Montag, 29. August 2022

Das eigene Leben und das Universum verwirklichen

 

Was sagt Zen-Meister Dōgen über die befreiende Wirklichkeit im Hier und Jetzt? Was sind die fundamentalen Eckpunkte der buddhistischen Lehre für ein gelungenes Leben und die Praxis? Wie beschreibt er die wahre Befreiung von Hemmnissen und die Entfaltung unseres wahren Selbst? Das ist sicher die Soheit und handelnde Öffnung mit der Kraft der Mitte im Hier und Jetzt. Und diese Kraft gibt uns fundiertes Vertrauen zum eigenen Handeln, Denken und damit zu uns selbst. Wir sind dann gelassen und handlungsfähig, was auch kommen mag, gerade in Krisen.

Dogen fasst diesen Weg der Lebensfreude, Befreiung von alten Zöpfen und Überwindung ängstlicher Enge in seinem berühmten Kapitel: "Das verwirklichte Universum" zusammen. Denn die Wechselwirkung mit dem Universum und anderen Menschen ist die wahre Natur des Menschen, nicht Isolation und Stillstand. Dogen spricht sogar von dem wahren Gesetz des Lebens, auf japanisch koan.

Dieses Kapitel wird in der der Fachwelt sehr hoch geschätzt.[i] Ich möchte daher versuchen, das Wesentliche möglichst verständlich zu erklären. Denn durch eine solche Verwirklichung wächst die Ganzheit des wahren Lebens in dieser Welt.

Es ist wichtig, dass wir uns sowohl der Vielfalt der Welt im Hier und Jetzt, der umfassenden Lehre des Buddha und Meditation anvertrauen. Es ist sinnlos, die negativen Emotionen durch unnötiges Grübeln immer mehr zu verstärken, bis sie hart wie Eisen-Beton sind. Die Gehirnforschung hat eindeutig nachgewiesen, dass Grübeln die schlimmsten emotionalen Auswirkungen auf uns hat. Und viele wissen das nicht einmal. Was sind danach am positivsten Wirkungen? Meditation und Handeln im Jetzt, ohne Abschweifen! Das gilt besonders für die schwierigen Zeiten der Gegenwart. Daran ist wissenschaftlich nicht zu zweifeln.

Im Folgenden möchte ich den ersten zentralen Absatz von Dōgens Kapitel genauer beschreiben. Dabei verwende ich die von Nishijima Roshi entwickelte Interpretation, die meines Erachtens sehr stimmig ist. Denn sonst besteht die Gefahr, sich in Widersprüche zu verstricken. Widersprüchlichkeit lehnt Dōgen selbst übrigens entschieden ab. Er sagte, dass die Lehre des Buddhismus gerade im Zen niemals unlogisch, paradox und gegen die Vernunft sei – wer das behauptet, habe den Zen überhaupt nicht verstanden und nicht erprobt. Verkürzt sagt uns Dogen:

(1) Wenn alle Dinge und Phänomene nur als Theorie verstanden werden, dann gibt es Täuschung und Verwirklichung, gibt es gedachte Praxis und es wird über  Leben und Tod gegrübelt. Es gibt nur gedachte Buddhas und abgelehnte gewöhnliche Wesen. Also keine Wirklichkeit im Jetzt.

(2) Wenn die Fülle der Dinge und Phänomene nur materialistisch verengt gesehen und gedacht werden, sind wir von der Umwelt isoliert und werden depressiv: Der Starke des Materialismus ist nämlich am schwächsten allein. Die buddhistischen Lehren sind dann überflüssig. Unser Selbst hat keinen lebendigen Kontakt zur Welt. Es gibt dabei keine gedachte Täuschung, aber auch keine Verwirklichung und keine Buddhas. Also auch keine Wirklichkeit im Jetzt.

(3) Die Wahrheit Buddhas übersteigt die obigen Begrenzungen des Lebens. Dann und genau dann eröffnet sich die Wirklichkeit im eigenen Leben. Das ist die klare Erfahrung im Jetzt.

(4) Und weil dies so ist, erleben wir die herrlichen Blüten, auch wenn sie einmal fallen. Und das Unkraut, das wir nicht mögen, verschwindet als Grübeln aus unserem Körper und Geist. Wir bleiben gelassen und im Gleichgewicht in der Mitte. Das ist gelungenes Leben im Hier und Jetzt.

Zweifellos gehören diese Sätze zum Kern des Zen, sie sind allerdings zunächst nicht leicht zu verstehen. Wenn du sie häufiger auf dich wirken lässt, bin ich sicher, dass sie zum Kompass deines Leben werden.

Link: Vertiefen: Verwirklichen


[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 57ff. und englische Fassung Kap. 3

Freitag, 12. August 2022

Die Zazen-Praxis hat erstaunliche Heilkraft

 

Dogen berichtet, dass er durch die Zazen-Praxis erst in China den wahren Buddhismus und dessen große Heilkraft selbst erfahren hat. So verwirklichte er die Befreiung und Erleuchtung.

Worum geht es in diesem berühmten Kapitel zur Zazen-Praxis? Bei dieser Form der Meditation wird der Geist gerade nicht angestrengt, denn es heißt "Körper und Geist fallen lassen" Dogen sagt, die Zazen-Praxis ist kein Konzentrations-Zen. Ich bin fest überzeugt, dass es die Vierte Stufe der Meditation, Jhana, nach Buddha ist: "Keine Grenzen, alles loslassen, weit geöffnet ohne Raum und Zeit". Aber ganz wichtig: korrekte Haltung des Körpers, gerader Rücken und gestreckter Kopf. Was heißt das? Wir sanieren und heilen uns hauptsächlich durch den Körper und schon gar nicht durch einen isolierten angestrengten Geist und Verstand.

Dōgen bringt das Gleichnis von einem Ochsen-Karren, wenn der Geist zu sehr angestrengt wird: Der Ochse steht für den Geist und der Wagen für den Körper. Wenn das Gefährt stecken geblieben ist, wirst Du sicher denken, dass man den Ochsen antreiben oder gar schlagen muss. Symbolisch schlägst dann auf deinen Geist ein: mit Grübeln, großer geistiger Anspannung und Konzentration. Wahrscheinlich schlägst immer wieder, aber leider vergeblich. Dogen sagt etwas anderes: Wir sollten den Wagen sprich den Körper direkt flott machen, dann können wir auf unserem Weg gut weiter fahren. Das ist die Praxis des Körpers, das ist Zazen-Praxis, das ist die Vierte Vertiefung Buddhas. Denn Körper und Geist sind nicht getrennt, wie wir im Westen oft fälschlich annehmen. Wenn das ganze Gefährt stehen geblieben ist und weiterfahren soll gehe ganzheitlich über die korrekte Zazen-Haltung vor.. Der Ochse,

Die beiden Bereiche Körper und Geist arbeiten wechselwirkend heilsam zusammen, damit der Mensch auf seinem Entwicklungs- und Lebensweg gut vorankommt. Wenn das harmonische und klare Handeln von Körper und Geist gelingt, kann eine neue ungeahnte Dynamik, Bewegung und Freude entstehen. Im Westen strapazieren wir heute unseren Geist und Intellekt wirklich genug oder zuviel. Dann kann die Zazen-Praxis wirklich Wunder wirken. Das kann ich aus eigener Erfahrung voll bestätigen: Durch tägliche Zazen-Praxis konnte ich meine schlimmste Berufskrise als Informatiker lösen.

Dōgen kommt zu dem Schluss, dass Körper und Geist immer eine wechselwirkende Ganzheit bilden und beim Handeln nicht getrennt werden dürfen. Sonst bleibt der Wagen deines Lebens eben stehen. Körper und Geist sind überhaupt nicht von einander getrennt: Grade wer intellektuell und geistig heute stark gefordert ist, wie ein Informatiker, sollte nicht weiter auf seinen Geist „einprügeln“. Dann ist die Praxis des Zazen besonders wohltuend und wirksam. Das habe ich selbst ausprobiert.

Klicken: Vertiefung Zen-Praxis

              Das verwirkliche Universum, Genjo Koan

 

Mittwoch, 10. August 2022

Lotos-Sūtra ist die Dharma-Blume der Wahrheit

Dōgens tiefe Erfahrungen im Zen vor allem in China und sein praktischen Handeln für Mönche und Laien hat ihm völlig neue Dimensionen dieses Sūtra eröffnet. Es handelt nicht von wundergläubigem Volksbuddhismus und auch nicht von metaphysischem zu abstrakten Mahayana. Es handelt von der Befreiung und Emanzipation des Menschen! Es hat dadurch große heilsame Wirkungen im Buddhismus bewirkt und ist auch für einfache Menschen wie Du und ich überzeugend. Es gibt kräftige Impulse zur Sinn-Findung und Sinn-Gestaltung in unserem Leben, auch hier und jetzt!

Häufig wurde das Lotos-Sūtra als romantisches und wirklichkeitsfremdes Märchen verstanden, sozusagen als Volksbuddhismus voller Wunder und übernatürlicher Wesen und Kräfte, die man anrufen kann und die uns helfen. Das ist viel zu mager und verdünnt. Denn das Lotos-Sūtra ist auch große Poesie.

Nach einer Überlieferung, die auf Daikan Enō (Huineng) zurückgeht, beschreibt das Lotos-Sūtra in genialer Weise seine eigene erleuchtete Version von Bewegung und Weiterentwicklung der höchsten dem Menschen zugänglichen Wahrheit. Er sagt, dass wir die Dharma-Blume der Welt und des Lebens selbst drehen und bewegen, wenn wir die wahre Freiheit erlangt haben. Wer sollte denn die Welt heilsam bewegen, wenn wir es nicht tun? Dōgen wählt dabei auch die Sprache des Dichters, um diesen höchsten Zustand des Menschen zu beschreiben, denn mit spitzfindiger Intellektualität ist dies nicht möglich. Der Zen ist nicht paradox und in sich widersprüchlich, denn er überschreitet einfach die Alltags-Logik vieler Menschen.

Beim Drehen der Dharma-Blume unterscheidet Dogen, ob sich ein Mensch in Täuschung befindet oder nicht. Diese Bewegung und Drehung der Dharma-Wahrheit kann man wissenschaftlich als selbstverstärkende Dynamik verstehen, die sich – einmal angestoßen – zu unserem erwachten Leben in der Wirklichkeit der Welt bewegt. Dadurch werden alte und neue Hemmnisse immer einfacher weg geräumt.

Die Suche nach dem wahren Dharma sei allerdings nicht einfach, sie wird mit dem Graben nach Grundwasser verglichen:

„Wenn Menschen Durst haben und Wasser suchen, graben sie zum Beispiel auf einer Ebene, die trocken und ausgedörrt erscheint. Wenn sie Ausdauer haben und tiefer kommen, entdecken sie feuchte Erde und wissen, dass sie auf dem richtigen Wege sind. Dann ist das Wasser nicht mehr weit. Wer dann ausdauernd weiter gräbt, stößt tatsächlich auf das Grundwasser.“

Dōgen gibt dann das Gedicht wieder, das Hui Neng dem Mönch Hōtatsu nach dessen Erwachen vortrug. Es nennt kurz und prägnant die Eckpunkte des Buddhismus, die dem Lotos-Sūtra eine ganz neue Tiefenschärfe geben:

„Wenn der Geist in Täuschung ist, dreht sich die Blume des Dharma (ohne dich).

Wenn der Geist in der Verwirklichung ist, drehst du die Blume des Dharma."

Wenn wir nicht Klarheit von uns selbst haben, wird das Lotos-Sūtra wegen seiner tiefgründigen Bedeutungen sogar unser Feind werden, ganz gleich, wie häufig wir es rezitieren. Also selber drehen!

Klicken: Lotos-Sutra vertiefen