Freitag, 9. Dezember 2022

Die Schönheit der Wasser und Berge müssen wir schützen

Der Buddhismus besonders der Zen hat eine tiefe untrennbare Verbindung zur Natur. Wir müssen Klima und Natur schützen und bewahren. Wir dürfen uns durch die moderne Technik und die Gier nach Vorteil von der Natur nicht entfremden. Dann entfremden wir uns von uns selbst!

Berge sind etwas Festes wie die Erde, und Wasser ist das Element des Flüssigen. Auf poetische Weise beschreibt Dōgen die Wirklichkeit der Berge und Wasser, der Wolken und des Himmels: „

Die Wasser werden am Fuß der Berge verwirklicht; darauf reiten Berge die Wolken und wandern durch den Himmel. Die Kronen der Wasser sind die Berge, deren Wandern aufwärts und abwärts immer auf dem Wasser ist.“[i]

Das ist das Wunder der Natur: Die Wasser sind die Füße der Berge. Wasser steigt als Dampf in die Wolken, und es ist wieder Wasser, wenn es auf der Erde angekommen ist. Indem Dōgen die Berge auch als Kronen der Wasser bezeichnet, bringt er die untrennbare  Beziehung zwischen beiden zum Ausdruck.

Nun zitiert Dōgen Meister Nangaku:

„Weil die Zehen der Berge über das Wasser wandern und die Wasser zum Tanzen bringen, ist das Wandern frei in allen Richtungen, und die Praxis-und-Erfahrung" gibt es wirklich.

Lasst uns also frei wandern wie das Wasser: Gerade in Krisen und schwierigen Zeiten: Jammern bringt nichts und verstärkt das Leiden. Taten und Machen bringen uns weiter.

Dogen bittet uns, bei der genauen Untersuchung der äußeren Welt kraftvoll voranzuschreiten, sie „auszuschöpfen“ und dabei in die Freiheit zu springen. Denn sie war niemals von uns getrennt. Das wäre eine isolierte Schein-Wirklichkeit. Er sieht für uns die große Hoffnung, dass wir in der heilsamen Verbindung mit der Natur, wie des Wassers, unsere Vorurteile, Täuschungen und Doktrinen und falsches Emotionen über Bord werfen und auf dem Weg in die Freiheit vorankommen. Erwachte Menschen sehen das Wasser wirklich als Wasser, mit Freude und im Gleichgewicht. Er sagt;

„Wo immer große buddhistische Meister gehen, geht das Wasser. Und wo immer Wasser geht, verwirklichen sich die großen buddhistischen Meister" Und weiter: „Es ist Erleuchtung, im Alltag Wasser zu schöpfen.“

1. Link: Vertiefen und weiter lesen

2. Link: Neuer Film, English, mit acht awards



[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 194ff.

Montag, 28. November 2022

Der offene Raum ist offenes Leben, die wahre Meditation

 

Der große indische Meister Vasumitra war der siebten authentische Nachfolger Buddhas. Er lehrte: Der Geist ist die wirkliche Welt des Raumes. Der offene Raum ist die Vierte Vertiefung der Meditation,  im Zen. Das war für Meister Dogen die offene Tür zur vollständigen Erleuchtung. Der im menschlichen Gehirn „eingesperrte“ primitiv- unterscheidende Geist ist leider durch die Schädel-Decke begrenzt. Aber im Erwachen öffnet sich der Geist und wird groß und weit wie der Raum, ohne Grenzen. Er verlässt dann den viel zu engen Schädel des Ego, befreit sich und durchdringt das Universum. Das erleben wir in der wahren Meditation.

Raum und Zeit haben seit dem Beginn der menschlichen Kultur immer wieder Philosophen und große Denker angeregt. Es wurden komplizierte Theorien und schwer verständliche Erklärungen hierfür entwickelt. Aber meist kamen die Philosophen nicht über nachträgliches Denken über den Raum hinaus, sie lebten nicht in der Fülle des Augenblicks. Was sagt dazu der  Zen?

Über den Raum theoretisch nachzudenken, reicht nicht. Der Raum muss erlebt werden: Wunderbar, wenn die Begrenzungen sich auflösen. Das habt ihr sicher schon erlebt. Die Wahrnehmung der Form und des Räumlichen haben eine sehr große Bedeutung für unser Leben hier und jetzt. Denn was ist das Hier anderes als der Raum? Zeit, Raum und Leben im Augenblick lassen sich nicht wirklich trennen, weil man dann verarmt, leider.

In diesem Kapitel geht es um den höchsten dem Menschen zugänglichen Zustand der umfassenden Wirklichkeit des Buddhismus. Das ist das Erwachen, die Erleuchtung und die Lebensfreude: die ganze umfassende Wahrheit. Und das Erwachen und die Lebensfreude kann jeder Mensch nach Buddha verwirklichen, es hängt nicht allein von intellektueller Geistes-Schärfe ab. Oft verhindert die Intellektualität sogar die Befreiung und Öffnung zum Erlebnis des Raumes. Im Westen glauben viele bekanntlich an einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Materiellem und Ideellem. Aber das führt wirklich nicht weiter und ist eigentlich schon längst Geschichte.

Dōgen berichtet von einer Kōan-Geschichte zwischen Meister Rinzai und Meister Fuke. Rinzai neigte in jungen Jahren eher zu einem theoretischen und zum Teil spekulativen Verständnis des Buddhismus, während Fuke oft radikal die Wirklichkeit des Hier und Jetzt ins Zentrum rückte. Rinzai fragte:

„In den Sūtras heißt es, dass ein Haar den großen Ozean verschlingt und ein Mohn-Korn den Berg Sumeru umfasst. Sind dies auch Beispiele übernatürlicher Fähigkeiten glänzender Leistungen oder sind sie nur wirkliche Tatsachen, wie sie sind?“

Wie reagierte der Nicht-Theoretiker Fuke? Er stieß daraufhin mit einem kraftvollen Ruck den ganzen festlich gedeckten Tisch um, an dem er und Rinzai als Gäste mit den vornehmen Gastgebern der Oberschicht saßen. Er sagte laut und deutlich:

Dies ist ein Ort, wo etwas Unfassbares da ist.“

Fuke wollte klarstellen, dass Rinzais Überlegungen viel zu theoretisch und spekulativ waren. Er handelte glasklar im Hier und Jetzt, also im Raum und im Augenblick, allerdings nicht gerade höflich, als er den Tisch umwarf. Wo soll man den sonst handeln als im Raum? Offensichtlich fand er Rinzais abstrakte Gedankengänge zu überspannt und wollte die Gruppe ohne gelehrte Worte durch direktes Handeln in der Gegenwart von den theoretischen „Denknestern“ befreien. Seine Feststellung „Dies ist ein Ort, wo etwas Unfassbares da ist“ ist dann in die Geschichte des Zen eingegangen.

Dōgen zitiert eine Zeile aus einem Gedicht seines eigenen großen Meisters:

„Der ganze Körper ist wie ein Mund, der im Raum hängt.“

Diese Aussage erscheint zunächst eigenartig, Was ist gemeint? Die Windglocke, die im Raum hängt, wird mit dem Mund gleich gesetzt und ist viel mehr als ein physischer Ton oder ein unmelodisches Geräusch. Ich denke dabei an unsere Sesshin in Südtirol, wo wir im Hof eines alten Kapuzinerklosters Zazen praktizierten und die Windglocke uns bei jedem Windhauch ihre Melodie sang: Wir konnten so die Ganzheit von Raum, Zeit und Windglocke selbst erleben.

1. LinkGanz neuer Film, English,  8 awards (!) Zen

2. Link: Vertiefen: Raum und Leben

 

Freitag, 11. November 2022

Unser neuer Buddha-Film ist online, er gewann acht internationale awards (!)


Unser neuer Film zum Zen und Buddhismus ist nun im Netz. Es geht um die authentische Lehre Buddhas und Bogenschießen. Der Film wurde in Berlin und auf Gomera gedreht. Unser Ziel war gute Verständlichkeit und Einfachheit. Englische Fassung mit Untertiteln. Zum Vertiefen habe ich links angefügt.

Viel Freude und Klarheit!

 1. Link: Zum Film, English

2. Link: Vertiefen und Zen

3. Link: Verwirklichtes Universum

4. Link: Sein-und-Zeit im Augenblick

5. Link: Das große Erwachen

Montag, 7. November 2022

Die wahre Form hilft uns auch in der Krise

 

Die Wirklichkeit und deren erkennbare klare Formen im Hier und Jetzt haben im Zen eine sehr große Bedeutung für den Weg der Befreiung.[i]

Meister Dōgen baute seine buddhistische Lehre auch auf dem Lotos-Sūtra auf, dem er im Gegensatz zum landläufigen Verständnis eine neue Bedeutung und Tiefenschärfe gab. Er interpretierte es nicht als wundergläubigen Volksbuddhismus, sondern auf der Grundlage des Zen. Im Kapitel „Die Dharma-Blume der Wahrheit dreht die Blume der Dharma-Welt“ und in diesem Kapitel über die Form ist es ihm in großartiger Weise gelungen, die Wirklichkeit und das Wunder unseres Lebens und des Universums selbst in Worte zu fassen. Soweit dies überhaupt möglich ist. Dōgen zitiert Buddha aus dem Lotos-Sūtra:

„Die Buddhas allein zusammen mit den Buddhas können direkt vollkommen verwirklichen, dass alle Dharmas wirkliche Formen sind. Was ‚alle Dharmas’ genannt wird, sind Formen wie sie sind, die Natur wie sie ist, der Körper wie er ist, die Energie wie sie ist, das Handeln wie es ist. Sie sind der höchste Zustand des Gleichgewichts und des Wesentlichen.“ Genau so, wie sie sind!

Dōgen zitiert ein weiteres Gedicht seines eigenen Meisters Tendō Nyojō, des „ewigen Buddha“ wie er sagt:

„Es gibt (sanfte) Kälber heute Nacht auf dem Berg Tendō.

Gautamas goldenes Antlitz offenbart wirkliche Form.
Wie könnten wir dessen unermesslichen Wert begleichen, wenn wir es erwerben wollten?
Der Ruf des Kuckucks, darüber eine einzelne Wolke.“

Der Ausdruck „sanfte Kälber“ wurde für die friedlichen Mönche verwendet, die sich im Kloster von Tendō Nyojō in der wunderbaren Sommernacht versammelt hatten. Der Kuckuck ruft unmittelbar und wird von allen direkt als Wirklichkeit wahrgenommen. Er ist Teil der wirklichen Form, die nicht auf die Ohren beschränkt ist.

Schließlich fasst er Dōgen zusammen:

„Denkt daran, die wirkliche Form ist das wahre Lebensblut, das vom wahren Nachfolger empfangen und an den authentischen Nachfolger weitergegeben wurde. Alle Dinge und Phänomene sind der vollständig verwirklichte Zustand der Buddhas allein, zusammen mit den Buddhas. Das ist die Schönheit der Form, wie sie ist.“

 Link:Vertiefung: Wahre Form


[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 3, S. 116ff.

Donnerstag, 27. Oktober 2022

Erwachen: Der Dichter Toba hört die wahren Stimmen des Tales


Toba war ein berühmter Dichter im alten China und war dem Buddhismus stark verbunden. Er hatte die umfangreiche Literatur des Buddhismus intensiv studiert und sich dabei vor allem auf die wirklich großen Meister konzentriert. Sie werden in China auch als „Drachen und Elefanten“ bezeichnet. Es wird berichtet, dass Toba die Landschaft von Lushan besuchte, die wegen ihrer Schönheit berühmt war. Er war von der großartigen Natur tief berührt. Sein Herz hatte sich dort geöffnet und er hörte den Bergstrom, der durch die Nacht floss, wie nie zuvor. Dabei verwirklichte er die große Wahrheit des Lebens und verfasste das Gedicht:

„Die Stimmen des Tales sind (Buddhas) weite und lange Zunge.

Die Form des Berges nichts anderes als sein reiner Leib.

Durch die Nacht gehen die vierundachtzigtausend Verse.

Dōgen vermutet beim Erwachens des Dichters Toba, dass er am Vortag tiefgehende Gespräche mit seinem Meister hatte und diese in das Erlebnis des Erwachens eingegangen sind.[i] Aber dieses Naturerlebnis der Wirklichkeit entstand nicht nur als Folge des Gesprächs, sondern geschah eigenständig und direkt. Denn es war sein eigenes tiefes Erleben.

Dōgen berichtet auch in anderen Kapiteln des Shōbōgenzō von Erleuchtungserlebnissen in der Natur, die durch scheinbar ganz unwichtige Ereignisse und oft durch die Wahrnehmung ausgelöst wurden. Die unmittelbare Erfahrung der Wirklichkeit stellt sich wie zufällig ein, wenn man viele Jahre die Übungspraxis des Zazen und das Verschwinden des Ich-Stolzes geübt hat. Aber sie ist natürlich nicht rein zufällig, sondern die Folge der Übungspraxis, vor allem Zen-Meditation.

 So beschreibt Dôgen das wahre Sehen und Hören zunächst mit der eigenartigen Formulierung, dass wir lernen sollen, dass die Berge fließen und das Wasser nicht fließt. Was meint er damit? Eine ähnliche Aussage findet sich übrigens in seinem Kapitel über das Sûtra der Berge und Wasser[ii]. Damit will Dôgen uns m. E.  sagen, dass wir nicht an gewohnten, scheinbar selbstverständlichen Vorstellungen haften sollten und dass die Natur ein „Tor zum Eintritt in den Buddhismus“[iii] ist. Unsere subjektiven Wahrnehmungen sind oft zu schematisch und verlieren damit die direkte Kraft der Natur. Wenn wir das fließende Wasser wirklich sehen wie es ist, gehören die Berge dazu. Sie bewegen sich gewissermaßen zusammen mit dem fließenden Wasser. Das ist das Geheimnis der vielfältigen sich bewegenden Natur zusammen mit dem Menschen. Das ist die wunderbare Ganzheit des Lebens! Das ist das gemeinsame Entstehen in Wechselwirkung wie es bei Buddha und Meister Nagarjuna heißt. Dôgen sagt:

Bitte anklicken

„In den früheren Zeiten des Frühlings und Herbstes hat Toba die Berge und Wasser nicht wirklich gesehen und gehört. Aber in jenen Augenblicken hat er sich in der Nacht ganz geöffnet. Er konnte die Berge und Wasser direkt und unverstellt sehen und hören.“

Menschen auf dem Buddha-Weg und die Bodhisattvas sollten Tobas Erwachen zum Anlass nehmen, selbst zu lernen, die Berge und Flüsse wahrhaft zu sehen und zu hören. Und Dōgen fügt hinzu: "Wer in der Natur erwacht, fällt nicht zurück!Buddha erwachte in der reinen Natur in Indien, als der Morgenstern aufging. Vorher konnte er durch die damalige Philosophie, Meditation und seine harte Askese trotz größter Anstrengung gerade nicht erwachen. Wir sollten unsere Natur daher schonen, pflegen und lieben. Sie ist ein Wunder.

Link: Tobas Erwachen


[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 109

[ii]         Kap. 14, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 129 ff.: „Das Sûtra der wirklichen Berge und Wasser (Sansui gyô)

[iii]         Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 1, Fußnote 16, S. 87

Dienstag, 18. Oktober 2022

Shikan hört im Jetzt den wahren Ton des Bambus


Eine im Zen-Buddhismus berühmte Geschichte handelt von dem Mönch
Shikan, der unter dem Zen-Meister Dai-i [i]durch einen jähen Ton Erleuchtung erlangte. Aber wie ist das möglich? Muss man dazu nicht die schwierige Philosophie des Buddhismus vollkommen verstehen und ein geistiges Genie sein? Wohl nicht, wie diese Geschichte zeigt! Shikans Meister Dai-i sagte zu ihm:

„Du bist von scharfem und brillantem (Verstand) und hast ein umfassendes Verständnis (der buddhistischen Lehre). Sag mir einen Satz über den Zustand, den du hattest, bevor deine Eltern geboren waren, ohne dass du aus irgendeinem Text oder Kommentar zitierst.“[ii]

Es handelt sich dabei nicht um eine intellektuelle Frage nach der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, sondern um die direkt erlebte Wirklichkeit im gegenwärtigen Augenblick.

Der Mönch Shikan suchte in mehreren Denk-Anläufen nach einer klaren Antwort, die seinen Meister zufriedenstellen könnte. Aber das gelang überhaupt nicht. Er war verzweifelt! Er strengte seinen Geist immer mehr an, so sehr es ihm überhaupt möglich war, aber ohne jeden Erfolg. Schließlich bat er seinen Meister inständig darum, ihm zu helfen, um aus dieser aussichtslosen Situation heraus zu kommen.

Aber Meister Dai-i lehnte das entschieden ab:

„Ich hätte nichts dagegen, dir etwas Hilfreiches zu sagen, aber wenn ich dies tue würdest du vielleicht später Groll gegen mich hegen.“

Was heißt das? Shikan sollte zu seinem eigenen Besten selbst den Schlüssel des Lebens finden. Er verließ das Kloster und zog sich auf einen Berg zurück. Dort lebte allein er allein im Einklang mit der Natur und im Rhythmus der Zen-Praxis . Und dann passierte es: Als er eines Tages seinen Weg vor der Hütte fegte, löste sich ein Kieselstein vom Boden, traf auf das Rohr des Bambus und erzeugte dabei einen klaren einfachen Ton: „Bong“. Das schlug bei Shikan ein! Das war der Wendepunkt seines Lebens.

Das war der wirkliche Ton, ohne intellektuellen und doktrinären Anspruch. So einfach und wunderbar sind das Leben und das Universum.

Shikan erkannte schlagartig, dass sein Meister ihm wie kein anderer geholfen hatte, nur durch die eigene Erfahrung wirklich zu hören. So gelangte er  zur Wirklichkeit, die sich ihm jetzt und völlig unerwartet geöffnet hatte.

Dōgen zitiert zu Shikan:

‚Bei einem einzigen "Bong" verlor ich das (alte) Bewusstsein, nicht länger muss ich (unnatürliche) Selbstdisziplin üben. Es gibt keine (negativen) Spuren irgendwo"

Meister Dogen beschreibt das Lebens und Universum auch im berühmten Kapitel Genjo Koan: ´Das verwirklichte Universum´. Denn was wären wir ohne das Universum, ohne das Licht und ohne die Energie der Sonne? Der Mönch Shikan und das Universum waren nun eins und mit ihm verbunden. Was nützen da Zitate und scharfsinniges Denken? Nicht viel, denn es geht um mehr!

Und Dōgen fügt hinzu: "Wer in der Natur erwacht, fällt nicht zurück!" Buddha erwachte in der reinen Natur in Indien, als der Morgenstern aufging. Vorher konnte er durch die damalige Philosophie, Meditation und seine harte Askese trotz größter Anstrengung gerade nicht erwachen. Wir sollten unsere Natur daher schonen, pflegen und lieben. Sie ist ein Wunder!

Universum verwirlichen


[i] Zen-Meister Dai-i lebte von 771 bis 835.

[ii] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 109

Samstag, 8. Oktober 2022

Die heilende Akkupunktur-Nadel der Zen-Meditation

In dem zentralen Kapitel Dōgens, in dem es um die heilende Wirkung der Zazen-Praxis geht, verwendet er neben der Akupunktur-Nadel das Gleichnis von einem Ochsen-Gefährt: Die meisten Menschen besonders bei uns im Westen denken, dass man den Ochsen antreiben oder gar schlagen müsse, wenn das Ganze stehen geblieben ist. Der Ochse, der den Wagen heraus ziehen soll, ist dabei das Symbol für den Geist. Der Wagen ist das Symbol für den Körper. Und die heilende Nadel setzt natürlich beim Körper-und-Geist an. Wo denn sonst? Sie muss genau den Punkt treffen, um das Leiden zu vermindern oder ganz zur Ruhe kommen zu lassen. Nach Dōgen hat die Zen-Meditation genau eine solche Wirkung. Funktioniert Akupunktur ohne unseren Körper? Sicher nicht. Zen-Meditation ist ganzheitlich und viel mehr als Nachdenken und Reflektieren.

Die beiden Bereiche Körper und Geist müssen wechselwirkend zusammenarbeiten, damit der Mensch auf seinem Entwicklungs- und Lebensweg vorankommt und sich weitgehend befreit. Häufig ist der Wagen die Ursache dafür, dass es zum Stillstand kommt, wenn er zum Beispiel in einem Schlammloch festsitzt oder wenn ein Rad gebrochen ist. Das Hemmnis entsteht also durch ein Problem mit dem Wagen, symbolisch mit dem Körper. Oder anders gesagt: Der Geist kann das Lebens nicht isoliert vom Körper auf dem Weg voranbringen, erklärt Dōgen.

Wenn demnach der Körper die Haupt-Ursache für das Problem ist, nützt die isolierte Anspannung und Konzentration des Geistes allein nicht viel oder überhaupt nichts. Dann muss vor allem am Körper angesetzt werden, und der Körper ist untrennbar mit dem wahren Selbst des Menschen verbunden. Dōgen sagt, dass der Geist nicht wirken kann, wenn der Körper festgefahren, statisch oder sogar erstarrt ist. Nur wenn das harmonische Handeln von Körper und Geist gelingt, kann neue Dynamik, Freude und Bewegung für den Menschen entstehen. Dann kann gute Therapie wirksam werden

Dōgen kommt zu dem Schluss, dass Körper und Geist immer eine verbundene Einheit bilden und beim Handeln nicht getrennt werden dürfen. Und Handeln ist nicht zuletzt körperliches Handeln. Sonst bleibt der ganze Wagen als Symbol für den Menschen eben stehen. Körper und Geist sind keine isolierten Teile des Menschen, sondern wirken zusammen: Man sollte sich nicht einseitig auf den Geist konzentrieren und nicht auf ihn „einprügeln“ – aber auch nicht einseitig auf den Körper. Die Akupunktur-Nadel der Zen-Meditation heilt das Ganze!

Wagen und Ochse, Körper-und-Geist dürfen nicht getrennt und isoliert verstanden werden, um das praktische gute Handeln in der Wirklichkeit zu erfassen und zu ermöglichen. Oder um mit Meister Nāgārjuna zu fragen: Ist ein stehender statischer Wagen eigentlich ein wahrer Wagen? Ich meine : Ist er nicht! Oder ist er nur ein unveränderlicher Schein, der nicht die Qualität der Wirklichkeit, also des Handelns realisiert? 

Das mag spitzfindig erscheinen, ist es aber nicht. Es ist sicher unbestritten, dass es um die Bewegung eines fahrenden Gefährts von Wagen-Ochsen-und-Kutscher in der Wirklichkeit geht: Ohne Bewegung kein Leben! Die Teilsysteme müssen in sinnvoller Wechselwirkung gemeinsam ihre Aufgaben erbringen, denn der Sinn des Wagens verwirklicht sich, wenn er beladen ist, vom Ochsen auf dem Weg gezogen wird und zum Ziel fährt. So etwas kann weder ein isolierter statischer Geist noch ein isolierter erstarrter Körper leisten. Die Akupunktur der Zen-Meditation heilt das Ganze.

Links  Vertiefung: Zen-Praxis

Zen-Meditation, Dogens authentische Beschreibung

 

Samstag, 1. Oktober 2022

Die Buddha-Augen im Herbst

Wenn wir auf dem Weg des Buddha-Dharma vorangehen oder sogar erwachen, bedeutet dies nach Dōgen, dass wir die „alten“, begrenzten und verzerrenden Augen verlieren und sich die „neuen“, erwachten öffnen. Was ist damit gemeint? Dazu müssen wir uns von verzerrenden und oft verhärteten Affekten und Emotionen, unbewusst gesteuerten Sichtweisen und Vorurteilen sowie lieb gewordenen „Denknestern“ trennen. Dann können wir zu einer neuen Freiheit des Sehens, Handelns und Denkens zu kommen. Verkürzt heißt das: Wir sollten die Drei Gifte: Gier, Hass und Verblendung unwirksam machen und schließlich ausschalten.

Zen-Meister Dōgen regt an, dass wir die konkreten Dinge unserer Umwelt sehr genau betrachten, genauso wie sie sind. Aber unser Sehen sollte über die äußere Form hinausgehen, denn nur dann können wir die buddhistische, umfassende Wirklichkeit erkennen. In diesem Zusammenhang zitiert er seinen eigenen chinesischen Meister:

„Der Herbstwind ist rein und frisch, und der Herbstmond ist klar und hell.

Die Erde, die Berge und Flüsse leuchten klar im Auge.

Tendō sieht sie, und sie begegnen sich neu und frisch.

Sie laufen mit Stöcken rufend umher und prüfen mich, den Flickenmönch.“

In der ersten Zeile des Gedichts geht es um die volle Wahrnehmung des Windes und Mondes im Herbst. Diese Jahreszeit ist in China und Japan besonders beliebt, weil die Hitze und Schwüle des Sommers dann vorbei sind, die Nächte wieder kühl und klar werden und die Chrysanthemen blühen. Das Laub färbt sich in vielfältigen wunderbaren Farbtönen. Das Gedicht von Tendō Nyojō geht also über eine äußerliche, durch die Form und Materie festgelegte Beschreibung hinaus und vermittelt uns eine große poetische und spirituelle Kraft.

Dōgen spricht von der Begegnung der klaren Erde, Berge und Flüsse mit dem Mönch. Dabei wird deutlich, dass eine Trennung in ein Subjekt, das sieht, und die Natur als Objekt, das gesehen wird, unsinnig ist oder zumindest eine eindimensionale verengte Sichtweise darstellt.

In der letzten Zeile wird auf das Erwachen des Meisters verwiesen, der von der Natur geprüft und getestet wird. Das heißt, dass die Natur in besonderer Weise unseren psychischen und geistigen Zustand an uns selbst zurückmelden kann, in klärende Verbindung mit uns kommt und damit die Wahrheit des Buddha-Dharma lehrt. Wer nach Dōgens Überzeugung in lebendiger Wechsel-Wirkung mit der Natur das große Erwachen erfährt, zum Beispiel durch blühende Pfirsichbäume im Frühling oder den Wind und Mond im Herbst, ist besonders sicher im Gleichgewicht verankert und „fällt nicht in Ideologien und Statik zurück“.

Die Klarheit und Frische des Herbstwindes erfahren und erleben wir genau im jetzigen Augenblick mit allen Sinnen. Dann sind wir offen für die Natur und nicht durch eigene Gedanken und Emotionen besetzt oder und abgelenkt: Das schädliche Grübeln hört auf.

Dann eröffnet sich für uns die Vierte Dimension der Zeit: Das große Jetzt!:

„Gautama verliert seine (bisherigen) Augen.

Nur ein Zweig Pflaumenblüten im Schnee.

Jetzt sind alle Orte beschwerlich und voller Dornen.

Und doch lachen die tanzenden Blüten im Frühlingswind.“

Die Augen „springen heraus“ in den Augenblick, wir geben alles, und „dies ist der erste Tag“.


Vertiefen: Buddha-Augen im Zen bei Dogen


Montag, 19. September 2022

Mit Buddhismus jetzige Krisen meistern



Der Zen-Buddhismus ist vor allem in Japan in sehr schweren Zeiten auf der Grundlage des authentischen Buddhismus entstanden. Er hat sich aus meiner Sicht in schweren Krisen besonders bewährt: Lang andauernde grausame Kriege, Hungersnöte, Willkür-Herrschaft der Oberschicht, Natur-Katastrophen usw.. Als Kriegskind kannte ich schweren Krisen in Deutschland und habe mich nicht zuletzt deswegen für den Zen entschieden. Wir kannten Hunger, Kälte und fehlende Schulen als existentielle Not und Erfahrung.

Mit der Zen-Meditation begann ich in einer Berufskrise bei einem mega-schweren Informatik Projekt in der Pionierzeit, als man Programme noch nicht herunterladen konnte, sondern selbst im Team erarbeiten musste. Dabei spielte die Lebens-Philosophie des japanischen Bogenschießens eine große Rolle aber vor allem die tägliche Meditation! Viele IT-Projekte scheiterten damals. Meine Krise konnte auch durch die Zen-Meditation gemeistert werde und ich bekam wegen des Erfolges darüber hinaus einen kräftige Schub in meiner noch jungen Berufs-Laufbahn. Wundert es dich, dass ich beim ZEN geblieben bin?

Heute bahnen sich wieder Krisen an. Der einfache Wohlstand und das heile Klima bleiben uns vermutlich nicht länger erhalten. Wir sollten Vorsorge treffen, um die möglichen Krisen zu überstehen. Denn Krisen kann man nutzen, um alte Fehler zu überwinden und auf Neuland vorzustoßen, davon bin ich fest überzeugt. Also Hemmnisse möglichst klar erkennen, umsteuern und neue Kräfte entwickeln.

Aus buddhistischer Sicht und Erfahrung kann man sagen, dass diese Welt, das Universum und das Leben die Verwirklichung des rechten Handelns und der anstehenden Aufgaben sind.[i] Das dynamische Ganze unseres Lebens ist nichts Statisches, sondern es beruht auf dem Handeln je im Augenblick, indem wir unsere Aufgaben und Verpflichtungen wahrnehmen und auf natürliche Weise ethisch handeln. Das können wir gerade in Krisen nutzen.

Das torlose Tor ist das wahre Tor zum Leben

Wann ist das besonders wirksam? Im Augenblick, in der Gegenwart des Jetzt wird das Leben wahrhaftig gelebt. Dies überschreitet nach Dōgen Begriffe, Vorstellungen und Hirngespinste wie groß oder klein sie sein mögen. Und vor allem übersteigt es Kummer, Jammer und Verzweiflung, wie Buddha sagt. Das ist die positive Dynamik in jedem Augenblick und so können wir die Wechsel-Wirkungen aktiv in unserem Sinne steuern: Dōgen sagt hierzu:

„Es gibt keinen einzigen Augenblick und keine einziges Ding oder Phänomen, die nicht das Leben sind. Es gibt keine einzige Tatsache und keine einzige Funktion des Geistes, die nicht das Leben sind.“

Er beschreibt dann das Gleichnis von einem auf dem Meer gleitenden Segelboot, das von den Menschen im Boot bedient wird und mit dem Wind im Wasser vorwärtskommt:

„Das Leben kann damit verglichen werden, dass ein Mensch in ein Boot steigt: In diesem Boot setze ich den Mast, ich führe das Ruder und ich bediene das Segel. Ich werde von dem Boot getragen und es gibt kein abgegrenztes Ich, sondern nur (mein Handeln mit) dem Boot." Also Handeln im Jetzt.

Link: Zen und Dynamik


[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 2, S. 62ff.

Mittwoch, 14. September 2022

Das Jetzt ist die große Wahrheit und vierte Dimension der Zeit



Meister Dogen beschreibt im zweiten Kapitel seines genialen Werkes Shobogenzo , die "Schatzkammer des wahren Dharma-Auges", vier verschiedene Zeiten. Er vertieft diese authentische Lehre und Praxis in dem berühmten Kapitel zur wahren Zeit, in Deutsch "Sein-Zeit". Wieso denn vier Zeiten? Bei uns gibt es doch nur drei: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ist das vielleicht die tiefe für den Westen nicht einfach verständliche Wahrheit von Buddha und Dogen? Ja, das ist genau richtig! Dogen sagt:

"Ein Zustand (des Menschen) wird als gegenwärtiger Augenblick verwirklicht. Das ist der höchste rechte Zustand der Wahrheit im Gleichgewicht."

Das ist die Vierte Dimension der Zeit und nach Dogen: "Der höchste ausgeglichenen Zustand der Wahrheit"

"Es gibt drei weitere Zustände der umfassenden Weisheit. Sie sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" 

Die umfassende Weisheit heißt wörtlich aus dem Sanskrit übersetzt: "An das andere Ufer gelangen" Also die Klarheit des Geistes zu erlangen.

Was ist also der zentrale Unterschied? Die drei Zeiten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind die Weisheiten des Geistes, das heißt Denken, Erinnern, Erwarten, Sich-Vorstellen, Vermuten, Dichten usw. Alle diese geistigen Tätigkeiten können auf dem höchsten für den Menschen möglichen Niveau sein. Dogen bezeichnet sie dann als umfassende Weisheiten.

Es gibt aber leider viele Tätigkeiten des Geistes, die sich davon radikal unterscheiden. Das sind Hirngespinste, Spekulationen, Sich-Irren, Behaupten, Lügen Täuschen, Verwirren usw. Das kann keine Wahrheit sein.

Der gegenwärtige Augenblick geht weit über den denkenden Geist hinaus und ist eine ganz andere Dimension. Er ist der höchste ganzheitliche  Zustand der Wahrheit des erwachten Menschen, also weit mehr als Weisheit.

Das ist nach Dogen die Vierte Dimension der Zeit. Und es ist die große Einheit von Handeln, Sein und Zeit, die Sein-Zeit, wie R. Linnebach und ich sie bei der Übersetzung ins Deutsche genannt haben. Dieser Zustand wird im Gleichgewicht, mit der Kraft der Mitte im Handeln und in der Meditation verwirklicht. Die Sein-Zeit ist auch in Wechselwirkung mit der Weisheit, aber geht über den denkenden Geist hinaus. Das ist die Vierte Dimension der Zeit des Augenblicks, ohne sie gibt es kein wahres Leben, sagt Zen-Meister Dogen. Dann und nur dann sind alle Vier Zeiten in lebendiger Wechselwirkung und sind umfassende Weisheit.

Meines Wissens gibt es in der westlichen Philosophie dazu keine echte Parallele, denn der Westen konzentriert sich (nur!) auf Geist und Weisheit und nicht auf das ganze erwachte Leben des Menschen von Körper-und-Geist. Daher hat die westliche Philosophie zwar ein sehr hohen Niveau erreicht, aber ist m. E. therapeutisch nur begrenzt wirksam.

 Link: Langtext zur wahren Zeit von Dogen

Zeit im Mittleren Weg von Nagarjuna

 

 

Sonntag, 11. September 2022

Den eigene Lebens-Weg und wahren Ort finden


Wo die drei Gifte des Lebens vorherrschen ist nicht der wahre Ort unseres Lebens und unserer Familie. Welches sind nach Buddha die drei Gifte? Gier, Hass und Verblendung. Dann ist Leiden unvermeidlich, wenn wir nicht mit den Vier Edlen Wahrheit das Leiden überwinden und dem Achtfachen Pfad folgen. Welches sind nun die Sieben Faktoren der Befreiung auf diesem Weg, der für alle Menschen gilt? Was sind die wesentlichen Faktoren des Glücks und eines erfüllten Lebens? Denn das ist das wahre und sehr praktische Befreiungsziel des Buddhismus für uns selbst und für andere. Damit wird klar, dass wir uns den Kompass unsers Lebens suchen und diese Faktoren der Befreiung und des erfüllten Lebens verwirklichen. Gleichzeitig sollten wir in einer Gruppe der Familie und der Freunde leben, in der es gleiche oder ähnliche Lebensziele gibt. Und auch im Beruf geht es darum, diese wesentlichen Faktoren der Befreiung im Blick zu behalten. Sie sind: Achtsamkeit, Unterscheidung und Genauigkeit im Hier und Jetzt, Energie und Lebenskraft, Gestilltheit ohne Gier, Freude und Kreativität, meditative Vertiefung und schließlich Gleichmut aus der Kraft der Mitte.


Und wir sollten nach Dōgen unseren wahren Ort in der Welt für unser Leben finden und verwirklichen. Genau dort öffnet sich der große Augenblick und das Momentum unseres Handelns und Lebens in der Welt. Dann ist die Wechselwirkung mit dem Universum. Das ist der höchste rechte Zustand der Wahrheit im Gleichgewicht in unserer vernetzten Welt. Bei Dōgen heißt es:

„Wenn ein Mensch in diesem Zustand Buddhas die Wahrheit praktiziert und erfährt, erlangt er einen Dharma der Wahrheit und durchdringt einen Dharma. Er begegnet dem Handeln und vollzieht das Handeln. In diesem Zustand verwirklicht sich der wahre Ort und wird der Weg gemeistert. Das alles ist nicht unbedingt  offensichtlich (für den verengten Verstand).“


Am Beispiel der Fische im Wasser und der Vögel in der Luft erläutert Dōgen, dass wir Menschen und jedes Lebewesen seinen eigenen Ort, seinen Lebensraum, sein Handeln, seine Verwirklichung und seine Wahrheit in dieser Welt haben. Er sagt:


"Wenn ein Fisch das Wasser verlässt, also falsch handelt und lebt, muss er sterben. Wenn ein Vogel vom Himmel auf die Erde herunterfällt, (weil er nicht richtig fliegt), stirbt er ebenfalls. Wenn der Fisch und der Vogel in ihrem rechten Element und Raum leben und handeln, haben sie ihren richtigen Ort in der Welt und in Buddhas Wahrheit."

Link: Zum Text von Dogen

 

 

Montag, 29. August 2022

Das eigene Leben und das Universum verwirklichen

 

Was sagt Zen-Meister Dōgen über die befreiende Wirklichkeit im Hier und Jetzt? Was sind die fundamentalen Eckpunkte der buddhistischen Lehre für ein gelungenes Leben und die Praxis? Wie beschreibt er die wahre Befreiung von Hemmnissen und die Entfaltung unseres wahren Selbst? Das ist sicher die Soheit und handelnde Öffnung mit der Kraft der Mitte im Hier und Jetzt. Und diese Kraft gibt uns fundiertes Vertrauen zum eigenen Handeln, Denken und damit zu uns selbst. Wir sind dann gelassen und handlungsfähig, was auch kommen mag, gerade in Krisen.

Dogen fasst diesen Weg der Lebensfreude, Befreiung von alten Zöpfen und Überwindung ängstlicher Enge in seinem berühmten Kapitel: "Das verwirklichte Universum" zusammen. Denn die Wechselwirkung mit dem Universum und anderen Menschen ist die wahre Natur des Menschen, nicht Isolation und Stillstand. Dogen spricht sogar von dem wahren Gesetz des Lebens, auf japanisch koan.

Dieses Kapitel wird in der der Fachwelt sehr hoch geschätzt.[i] Ich möchte daher versuchen, das Wesentliche möglichst verständlich zu erklären. Denn durch eine solche Verwirklichung wächst die Ganzheit des wahren Lebens in dieser Welt.

Es ist wichtig, dass wir uns sowohl der Vielfalt der Welt im Hier und Jetzt, der umfassenden Lehre des Buddha und Meditation anvertrauen. Es ist sinnlos, die negativen Emotionen durch unnötiges Grübeln immer mehr zu verstärken, bis sie hart wie Eisen-Beton sind. Die Gehirnforschung hat eindeutig nachgewiesen, dass Grübeln die schlimmsten emotionalen Auswirkungen auf uns hat. Und viele wissen das nicht einmal. Was sind danach am positivsten Wirkungen? Meditation und Handeln im Jetzt, ohne Abschweifen! Das gilt besonders für die schwierigen Zeiten der Gegenwart. Daran ist wissenschaftlich nicht zu zweifeln.

Im Folgenden möchte ich den ersten zentralen Absatz von Dōgens Kapitel genauer beschreiben. Dabei verwende ich die von Nishijima Roshi entwickelte Interpretation, die meines Erachtens sehr stimmig ist. Denn sonst besteht die Gefahr, sich in Widersprüche zu verstricken. Widersprüchlichkeit lehnt Dōgen selbst übrigens entschieden ab. Er sagte, dass die Lehre des Buddhismus gerade im Zen niemals unlogisch, paradox und gegen die Vernunft sei – wer das behauptet, habe den Zen überhaupt nicht verstanden und nicht erprobt. Verkürzt sagt uns Dogen:

(1) Wenn alle Dinge und Phänomene nur als Theorie verstanden werden, dann gibt es Täuschung und Verwirklichung, gibt es gedachte Praxis und es wird über  Leben und Tod gegrübelt. Es gibt nur gedachte Buddhas und abgelehnte gewöhnliche Wesen. Also keine Wirklichkeit im Jetzt.

(2) Wenn die Fülle der Dinge und Phänomene nur materialistisch verengt gesehen und gedacht werden, sind wir von der Umwelt isoliert und werden depressiv: Der Starke des Materialismus ist nämlich am schwächsten allein. Die buddhistischen Lehren sind dann überflüssig. Unser Selbst hat keinen lebendigen Kontakt zur Welt. Es gibt dabei keine gedachte Täuschung, aber auch keine Verwirklichung und keine Buddhas. Also auch keine Wirklichkeit im Jetzt.

(3) Die Wahrheit Buddhas übersteigt die obigen Begrenzungen des Lebens. Dann und genau dann eröffnet sich die Wirklichkeit im eigenen Leben. Das ist die klare Erfahrung im Jetzt.

(4) Und weil dies so ist, erleben wir die herrlichen Blüten, auch wenn sie einmal fallen. Und das Unkraut, das wir nicht mögen, verschwindet als Grübeln aus unserem Körper und Geist. Wir bleiben gelassen und im Gleichgewicht in der Mitte. Das ist gelungenes Leben im Hier und Jetzt.

Zweifellos gehören diese Sätze zum Kern des Zen, sie sind allerdings zunächst nicht leicht zu verstehen. Wenn du sie häufiger auf dich wirken lässt, bin ich sicher, dass sie zum Kompass deines Leben werden.

Link: Vertiefen: Verwirklichen


[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 57ff. und englische Fassung Kap. 3

Freitag, 12. August 2022

Die Zazen-Praxis hat erstaunliche Heilkraft

 

Dogen berichtet, dass er durch die Zazen-Praxis erst in China den wahren Buddhismus und dessen große Heilkraft selbst erfahren hat. So verwirklichte er die Befreiung und Erleuchtung.

Worum geht es in diesem berühmten Kapitel zur Zazen-Praxis? Bei dieser Form der Meditation wird der Geist gerade nicht angestrengt, denn es heißt "Körper und Geist fallen lassen" Dogen sagt, die Zazen-Praxis ist kein Konzentrations-Zen. Ich bin fest überzeugt, dass es die Vierte Stufe der Meditation, Jhana, nach Buddha ist: "Keine Grenzen, alles loslassen, weit geöffnet ohne Raum und Zeit". Aber ganz wichtig: korrekte Haltung des Körpers, gerader Rücken und gestreckter Kopf. Was heißt das? Wir sanieren und heilen uns hauptsächlich durch den Körper und schon gar nicht durch einen isolierten angestrengten Geist und Verstand.

Dōgen bringt das Gleichnis von einem Ochsen-Karren, wenn der Geist zu sehr angestrengt wird: Der Ochse steht für den Geist und der Wagen für den Körper. Wenn das Gefährt stecken geblieben ist, wirst Du sicher denken, dass man den Ochsen antreiben oder gar schlagen muss. Symbolisch schlägst dann auf deinen Geist ein: mit Grübeln, großer geistiger Anspannung und Konzentration. Wahrscheinlich schlägst immer wieder, aber leider vergeblich. Dogen sagt etwas anderes: Wir sollten den Wagen sprich den Körper direkt flott machen, dann können wir auf unserem Weg gut weiter fahren. Das ist die Praxis des Körpers, das ist Zazen-Praxis, das ist die Vierte Vertiefung Buddhas. Denn Körper und Geist sind nicht getrennt, wie wir im Westen oft fälschlich annehmen. Wenn das ganze Gefährt stehen geblieben ist und weiterfahren soll gehe ganzheitlich über die korrekte Zazen-Haltung vor.. Der Ochse,

Die beiden Bereiche Körper und Geist arbeiten wechselwirkend heilsam zusammen, damit der Mensch auf seinem Entwicklungs- und Lebensweg gut vorankommt. Wenn das harmonische und klare Handeln von Körper und Geist gelingt, kann eine neue ungeahnte Dynamik, Bewegung und Freude entstehen. Im Westen strapazieren wir heute unseren Geist und Intellekt wirklich genug oder zuviel. Dann kann die Zazen-Praxis wirklich Wunder wirken. Das kann ich aus eigener Erfahrung voll bestätigen: Durch tägliche Zazen-Praxis konnte ich meine schlimmste Berufskrise als Informatiker lösen.

Dōgen kommt zu dem Schluss, dass Körper und Geist immer eine wechselwirkende Ganzheit bilden und beim Handeln nicht getrennt werden dürfen. Sonst bleibt der Wagen deines Lebens eben stehen. Körper und Geist sind überhaupt nicht von einander getrennt: Grade wer intellektuell und geistig heute stark gefordert ist, wie ein Informatiker, sollte nicht weiter auf seinen Geist „einprügeln“. Dann ist die Praxis des Zazen besonders wohltuend und wirksam. Das habe ich selbst ausprobiert.

Klicken: Vertiefung Zen-Praxis

              Das verwirkliche Universum, Genjo Koan

 

Mittwoch, 10. August 2022

Lotos-Sūtra ist die Dharma-Blume der Wahrheit

Dōgens tiefe Erfahrungen im Zen vor allem in China und sein praktischen Handeln für Mönche und Laien hat ihm völlig neue Dimensionen dieses Sūtra eröffnet. Es handelt nicht von wundergläubigem Volksbuddhismus und auch nicht von metaphysischem zu abstrakten Mahayana. Es handelt von der Befreiung und Emanzipation des Menschen! Es hat dadurch große heilsame Wirkungen im Buddhismus bewirkt und ist auch für einfache Menschen wie Du und ich überzeugend. Es gibt kräftige Impulse zur Sinn-Findung und Sinn-Gestaltung in unserem Leben, auch hier und jetzt!

Häufig wurde das Lotos-Sūtra als romantisches und wirklichkeitsfremdes Märchen verstanden, sozusagen als Volksbuddhismus voller Wunder und übernatürlicher Wesen und Kräfte, die man anrufen kann und die uns helfen. Das ist viel zu mager und verdünnt. Denn das Lotos-Sūtra ist auch große Poesie.

Nach einer Überlieferung, die auf Daikan Enō (Huineng) zurückgeht, beschreibt das Lotos-Sūtra in genialer Weise seine eigene erleuchtete Version von Bewegung und Weiterentwicklung der höchsten dem Menschen zugänglichen Wahrheit. Er sagt, dass wir die Dharma-Blume der Welt und des Lebens selbst drehen und bewegen, wenn wir die wahre Freiheit erlangt haben. Wer sollte denn die Welt heilsam bewegen, wenn wir es nicht tun? Dōgen wählt dabei auch die Sprache des Dichters, um diesen höchsten Zustand des Menschen zu beschreiben, denn mit spitzfindiger Intellektualität ist dies nicht möglich. Der Zen ist nicht paradox und in sich widersprüchlich, denn er überschreitet einfach die Alltags-Logik vieler Menschen.

Beim Drehen der Dharma-Blume unterscheidet Dogen, ob sich ein Mensch in Täuschung befindet oder nicht. Diese Bewegung und Drehung der Dharma-Wahrheit kann man wissenschaftlich als selbstverstärkende Dynamik verstehen, die sich – einmal angestoßen – zu unserem erwachten Leben in der Wirklichkeit der Welt bewegt. Dadurch werden alte und neue Hemmnisse immer einfacher weg geräumt.

Die Suche nach dem wahren Dharma sei allerdings nicht einfach, sie wird mit dem Graben nach Grundwasser verglichen:

„Wenn Menschen Durst haben und Wasser suchen, graben sie zum Beispiel auf einer Ebene, die trocken und ausgedörrt erscheint. Wenn sie Ausdauer haben und tiefer kommen, entdecken sie feuchte Erde und wissen, dass sie auf dem richtigen Wege sind. Dann ist das Wasser nicht mehr weit. Wer dann ausdauernd weiter gräbt, stößt tatsächlich auf das Grundwasser.“

Dōgen gibt dann das Gedicht wieder, das Hui Neng dem Mönch Hōtatsu nach dessen Erwachen vortrug. Es nennt kurz und prägnant die Eckpunkte des Buddhismus, die dem Lotos-Sūtra eine ganz neue Tiefenschärfe geben:

„Wenn der Geist in Täuschung ist, dreht sich die Blume des Dharma (ohne dich).

Wenn der Geist in der Verwirklichung ist, drehst du die Blume des Dharma."

Wenn wir nicht Klarheit von uns selbst haben, wird das Lotos-Sūtra wegen seiner tiefgründigen Bedeutungen sogar unser Feind werden, ganz gleich, wie häufig wir es rezitieren. Also selber drehen!

Klicken: Lotos-Sutra vertiefen