Sonntag, 22. Februar 2009

Die Buddhas und Meister zusammen mit den Buddhas und Meistern verwirklichen die Form (Teil 3)

Dôgen kommt dann auf die beunruhigenden Verwirrungen und Täuschungen zu sprechen, die wir häufig in dieser Welt erleben. Wie kann man ihnen entfliehen oder wie kann man sie bewältigen?
Dazu fragte ein Mönch einen hoch verehrten Meister:

"Wenn unendlich viele (komplexe) Umstände auf einmal alle zusammenkommen, was sollte ich tun?" Der Meister sagte:
"Versuche nicht sie (mit Gewalt) zu steuern."
Er will damit sagen, dass es äußerst vielfältige und komplexe Zusammenhänge in dieser Welt gibt, auf die wir keinen direkten Einfluss nehmen können, die uns aber nicht verwirren sollen.
Der Meister tadelte den Mönch nicht wegen dieser Frage, in der sicher dessen Lebensangst mitschwingt. Sie zielt nämlich auf die große Vielfalt der Wirklichkeit und wie wir mit ihr sinnvoll umgehen können. Denn wir sind ein Teil dieser komplexen Vielfalt. Wenn wir sie als externe Objekte außerhalb von uns selbst auffassen, die wir unbedingt steuern und beherrschen wollen, kann dies nur scheitern und uns ins Leiden stürzen.
Dôgen zitiert einen alten Meister und Buddha, der sagte:
"Die Berge, Flüsse, die Erde und die Menschen werden zusammen geboren. Die Buddhas der drei Zeiten und die Menschen haben immer zusammen praktiziert."
Er erläutert, dass die Trennung der Berge, Flüsse und der Erde vom Menschen ein falsches Verständnis sei, denn sie alle entstehen zusammen in jedem Augenblick und sind dann die große Wirklichkeit. Die Menschen würden sozusagen nicht gesondert oben auf die Berge, Flüsse und die Erde gelegt und dies wird dann als Geburt bezeichnet. Sie lassen in jedem Augenblick gemeinsam die Wirklichkeit entstehen.
Dôgen schätzte derartige alte Zitate sehr, aber betonte auch, dass es abweichende zukünftige Interpretationen gab und geben musste. Dann treffen die alten Aussagen mit einer neuen Aktualität zusammen und damit ergibt sich in kreativer Weise die volle Wirklichkeit. Er fragt selbst, was mit den Menschen und mit der Geburt im obigen Zitat gemeint ist und bittet uns, dass wir uns darüber klar werden, was es eigentlich bedeutet, dass die Berge, Flüsse und die Erde zusammen mit uns geboren werden.

Im zweiten Satz dieses Zitates wird die Zazen-Praxis hervorgehoben. Dies sei von wesentlicher Bedeutung bei den Buddhas der drei Zeiten und den Menschen, denn ohne diese Praxis könne es keine Dharma-Übertragung und keine authentische Nachfolge bei den wahren Meister geben. Dôgen sagt:
"Zu Anfang (der Interpretation) sollten wir das Tun und Handeln des Buddhas (wirklich) verstehen."

Dieses Handeln vollzieht sich im Augenblick in der Einheit mit der ganzen Erde und zusammen mit allen Lebewesen. Wenn dabei irgendetwas ausgeklammert wird, kann dies nicht das wahre Tun und Handeln der Buddhas sein.

Nachdem wir den Bodhi-Geist des Erwachens erweckt haben und bis wir die Verwirklichung erlangen, geschieht unser Handeln ohne jeden Zweifel zusammen mit der ganzen Erde und allen Lebewesen. Dabei sollten wir uns nicht davon verunsichern lassen, dass es vieles gibt, das über das Wissen unseres Verstandes hinausgeht. Wir bewähren uns nach der Erweckung des Bodhi-Geistes des Erwachens durch die Zazen-Praxis und die buddhistische Lehre. Auf diese Weise ist es gesichert, dass sich unser Körper-und-Geist auf keinen Fall „verringert“ und dass er sich verirrt. Dôgen sagt weiter:

"Wenn wir in aller Ruhe bei uns selbst (gründlich) reflektieren, existiert die Wahrheit in der Tatsache, dass unser eigener Körper-und-Geist in derselben Weise praktiziert hat wie die Buddhas der drei Zeiten. Die Wahrheit ist auch offensichtlich, dass wir den Geist erweckt haben."

Dies sollten wir genau und in allen Einzelheiten bedenken und uns sollte klar sein, dass wir bei der Untersuchung des Menschen erkennen, dass das Ich nicht vom anderen Mensch abgetrennt ist. Beide sind keine statischen, stagnierenden Subjekte oder Objekte, und es sei unsinnig zu denken, dass sie von den drei Zeiten getrennt sind. Dôgen sagt:
"Kurz gesagt, sollte die Wahrheit ´jenseits von Wissen oder Nichtwissen´ genannt werden."
Dôgen zitiert dann einen anderen alten Meister wie folgt:

"Auch das Zusammenstürzen (von Illusionen) ist nichts Verschiedenes;
das Fließende ist (ohne jede Begrenzung) jenseits von Diskussionen;
Berge, Flüsse und die Erde
sind genau die vollständige Offenbarung vom Körper des Dharma-Königs."

Hier wird in dichterischer Form gesagt, dass die Täuschungen und Illusionen im Lernprozess zusammenbrechen und dass dies auch Teil des buddhistischen Weges ist. Durch den Begriff des „Fließenden“ wird ausgedrückt, dass es keine Behinderungen, Stauungen, Grenzen und künstliche Verengungen im Buddha-Dharma gibt. Dôgen wiederholt damit eine Formulierung aus dem ersten Kapitel des Shôbôgenzô zum Streben nach der Wahrheit und zur Zazen-Praxis (Bendowa), wo es heißt, dass es waagerecht und senkrecht keine Begrenzungen gibt.
Der Körper Buddhas ist dasselbe wie die Berge, die Flüsse und die ganze Erde. Diese Aussage kommt häufiger im Shôbôgenzô vor und ist typisch für den Zen-Buddhismus, der eine strenge Unterscheidung zwischen materiellen Objekten wie Berge und Flüsse und Buddha ablehnt. Dôgen sagt, dass wir von früheren Irrtümern nicht behindert werden, wenn wir zu der in dem Gedicht beschriebenen neuen Wirklichkeit erwacht sind. Das frühere falsche Verständnis war damals so, wie es war. Es sei unsinnig, dies mit dem jetzigen Erwachen und der Verwirklichung zu vermischen, also abzuwerten oder romantisierend zu überhöhen.
Er sagt zur Verwirklichung:
"Das Verstehen wird sich ereignen, wenn die Stimme schon in die Ohren hineingegangen ist. Dann wird das Samadhi offensichtlich. Wir sollten nicht denken, dass das Nicht-Verstehen (früher) gravierend war, obgleich das (frühere) Verstehen (in der Tat) gegenüber dem heutigen Verstehen klein ist“.

Er sagt weiter, dass der Körper des Dharma-Königs wie oben beschrieben wirklich existiert, und wir dies in der Helligkeit des Lichtes und in der Lehre des Dharma verstehen.
Dôgen untersucht gegen Ende des Kapitels die Worte, dass nur ein Fisch den Geist eines Fisches kennt und dass nur ein Vogel dem Zug der anderen Vögel folgen kann. Er sagt wörtlich:

"Jene, die dieses nur so interpretieren, dass die Menschen den Geist der Fische nicht kennen und dass Menschen den Geist der Vögel nicht kennen, haben (diese Worte) missverstanden."

Er erläutert, dass die Fische gegenseitig nur zusammen mit den anderen Fischen ihren Geist erkennen. Sie seien nicht wie die Menschen ignorant gegenüber den anderen Menschen. Die Fische schwimmen und handeln gemeinsam in den großen Strömen Chinas als Fisch-Schwarm und überwinden zusammen die gefährlichen Stromschnellen. Sie sind eines Geistes und kennen so "den Geist der anderen Fische". In gleicher Weise können die Lebewesen, die am Boden auf der Erde leben, den Zug der Vögel oben am Himmel nicht verstehen, und sie wissen nicht einmal, dass es diese Fluglinien der Vögel gibt.
Die Zugvögel kennen aber den Geist der anderen Zugvögel, wenn sie von Norden nach Süden oder von Süden nach Norden fliegen und auf diese Weise den Jahreszeiten folgen. Derartige Fluglinien seien für die Vögel sogar offensichtlicher als "Radspuren auf einem Fahrweg oder der Abdrucke der Pferdehufe, die man im Gras sieht." Ganz ähnlich wie die Vögel die Fluglinien der anderen Zugvögel sehen, sei dieser Grundsatz auch für die Buddhas und Vorfahren im Dharma gültig. Dôgen sagt hierzu:
"Dies können wir überhaupt nicht erkennen, wenn wir keine Buddhas sind."
Er fügt hinzu, dass wir mit den Augen des Buddhas ausgestattet sein müssen, um solche Spuren zu erkennen. Diese Fähigkeit wird durch die Dharma-Übertragung vom Meister auf den Schüler vermittelt.
Dôgen sagt am Ende dieses Kapitels:
"Diese Spuren zu erkennen mag der Buddha-Dharma genannt werden."

Freitag, 13. Februar 2009

Die Buddhas und Meister zusammen mit den Buddhas und Meistern verwirklichen die Form (Teil 2)

Dôgen erklärt hier, dass wir uns die Verwirklichung als höchster Zustand und Erwachen vorher überhaupt nicht ausdenken und vorstellen können.


Er fügt dann hinzu, dass es auch wenig sinnvoll sei, so etwas zu tun, weil wir die Gründe und Ursachen vorher gar nicht erkennen können, wie wir tatsächlich im Zustand der Verwirklichung sein würden. Er führt weiter aus, dass es sogar sehr problematisch und gefährlich ist, sich die Verwirklichung vorher auszumalen, weil uns dies blockieren und festlegen würde. Denn obgleich diese Überlegungen, Erwartungen und auch Hoffnungen falsch sind, entwickeln sie eventuell große Kräfte, die das Erwachen gerade verhindern. Die oft hochgeschraubten, euphorischen Erwartungen seien meist egoistisch, selbstverliebt und moralisch nicht einwandfrei.

Sogar die nur gedankliche Vorstellung der wahren „Sein-Zeit“, die er in einem anderen Kapitel eingehend behandelt, führt uns in die falsche Richtung, wenn sie nur Idee und Denken bleibt. Dôgen sagt wörtlich:

"Wenn die Verwirklichung (nur) durch die Kraft der Gedanken, die schon vor der Verwirklichung vorhanden waren, auftritt, ist es wahrscheinlich eine unzuverlässige (und falsche) Verwirklichung."

Er warnt uns also ausdrücklich, dass wir uns auf dem Buddha-Weg nicht vorher in irgendwelche Gedanken oder Vorstellungen verlieren, da diese uns dann hindern und in eine völlig falsche Richtung drängen. Jede Zwangskraft zum Erreichen des höchsten Zustandes, also der Erleuchtung, hält Dôgen für abträglich und gefährlich. Wir klammern uns dann schnell an die Begriffe "Verwirklichung" und "Täuschung", aber diese Worte sind nicht die Wirklichkeit selbst.
Er sagt weiter:

"Wenn der höchste Zustand des Bodhi ein Mensch ist, nennen wir ihn "Buddha." Wenn Buddha im höchsten Zustand von Bodhi ist, nennen wir dies "den höchsten Zustand des Bodhi (Erwachen)."

Damit sind der höchste Zustand, der sich genau im gegenwärtigen Augenblick der Sein-Zeit beim Menschen verwirklicht, und der Mensch selbst identisch und eine Einheit. Es geht also um das wesentliche Merkmal der Sein-Zeit im Hier und Jetzt, das nicht zuletzt durch moralische Reinheit ohne „Befleckung“ gekennzeichnet ist. Auch hier warnt Dôgen vor einer gewaltsamen gedanklichen Fixierung auf vorgestellte Ziele, z. B. dass wir ganz ohne Anhaftung sein wollen und es nicht auf ein schönes Ergebnis abgesehen hätten, da dies absichtsvoll und damit im Buddhismus verboten sei.

Zweifellos gibt es aber die von Dôgen beschriebene Wirklichkeit einer solchen Reinheit, die ohne Anhaftung und ohne eigensüchtige Gier nach Zielerreichung ist.
Er warnt dann davor, dass wir durch Vorstellungen und Begriffe die Wirklichkeit „einsperren“ und einengen und sagt:

"Wenn wir z. B. bestimmte Menschen treffen, fixieren wir (leider)in unserem Geist, welche Eigenschaften die Menschen haben. (Wenn wir) eine Blume oder den Mond (sehen), fügen wir gedachte besondere Ebenen von Licht und Farben hinzu, (die aber gar nicht wirklich vorhanden sind)."

Dies bezieht sich auf die Formulierung der Wirklichkeit und Soheit im Lotus-Sutra: "wie es ist". Damit ist gemeint, dass nichts hinzugedacht und hinzufantasiert wird und dass auch nichts weggelassen und übersehen wird. Das ist die reine Wirklichkeit. Die Buddhas und Vorfahren im Dharma leben mit den anderen Buddhas und Vorfahren im Dharma unverfälscht in dieser Wirklichkeit, so wie sie ist.
Wir müssen in der Tat lernen und erfahren, dass wir nur das sind, was wir selbst sind und dass wir uns von Emotionen und "Denknestern" befreien. Dies Selbst ist jedoch nicht mit einem abgegrenzten Ego zu verwechseln.

Das Ego stellen wir uns nach Dogen vielleicht so vor, dass es aus den materiellen Elementen oder den fünf Komponenten des Menschen (skanda) aufgebaut ist. Das von ihm beschriebene Selbst kann nicht mit dem unterscheidenden Verstand gedacht werden. Im reinen, höchsten Zustand des Gleichgewichts werden Farben weder als attraktiv oder noch abstoßend empfunden, denn es gibt dabei keine verzerrenden emotional gefärbten Bewertungen.

"Dann ist das Handeln, das (wirklich) Ursprüngliche, das nicht verborgen ist. Es existiert in der Wahrheit auf natürliche Weise."

Ein Begriff wie der "Dharma-Körper" kann uns stark behindern und unserem Leben die geistige, spirituelle Frische und körperliche Beweglichkeit nehmen. Solche Vorstellungen über den Körpers müssen wir überschreiten. Wem dies nicht gelingt, für den "endet das Leben des Dharma-Körpers sofort und er ist seit langem im Meer des Leidens versunken." In einem solchen Augenblick sollten wir dies wie folgt ausdrücken:

"Die ganze Erde ist unser eigener Dharma-Körper."

Die Wahrheit dieses Ausdrucks übersteigt nach Dôgen die Ebene der Worte und ist die Wirklichkeit selbst. Dann können wir klar erkennen, dass die Wirklichkeit tatsächlich ohne Worte und Sätze ausgedrückt werden kann. Dies gilt besonders für den Tod, in dem es gerade wirkliches Leben geben kann, weil die Grenzerfahrung des Todes uns zum wahren Leben führt. Im Leben kann umgekehrt bereits der Tod eingetreten sein, weil es gar kein richtiges Leben ist, wir sind dann eigentlich scheintot und ohne Freude und Kreativität.

Dôgen spricht damit die Möglichkeit an, dass wir in der Todesnähe und in einer großen Gefahr alle Nebensächlichkeiten des Lebens abschütteln und damit erst zum wirklichen Leben erwachen. Dies kann zum Beispiel in der Lebensgefahr des Krieges in einer Schlacht sein. Umgekehrt führen viele Menschen ein erstarrtes Leben. Sie sind im wahren Sinne des Buddha-Dharma bereits gestorben, weil sie verödet und festgelegt sind, also an der großen Wahrheit des Universums nicht mehr teilnehmen. Dabei sei das Bodhisattva-Handeln für die Befreiung von zentraler Bedeutung, dass wir also Lebewesen retten und deren Körper und unseren eigenen genau dadurch retten.
Dôgen zitiert dann einen ewigen Buddha und alten Meister:

"Die ganze Erde ist der wirkliche menschliche Körper,
die ganze Erde ist das Tor der Befreiung,
die ganze Erde ist das Eine Auge von Vairocana,
die ganze Erde ist unser eigener Dharma-Körper."


Vairocana ist der Sonnen-Buddha, der symbolisch für das Licht des Universums steht.
Dôgen erläutert und interpretiert dann tiefgründig die einzelnen Zeilen dieses Gedichtes. Dabei geht es vor allem um die Überwindung des Dualismus von Subjekt und Objekt, also des Ich und der anderen.

Dôgen bezeichnet die großen Meister häufig als „Buddhas“ oder auch als „ewige Buddhas“, sodass dieser Begriff nicht auf Gautama Buddha allein beschränkt ist. Wann kann nun ein Meister die Dharma-Übertragung an den Schüler geben? Dieser müsse eine umfassende Kenntnis der buddhistischen Lehre, also des Buddha-Dharma besitzen und durch die regelmäßige Zazen-Praxis das Gleichgewicht erlangen, das nach Nishijima Roshi auf der Balance des vegetativen Nervensystems beruht.

Für den Buddha-Dharma sind vor allem vier Lebensphilosophien maßgeblich: die Theorie und Lehre selbst (Idealismus), die genaue Wahrnehmung der Vielfalt der Dinge und Phänomene der Welt (Materialismus), das Tun und Handeln im Augenblick und der höchste Zustand des Erwachens oder des Gleichgewichts. Außerdem ist das Gesetz von Ursache und Wirkung sowohl im naturwissenschaftlichen Sinne des Materialismus, als auch im Sinne der Moral, wesentlich.
Die erste Zeile des obigen Gedichtes interpretiert Dôgen, wie folgt:

"Das Wesentliche ist hier, dass das Wirkliche der wirkliche Körper ist. Wir sollten erkennen, dass die ganze Erde nicht unsere Einbildung ist, (sondern) sie ist der ganze Körper, der wirklich ist."
Wenn jemand dieses grundsätzlich bezweifelt, sagt Dôgen: "Gib mir meine Worte zurück, dass die ganze Erde der wirkliche menschliche Körper ist."

Damit will er sagen, dass bei einem derartigen Zweifel seine Mühe die Wahrheit zu lehren vergeblich ist und dass man es bedauern muss, überhaupt die Worte der Wirklichkeit und des Körpers in ein Gedicht eingefügt zu haben. Die Worte wären dann völlig unnütz verschwendet. Dies drückt er so aus, dass er „seine Worte zurückhaben möchte“.

In der nächsten Zeile wird gesagt, dass die ganze Erde das Tor der Befreiung ist. Das heißt, dass es auf der ganzen Erde eigentlich keine Behinderungen, kein Aneinanderkleben, keine Fixierungen und keine emotionalisierten Umklammerungen gibt. Dôgen bemerkt an dieser Stelle, dass es eine ganz enge Beziehung zur wahren Zeit gibt und knüpft damit an das grundlegende Kapitel "Sein-Zeit, (Uji)" an. Er sagt darüber hinaus zum Räumlichen: "Wir sollten etwas, das endlos und ohne Grenzen ist, die ganze Erde nennen." Er warnt uns jedoch, das Tor der Befreiung zu konkretistisch zu verstehen und zu sehr an Worten und Vorstellungen zu kleben.

In der nächsten Zeile wird die Erde mit dem Auge des Buddha Vairocana gleichgesetzt. Dieses Buddha-Auge solle man nicht mit den gewöhnlichen Augen der Menschen verwechseln, denn er bezeichnet es auch als "Dharma-Auge" und als „mystisches Auge“. In dem Kapitel des Shôbôgenzô über die mystischen Kräfte, die oft fälschlich als übernatürlich bezeichnet werden, betont Dôgen, dass diese genau in der Wirklichkeit wunderbar-natürlich sind und warnt uns vor fantastischen, legendären Wundergeschichten. Er sagt weiter:

"Es mag tausend Augen oder zehntausend Augen geben, aber mit der ganzen Erde zu beginnen ist eines von ihnen."

Er spricht dabei die vielen oder unendlich vielen Augen des Bodhisattva an, der das Leiden überall in der Welt sieht und unverzüglich hilft. In der vierten Zeile heißt es: "Die ganze Erde ist unser eigener Dharma-Körper." Dôgen erläutert, dass es unser natürliches Interesse und der selbstverständliche Wille der Lebewesen ist, auf der Erde zu leben. Aber es gäbe nur wenige, die mit dem Großen Auge sich selbst sehen, denn: " Nur die Buddhas kennen diesen Zustand." Er sagt weiter:

"Was die Buddhas ihr Selbst nennen, ist genau die ganze Erde."

Es gibt damit keinen Unterschied zwischen uns, unserem Selbst und der ganzen Erde. Die Dualität von Subjekt und Objekt ist überwunden, und dadurch wird es auch selbstverständlich, anderen Menschen zu helfen, die Probleme haben und unsere Hilfe benötigen. Dieser zentrale Grundsatz wird in dem Kapitel über die Bodhisattvas in beeindruckender Weise untersucht.

Sonntag, 8. Februar 2009

Die Buddhas und Meister zusammen mit den Buddhas und Meistern verwirklichen die Form (Teil 1)

In diesem Kapitel (Kap. 91, Yoi-butsu-yo-butsu) erklärt Meister Dôgen, was Buddhas sind und wie sie sich zusammen verwirklichen.
Tempel Kencho-ji in Kamakura

Dieser Text wurde 35 Jahre nach dem Tod von Meister Dôgen zuerst schriftlich für die Nachwelt aufgezeichnet. Es wurde erst viele Jahrhunderte später in die umfassende Sammlung des Shôbôgenzô von 95 Kapiteln eingefügt. Die Wichtigkeit der darin enthaltenen Aussagen kann kaum überschätzt werden.
Dieses Kapitel des Shôbôgenzô steht fast am Ende der großen Fassung von 95 Kapiteln und wurde von Meister Hangyo Kozen zwischen 1688 und 1703 eingefügt. Es war nicht von Anfang an in den damals vorhandenen verschiedenen Ausgaben des Shôbôgenzô enthalten. Nach Nishijima Roshi gehört es zu den wichtigsten philosophischen Grundlagen von Meister Dôgen überhaupt. Dass es am Ende dieses umfangreichen Werkes erscheint, darf uns also nicht dazu verleiten, es als weniger wichtig einzuschätzen oder nur als Anhängsel zu verstehen.

Dôgen hat bei seinen vielen Vorträgen in verschiedenen Tempeln von Japan die Formulierung und den Inhalt der einzelnen Kapitel jeweils variiert, sodass die einzelnen Mitschriften gewisse Unterschiede aufweisen. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurden bestimmte handschriftliche Fassungen z. T. erst später aufgefunden. Die Kapitel wurden dann vereinheitlicht und zu dem hier dargestellten Gesamtwerk zusammengefügt. Die große Fassung von 95 Kapiteln wurde am Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Holzblock-Technik gedruckt und gilt seitdem als einwandfreie authentische Textquelle des Shôbôgenzô. Nach Nishijima Roshi beinhaltet dieses Kapitel nicht zuletzt die wahre Bedeutung der Beziehung des Meisters zu seinen Schülern, denen die Dharma-Übertragung gegeben und die damit selbst zu Meistern werden.

Nach Nishijima Roshi gehören zu den Buddhas die großen buddhistischen Meister, die Dôgen selbst oft als „ewige Buddhas“ bezeichnet, aber auch die Menschen, die im Gleichgewicht sind und intuitiv richtig im Augenblick handeln. Die Worte "Nur die Buddhas zusammen mit Buddhas" sind ein bekanntes Zitat aus dem Lotus-Sutra, das vollständig lautet:

"Nur die Buddhas zusammen mit Buddhas sind direkt in der Lage, vollständig zu verwirklichen, dass alle Dharmas wirkliche Form sind. Was "alle Dharmas" genannt wird, ist Form, wie sie ist, die Natur, wie sie ist, der Körper wie er ist, die Energie wie sie ist, die Handlung wie sie ist, die Ursachen wie sie sind, die Bedingungen wie sie sind, die Wirkungen wie sie sind, die Ergebnisse wie sie sind und der höchste Stand der Gleichheit von Substanz und Einzelheiten, wie sie ist."

Hier werden die Dharmas im Einzelnen aufgezählt, nämlich die Dinge und Phänomene wie die Form, die Natur, die Handlung und auch die Ursachen, Bedingungen und Wirkungen. Weiterhin wird die Gleichheit von Substanz und Einzelheit im höchsten Zustand des Gleichgewichts erwähnt. Dies ist der erwachte Zustand der Buddhas. Das Zitat aus dem Lotus-Sutra beschreibt die Soheit, dass nämlich die Dinge und Phänomene genau so sind, wie sie sind. Dies wird von den Buddhas und Menschen im Gleichgewicht vollständig erfahren und verwirklicht.
Wir können sicher davon ausgehen, dass die großen authentischen Meister, also die Vorfahren im Dharma und alle erwachten Menschen als Buddhas bezeichnet werden. Jeder kann nach der Lehre Gautama Buddhas diesen höchsten Zustand erlangen. Dazu sagt Dôgen:
"Wenn wir dieses (Erwachen) vollständig verwirklichen, und während wir so (in diesem Zustand) sind, hätten wir niemals vorher denken (können), dass die Verwirklichung wie dieser (Zustand) sein würde. Obgleich wir uns diesen (Zustand) bereits früher vorgestellt hatten, ist die Verwirklichung überhaupt nicht mit der früheren Vorstellung identisch. Die Verwirklichung ist nicht etwas, das wir uns in dieser Weise vorgestellt hatten."