Dienstag, 28. Januar 2014

Reinigung von Körper, Geist und Land


In dem Gespräch der beiden großen alten Meister Daikan Enō und Nangaku geht es darum, wie man den Körper mit Sorgfalt und ohne Hektik wäscht und säubert; einbezogen sind dabei gleichzeitig der Geist und die Moral. Für Menschen des Westens mag es befremdlich erscheinen, dass Dōgen sich vor allem darauf bezieht, wie man die Toilette benutzt und sich danach mit den damaligen Mitteln gründlich reinigt.

Aber eine solche Reinigung säubert nach seinem Verständnis zugleich den Geist und das Land, denn im Buddhismus gibt es keine Trennung zwischen dem einzelnen Menschen, der Gruppe und dem Land, in dem er lebt. Ein solches Handeln wird als Übungspraxis des Dharma-Weges beschrieben. Die körperliche Praxis wird keineswegs von dem Leben des Buddha-Dharma getrennt, sondern ist ein wesentlicher Teil davon.

Wenn man Darm und Blase entleert, handelt es sich demnach um einen menschlichen Vorgang und eine gute Handlung, durch die man auch den Geist säubert und reinigt. Dabei solle man den Wunsch haben, dass auch andere Lebewesen und Menschen einen sauberen und reinen Körper-und-Geist haben oder erlangen.

Dōgen erwähnt hier das Beispiel des Wassers, das von Natur aus und ursprünglich so ist, wie es ist, und daher eigentlich unabhängig von Reinheit und Verschmutzung bleibt. Das Gleiche kann man für den menschlichen Körper und für alle Dharmas, also für die gesamte Welt, sagen: Das Wasser hat keine Gefühle und keinen Geist der Abneigung oder des Ekels, und dies sollte auch für uns selbst und alle Dharmas gelten. Die Wirklichkeit ist Handeln – zum Beispiel beim Waschen und Reinigen –, wie Dōgen mehrfach im Shōbōgenzō herausarbeitet.

Er kritisiert jene Mönche, die ungepflegt sind, viel zu lange Nägel und Haare haben und das Gebot der Reinheit nicht beachten. Solche Menschen vergleicht er sogar mit Tieren und hält sie auf keinen Fall für Buddhisten auf dem Weg der Übungspraxis. Besonders falsch ist aus seiner Sicht eine solche Nachlässigkeit, Willkür und Ungepflegtheit, wenn es sich um sogenannte Meister handelt. Er spricht diesen grundsätzlich ab, Meister und Lehrer für andere sein zu können. Da Körper und Geist eine Einheit sind, kann es, wie er sagt, keinen reinen Geist geben, wenn der Körper vernachlässigt und verschmutzt ist:

„Die Menschen mit geringem Wissen denken nicht, dass Buddhas sich in der Toilette achtungsvoll verhalten.“

Er schildert hierzu eine Geschichte des frühen Buddhismus, in der Gautama Buddha seinem ebenfalls adligen Sohn Rahula im Toilettenraum den Buddha-Dharma mit folgendem Gedicht lehrte:

„Du bist niemals durch Armut geschlagen.
Auch hast du Wohlstand und Adel nicht verloren.
Du hast das Zuhause verlassen, nur um nach der Wahrheit zu streben.
Du wirst in der Lage sein, alle Schwierigkeiten auszuhalten.“

Dies ist eine kräftige Ermutigung für Rahula, dass er den richtigen Weg eingeschlagen hat, indem er Wohlstand, Reichtum, das bequeme Leben und hohe Ansehen eines Adligen hinter sich ließ, um nach der großen Wahrheit von Körper-und-Geist zu suchen.

Gleichzeitig ist dieses Gedicht eine Absage an vordergründige Karma-Lehren, die meinen, dass Wohlstand und Ansehen das Verdienst früherer guter Taten seien und eine echte Belohnung darstellen würden. Gautama Buddha lehrt seinen Sohn im Toilettenraum und nicht in einem goldenen Thronsaal oder prächtigen Dharma-Raum, denn äußerer Glanz entartet schnell zu Materialismus und verblendet Körper und Geist des Menschen.

Am Ende des Kapitels fasst Dōgen zusammen, dass wir auf keinen Fall ungereinigt und ungewaschen Zazen praktizieren oder uns in einem solchen Zustand vor den drei Juwelen Buddha, Dharma und Sangha verbeugen oder Räucherstäbchen anzünden sollen. Das mag vielleicht für manche etwas übertrieben klingen, aber es trifft den Kern des Zen-Geistes.


Dienstag, 7. Januar 2014

Sich körperlich und geistig reinigen



Dieses Kapitel des Shōbōgenzō heißt auf Japanisch Senjō. Dabei bedeutet sen „waschen“ und jo „reinigen“. Im Mittelpunkt steht, wie sich die Mönche im damaligen China und Japan sauber hielten, also wuschen und reinigten. Dōgen beschreibt diese Vorgänge sehr konkret und genau, aber das Kapitel steht in einem größeren Zusammenhang, denn es geht nicht nur um den Körper, sondern um die Einheit von Körper-und-Geist, ja um die spirituelle Einheit.

Es sagt ganz klar, dass wir mit dem Körper immer gleichzeitig unseren Geist und damit uns selbst ganzheitlich reinigen. Die körperliche Reinigung ist im Buddha-Dharma gleichzeitig eine geistige und spirituelle Handlung. Geistige Reinheit bedeutet auch, dass man den Körper rein hält. Wer sich körperlich verkommen lässt und unrein hält, kann laut Dōgen geistig nicht rein sein; wir würden heute sogar sagen, dass er psychisch oder seelisch heruntergekommen ist.

Aus der Geschichte wissen wir, dass nach dem Niedergang des Römischen Reiches, das eine ausgeprägte Bäderkultur besaß, in Europa katastrophale hygienische Verhältnisse herrschten und diese furchtbare Seuchen und großes Leiden verursachten. Erst im 19. Jahrhundert hat zum Beispiel der große Mediziner und Politiker Virchow in Berlin eine zentrale Abwasserableitung politisch durchgesetzt und realisiert. Das war ein gewaltiger Fortschritt für die Volkshygiene und führte zu einer schrittweisen Verbesserung der Lebensbedingungen für alle und zu einem gravierenden Rückgang der Seuchengefahr.

Aber zurück zu Dōgen: Der Buddhismus bestehe mit allem Nachdruck darauf, dass die Reinigung unseres physischen Körpers unauflösbar mit der Reinigung unseres Geistes verbunden ist, erklären Nishijima und Cross, denn „Buddhismus ist weder Idealismus noch Materialismus, sondern das (tiefe) Vertrauen in die Wirklichkeit, die sowohl eine spirituelle als auch eine materielle Seite hat.“ Körper und Geist bilden eine umfassende Einheit, weder der Geist noch der Körper werden für sich als wichtiger oder gar überlegen verstanden.

In den japanischen Klöstern werden Reinlichkeit und Sauberkeit bis heute sehr hoch geschätzt. Aber auch die Laien sollten die Tätigkeiten des Waschens mit ganzer körperlicher und geistiger Aufmerksamkeit ausführen. Nach den Sesshins der Dōgen-Sangha im japanischen Kloster Tokei-in wäscht man sich zum Beispiel gründlich, indem man sich zunächst am ganzen Körper einseift und mit klarem Wasser abspült. Danach setzt man sich zur Entspannung in mehrere Wasserbassins, die verschiedene Temperaturen haben – eine sehr angenehme Bade-Kultur.

Da die Bassins von allen Teilnehmern des Sesshins nacheinander benutzt werden, wird genau darauf geachtet, dass sich jeder vorher gründlich wäscht und abspült. Man steigt also schon rundum gereinigt in das warme oder heiße Wasser. Männer und Frauen reinigen sich in getrennten Gruppen. Die vielleicht durch die ausdauernde Zazen-Praxis verspannten Muskeln und Sehnen lockern und durchwärmen sich durch die Bäder vor dem Schlaf. Ein solcher Abschluss des Zazen-Tages bewirkt nicht nur ein rein körperliches Wohlempfinden, sondern erfasst den ganzen Menschen, also den Körper-und-Geist.

Dōgen zitiert einen Kōan-Dialog, in dem es um die Reinheit von Körper und Geist geht. Darin heißt es, wir sollen so leben und handeln, dass wir uns nicht beschmutzen und verunreinigen. Der ältere Meister Daikan Enō fragt seinen Schüler Nangaku, der später ebenfalls Meister wurde:

„Stützt du dich auf die Praxis und Erfahrung (der Erleuchtung) oder nicht?“

Was hat diese Frage mit der Reinheit von Körper und Geist zu tun? Nangaku antwortet fast kryptisch, dass die Praxis und die echte Erfahrung der Erleuchtung nur dann als Wahrheit verwirklicht werden können, wenn sie im selben Augenblick zusammenfallen und als totale Einheit erlebt werden. Praxis und Erleuchtung des Geistes können nicht getrennt werden. Und er fügt hinzu:

„Der Zustand von Praxis und Erfahrung (der Verwirklichung) kann niemals beschmutzt werden.“

Im Umkehrschluss heißt das, dass wir uns selbst verunreinigen und beschmutzen, wenn wir zwar praktisch handeln, zum Beispiel Zazen praktizieren, aber dies nicht in geistiger Einheit mit der Wirklichkeit im Augenblick vollziehen. Das ist in der Tat eine erstaunliche Aussage Nangakus. Von Natur aus und in der wahren Wirklichkeit kann die Einheit von Körper-undGeist also nicht beschmutzt werden.

Dies gilt aber nur dann, wenn wir Körper und Geist nicht künstlich und damit gewaltsam trennen.
Beim Kōan-Gespräch zwischen Daikan Enō und Nangaku ist sicherlich die Zazen-Praxis gemeint und dass der Irrtum vermieden werden muss, eine in Zukunft zu erlangende Erleuchtung anzustreben. Denn dann wären die Zazen-Praxis und die Erleuchtung voneinander getrennt und damit verunreinigt! Diese Aussage gilt für alle Tätigkeiten des Menschen und steht wegen ihrer fundamentalen Bedeutung sicher nicht zufällig am Anfang dieses Kapitels über Waschen und Reinigen.

Somit müssen Praxis, Erfahrung und Reinheit, also sowohl körperliche als auch geistige und ethische Sauberkeit, eine Einheit sein, damit Wirklichkeit und Wahrheit erlangt werden. Diese Erkenntnis ist in der Tat bemerkenswert und unterscheidet sich von den westlichen Philosophien des Idealismus, in denen zwar moralische Reinheit angestrebt wird, aber häufig die Praxis des Lebens und dessen körperlicher Bereich vernachlässigt werden.

Auch die Philosophie des Materialismus, die ganz auf die Körperlichkeit, Form und Materie abzielt, kann in diesem Licht nur als unzureichende Lebensphilosophie gekennzeichnet werden. Sie scheint objektiv zu sein, ist aber eine einseitige Theorie, um nicht zu sagen Ideologie, die weder die volle Wirklichkeit ausgewogen einbezieht, noch Ethik und Moral ausreichend berücksichtigt.
Diese Einheit von Praxis, Erfahrung und Reinheit unterstreicht Meister Daikan Enō wie folgt:

„Gerade dieser unverschmutzte Zustand (der Reinheit) ist es, welche die Buddhas immer bewahrt und erstrebt haben. So bist auch du, so bin ich, und so waren die alten Meister in Indien.“