Freitag, 30. Dezember 2016

Buddhas Mittlerer WEG bei Erregung: Vertreibung von "Teufels"-Doktrinen



In diesem Kapitel des MMK gibt Nagarjuna einen Einstieg, wie wir auf dem Mittleren Weg mit starken Gefühlen, Affekten, Erregung, großer Liebe, großem Mitgefühl und letztlich mit Gier, Neid und Hass im Buddhismus richtig umgehen können und welche Doktrinen wir vor Allem destruieren sollten. Es ist klar, dass wir Extreme vermeiden sollten, um uns und anderen nicht zu schaden und unsere eigene Befreiung voran zu bringen.

In Sanskrit verwendet der Autor den Begriff raga, der aus Farbe und Färben abgeleitet ist: Wie werden Geist, Psyche und Körper durch Affekte, große Gefühle oder durch emotionale Fesseln und eruptive Durchbrüche verändert und gefärbt? Wie kann man sie steuern? Und weiter: Welches belastbare buddhistische Wissen gibt es dazu und was ist falsches Schein-Wissen, das heute im Internet auch als fake bezeichnet wird?

Fake-Informationen sind zunehmend zum drückenden Problem geworden, davon ist auch der Buddhismus leider nicht ausgenommen. Schnell-Erleuchtung ist ein wenn auch wirkungsloses Markt-Produkt geworden. In diesem Sinne ist es daher unsere Aufgabe, die tradierte verzerrte Lehre der Erregung und emotionaler Extreme gründlich zu entschlacken.

Buddha nennt bei den Hemmnissen des Erwachens Folgendes:„auf Sinnlichkeit gerichtetes Wollen“ sowie „Aufgeregtheit und Unruhe“, also materiell-sinnliche Gier und psychische Hektik. Sie sind oft unbewusst und können von manchen nicht mehr gesteuert werden. Das sind auch in der heutigen Zeit wichtige Probleme, die nicht einfach wegdiskutiert werden können.

Dem stellt Buddha bei den sieben Faktoren des Erwachens die Achtsamkeit, Energie, Gestilltheit und vor Allem die Freude gegenüber. Damit gibt er die Richtung für unserer Weiter-Entwicklung vor, nämlich die Überwindung von Kummer, Jammer, Gram Verzweiflung, Angst, Stress, Hoffnungslosigkeit und Zukunfts-Horror, unter denen heute so viele Menschen zu leiden haben. Bei der Betrachtung unserer Gefühle rät uns Buddha mit Achtsamkeit zu erkennen:“ Ein freudiges Gefühl empfinde ich“ oder „ein leidiges Gefühl empfinde ich".

Wichtig ist es deren Entstehen und Vergehen zu betrachten und zu „verstehen“, um daraus für die Gestaltung und Veränderung des eigenen Lebens Klarheit zu gewinnen: So werden neue Impulse und Energien wirksam. Dabei ergeben sich die Kraft, Motivation und der Mut zur Veränderung besonders durch Freude und nicht durch depressive und zerstörerische Selbst-Vorwürfe, wie manche verzerrt tradierte Religionen uns vielleicht weismachen wollen!

Wie baut der Autor nun dieses kurze und wichtige Kapitel auf?
Er beschreibt die vor-buddhistische Auffassung, dass Erregung und der erregte Mensch verschiedene und getrennte Sachen und Entitäten seien. Das hört sich kompliziert an. Was soll damit gesagt werden? Die Erregung wird dabei wie eine getrennte Wesenheit verstanden, die herbeikommt, den Menschen ergreift oder in ihn fährt. 

Die Teufel von Arezzo

Das erscheint recht skurril, ist aber auch in unserer Kultur in ähnlicher Form durchaus zu finden: Es erinnert mich an das berühmte mittelalterliche Bild der italienischen Stadt Arezzo, wo der heilige Franziskus die Teufel austreibt, die in die Bürger eingefahren waren. Die Menschen waren von den Teufeln besessen, die von ihnen getrennte böse Wesenheiten waren. Nach der Austreibung waren die Menschen von ihnen befreit und hatten ihre ursprüngliche Natur zurück gewonnen. Die Austreibung wurde nicht von ihnen selbst geleistet, sondern bedurfte einer höheren Macht. Nach dem Bild war es so möglich, dass die Teufel wieder ausgetrieben wurden: Und man sieht sie über den Dächern von Arezzo fliegend und zerknirscht verschwinden.
                                                 
Mir drängt sich der Vergleich mit Nagarjunas praktischer Philosophie auf: Die teuflischen Doktrinen sind wie die obigen Teufel schon immer irgendwo vorhanden und die Menschen sind dann noch natürlich und frei von den Täuschungen. Dann kommen die Doktrinen durch Erregung und Verlust der Mitte herbei, fahren in die Menschen ein und besetzen sie von innen: Die Menschen sind dann von den teuflischen Ideen, Vorurteilen, Konzepten und Spekulationen besessen. Durch den Mittleren WEG Buddhas und durch eigenes Handeln werden diese schädlichen Doktrinen wirkungsvoll vertrieben und die Menschen können erwachen. Sie haben sich befreit und sind leer von den teuflischen täuschenden Doktrinen

In ähnlicher Weise beschreibt Nagarjuna die altindische Doktrin einer getrennten "Erregung" (Entität), die fast einer eigenen Wesenheit gleicht, und dann mit dem Menschen zusammenkommt und ihn so erfasst. Damit wird ein psychischer Prozess körperlich und sogar materiell verstanden. Daraus ergeben sich spitzfindige theoretische philosophische Fragen, ob die Erregung vor dem Menschen da war und ihn dann ergriffen hat oder ob die Erregung umgekehrt erst später hinzu gekommen ist. Wenn die Erregung nun den Menschen ergriffen hat, stellt sich weiter die Frage: Sind die Erregung und der erregte Mensch dann eine Einheit oder nicht? Das ist im Übrigen die Frage von Identität oder Verschiedenheit, die auch in der westlichen Philosophie diskutiert wird

Buddha lehrte nun im Achtfachen Pfad ganz direkt, wie wir uns selbst befreien und emanzipieren können und verzichtet auf philosophische Spitzfindigkeiten, die praktisch wenig helfen. Auch Nagarjuna macht deutlich, dass er von derartigen Wesenheiten und Verdinglichungen psychischer Prozesse wenig hält. Aus der Gehirnforschung wissen wir, dass es um Bahnungen und synaptische Spuren im neuronalen Netz und deren Veränderungen geht. Damit ist auch wissenschaftlich begründet, dass die dargestellte Philosophie von getrennten Entitäten der Erregung wenig bringt.

Die weiteren von Nagarjuna behandelten theoretischen Themen sollen hier nur aufgezählt und nicht im Einzelnen behandelt werden: Kann es überhaupt einen Erregten geben, der immer und dauernd ein Erregter ist? Es könne keine Erregung geben, wenn kein erregter Mensch existiert. Und was ist der Fall, wenn Erregung und Erregter zwar gleichzeitig aber unabhängig und getrennt von einander „aufkommen". Kann man Erregung und erregten Mensch wie "Gefährten" verstehen oder nicht?

Nagarjuna spricht die damalige buddhistische Doktrin an: Geht es um das erwünschte Ziel, dass zunächst getrennte dauerhafte Entitäten von erregtem Mensch und Erregung angenommen würden, die dann durch den Buddhismus wunderbar vereint würden.

Schließlich verallgemeinert Nagarjuna den obigen entschlackten Zusammenhang auf alle Dinge, Phänomene und Prozesse (Dharmas) dieser Welt: Es gäbe in der Wirklichkeit nicht die totale Gleichheit und nicht den totalen Unterschied. Das sei ein Problem unseres Denkens oder unserer Sprache aber nicht der unteilbaren Wirklichkeit. Dies wurde im Zen-Buddhismus später weiter pragmatisch vertieft, soll hier aber nicht weiter behandelt werde.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Narajuna lehnt eine Doktrin metaphysischer gesonderter Entitäten für Erregung, Affekte und starke Gefühle, die getrennt von uns angeblich irgendwo existieren, und uns dann überfallartig wie eine Krake ergreifen oder uns ohne Gegenwehr überschwemmen, ab. Sie stimme mit dem authentischen Buddhismus nicht überein. Dabei möchte ich noch einmal an die mittelalterliche bildliche Darstellung der von Teufeln besessenen Menschen von Arezzo erinnern, die dann befreit werden. Es hat als Bild natürlich seine religiöse Kraft und Bedeutung und soll keineswegs herabgemindert werden.


Allerdings führt uns der buddhistische WEG der Befreiung und Emanzipation in konkreter Weise durch den Achtfachen Pfad Buddhas zum Gleichgewicht, zur Selbst-Steuerung und Selbst-Kontrolle. Er überwindet die Abhängigkeit von Erregungs-Zuständen oder explodierenden Affekten und umfasst ganz konkret: Rechte Sichtweise, rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Lebenswandel, rechte Bemühung, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung (Meditation). Er kann am besten als „gemeinsames Entstehen in Wechsel-Wirkung“ verstanden und gegangen werden.

Samstag, 24. Dezember 2016

Lotos-Sutra: Alle Menschen erlangen Erleuchtung

(Aus meinem Buch: Lotos-Sutra und Zen-Perle)


Buddhas Weissagung im Lotos-Sūtra: Alle Menschen erlangen irgendwann die Erleuchtung und die buddhistische Freiheit!
Ein sehr wichtiger Teil dieses Sūtra ist die Aussage Buddhas zur Befreiung der Menschen, selbst wenn sie noch so tief in Schwierigkeiten, Unkenntnis und falschem Handeln verstrickt sind. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür ist Buddhas Vetter Devadatta, der nach buddhistischer Überlieferung die Sangha gespalten und Buddha verleumdet hat. Aber sogar ihm wird im Lotos-Sūtra geweissagt, dass er irgendwann ein Buddha werden wird.

Dōgens Interpretation des Lotos-Sūtra bleibt nicht dabei stehen, die schöne, aber unbewegliche Lotosblüte zu bewundern, sondern er bezieht den Buddha-Dharma ein, indem er den berühmten Satz des großen Zen-Meisters Daikan Enō (Dajian Huineng) untersucht, der erklärt, dass sich die Blume des Buddha-Dharma, die durch die Lotosblume symbolisiert wird, dreht, und dass sich genau in dieser Bewegung, Drehung und Dynamik die Gesundung der Welt und Befreiung des Menschen ereignet.

Wer dumpf und unklar ist, bemerkt diese befreiende Dynamik der sich drehenden Dharma-Blume nicht. Aber wer auf dem Buddha-Weg Freiheit und handelnde Energie erlangt hat, dreht selbst die Dharma-Blume der Wahrheit und gestaltet zugleich sich selbst zusammen mit dieser Welt.

Für mich stellt diese Aussage zur Bewegung, Dynamik und, wie es hier heißt, Drehung einen fundamentalen philosophischen Fortschritt gegenüber einem statischen Seins-Verständnis der Welt dar. Bei Buddha und dem großen indischen Philosophen Nāgārjuna findet sich dazu die tiefgründige Lehre von der Bewegung und Entwicklung: das wechsel-wirkende gemeinsame Entstehen, pratitya samutpada. Ich bin sicher, dass Dōgen mit dem Zitat des Zen-Meisters Daikan Enō genau diese zentrale Aussage des Buddhismus ansprechen wollte.

Im Zusammenhang mit der Lehre von Bewegung und Entwicklung möchte ich nun den großen buddhistischen Meister Padmasambhava, den „Lotosentstandenen“, zu Wort kommen lassen. Er wurde im 8. Jahrhundert vermutlich im Ost-Iran geboren und hat wesentlich in Tibet gewirkt (ohne Inder oder Tibeter zu sein). Für ihn sind die Schönheit, die Bewegung der Welt, das Licht und die Helligkeit von zentraler Bedeutung. Seine Texte zeichnen sich aus meiner Sicht durch tiefe Poesie und große Glaubwürdigkeit aus:

„Aus dem Zentrum des Daseins, die reine sichtbare Erscheinungsform, der dem Himmelsraum (gleichenden) wirbelnden Spiralbewegung (des Seins)
haben sich unaufhörlich schöpferische Fähigkeiten als ein strahlendes Licht manifestiert:
Die seinsmäßige Turbulenz hat sich als meine schöpferische Fähigkeit erwiesen.
Und das strahlende Licht ist die schöpferische Kraft meines Spiels (und meiner freudigen Bewegung).“
Wie der Übersetzer und Kommentator Herbert Guenther mit Peter Gäng zurecht betont, sind die Arbeiten Padmasambhavas bisher viel zu wenig beachtet worden und verdienen es, in buddhistischen Kreisen gründlich gelesen und stärker wahrgenommen zu werden.[1]





[1] Guenther, Herbert: Wirbelndes Licht, S. 47

Dienstag, 20. Dezember 2016

Mein neues Buch: Lotos-Sutra und Zen-Perle


Meister Dogens tiefe poetische Weisheit
(Yudo Seggelke)

Die Dharma-Blume des Lotos dreht die Blume der Welt und des Lebens.
Dogens Lotos-Sutra beschreibt die buddhistischen Wirklichkeit: Die tiefgründige Parabel des brennenden Hauses und den erwachten Zustand unserer wirklichen Natur.

Als Symbol für eine solche Entwicklung und Befreiung ist die Lotosblume besonders treffend. Sie lässt ihre Knospe aus dem Schlamm und dem schmutzigen Sumpf des Gewässers an die Oberfläche und zum Licht wachsen, um die Blüte dann in ihrer ganzen überwältigenden Schönheit der Sonne zu öffnen. Damit ist der Entwicklungs- und Befreiungsweg des Buddhismus präzise beschrieben.

Der zweite Teil: "Die leuchtende Perle", beschreibt Meister Gensas buddhistischen Weg, um an der Kraft und Wahrheit von Freiheit und Leichtigkeit teilzuhaben. Die Perle ist das Symbol für das befreite Leben und das Universum.

Dieser große Zen-Meister verband klares Erleben mit poetischer Kraft und Direktheit. Eine Perle rollt, bewegt sich und spiegelt dabei nicht zuletzt durch ihre eigene Schönheit die Welt in ihrer ganzen Schönheit wider. So kann auch unser Leben sein.

Im Anhang ist die neue deutsche Übersetzung der wichtigsten Zitate aus dem Lotos-Sutra abgedruckt.

Online-Kauf: z. B .:
eBook: 

Montag, 19. Dezember 2016

Entschlackung der buddhistischen Grundlagen im MMK


Für unseren buddhistischen Weg der Befreiung benötigen wir verlässliche Fakten und Grundlagen, sonst werden wir später enttäuscht und folgen irgendwelchen Versprechen, die nicht eingelöst werden. Was sind nun die verlässlichen Grundlagen? Buddha und Nagarjuna verstehen die Wirklichkeit als gemeinsames Entstehen in Wechsel-Wirkung und bauen darauf den WEG als menschlichen Prozess der Befreiung, Emanzipation und Weiterentwicklung auf. Nishijima Roshi und ich folgen ihnen dabei. Dazu gehört nicht zuletzt die Meditation des Achtfachen Pfads, zum Beispiel des Zazen nach Dogen: die Entleerung des Geistes von Verhärtungen, Vorurteilen und Doktrinen.

Im ersten Kapitel des MMK werden in einem „Rundum-Schlag“ Fehlentwicklungen, Dogmatisierungen, naiver Volks-Buddhismus, Populismus und unnötige intellektuelle Verwirrungen der damaligen Zeit konsequent angegangen und überzeugend richtig gestellt. Das ist ein radikales Vorgehen, das für mich auch in der heutigen Zeit ins „Schwarze trifft“.

Welche Eckpunkte werden behandelt?
Zunächst geht es um den falsche Glauben, dass Irgendetwas in der Welt total aus sich selbst entstanden sei, so etwas könne man in der Realität nicht erkennen. Alles entsteht in Wechsel-Wirkung und ist miteinander vernetzt; das wird auch eindeutig durch die Gehirnforschung nachgewiesen und hat weit reichende Folgen für den Buddhismus. Besonders wichtig ist dieser Fakt für die heutigen Menschen: Wer in narzisstischer Selbst-Überschätzung an sein eigenes Ich als alleinigen unwandelbaren Mittelpunkt der Welt glaubt, liegt völlig falsch. Irgendwann wird er dann vereinsamen, keine echte Freude im Leben haben und depressiv werden. Und: Der Starke ist am schwächsten allein, wenn er sich isoliert.

Und weiter. Nagarjuna nennt vier Faktoren dieser Wechsel-Wirkungen:
die Veranlassung, dass etwas Bestimmtes passiert (häufig als „Ursache“ bezeichnet);
die strukturellen Stütze z. B. die materiellen Umgebung;
die zeitliche Abfolge von Prozessen und
etwas Übergeordnetes, wie z. B. der Sinn in unserem Leben.

Weitere Faktoren gibt es nach Nagarjuna nicht. Sie sind m. E. direkt nachvollziehbar und im Einklang mit der modernen Systemtheorie. In manchen buddhistischen Linien gibt es einhundert und mehr derartige Faktoren, die dann noch weiter unterteilt werden. Davon hält der Autor also nichts. Ich folge ihm, weil das Zentrale des WEGes unsere eigene Entwicklung und Befreiung ist und keine komplizierten Schemata von statischen Bedingungen, die uns angeblich determinieren.

Durch unser eigenes Tun und Handeln, also durch unsere eigenen Kräfte, Energien und Therapien, können wir auf die genannten wechsel- wirkenden Faktoren einwirken. Wir müssen nicht alles passiv erdulden und hinnehmen, sondern können aktiv durch die von uns selbst gesteuerten Prozesse eingreifen. Dabei sind gute Lehrer besonders hilfreich, schlechte Lehrer aber sehr gefährlich, wie auch Dogen betont.

Wenn bei den Menschen überhaupt Nichts entsteht, also Statik oder Erstarrung vorherrscht, gibt es auch keine Veränderungen zum Guten. Dann verkümmert unser neuronales Netz in unserem Kopf immer mehr, und Kreativität und Freude im Leben verschwinden. Das passiert, wenn man Doktrinen einfach übernimmt und nicht hinterfragt, ganz gleich, ob sie nun als heilig verkündet werden oder nicht. Es kommt immer auf die eigene Erfahrung an.

Nagarjuna fragt, was wir in unserem Leben realistisch erreichen und erzielen wollen. Welche Ergebnisse und welches „Erzieltes“ streben wir sinnvoller Weise an und welche romantischen Utopien oder Dumpfheiten schaden uns? Buddha sagt: "Es ist sinnlos zu wünschen, was nicht wünschbar ist". Wir müssen uns davor hüten zu glauben, dass ein erwünschtes Ergebnis ohne Wechsel-Wirkung und eigenes Tun „vom Himmel fällt, so als ob es schon fertig irgendwo vorhanden gewesen wäre (Doktrin einer unveränderlichen isolierten Substanz oder Entität). Das wäre eine Ideologie von Ergebnissen ohne zeitliche Prozesse, wie ein isoliertes unveränderliches Ding und ist besonders irreführend und realitätsfremd: Es ist die verführerische Scheinwelt von Populisten. Und solche gibt es nicht nur in der Politik sondern leider auch im Buddhismus.

In der vor-buddhistischen indischen Philosophie wurde angenommen, dass die Welt aus unveränderlichen Bausteinen, den Dharmas, aufgebaut und zusammengesetzt ist. Sie wurden sogar als ewige Dinge und Phänomene bezeichnet. Nagarjuna warnt uns eindringlich davor, dass wir uns diese Bausteine als unveränderliche und unteilbare Atome und Ideen vorstellen. Denn wenn sich alles in der Welt verändert, kann es auch keine unveränderlichen materiellen und geistigen Bausteine geben. Wir wissen heute, dass auch Atome teilbar sind und sich in kleinste Prozesse von Energien umwandeln können. Die Doktrin von Geistes-Bausteinen ist völlig unhaltbar.

Diese alte vor-buddhistische Philosophie kann nämlich Wechsel-Wirkungen, Prozesse und Veränderungen der Realität nicht erklären, sie ist daher mit Buddhas Lehre und unserer Erfahrung der sich entwickelnden Veränderungen überhaupt nicht vereinbar. Solche vagen und ungesicherten Doktrinen sind für uns Menschen und unsere geistigen und psychischen Prozesse der Befreiung, Emanzipation und Entwicklung völlig unbrauchbar und eindeutig irreführend. Sie waren zu Nagarjunas Zeiten unterschwellig in neuem Gewand wieder erstarkt und sind leider auch heute z. T. zu beobachten.

Im Buddhismus geht es um positive Veränderungen, deren Ergebnisse oft als Früchte oder Verdienste bezeichnet werden. Im Volks-Buddhismus gibt es zudem den Glauben und die Hoffnung, dass diese Früchte des jetzigen Lebens einfach und unverändert durch die Wiedergeburt zum nächsten Leben weitergegeben werden. Aber so einfach ist das nicht, wie Nagarjuna nachweist. Dabei würden auch die Früchte fälschlich als isolierte Dinge (Entitäten) und ohne Wechsel-Wirkungen verstanden.

Nagarjuna destruiert einen solchen Glauben, und sei er noch so feinsinnig mit scharfsinnigen angeblich unabweisbaren Argumenten begründet. Sie sind in sich widersprüchlich und nicht haltbar. Er warnt uns eindringlich davor, irgendetwas naiv und unreflektiert zu glauben oder uns auszudenken, was wir uns zwar so sehr wünschen, das aber nicht mit der erfahrbaren Wirklichkeit übereinstimmt. Es muss zu Enttäuschungen und Stillstand führen. Wir kommen so auf dem Weg der Befreiung nicht voran:


Nicht ein fernes erträumtes Ergebnis ist der Mittlere WEG der Überwindung von Hindernissen und Blockaden (abgehobener Idealismus), sondern Befreiung durch unser klares aufrichtiges Handeln im konkreten Hier und Jetzt!

Freitag, 9. Dezember 2016

Der tradierte buddhistische WEG: Schlacke oder Leben?


Das Kapitel zum Gehen und Geher des Mittleren WEGes von Nagarjuna (MMK) ist von zentraler Bedeutung aber auch durch z. T. schwierige Deutungen geprägt. Für viele von uns dürfte dieser Text in den heute vorliegenden Fassungen schlicht unverständlich sein: Ist es nur noch die ausgebrannte intellektuelle Schlacke alter buddhistischer Kontroversen? Und wo ist der lebende Funke, der heute zu uns überspringt? Diesen Fragen möchte ich nach nunmehr 16 Jahren Arbeit am MMK nachgehen, die ich überwiegend mit meinem Lehrer Nishijima Roshi zusammen machte. Und ich möchte versuchen, die Kernpunkte dieses wichtigen und tiefgründigen Kapitels möglichst verständlich für Sie zu formulieren.

Es ist in vier Bereiche gegliedert:
Zuerst geht es um den Weg, den wir begehen: also das Begangene. Wir können es als konkreten Weg verstehen, den wir jeden Tag wo auch immer gehen. Wir können es außerdem symbolisch und gleichnishaft als buddhistischen Weg begreifen, wie Buddhas Achtfachen Pfad und den Mittleren WEG. Nagarjuna beschreibt und untersucht hier, wie und auf welche Weise solche Wege von uns tatsächlich begangen werden können und sollten und wann sie Fiktion sind.

Er sagt klar, dass wir nur in der Gegenwart wirklich gehen und der Weg wirklich begangen wird, denn in der Vergangenheit und Zukunft gibt es unser Gehen nur in unserem Gehirn als Vorstellung, Erinnerung oder Erwartung. Ein solcher gedachter buddhistischer Weg ist aber nicht die Wirklichkeit hier und jetzt als Handeln und Leben. Wenn der WEG als Doktrin verschlackt ist, kommen wir auf ihm leider überhaupt nicht voran, denn er kann nicht wirklich begangen werden! Es mag sein, dass wir aufgrund der Lehren des Befreiungs-Weges in unserem Gehirn eine feste Vorstellung von ihm haben. Und wenn wir den WEG nicht konkret begehen und erfahren, gibt es nach Nagarjuna sogar zwei begangene Wege: den wirklichen und den nur erdachten und theoretisch erlernten. Beide weichen zwangläufig voneinander ab.

Im zweiten Teil untersucht der Autor, wer eigentlich auf dem Weg geht. Er fragt uns, ob wir wirklich von einem Geher sprechen können, wenn der „Geher“ gerade steht, sitzt oder liegt. Ist er immer ein Geher bis an sein Lebensende oder vielleicht sogar ein ewiger Geher? Und war er schon immer als Wesens-Kern ein Geher, vielleicht sogar bevor er laufen lernte? Das wäre allerdings weltfremde Metaphysik. Und weiter: Wenn ein Lügner nicht lügt, ist er dann auch ein Lügner? Buddha beschreibt einen furchtbaren Mörder, der dann in die Sangha eintrat und Erleuchtung erlangte. War er dann noch ein Mörder oder viel mehr ein Erleuchteter oder sogar beides? Und wenn er wieder aus der Erleuchtung zurückfällt, ist er dann immer noch ein Erleuchteter?

Wir sehen an diesen Beispielen, dass die Sprache und ungenaue Doktrinen oft falsche Fakten behaupten und unsere Veränderungen und Emanzipations-Prozesse ungenau oder sogar fehlerhaft beschreiben. Das Gegenteil gilt für den Augenblick der Gegenwart mit unseren vernetzten Lebens-Prozessen. Beim buddhistischen Weg geht es gerade um den Prozess der Überwindung des Leidens durch das von uns selbst gesteuerte Training von Körper und Geist: Das sind vernetzte Wechsel-Wirkungen und keine Fiktionen.

Nagarjuna beweist in logischer Präzision, dass es durch ein erstarrtes buddhistischen Denken und Reden beim Gehen zwei Geher geben müsste, einen wirklichen und einen in unserem Gehirn vorgestellten. Es müsste daher zusammen mit den obigen beiden Gehern des begangenem Weges sogar insgesamt drei Geher geben, zwei fiktive und doktrinär erdachte und einen wirklichen. Aber das ist natürlich totaler Unsinn. Denn die Wirklichkeit des gehenden Menschen ist nicht mehrfach dualistisch gespalten, sondern eine Ganzheit: Ein Mensch geht auf dem Weg.

Im dritten Teil beweist der Autor scharfsinnig, dass es beim Gehen auf einem Weg keinen Anfang und kein Ende geben müsste, wenn man den lebenden vernetzten Prozess des gehenden Menschen nicht ganzheitlich versteht und sich an Worte, Theorien und Logiken klammert. Dann wären Weg und Gehen dauerhafte unveränderlich Entitäten oder Substanzen eben ohne Anfang und Ende. Das ist natürlich falsch, da alles in unserer Welt letztlich veränderlich ist, wenn wir die Wirklichkeit unverstellt und direkt erfahren und beobachten. Wenn also ein Mensch selbstverständlich und weitgehend automatisch schlendert, wandert oder eilt, und wir sehen, wann er beginnt und wann er aufhört zu gehen. Aber wie viele Menschen gehen wirklich achtsam und locker und sind nicht durch Gedanken, Grübeln und Gefühle irgendwo weit weg vom Hier und Jetzt? Wir können auch achtsam-entspannt gehen und kommen so zur Ruhe. In der modernen hektischen Welt finden wir nicht viele solcher Menschen, die ihre Mitte verwirklicht haben, was eigentlich gar nicht so schwierig ist. Am besten also: Ruhe in der Bewegung und Bewegung in der Ruhe.

Im vierten Teil geht es um den gesamten Zusammenhang vom begangenen Weg, dem Gehen als Handeln und dem gehenden Menschen. Wenn wir dabei ein nur gedachtes Weltbild von verschlackten buddhistischen Doktrinen haben, kommen wir unweigerlich in die Sackgasse: Das ist nicht der buddhistische Weg der Befreiung, Kreativität und Lebensfreude im Augenblick. Nagarjuna stellt schlicht fest: So können wir keinen Gang, keinen begangenen Weg und keinen Geher finden. Das klingt paradox, ist es aber nicht: Er meint die unwirkliche Welt der Einbildungen, Theorien und Doktrinen in unseren isolierten Gehirnen. Man kann sich viele unwirkliche Schein-Welten ausdenken und an sie glauben.

Buddha und Nagarjuna verstehen die Wirklichkeit der Welt daher als „gemeinsames wechsel-wirkendes Entstehen“ ohne Extreme, ein Entstehen, das von uns selbst beeinflussbar und steuerbar ist. Wenn wir den buddhistischen WEG so verstehen und praktizieren, kann man zwischen dem Passiv des begangenen Weges und dem Aktiv des gehenden Menschen nicht mehr sinnvoll unterscheiden, wie es uns Sprache und Meinungen vielleicht suggerieren. Das direkte Handeln übersteigt die Theorie, die Sprache, sowie Aktiv und Passiv. Es kommt genau auf den Augenblick unseres achtsamen unverstellten Handelns an. Eine solche Wirklichkeit ist eine lebendige Ganzheit auf dem Achtfachen Pfad und dem Mittleren WEG.

Und wenn wir dies ungeteilt und ohne Ablenkung erfahren, erfüllt es uns mit Freude, Klarheit und befreit uns vom Stress. Diese Tatsache hat auch die heutige Gehirnforschung eindeutig nachgewiesen. Buddha, Nagarjuna und Zen-Meister Dôgen wussten es schon deutlich früher.


Samstag, 3. Dezember 2016

Buddhismus entschlacken: Der Mittlere Weg und die Populisten


Die Präambel
Eine Ouvertüre des Mittleren Weges

Die Präambel des Mittleren Weges (MMK) von Nagarjuna beschreibt in sehr kompakter Form vier Kern-Aussagen. Sie lenkt unseren Geist und unser Leben auf das große Anliegen Nagarjunas, eine belastbare Grundlage für den authentischen Buddhismus zurückzugewinnen und gleichzeitig die philosophische Entwicklung in Indien seit Buddha einzubeziehen und zu nutzen.

Damit wird m. E. das Tor für die weite Verbreitung der korrekten buddhistischen Lehre und Praxis bis hin zur Moderne im Westen geöffnet. Was sind nun die Kern-Aussagen der Präambel, die in den folgenden Kapiteln des MMK im Einzelnen bearbeitet und belegt werden?

Im ersten Teil werden acht wichtige buddhistische Begriffe verneint, z. B. „nicht zur Ruhe kommen“ und „nicht Entstehen“. Damit fordert der Autor uns auf, die nur oberflächlich verstandenen Begriffe in Frage zu stellen, die nicht selten dogmatisch verhärtet sind und zu Worthülsen verkommen. Sie sollen entschlackt und zu neuer Kraft und zu neuem Leben erweckt werden. Es geht keineswegs um deren vollständige Ablehnung, wie nihilistische Interpreten behauptet haben. Nihilismus ist eine extremem Philosophie, die nach dem Mittleren Weg gefährlich und abzulehnen ist.

Nagarjuna will m. E. ganz klar zwischen den Vorstellungen und Dogmen in unserem Gehirn und der Realität der Wechsel-Wirkungen unterscheiden. Es geht ihm darum, wann und wo solche Vorstellungen und Dogmen sich in unserem Gehirn verselbständigt und isoliert haben. Dann haben sie den Bezug zur Wirklichkeit verloren, sind meistens Täuschungen und es gibt keine Wechsel-Wirkung von Realität zu unserem Denken. In der heutigen Zeit ist dies unser Problem mit den lügenden Populisten, die bewusst zu ihrem eigenen Vorteil eine von der Realität getrennte Scheinwelt in unseren Gehirnen erzeugen wollen. Bei Buddhisten haben Sie damit keinen Erfolg!

Dann kommt die zentrale Botschaft des MMK:
Die Realität der Welt und des Lebens kann durch das „wechsel-wirkende gemeinsame Entstehen“ treffend verstanden werden. Diese Wechsel-Wirkung ist die wirklich belastbare Grundlage für unseren eigenen Weg der Befreiung, Emanzipation und Weiter-Entwicklung, also der Überwindung des Leidens und des Erwachens. Sie ist gleichzeitig der Schlüssel zu dem Begriff der Leerheit, die diese Wechselwirkung bezeichnet, nicht mehr und nicht weniger. Damit werden mythologischen Bedeutungen (Ontologie und Metaphysik) der Welt abgelehnt und destruiert. Sie sind Hemmnisse auf dem Weg der Befreiung. Die obigen Negationen sind das falsche Weltverständnis einer Wirklichkeit, die keine Wechsel-Wirkung kennt und nicht mit dem authentischen Buddhismus übereinstimmt. Das berühmte Herz-Sutra stimmt im Übrigen mit dem MMK und den obigen Aussagen überein.

Auf dem buddhistischem Weg kommen vielfache Fehlentwicklungen unseres Leben zur Ruhe, die uns häufig hemmen und verwirren. Sonst würde unser fast unbegrenztes menschliches Potential ungenutzt bleiben, wir würden es schlicht vergeuden.

Gautama Buddha zeigte uns als vollkommen Erwachter diesen Weg der Befreiung. Nagarjuna verehrt ihn als den größten Lehrer und den „besten der Sprechende

Freitag, 25. November 2016

Die Buddha-Natur hier und jetzt erfahren: Oder doch weiter weg?



Die Buddha-Natur wirklich zu kennen, bedeutet, dass wir sie genau hier und jetzt erfahren. Sie ist die wahre Natur des Menschen und der Welt, die nicht von Ideologien, Täuschungen, Illusionen, aber auch nicht von Gier, Hass, Ablehnung und Neid abhängt. Und die Buddha-Natur hat in uns sehr viele positive Potentiale, mehr als Sie vielleicht denken.

Psychische Phänomene wie Enttäuschung, Verzweiflung oder Lebensangst verstellen dagegen die direkte Erfahrung der Buddha-Natur. Dasselbe gilt für gedachte oder gar konstruierte Ursachen und Umstände, dass zum Beispiel der Lehrer oder Meister in uns von außen die Buddha-Natur erzeugt und uns gibt. Solche Vorstellungen beziehen sich nicht auf den Augenblick hier und jetzt und haben keine Klarheit. Im Augenblick zu leben und den Geist gerade nicht herumwandern zu lassen, bringt uns Freude und Ruhe.

Wandernde Gedanken und einer herumwandernder Geist drückt unsere Stimmung und macht uns einsam und Grübeln erzeugt Elend. Das hat die Gehirnforschung und Psychologie ganz klar nachgewiesen! Im Zen ist das schon seit Langem bekannt.

Die wahre Bedeutung der Aussage im Zen:„wenn die Zeit gekommen ist“ kann daher nur sein: „Die Zeit ist schon gekommen“, sie ist die Gegenwart, sie ist jetzt. Daran kann es keinen Zweifel geben. Aber selbst Zweifel kann die Sein-Zeit sein: Wenn wir uns des Zweifels bewusst werden, gibt das zusätzliche Klarheit und die Möglichkeit, ihn zu überwinden – dann ist laut Dôgen die Buddha-Natur schon verwirklicht: Aus dem Zweifel in die Klarheit.

Er betont, dass wir die Zeit nicht vergeuden sollen. Den ganzen Tag, also 24 Stunden lang, existiert die Buddha-Natur genau hier und jetzt. Es geht dabei nur um die Gegenwart: Wir sollen zum Beispiel verantwortungsvoll handeln, Zazen praktizieren, die Dinge und Phänomene klar und genau ansehen, ganzheitlich hören und ohne eigenen Vorteil anderen helfen. Auch das Smartphone einmal ganz ausschalten, nicht immer erreichbar sein, und so im Jetzt zur Ruhe kommen. Präzise ausgedrückt heißt dies, „dass die Buddha-Natur nicht (irgendwann von irgendwoher) ankommt“, sie wartet oder versteckt sich nicht in der Ferne, auch nicht im Internet, sondern sie ist bereits da. Die Buddha-Natur ist selbst direkt offenbar; es hat niemals irgendeine Zeit gegeben, die nicht Buddha-Natur war.

Nun zitiert Dôgen den ehrwürdigen Ashvaghosha, den zwölften indischen Dharma-Nachfahren.[i] Ashvaghosha lehrte seinen Nachfolger Meister Kapimala den Ozean der Buddha-Natur:

„Die Berge, die Flüsse und die Erde sind alle auf der Grundlage (der Buddha-Natur) geschaffen.
Der Samâdhi und die sechs Kräfte manifestieren sich selbst und beruhen auf ihr.“[ii]

Nishijima und Cross erläutern dazu, dass Dôgen mit diesen Worten Ashvaghoshas überwiegend theoretische Untersuchungen der Buddha-Natur abschließt und auf die konkrete Welt, hier die Berge, Flüsse und die Erde, überleitet. Er bezeichnet sie als den umfassenden Ozean der Buddha-Natur und fügt hinzu, dass es genau um den Augenblick geht, in dem die Berge, Flüsse und die Erde entstehen und geschaffen werden. Dann sind sie wirkliche Berge und Flüsse.

Der Ozean verweist auf die Grenzenlosigkeit und All-Gegenwart des Lebens. Nishijima Roshi sieht den Ozean als Symbol für die vierte und höchste Lebensphilosophie, also den Zustand des Erlangens der Wahrheit. Ein solches Leben ist jedem zugänglich. Eingeengte materielle Dimensionen wie innen, außen und in der Mitte haben damit ihre Bedeutung verloren. Dasselbe gilt für Ideologien und Dogmen.

„Die Berge und Flüsse anzuschauen, ist dasselbe wie die Buddha-Natur anzuschauen.“

In dieser Aussage kommt das tiefe Verständnis des Zen-Buddhismus für die Natur zum Ausdruck, die Dôgen in mehreren Kapiteln poetisch beschreibt.[iii] Wenn wir Tiere erleben, erfahren wir die Buddha-Natur, erklärt er und spricht in diesem Zusammenhang ganz konkret vom „den Kiefern des Esels“ und den „Nüstern des Pferdes“. Dabei wird das subjektive und objektive Verständnis, also die dualistische getrennte Sicht des Universums überschritten, es geht um die Ganzheit und Einheit mit uns selbst.
Das führt zum großen Frieden.






[i] Kap. 15, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 141 ff.: „Die Buddhas und Vorfahren im Dharma (Busso)“
[ii] Shobogenzo, Bd. 2, S. 6, Fußnote 24
[iii] vgl. Seggelke, Yudo J.: Umwelt-ZEN

Samstag, 19. November 2016

Buddha warnt vor der giftigen Schlange

 Nishijima Roshi arbeitet an seinem Buch zu Nagarjunas Mittlerem Weg

In dem Gleichnis von der giftigen Schlange geht es um das falsche und damit gefährliche Verständnis der buddhistischen Lehre oder aber um deren richtige Verwirklichung. Buddha wird deutlich:

„Manche unverständigen Leute lernen die Lehrsätze auswendig, erforschen aber nicht weise deren Sinn. Dann gewähren die Lehrsätze ihnen aber keine Einsicht. Sie erlernen sie nur, um darüber zu reden und Meinungen äußern zu können, aber den Zweck, zu dem man diese Lehren erlernt, begreifen sie nicht. Ihnen werden die falsch aufgegriffenen Lehren für lange Zeit zum Unheil und Leiden gereichen, weil sie sie falsch begriffen haben. Das ist so, wie wenn ein Mensch eine Schlange fangen möchte, tatsächlich eine große Schlange findet und sie am Körper oder am Schwanz ergreift.“

Dann würde die Schlange sich blitzschnell umwenden und ihm in die Hand, in den Arm oder in ein anderes Glied beißen. Wer so leichfertig mit der Schlange umgeht, müsste tödliche Schmerzen oder sogar den Tod erleiden, weil er sie völlig falsch ergriffen habe. Und dass es giftige Schlangen in unserer Welt gibt, wird sicher niemand bezweifeln!

In diesen kurzen Sätzen wird von Buddha unmissverständlich gesagt, dass es keinen Sinn macht, die buddhistische Lehre nur auswendig zu lernen und sich sogar damit zu brüsten, um sich vor anderen aufzuwerten. Es geht um die wirkliche Verarbeitung und Verwirklichung der Lehre als je eigenen Befreiungs- und Emanzipations-Prozess.

Man sollte die authentischen Texte sowohl verstehen als auch im eigenen Erleben konkretisieren und damit die eigenen Verhaltensweisen und Handlungen verändern und voranbringen. Die Lehre kommt damit in Wechsel-Wirkung zum eigenen Leben, verändert dieses und erreicht erst dadurch die klare Wirkung auf dem Weg der Befreiung und Emanzipation.

Buddha redet sehr praktisch und betont bei der giftigen Schlange, dass es einen gegabelten Stock gibt, mit dem der Mensch die Schlange richtig packen kann, ohne dass er selbst in Gefahr gerät und

„sie dann mit festem Griff am Halse ergreift. Wenn dann die Schlange seine Hand und seinen Arm oder ein anderes Glied mit ihrem Leib umringelt, so erleidet er deswegen doch nicht den Tod oder tödliche Schmerzen.“

Im mittleren Weg können wir bei Nâgârjuna in dem besonders wichtigen Kapitel zu den Vier Edlen Wahrheiten dieses Gleichnis wieder finden, wo er es für die falsch verstandene Leerheit benutzt. In der Tat wird mit dem Begriff und einer dogmatischen Vorstellung der Leerheit im Buddhismus vielfältige Verwirrung gestiftet oder sogar erhebliches Unheil angerichtet, ohne dass der Zusammenhang und die Bedeutung wirklich geklärt ist.

Es geht dann nach dem Motto: In der Leerheit verschwinden alle Unterschiede und Schwierigkeiten der Realität, daher ist alles das Selbe und egal. Dabei wurde Bedeutung der Leerheit nicht wirklich gründlich durchdacht, erarbeitet und erfahren. Das ist auch nicht so einfach.

Nâgârjuna verwendet den Begriff der Leerheit für die Bezeichnung der Wechsel-Wirkung beim gemeinsamen Entstehen (pratitya samutpada) in der Wirklichkeit der Welt und unseres Leben. Die Leerheit bezeichnet gerade kein Nichts, sondern das Gegenteil: die lebendigen vernetzten Prozesse der Emanzipation und Befreiung, für sich selbst in der Meditation und im verantwortlichen Zusammenleben mit anderen.


Sonntag, 13. November 2016

Die freudige Achtsamkeit des Drechslers


Buddha nennt die Arbeit eines Handwerkers, des Drechslers, um die fundamentale Bedeutung der Achtsamkeit zu erläutern. Es ist dabei bedeutsam, dass das Handeln des Drechslers eine ganz praktische und von ihm häufig ausgeführte Tätigkeit ist und nicht in der Abgeschiedenheit eines Klosters vollzogen wird.

Hier ergibt sich eine enge Verbindung zum Zen – Buddhismus, der das praktische Handeln im Hier und Jetzt des Alltags bei Klarheit und ethischer Verantwortung in den Mittelpunkt stellt: „Erleuchtung ist Feuerholz tragen und Wasser schöpfen“ heißt es von einem berühmten Zen – Meister. Eine andere Formulierung lautet: „Ein Tag ohne Arbeit ist ein Tag ohne Essen“, die einem anderen alten Meister zugeschrieben wird, dem die Mönche im Kloster die Werkzeuge zur Bearbeitung der Felder und des Gartens weggenommen hatten, weil sie meinten, er sei zu alt und gebrechlich, um arbeiten zu können.

Der Meister hat daraufhin abgelehnt zu essen, ist also in den Hungerstreik getreten, um klar zu machen, dass er nicht bereit ist ohne seinen machbaren Anteil der Arbeit am Klosterleben und dem Funktionieren des Ganzen weiterzuleben. So musste man ihm sein Werkzeug wieder geben. Die Arbeit war sicher wegen seiner körperlichen Einschränkung nicht in demselben Maße möglich wie bei den jungen kräftigen Mönchen. Ist das wichtig?

Buddha erwähnt dieses Gleichnis im sutta „Grundlagen der Achtsamkeit“ und formuliert:

„Gleichwie ihr Mönche ein geschickter Drechsler oder Drechslergeselle, wenn er lang anzieht erkennt: `ich ziehe lang an`, wenn er kurz anzieht: ich ziehe kurz an`“ .

In derselben Weise solle beim Atmen in der Meditation vorgegangen werden und ein bewusstes klares Beobachten ermöglichen. Deutlich ist dabei auch, dass das Handeln im Vordergrund steht und dass der Geist, die Beobachtung dabei gewissermaßen „mit läuft“ und dadurch das Handeln bewusst wird. Handeln und Geist sind in Wechsel-Wirkung und nicht voneinander zu trennen.

Es ist nicht davon die Rede, dass der Wille und das Bewusstsein allein steuern; der Drechsler muss selbstverständlich eine gründliche lange Ausbildung durchlaufen haben, um die Aufgaben seiner handwerklichen Arbeit genau und präzis durchführen zu können. Es kann für den Drechsler sogar hoch gefährlich werden, denn bei unachtsamer Arbeit kann er sich schwer verletzen!

Es geht darum, sein Handwerk durch permanente Übung und Verfeinerung so weit zu vervollkommnen, dass die Feinkoordinierung mit offenem Geist ohne Schwierigkeiten und Ungenauigkeiten arbeitet und dass dabei der Geist in Achtsamkeit weilt. Dieser wird weder ausgeschaltet oder ist Störfaktor, noch ist er umgekehrt durch Ehrgeiz, Ängste, Doktrinen, Ich – Zentriertheit usw. unkonzentriert. Buddha spricht sogar von unbewussten Bereichen des Geistes, die für ein sinnvolles und erfülltes Leben auch und gerade bei der Achtsamkeit wichtig sind. Dies leuchtet beim Drechsler sofort ein: Die meisten seiner feinmotorischen Steuerungen laufen unbewusst ab und haben sich im Laufe des Übungsweges im neuronalen Netz immer feiner ausgebildet.

Das Wichtige ist also die gute Wechsel-Wirkung von bewusster Achtsamkeit und unbewussten Steuerungen und darauf aufbauender Fähigkeiten. Wie wir aus der Gehirnforschung wissen, werden dabei die speziellen Teilsysteme immer weiter trainiert.

Und wer ganz bei seinem Tun weilt, hat eine tiefe fast unerklärliche Freude, er ist zur Ruhe gekommen: Ruhe in Ruhe, Bewegung in der Ruhe und Ruhe in der bewussten Bewegung.

Samstag, 5. November 2016

Konnte der Mörder Angulimala Erleuchtung erlangen? Ja er konnte


In der mittleren Sammlung des Buddhismus wird von einem grausamen Räuber und Mörder, Angulimala, berichtet, der ohne Erbarmen und mit äußerster Brutalität sein Unwesen trieb, ohne durch sein Gewissen oder seine Ethik kontrolliert zu werden. Er verachtete seine Opfer und fädelte triumphierend einen Fingerknochen der ermordeten Opfer zu einer Kette auf, die er stolz um den Hals trug. Er war in allen Kämpfen und Mordtaten äußerst geschickt und bisher unbesiegt, vor Allem, weil er extrem schnell laufen konnte und von großer körperlicher Beweglichkeit war. Er prahlte, dass er Elefanten, Pferde und Menschen jederzeit einholen könnte und hielt sich für unbesiegbar. So griff er meist von hinten an und hatte alle Opfer fast ohne Gegenwehr überwältigt. Der Wald, in dem Angulimala hauste, war weit und breit gefürchtet, ihn zu durchqueren glich dem eigenen Todesurteil.

Buddha wollte nun auf einer Wanderung seinen Weg durch den Wald des Mörders nehmen, wurde aber von den dortigen Einwohnern auf das Heftigste vor diesem Mörder gewarnt. Er solle einen Umweg machen, um zu überleben. Buddha ließ sich trotz dieser mehrfachen Warnungen nicht davon abhalten, seinen Weg durch diesen Wald zu nehmen. Als Angulimala ihn kommen sah, war er sich sicher, ein neues Opfer gefunden zu haben. Er wartete zunächst ab, um dann von hinten anzugreifen:
„Er ergriff Schwert, Schild, Bogen und Pfeile und verfolgte den Erhabenen. Dieser aber bewirkte durch seine außergewöhnlichen Kräfte, dass Angulimala ihn nicht einholen konnte, obwohl Buddha selbst nicht schneller als gewöhnlich ging, während jener mit Aufbietung aller Kräfte lief“, um schneller voran zu kommen.

Das heißt, dass seine überlegene Schnelligkeit und seine brutalen Kräfte gegenüber Buddha unwirksam waren, er konnte sie nicht einsetzen. Obgleich er immer hoch aktiviert und schnell war, konnte er hier nichts ausrichten. So etwas war ihm noch nicht passiert.

Er rief daher Buddha verblüfft direkt an, er solle sofort stehen bleiben. Zu seinem Erstaunen antwortete Buddha, der sich zu ihm umgedreht hatte aber weiterging, dass der Mörder ja selbst stehen würde. Denn gegen seinen eigenen Willen kam der Mörder keinen Schritt näher an sein vermeintliches Opfer heran. Er sagte daher sogar in Gedichtform

„Du gehst Asket und sagst ich stehe still.
Obwohl ich stehe, nennst du mich ruhelos.
Wie soll ich das verstehen? Sag mir das:
Du ständest still und ich sei ruhelos.“

Es geht hier sowohl um die körperliche Dimension des Gehens, Laufens und Stehens, aber sicher noch um noch mehr, nämlich um die geistigen, spirituellen und psychischen Kräfte. Es ist nicht verwunderlich, dass ein Mörder keine Ruhe findet, obgleich er körperlich still steht und dass der erleuchtete Buddha geht, aber dabei ruhig erscheint. Buddha sagte in diesem Sinne:

Ich stehe still Angulimala, sag ich, weil ich den lebenden Wesen nichts zu Leide tue. Du aber wütest gegen Lebewesen, drum steh ich still und du kommst nicht zur Ruhe.“
Dies verblüffte und verwirrte den Mörder Angulimala zutiefst und er gestand dem Buddha:

Längst hätte ich das Böse aufgegeben, wäre mir dein Wahrheits-Wort zuteil geworden.“

Buddha erkannte sofort das positive Potential und die Entwicklungsmöglichkeiten dieses Mörders und sagte ganz einfach: „Tritt ein und sei ein Mönch" (Mitglied in seiner Sangha). Buddha weihte ihn als Mönch sogar höchst persönlich.
Die unglaubliche Verwandlung des gefürchteten Mörders und die Aufnahme in Buddhas Sangha erregte in der Umgebung großes Aufsehen, wie man sich denken kann. Inzwischen hatten die Menschen sogar den König Pasenadi um Hilfe gerufen und dieser hatte sich mit seinen 500 Reitern auf den Weg gemacht, um den Mörder endlich auszuschalten.
Aber nun musste er überhaupt nicht gegen den Mörder vorgehen, weil der bereits ein friedlicher Mönch der buddhistischen Sangha geworden war. Er war sehr bescheiden und einfach geworden, ihm verlangte nicht nach Reichtum und zweifelhaftem Ruhm, er lebte das Leben eines Wald-Einsiedlers. Wie es heißt praktizierte Angulimala ausdauernd und

„übte einsam für sich unermüdlich und eifrig und erreichte bald das höchste Ziel des reinen Lebenswandels schon in diesem Leben.“

Eines Tages wurde er allerdings auf einem Almosengang erkannt und von den empörten und aufgebrachten Einwohnern wutentbrannt verprügelt, er entkam mit großer Mühe und lebensgefährlichen Verletzungen. „Mit blutendem Kopf, zerbrochener Schale und zerrissenem Gewand kam er zum Erhabenen“. Buddha sagte zu ihm: “Nimm es geduldig hin, Heiliger. Die Taten für die du sonst viele tausend Jahre in der Hölle büßen müsstest, die büßt du schon jetzt in diesem Leben ab.“

Im folgenden Gedicht heißt es:
„Wer früher träge war und sich dann tüchtig macht,
der leuchtet wie der Mond in wolkenloser Nacht.
Wer alte Übeltat durch Guttat ausgeglichen, der leuchtet wie der Mond,
wenn Wolken sind gewichen.“

Dies ist eine wirklich spektakuläre Geschichte: durch eine fundamentale Begegnung und Weichenstellung eröffnen sich dem Mörder völlig neue Alternativen für ein friedliches und erfülltes Leben. Bei ihm war es die direkte Begegnung mit Buddha, die ihn zur vollständigen Änderung seines Lebens brachte und sich radikal von seinen menschenverachtenden Taten abwenden konnte. Wie es heißt, erlangte er schon in diesem Leben durch die buddhistische Praxis Erleuchtung und die höchste menschlich mögliche Lebensform.


Nun leben wir heute nicht im Zeitalter Buddhas, haben aber nach der buddhistischen Lehre mindestens dieselben Chancen und Möglichkeiten wie der Mörder Angulimala. Es kommt darauf an, dass wir tatkräftig die möglichen guten Chancen ergreifen und uns neue Lebensdimensionen eröffnen. Solche Chancen gibt es immer, wir müssen sie nur erkennen und entschlossen angehen. Dabei kommt dem ethischen Handeln eine hohe Bedeutung zu, was heute oft unterschätzt wird.

Freitag, 28. Oktober 2016

Den gefährlichen Wald-Dämon überlisten


Buddha berichtet die Geschichte des Dämons Mara, um den es in diesem aussagekräftigen Gleichnis als Wild-Fütterer geht und der unserem Teufel gleicht. Dieses Gleichnis ist aus meiner Sicht besonders treffend für die Praxis gerade unseres heutigen Lebens in einer gefährlichen Welt. Wir werden ohne Zweifel immer wieder von gefährlichen Menschen und Mächten bedroht. Wie können wir uns dabei schützen, wo lauern unbekannte Gefahren und wie können wir mit Klugheit und Klarheit unser Leben verbessern?

Es geht darum, dass eine Herde von harmlosen und edlen Wildtieren, wie zum Beispiel Rehe oder Hirsche, vom bösen Mara nur gefüttert werden, um sie in die Falle zu locken, zu fangen und zu töten. Er lockt sie an eine bestimmte Stelle im Wald und sie finden dort köstliches Futter, das der gefährliche Dämon Mara dort absichtlich gestreut und ausgelegt hat. Sein Ziel ist es die Tiere der Herde auf diese Weise zu fangen, zu töten und zu fressen. Er ist also kein Wildhüter, der den Tieren hilft, sondern das Gegenteil, nämlich ein gerissener Fallensteller und Wilderer, der die Tiere fangen und töten will.

Buddha unterscheidet in diesem Gleichnis nun vier verschiedene Verhaltensweisen der Tiere, je nach dem, wie sie sich zu dem ausgelegten Futter locken lassen oder nicht und welche List Mara anwendet, um sie zu fangen.

„Da kam ein erstes Rudel angelockt von dem ausgestreuten Futter, fraß es unbedacht, wurde nachlässig und unvorsichtig und konnte deshalb dem Machtbereich des Wild-Fütterers nicht entgehen.“

Das erste Rudel wird also so beschrieben, dass es keine Selbststeuerung und Selbstkontrolle hatte, sich sofort ungebremst an dem Futter erfreute, nicht weiter darüber nachdachte, ob es gefährlich war und wie es für sie weiter ging und so dem Dämon erlag.

„Ein zweites Rudel merkte, wie es dem ersten ergangen war und wollte es nicht ebenso machen. Es hielt sich deshalb von dem ausgestreuten Futter ganz fern und zog sich in die Wildnis zurück. Im letzten Sommermonat aber, als Gras und Wasser vertrockneten, wurden die Tiere äußerst mager und verloren ihre Widerstandskraft.“

Sie konnten durch diese Schwächung der Verlockung des ausgestreuten Futters nicht widerstehen, weil es für sie auch keine Alternative mehr gab, überhaupt zu überleben. Es kam wie es kommen musste: Mara brachte sie in seine Gewalt; sie hatten keine Chance! Wie könnte nun das dritte Rudel der tödlichen Gefahr entgehen?

Ein drittes Rudel merkte, wie es den beiden anderen ergangen war und wählte deshalb seinen Standort zwar in der Nähe des ausgestreuten Futters, fraß das Futter aber bedachtsam, wurde nicht nachlässig und nicht unvorsichtig.“

Zunächst war diese Strategie erfolgreich, weil Mara nicht wusste, dass das Rudel sich nun direkt an der Stelle der Fütterung aufhielt und schnell bei Gefahr reagieren und sich in Sicherheit bringen konnte. So ging Mara sehr zu seinem Ärger ins Leere. Er sann auf List. Durch diese Misserfolge angestachelt, untersuchte er das Verhalten des Rudels sehr genau und stellte fest, dass es sich unmittelbar in der Nähe des Futterplatzes aufhielt und von dort aus dann zum Futter vorkam, wenn die Luft rein war. Mara dachte:

„Dieses dritte Rudel ist schlau und verschmitzt. Es ist wie verhext. Die Tiere fressen das Futter und wir wissen nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen.“

Er errichtete mit seinen Gesellen heimtückisch einen Holzzaun um den Aufenthaltsort dieses Rudels und brachte sie damit ebenfalls in seine Gewalt. Auch hier war er also erfolgreich. Und das Rudel fiel ihm zum Opfer.

Buddha fuhr dann fort: Ein viertes Rudel merkte, wie es den anderen ergangen war und wollte nicht so handeln wie die anderen. Es wählte einen Standort dort, wohin der Wild-Fütterer und seine Gesellen keinen Zugang hatten.

„Die Tiere ließen sich von dem ausgestreuten leckeren Futter nicht anlocken, fraßen es nicht unbedacht, wurden nicht nachlässig und nicht unvorsichtig und ließen sich nicht fangen.“

Mara hatte nun seine Möglichkeiten ausgeschöpft, denn er konnte um den Standort dieses Rudels keinen Zaun errichten, weil er den Ort nicht kannte und keinen Zugang hatte. Mara und seine Gesellen kamen zu dem weisen Schluss: „Kümmern wir uns also nicht mehr um dieses vierte Rudel!“ Es gebe auch andere Rudel, die leicht zu fangen seien. Sie verloren das Interesse an dem geschickten unauffälligen vierten Rudel. Und tatsächlich kümmerten sich die Wild-Fütterer und seine Gesellen dann nicht mehr um das vierte Rudel, und so konnte dieses dem Machtbereich des Maras entgehen.

Es liegt auf der Hand, dass sich Buddhas Geschichte direkt auf unser eigenes praktisches Leben mit seinen Gefahren und auch seinen Feinden bezieht. Wenn man sich den Verlockungen hingibt und die Selbststeuerung verliert, hat man nur geringe Chancen gut zu leben und zu überleben. Besonders muss aus psychologischer Sicht unterstrichen werden, dass sich derartige unkontrollierte Verhaltensweisen beim Menschen mit der Zeit immer mehr verfestigen und immer mehr zur unbewussten und unkontrollierten Sucht werden können. Dies gilt natürlich besonders für Suchtmittel wie Drogen, Alkohol, Glücksspiel, aber auch für Sex, Überernährung, ungesundes Essen und Bewegungsmangel.

Aber auch die total entgegengesetzte Lebensweise der Askese und der überzogenen Entsagung bringt nichts, weil dadurch Körper und Geist soweit geschwächt werden, dass irgendwann der Widerstand und die Lebenskraft aufgebraucht sind und dass es dadurch zu Abhängigkeit und Aufgeben der Selbststeuerung kommt.

Die mittlere obige Strategie der Tiere, die aber zu durchsichtig ist und von den listigen Gegnern durchschaut werden kann, bringt wenig, weil diese dann an der empfindlichen Stelle angreifen und ihre Opfer in ihre Gewalt bringen können.
Die vierte Alternative ist die erfolgreiche! Sie bezeichnet den Mittleren Weg, der die Extreme der ungesteuerten Genusssucht und der Askese vermeidet und auch keine durchsichtigen Manöver zum eigenen Schutz ergreift. Die vierte Gruppe entwickelt und realisiert eine geschickte und wirksame Strategie in der Situation und überlebt unbeschadet. Dabei ist es besonders wichtig, dass der Gegner die eigene Strategie nicht durchschauen kann, sodass er schließlich von seinem Vorhaben ablässt und sich anderen für ihn interessanteren und vorteilhaften Aktivitäten zuwendet. Böse Akteure haben selten Geduld und Ausdauer. Das ist der gute mittlere Weg.

Ich möchte hinzufügen, dass ich die obige Strategie im Berufsleben mehrfach angewendet habe. Und zwar mit Erfolg.