Samstag, 19. November 2016

Buddha warnt vor der giftigen Schlange

 Nishijima Roshi arbeitet an seinem Buch zu Nagarjunas Mittlerem Weg

In dem Gleichnis von der giftigen Schlange geht es um das falsche und damit gefährliche Verständnis der buddhistischen Lehre oder aber um deren richtige Verwirklichung. Buddha wird deutlich:

„Manche unverständigen Leute lernen die Lehrsätze auswendig, erforschen aber nicht weise deren Sinn. Dann gewähren die Lehrsätze ihnen aber keine Einsicht. Sie erlernen sie nur, um darüber zu reden und Meinungen äußern zu können, aber den Zweck, zu dem man diese Lehren erlernt, begreifen sie nicht. Ihnen werden die falsch aufgegriffenen Lehren für lange Zeit zum Unheil und Leiden gereichen, weil sie sie falsch begriffen haben. Das ist so, wie wenn ein Mensch eine Schlange fangen möchte, tatsächlich eine große Schlange findet und sie am Körper oder am Schwanz ergreift.“

Dann würde die Schlange sich blitzschnell umwenden und ihm in die Hand, in den Arm oder in ein anderes Glied beißen. Wer so leichfertig mit der Schlange umgeht, müsste tödliche Schmerzen oder sogar den Tod erleiden, weil er sie völlig falsch ergriffen habe. Und dass es giftige Schlangen in unserer Welt gibt, wird sicher niemand bezweifeln!

In diesen kurzen Sätzen wird von Buddha unmissverständlich gesagt, dass es keinen Sinn macht, die buddhistische Lehre nur auswendig zu lernen und sich sogar damit zu brüsten, um sich vor anderen aufzuwerten. Es geht um die wirkliche Verarbeitung und Verwirklichung der Lehre als je eigenen Befreiungs- und Emanzipations-Prozess.

Man sollte die authentischen Texte sowohl verstehen als auch im eigenen Erleben konkretisieren und damit die eigenen Verhaltensweisen und Handlungen verändern und voranbringen. Die Lehre kommt damit in Wechsel-Wirkung zum eigenen Leben, verändert dieses und erreicht erst dadurch die klare Wirkung auf dem Weg der Befreiung und Emanzipation.

Buddha redet sehr praktisch und betont bei der giftigen Schlange, dass es einen gegabelten Stock gibt, mit dem der Mensch die Schlange richtig packen kann, ohne dass er selbst in Gefahr gerät und

„sie dann mit festem Griff am Halse ergreift. Wenn dann die Schlange seine Hand und seinen Arm oder ein anderes Glied mit ihrem Leib umringelt, so erleidet er deswegen doch nicht den Tod oder tödliche Schmerzen.“

Im mittleren Weg können wir bei Nâgârjuna in dem besonders wichtigen Kapitel zu den Vier Edlen Wahrheiten dieses Gleichnis wieder finden, wo er es für die falsch verstandene Leerheit benutzt. In der Tat wird mit dem Begriff und einer dogmatischen Vorstellung der Leerheit im Buddhismus vielfältige Verwirrung gestiftet oder sogar erhebliches Unheil angerichtet, ohne dass der Zusammenhang und die Bedeutung wirklich geklärt ist.

Es geht dann nach dem Motto: In der Leerheit verschwinden alle Unterschiede und Schwierigkeiten der Realität, daher ist alles das Selbe und egal. Dabei wurde Bedeutung der Leerheit nicht wirklich gründlich durchdacht, erarbeitet und erfahren. Das ist auch nicht so einfach.

Nâgârjuna verwendet den Begriff der Leerheit für die Bezeichnung der Wechsel-Wirkung beim gemeinsamen Entstehen (pratitya samutpada) in der Wirklichkeit der Welt und unseres Leben. Die Leerheit bezeichnet gerade kein Nichts, sondern das Gegenteil: die lebendigen vernetzten Prozesse der Emanzipation und Befreiung, für sich selbst in der Meditation und im verantwortlichen Zusammenleben mit anderen.