Mittwoch, 28. April 2010

Gautama Buddhas Zeit


Gautama Buddha wurde in eine geschichtlich äußerst widersprüchliche und unruhige Zeit hineingeboren. Wahrscheinlich war er über die damaligen völlig gegensätzlichen Weltanschauungen von Idealismus und Materialismus im alten Indien sehr beunruhigt. Nishijima Roshi vermutet, dass Buddha sich deshalb so radikal entschieden hatte, sein ganzes Leben der Lösung dieses grundsätzlichen Problems der Menschheit zu widmen.
Nach seinen fast übermenschlichen, aber zunächst weitgehend vergeblichen Anstrengungen habe er schließlich doch den hervorragenden und außerordentlich kraftvollen Lösungsweg gefunden, wie wir uns durch das Erwachen befreien können. Dieser Buddha-Weg beruht auf den vier Lebensphilosophien und bildet eine Einheit mit der Meditation sowie der Zazen-Praxis.

Um ein tieferes Verständnis der kulturellen Ausgangslage Gautama Buddhas und der damaligen Zeit zu ermöglichen, sollen nun einige historische Fakten ergänzt werden. Hans W. Schumann arbeitet in seinem Buch "Der historische Buddha" für das 6. Jahrhundert vor der Zeitenwende heraus, dass das religiöse und spirituelle Leben in Indien damals sehr verflacht war.
Die magischen Opferzeremonien der Brahmanen wurden in dieser Zeit zunehmend komplizierter und kostspieliger. Die Brahmanen hatten ihre religiöse und finanzielle Macht immer mehr ausgebaut und waren auf der anderen Seite spirituell jedoch weitgehend verkümmert. So ist es verständlich, dass sich bereits ein Jahrhundert vor Gautama Buddha Bestrebungen zur religiösen Erneuerung in Indien entwickelten, die auch auf ihn einen deutlichen Einfluss ausübten.

Die Gesänge und Rituale der Brahmanen besaßen nach damaligem Glauben magische Gewalt und Kraft, mussten aber in detaillierter und genau festgelegter Form und Ausdrucksweise vorgetragen werden. Schumann führt hierzu aus:
„Denn wenn nicht mehr die (religiöse) Gesinnung des Opfernden, sondern der Beachtung der korrekten Form die ausschlaggebende Bedeutung zukam, war es ratsam, dass der Opferherr die Götterbewirtung einem Fachmann anvertraute. Die Männer, die aufgrund ihrer Beherrschung der Formalien und ihrer Kenntnis des magisch wirksamen Wortes (brahman) den Opfervollzug auftragsweise übernahmen und mit der Zeit als die Opfertechniker und Kultexperten schlechthin galten, erhielten den Berufs- und späteren Kastennamen ‚Brahmanen’.“
Man glaubte damals in religiösen Kreisen fest daran, dass durch Fehler im Vollzug des Rituals der magischen Worte und Sätze schwerer Schaden auf die Gemeinschaft und den Einzelnen zukommen würde. Daher war es von größter Bedeutung, dass diese komplizierten Rituale und magischen Verse vollkommen beherrscht und absolut richtig und ohne den kleinsten Fehler korrekt vorgetragen wurden. Schumann fährt fort:
„Mit zunehmender Komplizierung der Kulte entwickelten die Opfer-Brahmanen außerordentliche Überheblichkeit und zwar nicht allein den Opferherrn sondern ebenso den Göttern gegenüber. Aussagen wie ‚die Götter hängen vom Opfer ab’ finden sich in den Brahmana-Texten häufig.“
Vor diesem Hintergrund sei es durchaus nachvollziehbar, dass die religiösen Inhalte bereits vor der Zeit Buddhas viel zu stark formalisiert, erstarrt, spirituell weitgehend ausgehöhlt und schal geworden waren. Gleichzeitig gelang es der Kaste der Brahmanen, ihre Macht gewaltig auszudehnen und ihren Reichtum gigantisch zu vermehren. Sie behaupteten unwidersprochen, dass sogar die Götter von ihnen abhängig seien und stuften sich damit selbst hierarchisch höher als diese ein. Das ist wahrhaftig erstaunlich.
Aus dieser Beschreibung geht klar hervor, dass es einer grundsätzlichen Erneuerung des gesamten spirituellen Lebens bedurfte, um aus der damaligen Sackgasse herauszukommen. Daraus entwickelte Gautama Buddha die umfassende Lehre und Praxis der Emanzipation und Befreiung, die uns von Meister Dogen und Nishijima Roshi authentisch übermittelt wurde. Damit sind wir „im Auge des ZEN“.

Freitag, 16. April 2010

Die Wirklichkeit selbst


Im Mittelpunkt steht das Dôgen-Zitats, das vom Erwachen handelt:

„Und obgleich es wie dies ist, geschieht es nur, dass Blüten fallen, während sie geliebt (werden) und Unkräuter gedeihen, während sie verabscheut (werden).“

Was will Dôgen damit sagen? Steht diese Aussage nicht im Widerspruch zu einem anderen Satz, der den höchsten Zustand der Wahrheit des Buddha-Dharma beschreibt – die Wirklichkeit selbst – und davon spricht, dass die Probleme des Lebens und der Kummer durch das Erwachen überwunden werden?

In diesem Zitat geht Dôgen symbolisch und poetisch auf die vielfältige Wirklichkeit in der Welt und die menschlichen Gefühle für Blumen und Unkräuter ein. Alle Blüten verblühen einmal und fallen dann herab. Umgekehrt wächst und gedeiht das Unkraut, das wir verabscheuen oder sogar hassen und das uns schadet, weil es Blumen und unsere Nahrungsmittel beeinträchtigt oder sogar vernichtet, was zu Hungersnöten führen kann. Und es gab viel Hunger und Unterernährung im alten Japan, sodass Nahrungsmittel einen sehr hohen Wert hatten.

Mit seinen Worten ermuntert uns Dôgen jedoch, dass wir uns mit der Wirklichkeit der Welt, so wie sie ist, abfinden sollen und können. Die Wirklichkeit ist kein Paradies, das wir uns vielleicht wünschen und intensiv herbeizusehnen. Es hat überhaupt keinen Sinn, die Welt durch eine ´rosarote Brille´ zu sehen, denn der Rückschlag in Form von Enttäuschungen und Depressionen wird uns mit Sicherheit treffen. Es bringt auch nichts die Probleme des Lebens und der Welt ´unter den Teppich zu kehren´ oder eine Mauer des Schweigens zu errichten.

Implizit ist damit vor allem ausgedrückt, dass ein Leben in der Wirklichkeit auch real möglich ist. In der Welt existieren eben nicht nur wunderbare Blumen, sondern auch bedrohliche Schädlinge. Aber Abscheu ist eine Emotion und Bewertung, die wir als Menschen subjektiv hinzusetzen, die es eigentlich in der Natur gar nicht gibt. Wir bewerten auf diese Weise die natürlichen Gegebenheiten der Welt oft nach unseren Zwecken, Zielen und Ängsten und entfernen uns damit von der Wirklichkeit. Dadurch verschlimmern wir meist unsere Negativität und unser Leiden und schaffen sogar oft selbst die Leiden, die eigentlich größtenteils überflüssig sind. Freude setzt psychische Energien frei, aber Negativität und notorische Kritiksucht schwächen vor allem uns selbst ganz entscheidend!

Buddhas Wahrheit überschreitet die Bewertungen von Überfluss und Knappheit. Die Wirklichkeit ist unabhängig von solchen Wertungen und den damit verbundenen Emotionen. Wenn wir dies auf dem Buddha-Weg verwirklicht haben, ist das Erwachen oder die Erleuchtung eingetreten.

Ist Buddhas Wahrheit aber außerhalb und ohne Ethik realisierbar? Ist sie eine rein funktionale Lebensoptimierung, die vom sozialen Umfeld unabhängig ist? Bei dieser Frage hilft die Bedeutung des Sanskrit-Begriffes Marga-satya weiter, der auf die umfassende Wirklichkeit einschließlich der Ethik selbst verweist. Nishijima Roshi erläutert dazu:

„Gautama Buddha wurde in seinem Handeln vollständig frei, folgte der Ethik und daher erlangte er das vollkommene Glück in seinem täglichen Leben. Die Gier nach Ruhm und Profit waren für ihn wie Staub zerstoben und es war für ihn das vollständige Glück, die Ethik ohne jede Anstrengung in seinem täglichen Leben wie selbstverständlich einzuhalten.“

Ein solches Glück gebe es jedoch nicht nur für ihn, sondern für alle Menschen. Dôgen hat dieses Thema in mehreren wichtigen Kapiteln eingehend behandelt.

Mittwoch, 7. April 2010

Verwirklichung und Freiheit bei Dogen (Aus Kap. 3, Genjo koan)


Dogen sagt: „Die Wahrheit Buddhas überschreitet ursprünglich Überfluss und Mangel und daher gibt es Leben und Tod, gibt es Täuschung und Verwirklichung, gibt es (normale) Wesen und Buddhas.“
Nishijima Roshi kommentiert dieses Zitat folgendermaßen: „Die buddhistische Welt ist eine reale wirkliche Welt und daher existiert alles so wie es ist und überschreitet Überfluss und Mangel.“

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, sich darüber klar zu sein, dass Begriffe wie Überfluss und Mangel subjektive Bewertungen darstellen, aber nicht die Wirklichkeit selbst sind. Die Wirklichkeit des Lebens, die genau Leben ist, geht über Denken, Emotionen und Beobachtungen hinaus, so wichtig diese in bestimmten Situationen auch sein mögen. Der Tod ist genau Tod und Täuschung ist genau Täuschung; es gibt sie wirklich und sie können durch den realisierten und gelebten Buddhismus erkannt, erfahren und überwunden werden.
Die Verwirklichung ist also eine reale Tatsache und keine Illusion, wie notorische Skeptiker vielleicht glauben. Gewöhnliche Menschen sind genau gewöhnliche Menschen und Buddhas sind genau Buddhas, denn Buddhas und erleuchtete Menschen gibt es ganz real und sie sind historisch verbrieft. Der Buddha-Dharma ist keine nur ausgedachte Theorie und geglaubte Lehre, sondern die Wirklichkeit selbst! Wir erfahren sie genau und eindeutig, wenn wir in der Wirklichkeit angekommen, also erwacht beziehungsweise erleuchtet sind.

Die zentralen Aussagen des Buddhismus lauten: Es gibt diese Wirklichkeit des Universums und des Lebens wahrhaftig, die von Gautama Buddha zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte gefunden wurde und die er Erwachen nannte. Viele Menschen mögen daran zweifeln, dass es eine unumstößliche Wirklichkeit gibt, dass es erwachte Buddhas gibt und viele Menschen noch nicht erwacht sind, aber dass Erwachen möglich ist. Verwirklichung ist im Gegensatz zur Täuschung keine Vorstellung oder reine Theorie. Wie Dôgen häufig im Shôbôgenzô beschreibt, wird diese Wirklichkeit bei der Zazen-Praxis und durch das Handeln im gegenwärtigen Augenblick intuitiv ganzheitlich und klar erfahren. Diese Erfahrung überschreitet unser unterscheidendes Denken und die sinnliche Wahrnehmung der Form und des Materiellen, also die erste und zweite Lebensphilosophie, die durch die ersten beiden Sätze des obigen Dôgen-Zitats charakterisiert werden.
Die Wirklichkeit ist nach Dôgen und Nishijima Roshi unauflösbar mit dem Handeln im Augenblick verbunden.