem Quelltext selbst entnommen.


Dieser Band 3 kann wieder in jedem Buchladen oder im Internet bestellt werden (Preis 19,80), z. B unter:


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Und nun viel Freude beim Lesen und viele super Augenblicke!



Yudo J. Seggelke

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Das große Retreat der Sommer-Praxis (Ango), Teil 3

Dôgen zitiert einen alten Text, dem zufolge Gautama Buddha selbst ein Sommer-Retreat von 90 Tagen durchführte, sich aber dabei aus der Gemeinschaft zurückzog, also ein Solo-Retreat abhielt. Er bat seinen Schüler Ananda, das gemeinsame Retreat mit allen Teilnehmern an seiner Stelle in Vertretung zu leiten. Nach Dôgen hat Buddha auf diese Weise ohne Worte und Dharma-Vorträge gelehrt.

Manche leiten daraus ab, dass es grundsätzlich besser sei, während des Retreats überhaupt keine Worte zu verwenden, und dass alle geistigen Aktivitäten für den Buddha-Dharma schädlich seien.

Dôgen hat an anderer Stelle herausgearbeitet, dass es durchaus bestimmte Situationen geben kann, in denen ein Meister den Buddha-Dharma am besten ohne Worte lehrt. Dass man überhaupt keine Worte verwenden dürfe, sei aber nicht richtig und stelle ein tiefgehendes Missverständnis der wahren Absicht Gautama Buddhas dar. Dôgen würde diesen Menschen zurufen:

Gib mir das Sommer-Sitzen von 90 Tagen zurück!“

Er will damit ausdrücken, dass solche Teilnehmer den Wert des Retreats nicht richtig einschätzen können und nicht daran teilnehmen sollten. Laut der Legende hat Buddha zu Ananda gesagt, dass er das Thema lehren solle:

„Alle Dharmas sind jenseits von Erscheinen, alles Dharmas sind jenseits von Vergehen.“

Daraus sei eindeutig ersichtlich, dass während des Sommer-Retreats Lehrreden gehalten werden sollten, und Ananda war in der Tat ein ganz hervorragender Schüler, der später auch der zweite Nachfolger im Dharma von Gautama Buddha wurde. Er hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis für alle Dharma-Reden und war für deren spätere mündliche Fassung und schriftliche Überlieferung von unschätzbarem Wert.

Buddha hatte Ananda bei der Dharma-Rede zu dem genanntem Thema maßgeblich geholfen und ihn unterstützt. Dieses Thema ist für den Buddha-Dharma von größter Bedeutung, da es die lineare Zeitvorstellung überwindet und den Augenblick des Hier und Jetzt, in dem es kein Entstehen und Vergehen gibt, in den Mittelpunkt stellt.

Diejenigen, die am Sommer-Retreat nicht teilnehmen, bezeichnet Dôgen als Nicht-Buddhisten und unterstreicht damit, welch hohen Stellenwert er dem Retreat beimisst. Es sei die höchste Wahrheit von Praxis-und-Erfahrung.

Im Folgenden erteilt Dôgen sehr konkrete Ratschläge und Hinweise für das Sommer-Retreat. Er zitiert einen Meister, der zum Beispiel darum bat, dass die Praktizierenden einen halben Monat vorher in das Kloster kommen sollten, um alle Vorgänge, Rituale, Aufgaben und Arbeiten rechtzeitig und in Ruhe einzuüben, damit während des Retreats keine Hektik und kein Durcheinander entsteht.

Mit Beginn des ersten Übungs-Tages blieben die Mönche beim Retreat in den Mauern des Klosters und verließen es nicht mehr. Meistens wurden dann die Haupttore geschlossen. Dôgen lehnt die Meinung einiger Zeitgenossen ab, dass das 90-Tage-Retreat im Sommer nur eine Angelegenheit des frühen Hînayâna-Buddhismus sei und im Mahâyâna keine Bedeutung mehr habe, denn es gäbe nur einen einzigen authentischen Buddhismus.

Er beschreibt dann, dass der leitende Mönch für jeden einzelnen Teilnehmer eine Tafel vorbereitet, auf der zum Beispiel geschrieben steht, wie häufig der betreffende Mönch bereits an Retreats dieser Art teilgenommen hat. Außerdem schildert Dôgen verschiedene organisatorische Einzelheiten und Formulierungen für die Tafeln und Papier-Aushänge. Dabei werden beispielsweise die Äbte anderer Tempel besonders erwähnt.

Er führt auch ganz genau auf, welche Aufgaben von welchen Verantwortlichen geplant und durchgeführt werden, und wer bei welcher Veranstaltung anwesend sein soll. In ähnlicher Weise stellt er besondere Tage des Retreats vor: So werden die Mönche am 13. Tag nach dem Mittagessen in ihrem Schlafsaal mit Tee und Kuchen bewirtet und rezitieren Sûtras.

Durch diese präzisen Beschreibungen der Einzelheiten und des Ablaufs des Sommer-Retreats hat Dôgen dessen Einführung in Japan exakt festgelegt und überliefert. In den vielen Tempeln, die sich nach seinem Vorbild in Japan entwickelt haben, fand man infolgedessen einen sehr ähnlichen Aufbau und Ablauf vor. Deshalb war es zum Beispiel nicht schwierig, das Kloster für die Teilnahme am Retreat zu wechseln.

Dôgen betont, dass keiner der Mönche zu Überheblichkeit neigen dürfe, sondern seine Übungen und Aufgaben sorgsam und bescheiden durchführen müsse. Dabei solle den Anfängern geholfen werden und keiner solle sich brüsten, dass er selbst fehlerlos sei. Nur in einer Atmosphäre der gegenseitigen Unterstützung, Achtung und Bescheidenheit kann im großen Sommer-Retreat der wahre Buddha-Dharma wirklich erlebt und erfahren werden. Besonders wichtig sind dabei auch die gemeinsamen Rezitationen, die einen Geist der Gemeinsamkeit, der Hochachtung und Wertschätzung der buddhistischen Lehre und der rezitierten Gedichte beinhalten. Es geht, so Dôgen, nicht darum, hart und asketisch zu praktizieren, um in Zukunft die Erleuchtung zu erlangen, sondern darum, richtig Zazen im Augenblick zu praktizieren, denn das ist gerade die Erleuchtung. Aus diesem Grund erklärt er:

„Dem Retreat zu begegnen, ist Buddha zu begegnen. Das Retreat zu erfahren, ist Buddha zu erfahren. Das Retreat zu praktizieren, ist Buddha zu praktizieren. Das Retreat zu hören, ist Buddha zu hören. Das Retreat zu erlernen, ist Buddha zu erlernen.“

Die unmittelbare Erfahrung und Praxis des Sommer-Retreats bedeuten nach Dôgen lebendiges Erleben und Erfahren im Augenblick, wenngleich die äußere Form und Rollenverteilung durch die authentische Übertragung festgelegt sind. Er hält es für sinnvoll, dass die Teilnehmer am Ende des Retreats noch einmal ihre eigenen Fehler bedenken und voreinander offenlegen. Sie bitten damit die anderen um Verzeihung und schaffen die Voraussetzung für den weiteren Lernprozess.
Zum Schluss dieses umfangreichen Kapitels fasst Dôgen zusammen:

„Dies ist die alte Überlieferung, wie wir in den Schätzen von Buddha, Dharma und Sangha verweilen und sie bewahren. Es ist Buddhas (direkte) Lehre und Unterweisung.“

Montag, 12. Oktober 2009

Das große Retreat der Sommer-Praxis (Ango), Teil 2

Im dem Gedicht wird die aufrechte Sitzhaltung der Zazen-Praxis auf dem Sitzkissen, dem Zafu, und dem flachen Untergrund beschrieben, wobei das Rückgrat senkrecht nach oben gestreckt ist und das gesamte Knochengerüst des menschlichen Körpers aufgerichtet wird.

Danach wird geschildert, dass wir einen konkreten Raum einnehmen, denn unser Körper hat eine räumliche Ausdehnung, und gleichzeitig sind wir auf diese Weise mit der Umgebung und dem Universum zu einer Einheit verbunden. Dadurch wird der gewöhnliche Dualismus zwischen mir selbst, als dem handelnden ´Subjekt´, und der Umgebung sowie den anderen Praktizierenden aufgehoben. Diese Zazen-Praxis stellt nach Nishijima Roshi die erste Erleuchtung dar, also die Einheit im Gleichgewicht von Körper, Geist und Universum.

In der vierten Zeile des Gedichtes vergleicht Tendô Nyojô die Überwindung dieser Unterscheidungen des Geistes mit einem schwarzen Lackeimer, bei dem keine Trennungen mehr zu erkennen sind. Nishijima Roshi und Cross erläutern, dass durch dieses Gedicht das einfache und klare Handeln des Zazen im gegenwärtigen Augenblick und in der konkreten Situation des Hier und Jetzt genau beschrieben wird.

Zurück zum Retreat: Auch in der heutigen Zeit gibt es bei der Sesshin einen konkreten Tagesablauf mit praktischen Arbeiten im Garten oder im Kloster, zum Beispiel zur Vorbereitung der Mahlzeiten. Diese werden zu bestimmten Zeiten gemeinsam mit dem leitenden Meister eingenommen. Jeder Teilnehmer bekommt dabei seine eigenen Ess-Schalen und Ess-Stäbchen.
Diese Mahlzeiten verleihen dem Tagesablauf zusammen mit den Perioden des Zazen eine klare und gute Ordnung, sie sind Handeln in der Gemeinschaft mit verschiedenen Aufgaben und Rollen und werden mit Achtsamkeit, Ruhe und natürlicher Klarheit durchgeführt. Auch den Speisen selbst wird eine große Aufmerksamkeit zuteil, denn die Zutaten werden mit Bedacht und Sachkenntnis ausgewählt und sorgfältig zubereitet. Daher ist das Essen in den Klöstern und bei den Retreats meist besonders schmackhaft und bekömmlich.

Dôgen beschreibt die 90 Tage des Sommer-Retreats folgendermaßen:

„Sie sind die Gehirne und wirklichen Gesichter der Buddhas und Vorfahren im Dharma und (das Retreat) wurde direkt durch ihre Haut, ihr Fleisch, ihre Knochen und ihr Mark erfahren. Indem wir die Augäpfel und Gehirne der buddhistischen Vorfahren im Dharma aufgreifen, haben wir sie zu den Tagen und Monaten des Sommer-Retreats von 90 Tagen gemacht.“

Mit diesen Worten wird die unauflösbare Verbindung mit den Buddhas und Meistern sehr handfest und konkret ausgedrückt.

Das Sommer-Retreat ist tatkräftiges Handeln und Selbstkontrolle, die Dôgen als „Ring durch die Nase“ bezeichnet. Damit ist das Symbol eines arbeitsamen und friedlichen Wasserbüffels gemeint. Außerdem bezeichnet er das Sommer-Retreat als eine Höhle, die man vor allem dazu benutzt, um in die Freiheit zu springen, nämlich die Freiheit von seinem alten Ich mit dessen „Denknestern“ und Begrenzungen. Für Dôgen sind die Vorfahren im Dharma beim Retreat anwesend und nicht verstorbene alte Meister, die keinen Bezug mehr zum Handeln der Gegenwart haben. Er zitiert einen alten Meister:

„30 Jahre lang gehe ich den Weg eines Bergmönchs, ich sehe 90 Tage als einen Sommer. Es ist unmöglich, einen Tag hinzuzufügen. Es ist unmöglich, einen Tag wegzunehmen.“

Damit will er unterstreichen, dass dieses Retreat das Wichtigste und der Kern des Sommers ist und auf keinen Fall nur als eine bestimmte Zeitstrecke mit gewissen Aufgaben, Verpflichtungen und Aktivitäten erlebt werden sollte. Wenn man die Zeit nur intellektuell versteht und abzählbar in Stunden und Minuten misst, kann man, so Dôgen, den Sinn des Retreats nicht erfassen. Versteht man die Zeit nur linear, dass sie also kommt und geht und aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft wandert, kann man nicht im Hier und Jetzt handeln. Das ist nur möglich, wenn man ganz im Augenblick der Gegenwart lebt. Im Kapitel 11, „Die Sein-Zeit der Wirklichkeit im Hier und Jetzt“, hat Dôgen dies klar herausgearbeitet. Er erläutert:

„(Die 90 Tage) sind jenseits von denkender Unterscheidung, sie sind jenseits von nicht-denkender Unterscheidung. Sie sind nicht auf einen Zustand begrenzt, der jenseits von Denken und Nicht-Denken ist.“

Sie sind daher nur das einfache und natürliche Handeln selbst.

Freitag, 2. Oktober 2009

Das große Retreat der Sommer-Praxis (Ango), Teil 1

In Indien dauert die Regenzeit im Sommer etwa drei Monate, also 90 Tage, und zu Gautama Buddhas Zeiten war es dann kaum möglich, von einem Ort zum anderen zu wandern, weil die meist unbefestigten Straßen und Wege aufgeweicht und unpassierbar waren. Deshalb hielt sich Buddha während dieser Periode mit einigen seiner vertrauten Schüler an einem bestimmten Ort auf. Dort wurden kleine Hütten gebaut, die Schutz boten und den Regen einigermaßen abhielten, sowie eine größere, einfach konstruierte Vortragshalle mit einem festen Dach, das man gewöhnlich aus Schilf oder Bananenblättern herstellte. In dieser Zeit der intensiven Übungspraxis hielt Buddha auch viele seiner später aufgezeichneten berühmten Dharma-Reden.

Damals existierten noch keine festen Klöster, wohin sich die Meister und Lehrer zurückziehen konnten. Die Mönche hießen „Hauslose“ und wanderten umher oder sammelten sich um einen Meister. Die dreimonatige Pause auf ihren Wanderungen war demnach vor allem durch die schwierigen Witterungsbedingungen des Monsuns vorgegeben. Im Jahresablauf nahm diese intensive Phase der Lehre und Praxis jedoch einen wichtigen Stellenwert ein, denn sie ermöglichte eine Stärkung auf dem buddhistischen Übungsweg.

Es war üblich und auch gern von Buddha gesehen, dass die Laien aus der Umgebung bei den Dharma-Vorträgen anwesend waren und auf diese Weise einen längeren, unmittelbaren und lebendigen Kontakt zu ihm und seinen Schülern aufbauen konnten. Meistens wurde für die Regenzeit ein Ort gewählt, der in der Nähe eines größeren Dorfes oder einer Stadt lag, wo die Mahlzeiten von den Einwohnern am Morgen und Mittag erbettelt werden konnten.

Durch Bodhidharma wurde der indische Buddhismus nach China gebracht, wo man an der Überlieferung eines dreimonatigen Sommer-Retreats festhielt, obgleich die Witterungsbedingungen dies nicht unbedingt erfordert hätten. In China waren viele feste Klöster erbaut worden, die Dôgen auch genau beschrieben und in der gleichen Bauweise in Japan eingeführt hat. Der Sommer war in China zwar heiß und oft schwül, aber doch eine angenehme Jahreszeit, da die Klöster meist in Bergregionen lagen, in denen es im Winter allerdings bitterkalt wurde.

Gegen die Mücken und Moskitos, die im Sommer die Menschen plagten, wurde in der Zazen-Halle an mehreren Stellen Räucherwerk verbrannt, um von Insekten ungestört die vielen Sitzperioden durchführen zu können. Dieses Räucherwerk ist jedoch nicht mit den wohlriechenden Räucherstäbchen der Zeremonien zu verwechseln, die auch vor dem Standbild Buddhas oder eines großen Bodhisattva verbrannt wurden.
Die Mönche hatten in den damaligen Klöstern meist schwere körperliche Arbeit zu leisten, sodass im normalen Alltag außerhalb des Retreats für die Zazen-Praxis und die Dharma-Lehren zwar ein gewisser zeitlicher Rahmen zur Verfügung stand, der aber in die umfangreichen Arbeitsperioden eingegliedert werden musste.

Im Gegensatz dazu stellten die Praxis und Lehre während des Sommer-Retreats den wichtigsten Inhalt des Tages dar. Diese Zeit gab den Praktizierenden einen kräftigen Schub auf dem Weg des Buddha-Dharma. Die Mönche in den Klöstern genossen auf diese Weise erhebliche Privilegien gegenüber den Laien, die überwiegend in der Landwirtschaft und im Handwerk arbeiteten und meistens von morgens früh bis abends spät eingespannt waren.

Von einer 40-Stunden-Woche, die heute in den Industrieländern üblich ist, konnte bei den Laien in China und Japan überhaupt nicht die Rede sein. Daher blieb ihnen wenig Zeit für die buddhistische Lehre und Praxis und nicht zuletzt forderte die schwere Arbeit fast ihre gesamte Lebenskraft und Energie. Am Abend waren sie meist total erschöpft, sodass es sehr schwierig war, vor dem Schlafengehen noch Zazen zu praktizieren.

Dôgen führte die intensiven dreimonatigen Retreats nach seiner Rückkehr aus China auch in Japan ein. In diesem Kapitel beschreibt er ganz genau deren Aufbau und Ablauf. In diesen drei Monaten war das Kloster der einzige Lebens- und Arbeitsraum der Mönche. Wie stehen wir heute zu derartig langen Retreats oder Sesshins? Nishijima Roshi betont, dass es sehr wichtig ist, jeden Tag zweimal Zazen zu praktizieren, und rät uns, jeweils 30 bis 45 Minuten zu sitzen. Diese Zeit konnten die Laien damals in China und Japan gewiss nicht aufbringen.

Gleichwohl misst er den Retreats auch heute noch eine große Bedeutung zu, wenn sie mit der täglichen Praxis und dem Studium der Lehre verbunden werden. Für die meisten von uns wird es allerdings schwierig sein, drei Monate im Jahr aus dem Berufsleben und den Verpflichtungen in der Familie auszusteigen, um sich in dieser Zeit für die Praxis in ein Kloster zurückzuziehen. Daher sind die Retreats heute auf einige Tage oder maximal zwei bis drei Wochen beschränkt. Umso wichtiger ist dementsprechend die tägliche Übungspraxis, damit ein kontinuierlicher Lernprozess stattfindet. In der Dôgen-Sangha dauerte das Retreat des Jahres 2008 im Kloster Tokei-in bei Shizuoka vier Tage.

Es umfasste jeweils sechs Sitzperioden und zwei Dharma-Vorträge pro Tag, einschließlich ausführlicher Diskussion. Die erste Sitzperiode am Morgen und die letzte am Abend dauerten jeweils 45 Minuten; die anderen gliederten sich in zwei Blöcke von jeweils 30 Minuten Zazen-Praxis und 20 Minuten Kinhin-Gehen.
An den Anfang des Kapitels stellt Dôgen folgendes Gedicht von Tendô Nyojô:

„Wir richten unsere Knochen auf dem flachen Boden nach oben aus,
(Jeder von uns) gräbt eine Höhlung im Raum,
Wir gehen direkt durch das Tor des Dualismus hindurch
Und ergreifen den schwarzen Lackkübel, (der ohne Unterscheidung ist).“

Donnerstag, 24. September 2009

Hinweise für das Verhalten in der großen Küche des Klosters (Ji-kuin-mon), Teil 2



Dann macht Dôgen sehr genaue Vorgaben, wie wir uns bei der Zubereitung des Essens verhalten sollten. Beispielsweise sollen wir nicht ausatmen, wenn wir uns über den Reis oder die anderen Nahrungsmittel beugen. Wir sollen unbedingt unsere Hände waschen, nachdem wir unseren Kopf oder unser Gesicht berührt haben. Insbesondere müssen wir die Hände sehr gründlich säubern, wenn wir uns während der Zubereitung der Mahlzeit irgendwo am Körper gekratzt haben.


Es sei sehr sinnvoll, die Verse der buddhistischen Sûtras oder die Aussprüche der alten Meister in der Küche zu rezitieren. Wir sollten dort keine vulgären Begriffe benutzen oder abfällige Bemerkungen machen. Im Gegenteil – wir sollen höfliche Ausdrucksformen wählen, wenn es zum Beispiel um Reis, Gemüse, Salz, Sojasoße und andere Essenszutaten geht.


Das höfliche Verhalten sollte auch dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass wir die Hände zusammenlegen und uns verbeugen.
Die Reste der Essenszubereitung soll man nicht wegwerfen, sondern zum Beispiel die Tiere damit füttern. Auch mit den Gebrauchsgegenständen der Küche soll man sorgfältig und vorsichtig umgehen, vor allem sollen sie nicht unnötig verschmutzt werden.


Man soll außerdem streng darauf achten, dass die Lebensmittel oder Gegenstände, die aus dem weltlichen Bereich von außerhalb ins Kloster kommen, vor der Benutzung gereinigt und richtig aufbereitet werden. So sollen die von Laien gespendeten Lebensmittel wie Gemüse, Früchte usw. gründlich gewaschen werden und erst nach dem Dünsten den drei Kostbarkeiten und den Mönchen des Sangha gereicht werden. Dies mag uns nebensächlich erscheinen, ist aber für den Zen-Geist typisch.
Dôgen hebt hervor, dass diese Richtlinien das Lebensblut der buddhistischen Vorfahren im Dharma und das wahre Auge der Mönche sind:


„Nur die Schüler des Buddhas
Sind in der Lage, die Übertragung (der Hinweise) zu empfangen.
Verantwortliche Leiter der Küchenhalle,
Versteht sie und vergesst sie nicht!“

Normalerweise wurde in den chinesischen Klöstern nur zweimal am Tag Essen serviert: am Morgen und am Mittag. Dies galt vor allem in Ländern mit gemäßigtem oder tropischem Klima.


Dort war es sogar untersagt, nach dem Mittag weitere Nahrung zu sich zu nehmen. In den kalten Gegenden Chinas und Japans wurde dagegen manchmal auch am Abend eine warme Mahlzeit gereicht. Sie wurde dann gern als „Medizin“ bezeichnet und war sicher auch notwendig, um die Gesundheit und das Wohlbefinden zu erhalten. Neben der warmen Kleidung für die Winterzeit erlaubten die Äbte dieses Abendessen, welches das Leben in der Kälte erträglich machte.

Mittwoch, 16. September 2009

Hinweise für das Verhalten in der großen Küche des Klosters (Ji-kuin-mon), Teil 1

In den chinesischen und japanischen Tempeln widmet man sich dem Zubereiten der Mahlzeiten und dem Essen mit besonderer Aufmerksamkeit.

Tatsächlich ist eine gute Ernährung für den Menschen eine wichtige Voraussetzung, damit er seine täglichen Aufgaben und Arbeiten leisten kann.
Aus Dôgens Sicht wurde im damaligen Japan die Bedeutung der theoretischen Aspekte des Buddhismus stark übertrieben. Im Gegensatz dazu erlebte er in China auf seiner Reise zu den verschiedenen Klöstern, dass dort die Zubereitung der Speisen, also vor allem das Verhalten und Handeln in der Küche – oder wie es wörtlich heißt „Küchenhalle“ –, viel wichtiger war, als er zunächst angenommen hatte. Er berichtet, dass er schon zu Beginn seiner Reise in China einen Mönch kennenlernte, der stolz darauf war, der Koch eines Tempels zu sein und mit seiner praktischen Arbeit in der Küche für alle Mitglieder des Klosters und deren Gäste zu sorgen.

Als Dôgen nach einigen Jahren der vergeblichen Suche nach einem wahren Meister wieder zurück nach Japan abreisen wollte, traf er einen anderen alten Mönch. Dieser trocknete mit großer Sorgfalt Seetang, der für die Mahlzeiten in seinem Kloster vorgesehen war. Dieser Mönch wollte mit Dôgen nicht über theoretische Fragen des Buddha-Dharma diskutieren, sondern die Zeit für seine Aufgabe nutzen, die Speisen vorzubereiten. Dôgen war davon so beeindruckt, dass er beschloss, seine Abreise zu verschieben und das Kloster dieses Mönchs ein zweites Mal zu besuchen, um den neuen Abt kennenzulernen, der in der Zwischenzeit dorthin berufen worden war.
So traf er Tendô Nyojô und erkannte sofort intuitiv, dass dieser der wahre große Meister war, den er so lange gesucht hatte. Dôgens buddhistisches Leben entwickelte sich von nun an in eine ganz neue Richtung, die von der Wirklichkeit des Hier und Jetzt und dem Handeln im Augenblick geprägt war, ohne jedoch die Theorie und Lehre zu vernachlässigen.

Später hat Dôgen in einem Buch zur Anleitung der Köche sehr ausführlich alle wichtigen Fragen rund um Küche, Nahrungsmittel und Essen zusammengestellt. Er betont:

„Es ist von grundlegender Bedeutung, die Mahlzeiten für den Sangha mit großer Wertschätzung zu bereiten.“

In diesem Kapitel schildert er, wie wichtig die Mahlzeiten und das Essens sind, und regt an, dass dies auch schriftlich formuliert und allgemein im Kloster bekannt gemacht werden sollte. Er erläutert:
„Dies bedeutet, den Buddha-Dharma zu erlernen, oben im Himmel oder in der menschlichen Welt.“

In diesem Sinne schlägt Dôgen vor, positive Bezeichnungen für die Zubereitung der Nahrung und für das Essen zu wählen, die unsere Achtung und Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel sollten wir nicht nur „Reissuppe“ sagen, sondern „ehrenwerte Reissuppe“. Statt der Aufforderung „Stampfe den Reis.“ sollten wir sagen: „Würdest du bitte den Reis weiß machen.“ Die Formulierung „Würdest du bitte den Reis im Wasser säubern.“ sollte verwendet werden statt der Anordnung „Wasche den Reis.“ Er begründet seine Ansicht wie folgt:

Mangelnde Achtung ist die Einladung für das Unglück und die Fehler. Dies hat niemals gute Wirkungen.“

Montag, 31. August 2009

Das Gleichnis des intuitiven Verstehens und Handelns, Saindhava (Ōsaku sendaba), Teil 4

Dōgen zitiert im Folgenden eine bekannte Kōan-Geschichte, in der Meister Nansen einen seiner Mönche bittet, etwas ganz Unmögliches zu tun. Er soll dem Meister nämlich ein Gefäß mit Wasser bringen, ohne das Gefäß mit dem Wasser überhaupt zu ergreifen und zu bewegen. Zweifellos ist dies rein physikalisch betrachtet eine unlösbare Aufgabe, die man zwar denken und mit Worten ausdrücken, aber nicht in die Wirklichkeit umsetzen kann.

Nishijima Roshi sieht in dieser Bitte einen Test für den Mönch: Ist er so weit in der Wirklichkeit verwurzelt, dass er diese unmögliche Bitte erkennt? Trotz der Loyalität gegenüber dem Meister kann er den Auftrag nicht ausführen, weil die physikalische Realität dies nicht zulässt.


In der Kōan-Geschichte entscheidet sich der Mönch so, dass er Nansen das Gefäß mit Wasser zwar bringt, dieses aber ausschüttet und es dabei belässt. Der Meister ist mit dem Handeln seines Schülers sehr zufrieden. Der Mönch hat den Test also bestanden, obgleich er tatsächlich gegen die durch Worte ausgedrückte Bitte verstoßen hat.


Diese Kōan-Geschichte macht die Tatsachen der Wirklichkeit deutlich, die von den in Worten gefassten Bitten und Anweisungen grundsätzlich abweichen können. Im Zen-Buddhismus gebührt der Wirklichkeit des Handelns in der betreffenden Situation der Vorrang vor Reden und Denken.


Dōgen untersucht im Hinblick auf das Lehren des Wirklichen die Bitte und das Geben von Saindhava weiter. Das Dunkle und Falsche, das vor allem im Denken und Fühlen angesiedelt ist, sollte bei den Schülern vorsichtig beschrieben und offengelegt werden, damit diese leichter lernen können. Er verwendet einen interessanten Vergleich mit der Koto, einem japanischen Saiteninstrument, das einer Harfe des Westens gleicht, aber anders gestimmt wird.


Die Koto hat für jede Saite zwei bewegliche Stege, auf denen die schwingende Saite aufliegt. Die Stege können jeweils so verschoben werden, dass die richtige Tonlage für das Spiel entsteht. Damit das Instrument korrekt gestimmt ist, müssen diese beweglichen Stege ganz genau eingestellt werden. Wären sie fest verleimt, könnte das Instrument also überhaupt nicht gestimmt werden. Dōgen vergleicht diese Beweglichkeit mit dem Saindhava, das erbeten und gegeben wird, und erläutert:


„Die 24 Stunden (des Tages) benutzen zu können, ist dasselbe, wie Saindhava zu erbitten. Von den 24 Stunden benutzt zu werden, ist (auch) dasselbe, wie Saindhava zu erbitten. Wir sollten Tatkraft (wörtlich: Faust) erbitten und sollten Tatkraft geben.“


Diese Aussage bedeutet, dass wir im normalen Alltag mit nicht eindeutigen Worten reden, fragen und bitten, in der Hoffnung, dass der andere trotzdem versteht, was wir benötigen oder sagen wollen. Unsere Umgebung erfordert von uns, dass wir situationsgerecht handeln, und dabei sind die benutzten Worte immer etwas unbestimmt.


Dies gilt nicht zuletzt für das Handeln und die Tatkraft, die wir einerseits erbitten und andererseits anbieten und geben, je nach Situation und intuitivem Verstehen. Dōgen bedauert, dass es im damaligen China der Song-Zeit nur ganz wenige Meister gab, die den Zustand von Saindhava verwirklicht hatten.


Auch der bekannte Satz, „Der Geist hier und jetzt ist Buddha.“, besteht aus Begriffen, die nicht so eindeutig sind, wie wir vielleicht zunächst annehmen. Wie an anderer Stelle dargelegt, bedeuten diese Worte, dass der Geist nicht abstrakt und absolut verstanden werden kann, sondern dass es im Hier und Jetzt um das ganzheitliche buddhistische Handeln im Gleichgewicht geht. Dies ist der wahre Geist, der keineswegs vom Körper isoliert werden kann.


Eine wichtige Rolle spielt nach Dōgen das Saindhava-Gleichnis vom Bitten und Geben in wechselseitiger Übereinstimmung auch für die Lehrtätigkeit der buddhistischen Meister. Dabei verwenden diese bewusst falsches Verhalten und bestimmte Situationen, die aufzeigen sollen, was buddhistisch nicht korrekt ist. Es geht immer um den Lernprozess der Schüler, um zur Wirklichkeit zu gelangen.


Dies wird von Dōgen als „das gelbe Lehren“ bezeichnet, wobei das Gelbe für die buddhistische Wahrheit und Wirklichkeit steht.Wenn ein wahrer Meister um Salz gebeten wird, kann er laut dem Kōan dem Bittenden ein Pferd geben. Was bedeutet das? Das Salz wird vom Schüler nur erbeten, um seine Speise zu verbessern, aber mit dem vom Meister erhaltenen Pferd eröffnen sich für ihn auf dem Buddha-Weg neue, ungeahnte Möglichkeiten. Der Meister gibt damit mehr als der Bitte des Schülers entspricht.

Samstag, 22. August 2009

Das Gleichnis des intuitiven Verstehens und Handelns, Saindhava (Ōsaku sendaba),Teil 3

Es wird Tendō Nyojōs Lehrer, Meister Wanshi, zitiert, der Folgendes lehrte:
„Ein Mönch fragte Jōshū: ‚Wie ist es, wenn ein König Saindhava erbittet?’ Jōshū (antwortete nicht mit Worten, sondern) verbeugte sich mit aufeinandergelegten Händen (Shashu).“
Ein späterer Meister kommentierte Jōshūs Verhalten wie folgt: „Es war die Bitte um Salz und das Geben eines Pferdes.“
Der große Meister Wanshi fügte noch hinzu, dass die Interpretation dieser Begebenheiten von ganz großer Bedeutung sei und dass wir nicht im Geringsten davon abweichen sollten. Wie können wir uns das Verhalten von Meister Jōshū erklären?

Er veranschaulicht, dass man mit Worten allein Saindhava nicht erschöpfend beschreiben kann. Durch seine Verbeugung wird zum Beispiel die Wertschätzung des anderen für das gemeinsame Handeln ausgedrückt. Damit ist die wichtige moralische und humanistische Dimension angesprochen. Außerdem will Jōshū mit der Verbeugung das intuitive Verständnis des Dieners für die Bitte des Königs darstellen.

Der zweite Meister verdeutlicht die Einheit des Handelns desjenigen, der um etwas bittet, und des anderen, der diese Bitte erfüllt. Die beiden Akteure erreichen mit ihrem wechselseitig aufeinander bezogenen Handeln eine Einheit in der Wirklichkeit des Augenblicks.
Schließlich erläutert Dōgen sein eigenes Verständnis des Saindhava-Gleichnisses: Die vier Produkte des Indus-Beckens kann man zunächst als Objekte verstehen, die von dem Menschen als Subjekt, das um die Produkte bittet, getrennt sind. Aber diese Trennung wird überwunden, indem die Wirklichkeit im Augenblick erlangt wird. Dōgen ergänzt noch einen weiteren Aspekt:

„Der Welt-Geehrte bittet um Saindhava und Mahākāshyapas Gesicht erhellte sich zu einem Lächeln.“

Damit wird im höchsten Zustand des Erwachens die tiefere Bedeutung der Bitte und des Erfüllens der Bitte deutlich gemacht. Mit dem Lächeln des ersten Nachfolgers von Gautama Buddha begann die Geschichte des Buddhismus und die Übertragung von einem Meister zum anderen. Für die buddhistische Praxis und Lehre ist es der zentrale Augenblick, wenn Dōgen das Gleichnis des Saindhava mit der Begebenheit des Erwachens gleichsetzt. Er kommt dann auf Meister Bodhidharma zu sprechen:

„Der erste Vorfahre im Dharma (in China) erbittet Saindhava und seine vier Schüler dienten mit einem Pferd, mit Salz, Wasser und einem Behälter. Wir sollten diesen äußerst wichtigen Zustand erlernen, in dem wir das Pferd bereitstellen oder das Wasser geben. Genau in dem Augenblick werden die Bitte um Saindhava, ein Pferd, das Salz, das Wasser oder ein Behälter zu einer Einheit (objektive Dinge und subjektive Funktionen).“

Mit diesen Worten unterstreicht Dōgen das Handeln im Augenblick, bei dem Subjekt und Objekt zu einer Einheit verschmelzen und damit die Wirklichkeit selbst sind. Die subjektive Bitte, die erbetenen Objekte, das Handeln, der Bittende und derjenige, der die Bitte erfüllt, bilden in der Wirklichkeit eine unauflösbare Einheit. So wird der Dualismus überwunden, der für zentrale, spirituelle Existenzfragen und das Erwachen nur unzureichende Antworten bietet.

Mittwoch, 5. August 2009

Das Gleichnis des intuitiven Verstehens und Handelns, Saindhava (Ōsaku sendaba),Teil 2


Wir greifen noch einmal die eingangs gestellten Fragen auf: Wie ist es möglich, dass sich die Menschen in einer bestimmten Situation trotzdem verstehen? Wie gelingt es ihnen, in der Praxis richtig und wechselseitig „passend“ zu handeln? Von Dōgen können wir mit Recht erwarten, dass er uns auf der Grundlage der wahren Lehre Gautama Buddhas dafür brauchbare Lösungen anbietet, mit deren Hilfe wir unser Leben glücklicher, klarer und mit weniger Leiden gestalten können. Er zitiert folgendes Gedicht:

„Worte – keine Worte,
Wirkliche Glyzinien und wirkliche Bäume,
Die Esel füttern, die Pferde füttern,
Klares Wasser und durchsichtige Wolken.“

Nishijima Roshi interpretiert diese Zeilen im Sinne der vier buddhistischen Lebensphilosophien, also der Ideen, der materiellen Realität, des Handelns und des höchsten Zustandes des Erwachens. Die Worte unserer Sprache gehören der Welt und Lebensphilosophie der Ideen und der Sprache an. Dies verdeutlicht die erste Zeile: „Worte – keine Worte“.
Danach müssen wir zur nächsten Lebensdimension der materiellen Realität kommen, also zur Dimension der Dinge und Phänomene. Sie wird durch die Glyzinie angesprochen, die als Rankengewächs einen Baum oder eine andere Unterlage benötigt, um zu wachsen und zu blühen. Im alten China gehörte es zum Tagesgeschäft, mit Sorgfalt die Esel und Pferde zu füttern. Dieses wichtige Handeln im Alltag ermöglichte es, dass Menschen und Tiere überlebten.
Klares Wasser und transparente ziehende Wolken werden im Buddhismus häufig als Metapher für den höchsten Zustand der Erleuchtung und Befreiung verwendet. Sie sind die Wirklichkeit selbst und dabei wird nichts Künstliches hinzugesetzt und nichts Wirkliches weggenommen. Die Wirklichkeit ist so, wie sie ist.
Dōgen zitiert dann Gautama Buddha aus dem großen Pari-Nirvāna-Sūtra:

„(...) bringe Saindhava! Saindhava ist ein (einziges) Wort für vier (verschiedene) Produkte. Das erste ist Salz, das zweite sind Gefäße, das dritte ist Wasser und das vierte sind Pferde. Diese vier Sachen haben alle dieselbe Bezeichnung. (Aber) ein weiser Diener ist in der Lage, (die Bedeutung) dieses Wortes (richtig) zu verstehen.“

In diesem gleichnishaften Zitat ist auch ein gewisser Handlungsablauf enthalten: Zum Essen benötigt man Salz, nach dem Essen möchte man Wasser trinken, und wenn der König fortreiten will, braucht er ein Pferd. Obgleich der König diese verschiedenen Wünsche durch dasselbe Wort Saindhava ausdrückt, weiß sein Diener, was er jeweils damit meint. Natürlich kommt ihm dabei auch seine Erfahrung im Umgang mit dem König und dessen Tagesablauf zugute, denn manches ergibt sich aus dem Augenblick der jeweiligen Situation.
Dōgen betont, dass ein ähnliches Handeln bei jedem von uns in der Praxis zu verwirklichen ist, also im eigenen Leben umgesetzt werden sollte. Wichtig ist dabei, dass man je nach Situation rasch und tatkräftig mit dem Handeln beginnt, unabhängig davon, in welchem Zustand sich unser Körper und Geist befinden. Dōgen hebt hervor:

„Diese Bitte des Königs um Saindhava, zusammen damit, dass der Diener Saindhava bringt, ist seit langer Zeit bis zu uns weitergegeben worden. Sie wurden normalerweise zusammen mit dem Dharma-Gewand übermittelt.“

Damit verweist er auf die enge Beziehung dieses Gleichnisses, also der Bitte und deren Erfüllung durch entsprechendes Handeln, und der Lehre des Buddhismus. Es sei so bedeutend wie das Dharma-Gewand und stellt seit der Zeit Buddhas ein wichtiges Gesprächs- und Lehrthema dar, das auch von seinen Nachfolgern immer wieder behandelt wird. Dōgen fährt fort:

„Wir können vermuten, dass diejenigen, die denselben Zustand wie den des Welt-Geehrten selbst erfahren haben, Saindhava zu ihrer eigenen Praxis gemacht haben.“

Mit dieser Aussage unterstreicht er erneut seine große Wertschätzung des Saindhava, also des wechselseitigen Handelns zweier Menschen, bei dem einer um etwas bittet und der andere diese Bitte gerne erfüllt. Die hierarchische Beziehung des Königs und seines Dieners tritt hier in den Hintergrund, denn es geht Dōgen nicht um den Befehl und den unbedingten Gehorsam, sondern er betont die enge, vertrauensvolle Übereinstimmung der beiden Handelnden in einer komplexen, vieldeutigen Welt mit ungenauen sprachlichen Begriffen. Dieses Handeln kann nur bei intuitivem Verständnis, gegenseitiger Hochachtung und wechselseitigem Wohlwollen in Übereinstimmung und Harmonie gebracht werden. Dazu führt Dōgen aus:

„Für jene, die nicht im selben Zustand wie der Welt-Geehrte sind (sage ich): Wenn du irgendwelche Strohsandalen kaufst und zu Fuß einen Schritt vorwärts gehst, hast du schon (Saindhava) bekommen!“

Damit möchte er wohl ausdrücken, dass wir uns auf den Buddha-Weg begeben, indem wir wie im alten China und Japan die Schuhe (Strohsandalen) besorgen und dann auf diesem Weg immer einen Schritt weiter nach vorne gehen. Dadurch sei das Wesentliche bereits begonnen. Ebenso ist es mit der Zazen-Praxis: Indem wir uns in der richtigen Sitzhaltung auf das Kissen niederlassen, haben wir bereits den wichtigsten Schritt getan. Denn nach Nishijima Roshi ist das sitzende Handeln im Zazen schon die erste Erleuchtung und wir lassen dabei Körper und Geist fallen und sitzen ganz in der Wirklichkeit.

Montag, 27. Juli 2009

Das Gleichnis des intuitiven Verstehens und Handelns, Saindhava (Ōsaku sendaba), Teil 1

Der Sanskrit-Begriff Saindhava, um den es in diesem Kapitel geht, bezeichnet die verschiedensten Dinge und Produkte der fruchtbaren Ebene des großen Indus-Flusses in Indien und bezieht sich auf das wirkliche Alltagsleben in dieser Gegend.
Im Kloster Ehei-ji, Japan
Nach einer alten indischen Überlieferung benutzte ein dortiger König den sehr allgemeinen Begriff Saindhava, wenn er etwas ganz Bestimmtes haben wollte. Er nannte also nicht die Bezeichnung des speziellen Produktes, das gerade in diesem Augenblick und in dieser Situation für ihn wichtig war. Wenn er zum Beispiel Wasser zum Trinken haben wollte, erbat er dies mit dem Wort Saindhava von seinen Dienern.
Wörtlich übersetzt, machte er nur die allgemeine Angabe: „Gib mir das Produkt des Indus-Beckens.“ Nach der Legende bat der König mit dem Ausdruck Saindhava bei anderen Gelegenheiten um das Salz für die Mahlzeit oder um ein Pferd zum Ausreiten. Es war dann die Aufgabe der Diener, diesen allgemeinen Begriff mit intuitivem Verständnis in der besonderen Situation richtig zu interpretieren und entsprechend zu handeln, dem König also genau das zu geben, was er gerade benötigte.

Dōgen untersucht diese gleichnishafte Geschichte, um das intuitive Verständnis und das wechselseitige Handeln zwischen zwei Menschen in der Vielfalt und undurchschaubaren Komplexität der Wirklichkeit zu beschreiben. Er stellt die Frage, wie es überhaupt möglich ist, sich trotz der inhaltlichen Unschärfe von Worten zu verständigen und richtig zu handeln. In den Basis-Kapiteln des Shōbōgenzō erarbeitet Dōgen die Grundlagen für eine umfassende buddhistische Lehre der Wirklichkeit und des Erwachens.
Diese wendet er auf das geschilderte Gleichnis an und geht damit über die damals bekannten Interpretationen hinaus. Tatsächlich gibt es in unseren Sprachen kaum ein Wort, das nicht mehrere und oft ungenaue Bedeutungen haben kann und je nach der Situation gedeutet werden muss. Dass die Kommunikation zwischen den Menschen trotzdem meistens gelingt, liegt daran, dass sie in eine Gesamtsituation eingebettet sind. Dadurch kann trotz ungenauer Bedeutungen der Begriffe eine Verständigung und entsprechendes Handeln möglich werden.

In neuerer Zeit hat sich vor allem der Philosoph Hans-Georg Gadamer eingehend mit der Interpretation von Texten und der Bedeutung von Begriffen beschäftigt und damit die Grundlage für ein neues Verständnis der Hermeneutik gelegt. Die Ergebnisse seiner philosophischen Untersuchungen entsprechen weitgehend den Lehren Dōgens, denn sie belegen, dass es letzten Endes keine Eindeutigkeit von Texten und Begriffen gibt, wenn man nicht den jeweiligen Gesamtzusammenhang und die besondere Situation genau kennt. Gadamer hat mit seinen Überlegungen zunächst bei vielen Kollegen erheblichen Widerspruch hervorgerufen, weil sie der Ansicht waren, dass auf der Basis seines Verständnisses von Sprache die Verständigung im Gespräch beliebig werde und schriftliche Darstellungen viel zu vage seien. Dies sei aber nicht zutreffend. Inzwischen sind die Erkenntnisse Gadamers jedoch weitgehend unbestritten.

Genau um diese Thematik geht es Dōgen in diesem Kapitel. Für ihn stellt die buddhistische Praxis des Zazen die wesentliche Voraussetzung dar, um die Bedeutung der buddhistischen Schriften und die Vorträge der Meister umfassend „verstehen“ zu können. Wer allein in der Theorie verhaftet bleibt und an Worten hängt, könne den wahren Sinn des Buddha-Dharma nicht erfassen. Dazu bedarf es nämlich der situativen, klaren Intuition. Dies gilt sowohl für die Welt der Ideen, als auch für die Wahrnehmung der Dinge und Phänomene, denn es müssen das Handeln und die Intuition im Augenblick hinzukommen, um in den höchsten Zustand des Erwachens oder der Erleuchtung einzugehen.

In der modernen Natur- und Geisteswissenschaft, insbesondere der Sozialwissenschaft – als wichtiger Vertreter ist hier Niklas Luhmann zu nennen –, ist es heute völlig unbestritten, dass die Wirklichkeit eine unendliche Komplexität besitzt, also niemals vollständig erforscht und verstanden werden kann. Das menschliche Denken ist daher einerseits von wesentlicher Bedeutung, um das Leben zu bewältigen, reicht aber andererseits nicht aus, die gewaltige Komplexität gänzlich zu durchleuchten, um sich im Leben zurechtzufinden.
Beim täglichen Handeln müssen wir also sowohl die Ungenauigkeit und Mehrdeutigkeit der Sprache als auch die nicht vollständig beherrschbare Komplexität der Welt und des Lebens in Einklang bringen.

Freitag, 10. Juli 2009

ZEN Schatzkammer, Band 2

Liebe Bloggerinnen und Blogger,

nun kann ich Ihnen den Band 2 meiner Einführung zum ZEN-Buddhismus, „ZEN Schatzkammer“ vorstellen.


Ich freue mich, dass damit alle 3 Bände der einführenden Gesamtausgabe zu dem großen Werkes Shobogenzo von Meister Dogen fertig gestellt sind. Das heißt, dass damit alle 95 Kapitel des Shobogenzo auch von denen studiert werden können, die zunächst nicht die Zeit für die Originaltexte haben. An der deutschen Übersetzung dieses Quellenwerkes habe ich selbst 8 Jahre mitgearbeitet.

Nach meiner Kenntnis ist dies die erste Gesamtausgabe einer, wie ich hoffe, gut verständlichen und authentischen Einführung zum Shobogenzo in Deutsch und überhaupt in einer westlichen Sprache

Er enthält weitere zentrale Kapitel von Dogens Shobogenzo:

- Die reine buddhistische Praxis bewahren und weitergeben

- Die Bestätigung und Freude, dass jeder ein Buddha wird

- Der Bodhisattva des großen Mitgefühls und des Helfens

- Was bedeutet das Bild eines Reiskuchens?

- Die vier Arten des sozialen Handelns eines Bodhisattva

- Anleitung zur Zazen-Praxis

- Die Pflaumenblüten sind die Augen Gautamas

Die Inhalte des Buches wurden ganz eng mit dem großen Altmeister des Shobogenzo, Nishijima Roshi, abgestimmt, der ohne Zweifel der ´Vater´ der deutschen Übersetzung dieses großen Werkes ist.

Zusammen mit der Lektorin Gabriele Ernst haben wir versucht, eine größtmögliche Verständlichkeit dieses so wichtigen Werkes zu erreichen, ohne die wesentlichen Aussagen zu verwässern oder zu popularisieren. Die Zitate und Koan-Gespräche sind in originaler Fassung dem Quelltext selbst entnommen. Nach den positiven Rückmeldungen auf den ersten Band ist dies wohl gelungen.
Band 2 kann in jedem Buchladen oder im Internet z. B. bestellt werden unter:

Libri

Amazon

Und nun viel Freude beim Lesen!

Yudo J. Seggelke

Dienstag, 30. Juni 2009

Vesak-Fest in Frankfurt 2009


Die Dogen-Sangha Frankfurt hatte einen interessanten Stand mit einem Zelt beim Vesak-Fest in Frankfurt a. M. zu Gaudama Buddhas Geburtstag aufgebaut und erläuterte den Besuchern die vielfältigen Aktivitäten des Zentrums unter der Leitung von Regina Oberndorfer.

Dort waren auch einige Bücher über den ZEN-Budhhismus ausgelegt, u. a. von Nishijima Roshi: „Begegnung mit dem wahren Drachen“ und die neue Einführung in Dogens Shobogenzo: “ZEN Schatzkammer, Band 1“.
Die Leitung des Vesak-Festes hatte mich zu einem Vortrag eingeladen, der vom Kapitel 17 des Shobogenzo, Hokke ten Hokke, also Dogens Interpretation des Lotos Sutra handelte. Dazu gibt es im Internet bereits Videos mit folgender Adresse:

Video 1

Video 2

Video 3

In diesem Kapitel beschreibt Meister Dōgen sein Verständnis des Lotos-Sūtra und geht dabei über die üblichen Interpretationen dieses großen Werkes deutlich hinaus. Das Lotos-Sūtra ist zweifellos eines der wichtigsten und am meisten gelesenen buddhistischen Schriften Asiens. Es ist überaus poetisch und entfaltet nicht zuletzt durch die Gleichnisse, zum Beispiel vom brennenden Haus und verlorenen Sohn, die volle Kraft und Lebensbejahung des Buddhismus.

Wörtlich könnte man es als „Sūtra der Lotosblume des wunderbaren Dharma“ bezeichnen. Es liegt daher nahe, das Lotos-Sūtra als die Offenbarung der strahlenden, wunderbaren Welt und des großen Universums zu verstehen, in dem wir leben und dessen wir uns oft nicht bewusst sind.

Dōgen zitiert die Geschichte von Hotatsu, der in jungen Jahren Mönch wurde und sich vollständig dem Lotos-Sūtra widmete. Er prahlte sogar damit, dass er das Lotos-Sūtra auswendig hersagen konnte und bereits mehr als dreitausend Mal rezitiert hatte. Der große Meister Daikan Enō, der selbst nicht lesen und schreiben konnte, sagte ihm jedoch:

Auch wenn du das Sūtra zehntausendmal (rezitiert hast), wirst du nicht einmal in der Lage sein, (deine eigenen und andere) Fehler zu erkennen, wenn du es nicht wirklich verstanden (und erfahren) hast.“

Daraufhin wurde der Mönch Hotatsu sehr nachdenklich und war tief verunsichert. Meister Daikan Enō schlug ihm vor, dass er anfangen solle, den Text bis zu einer Stelle zu rezitieren, an der der Meister ihm die große, umfassende Bedeutung dieses Sūtra erläutern wolle. Dies sei nämlich die umfassende Lehre und Weisheit von Gautama Buddha selbst, und sie werde auf verschiedenen Wegen und mit tiefgründigen Gleichnissen angesprochen, aufgedeckt, erklärt und verwirklicht. Dadurch könne man sich den Zugang zu dieser umfassenden Weisheit eröffnen.

Du musst jetzt darauf vertrauen, dass Buddhas Weisheit einfach dein natürlicher Zustand des Geistes ist“, sagte er zu dem Mönch.
Dann fuhr Daikan Enō mit einem eigenen Gedicht fort:

„Wenn der Geist in Täuschung ist, dreht sich die Blume des Dharma (allein).
Wenn der Geist in der Verwirklichung ist, drehen wir selbst die Blume des Dharma.

Wenn wir nicht Klarheit über uns selbst haben, wird (das Sūtra) wegen seiner (großen) Bedeutung
(unser) Feind, ganz gleich, wie häufig wir es rezitieren.
Ohne (selbstsüchtige) Absicht ist der Geist wahrhaftig.
Mit (selbstsüchtiger) Absicht wird der Geist falsch.

Wenn wir dieses „mit und ohne“ (Absicht) überschreiten,
fahren wir ewig mit dem weißen Ochsengespann.“


Montag, 22. Juni 2009

Welche Kraft kann den Geist der anderen erkennen? (Teil 1)

Kloster in Kamakura
In einigen esoterischen Gruppen besteht der Glaube, dass durch die intensive und ausdauernde Praxis die mystische Fähigkeit erlernt werden kann, den Geist der anderen Menschen vollständig zu erkennen. In diesem Kapitel untersucht Dôgen die Frage, wann und unter welchen Umständen jemand in der Lage ist, den Geist oder zumindest die Gedanken und Bilder der anderen Menschen zu lesen und zu erkennen.

Er bezieht sich dabei auf ein berühmtes Koan-Gespräch zwischen einem indischen Gelehrten, der nach China gekommen war, und dem großen chinesischen Meister Echu, der direkter Nachfolger von Daikan Enô war. Der damalige chinesische Kaiser hatte Meister Echu gebeten herauszufinden, ob der indische Gelehrte mit dem Namen Sanzo wirklich den anderen Geist erkennen könne. Diese Koan-Geschichte wird auch in dem Kapitel "Der Geist kann nicht erfasst werden" (Kap. 19) zitiert und erörtert.
In diesem Kapitel analysiert Dôgen den Inhalt und die Zusammenhänge des Koans noch tiefer und gründlicher und zitiert mehrere große alte Meister hierzu. Dann belegt er seine eigene Interpretation recht ausführlich.

Meister Echu war damals in China sehr bekannt und wurde ehrenvoll auch nationaler Meister genannt. Er galt als besonders unabhängig von den Machtstrukturen der damaligen Zeit und hatte nicht zuletzt deswegen den Ruf, immer die Wahrheit offen und klar zu äußern und keine gefälligen Äußerungen, Schmeicheleien oder Urteile abzugeben.

Dies mag sicher auch ein wichtiger Beweggrund des Kaisers gewesen sein, dass der Meister sich mit dem indischen Gelehrten Sanzo treffen solle, um ihn einschätzen zu können. Dieser hatte nach seiner Ankunft in China vollmundig erklärt: "Ich habe das Auge erlangt, das den Geist der Anderen intuitiv erkennt."

Bei ihrem Zusammentreffen machte der Inder eine Niederwerfung und der Meister fragte ihn:

"Hast du die Kraft, den Geist der anderen zu erkennen" und dieser antwortete: "Ich wäre nicht so vermessen (dies zu sagen)".

Er benutzte damit eine höfliche Ausdrucksweise, die aber in Wirklichkeit bedeutete, dass er in der Tat wirklich diese Kraft besaß. Durch die Verwendung dieser Höflichkeitsformel, die in China damals üblich war, wollte er seine Bescheidenheit dokumentieren, um nicht von Anfang an als überheblich zu gelten.

Der große Meister Echu sollte dies prüfen und stellte dem Gelehrten die scheinbar einfache Frage:

"Sage mir, wo ich jetzt bin, ich, der alter Mönch?"
Der Gelehrte antwortete darauf:
"Meister, ihr seid der Lehrer des ganzen Landes, warum seid ihr zum Westfluss gegangen, um ein Bootsrennen anzusehen?“

Er unterstellte dabei wohl, dass der Meister dem Bootswettbewerb zuschauen wollte. Da der Meister mit dieser Antwort überhaupt nicht zufrieden war, wiederholte er seine Frage und erhielt darauf eine ähnliche Antwort des Gelehrten:

"Meister, ihr seid der Lehrer des ganzen Landes, warum seid ihr auf die Tianjin-Brücke gegangen, um (jemanden) zu beobachten, der mit einem Affen spielt?"

Da dies den großen Meister Echu ebenfalls keineswegs befriedigte, wiederholte er seine Frage noch drittes Mal und erhielt dann aber überhaupt keine Antwort mehr. Der indische Gelehrte war verwirrt. Daraufhin kritisierte er ihn, weil er nichts mehr zu sagen konnte:

"Du (hast) den Geist eines wilden Fuchses, wo bleibt deine Fähigkeit, den Geist anderer zu erkennen"?

Bei dieser recht harschen Kritik blieb der indische Gelehrte wiederum sprachlos, weil er offensichtlich auf der Ebene des großen Meister nicht in der Lage war, ein tiefgehendes Gespräch im Sinne des Buddha-Dharma zu führen. Wenn man die beiden Antworten bedenkt, muss man in der Tat feststellen, dass sie doch recht platt und einfach sind und nur materielle äußere Tatsachen nennen, die durch die Sinne einfach wahrgenommen werden können.

Der indische Gelehrte konnte keineswegs den großen Geist des Meisters erkennen, wie er vorher gegenüber dem Kaiser behauptet hatte.Dôgen verdeutlicht darüber hinaus, dass der Gelehrte nicht einmal in der Lage war, die Gedanken des anderen zu lesen, die doch im allgemeinen recht konkret sind und im direkten Kontakt mit einer bestimmten Umgebung und in einem bestimmten Zusammenhang leichter erraten werden können.

Wie viel schwieriger sei es, den Geist eines anderen zu erkennen und dies umso mehr, wenn es sich um den Geist eines großen Meisters wie Echu handelt. Gelehrtes Wissen und die Beherrschung mehrerer Sprachen haben also wenig damit zu tun, dass man den Geist von anderen oder von sich selbst erkennen kann.

Freitag, 12. Juni 2009

Ein Leitfaden für die ZEN Kunst der Shakuhachi-Flöte (Teil 2)

Von Hisamatsu Fuyo (1818)
Übersetzung von Murakami Takashi und Yudo J. Seggelke

Die Töne der Flöten variieren. Eine Flöte kann gute Töne mit dem ersten und zweiten Loch erzeugen, aber sie kann es nicht mit dem dritten oder vierten. Eine andere Flöte kann es mit vierten oder fünften Loch machen, aber sie kann es nicht mit dem zweiten oder dritten. Wir nennen eine Flöte ein Meisterstück, wenn sie klare und stabile Töne aus allen fünf Löchern erzeugen kann. Eine solche Flöte ist selten und schwer zu finden. Die meisten Bambusse sind fehlerhaft gewachsen, wir können sie nicht mehr mit unserem Willen verändern. Wenn du solche Instrumente spielst, solltest du guten Gebrauch von deinen Fähigkeiten machen, ihre Töne zu berichtigen.

Einige Menschen machen Flöten willkürlich mit ihren Messern ohne die Anweisung des Meisters. Sie bringen die Anfänger um ihr Geld mit glänzenden Flöten, die mit den Blättern wie Muku und Tokusa poliert sind. Die Flöte für einen solchen Zweck zu benutzen, ist unverschämt. Solche Co-Künstler wandeln den Bambus mit ausgezeichneter natürlicher Qualität in unglückliches Handwerk um zum Nachteil für das Leben. Es ist traurig.

Viele Menschen glauben, dass alles was sie benötigen daraus besteht, die Bewegung der Finger auswendig zu lernen. Außer den Bewegungen der Finger seien die Unterschiede von Meri und Kari und der Rhythmus entbehrlich. Nur fortgeschrittene Anfänger können die Flöte frei spielen, nachdem sie die Fingerbewegungen gelernt haben. Anfänger und mittlere Lernende sollten dies niemals tun. Alles was sie tun sollten ist, ihrem Lehrer zu folgen. Daher ist es sehr wichtig, einen Meister zu finden. Nehme nicht einen falschen Weg. Wenn du nur die Fingerbewegungen kennen willst, warum verlässt du dich nicht nur auf die Noten.

Du kannst jemanden nicht einen Shakuhachi-Spieler nennen, der nur die Fingerbewegungen kennt. Vergiss nicht die Essens der Shakuhachi.
Wenn die Menschen dazu kommen, Töne zu erzeugen, die der Shakuhachi ähnlich sind, kritisieren sie offen die anderen.

Wenn sie jemanden überlegen finden, hassen sie ihn und haben keine Absicht, von ihm zu lernen. Im Gegenteil reden sie schlecht über ihn, um Anfänger zu verwirren.

Mit dieser Haltung werden sie in ihrem Leben die Shakuhachi-Welt nicht betreten. Sie gehen zu einem unkultivierten Land, um Laien zu täuschen mit unaufrichtigen Worten. Sie können nicht aufhören, Falsches zu tun, auch wenn ihre ärmlichen Fähigkeiten herauskommen und sie verachtet werden. Eine solche Verhaltensweise ist nicht passend für einen Spieler der Shakuhachi-Flöte. Führe ein Leben wie ein Juwel, das (vielleicht) in Stücken enden mag, eher als ein langes nutzloses Leben wie ein Ziegel.

Wenn ein Flötenmeister findet, dass ein Spieler ihm überlegen ist, ist es für ihn erstrebenswert, seine Schüler dadurch zu lehren, dass er sie dessen Spielweise hören lässt. Auch wenn er dies tut, werden die Schüler ihn nicht verlassen. Alles hängt von dem Charakter des Meisters ab.
Einige Menschen sind in die gegenwärtige Triomusik vertieft, ohne irgendeine traditionelle Musik zu spielen.

Sie haben die Sichtweise der Essens der Shakuhachi-Musik verloren, genauso wie ihren wirklichen Klang. Sie prahlen in der Welt und befriedigen sich mit ärmlichen Bekannten. Schütze dich vor jenen, die Falsches tun. Verbinde dich nicht mit solchen Menschen.


Ihre Mittel sind weit von der wahren Shakuhachi entfernt. Sie sehen aus wie Shakuhachi-Spieler, aber sie sind tatsächlich Diebe, die den Namen der Shakuhachi stehlen. Es ist wertlos, sie solch ein wertvolles Instrument des Zen benutzen zu lassen. Solche Menschen sollten durch die Fuke-Tempel streng verboten werden. Du kannst sie jedoch hier und da finden, weil wir es jetzt mit einer Welt in Unordnung zu tun haben. Gib dich in die Shakuhachi und sorge dafür, dass solche Menschen nicht eingelassen werden.

Dies ist der Abriss für Anfänger des Tuns und Lassens. Folge den Anweisungen deines Meisters für die Fingerbewegungen und andere Fähigkeiten. Diese Notiz wurde eine Zeitlang zurückgehalten, aber jetzt habe ich sie auf Bitten meiner Schüler übertragen 1818.

Mittwoch, 3. Juni 2009

Ein Leitfaden für die ZEN Kunst der Shakuhachi-Flöte (Teil 1)

von Hisamatsu Fuyo (1818).
Übersetzung von Murakami Takashi und Yudo J. Seggelke

Für Shakuhachi -Lernende ist es wichtig, müßiges Denken wegzuwerfen, sich selbst freizumachen von Gier und Wettbewerb, die Aufmerksamkeit auf den Unterleib zu konzentrieren und sich in die eigenen Töne einzutauchen. Spiele daher die Shakuhachi so, dass die Augen geschlossen sind. Ich empfehle besonders den Anfängern dies zu tun, sonst werden sie abgelenkt.
Fasse die Shakuhachi nicht zu fest an. Wenn du dies tust wirst du auch mental angespannt sein. Wenn du angespannt bist, kannst du dich nicht schulen. Identifiziere Spannung mit Krankheit für Shakuhachi -Spieler. Halte die Shakuhachi mit dem Daumen und dem zweiten Finger in der rechten Hand fest. Tue dies jedoch nicht zu hart.
Die Shakuhachi hat ihre eigenen Regeln. Sie sind Notierungen. Es ist nicht hinzunehmen, die Regeln zu brechen. Seid sicher, nicht von ihnen abzuweichen.
Es ist ganz wesentlich, eine Unterscheidung zwischen Meri (tief) und Kari (hoch) (bei den Tönen) zu machen. Es sollte vermieden werden, sie zu verwechseln. Dies wird Pfahlblasen genannt. Kraftvoll zu blasen ist akzeptabel, während es nicht akzeptabel ist, hart zu blasen.
Anfänger sollten nicht schönen Tönen nachsteigen. Es ist akzeptabel auf natürliche Weise dazu zu kommen, schöne Töne zu erzeugen, aber es ist nicht akzeptabel, deine Töne absichtsvoll schön zu machen.
Spiele die Musik zusammenhängend vom Anfang bis zum Ende, genau wie die ungeknickten Stängel eines Lotus. Mache Pausen mit viel Gefühl für den Atem. Achte auf deinen Atem, damit er den Fluss der Musik nicht aufhalten wird. Der Sinn solcher Fähigkeiten wie Tsuki, Iro und Nayashi ist es nicht den Fluss zu kontrollieren.
Musik hat ihren eigenen Rhythmus, verliere dies nicht aus den Augen. Leise Musik hat ihren eigenen Rhythmus. Langsame Musik hat ihren eigenen Rhythmus, Musik hat ihre eigenen verschiedenen Arten des Rhythmus. Praktiziere hart dies zu meistern.
Vor allem anderen sollten Anfänger die Fähigkeiten des Flötenspiels erlangen. Danach sollten sie sich schulen, sodass sie ihre Gefühle ausdrücken können. Fortgeschrittene können ihre Gefühle ausdrücken, ohne auf Kunstfertigkeiten zurückzugreifen. Die Gefühle auszudrücken sollte dem folgen, die Fähigkeiten zu erwerben. Wenn du nicht genügend Fähigkeiten erwirbst wirst du nicht in der Lage sein, deine Gefühle auszudrücken. Wenn die Anfänger sich damit beschäftigen, ihre Gefühle auszudrücken, werden sie ihr ganzes Leben lang in abstrakter Weise von der Shakuhachi reden. Verliere nicht deinen Weg.
Auch wenn deine Flöte gut klingt ist es falsch, sie gewaltsam zu spielen. Spiele die Flöte weich und heftig.
In der gegenwärtigen Zeit haben die Menschen kürzlich Flöten mit größeren Löchern gespielt. Lehne jedoch nicht die Flöte mit kleinen Löchern ab. Die Größe der Löcher hat solange keine Bedeutung wie du mit der Kraft des Körpers bläst. Ich empfehle den Anfängern jedoch eine Flöte mit größeren Löchern zu benutzen. Der Grund dafür liegt darin, dass die Flöte mit kleineren Löchern die Anfänger davon abhalten wird, mit der Kraft des Körpers zu spielen. Dies bleibt jedoch wahr ohne Bezug auf die Größe der Löcher.
Einige Menschen behaupten, dass es das Beste ist, die Flöte traurig, sorgenvoll und schmerzlich zu spielen. Ich stimme jedoch dem Spiel der Flöte in einer solchen Weise nicht zu. Der wichtigste Grund die Shakuhachi zu spielen, ist nicht der, dass andere, dir zuhören, sondern um dich selbst zu schulen. Wenn du es aufgibst um der anderen Willen zu spielen, werden die Zuhörer deine Aufführung von ganzem Herzen schätzen. Fühle wie Traurigkeit oder Glück beruhen nicht auf den Spielern, sondern auf den Zuhörern. Zweifel nicht daran.
Wenn du findest, dass die Spielweise und Melodie deines Gefährten von deiner eigenen abweicht, kritisiere ihn dafür nicht. Folge ihm, wenn du mit ihm zusammen spielst. Wenn du versuchst ihn zu dominieren oder er versucht dich zu dominieren, wird der gesamte Ton in Unordnung geraten. Es ist nicht wesentlich für einen Shakuhachi-Spieler, ein Duo aufzuführen, aber es ist eine gute Übung, den eigenen Ton in den deines Partners einzufügen und dich mit ihm zu integrieren. Es ist wichtig, sich gegenseitig zu helfen.
Verachte nicht die Musik, die vor Ort gespielt wird. Sie hat ihre eigene Feinheit und Tiefgründigkeit. Aber kopiere sie nicht. Denke darüber nach.
Ich empfehle Anfängern eine Shakuhachi-Flöte zu nehmen, die reine Töne hat. Wenn du mit einer Flöte übst, die keine richtigen Töne hat, wirst du auch aus der richtigen Stimmung herauskommen und einen falschen Pfad nehmen. Es ist schwierig für Anfänger, den richtigen Ton zu bestimmen auf der Grundlage eines falschen. Wenn du jedoch ernsthaft übst, musst du jedoch eine ungefähre Idee davon erfassen.