Dienstag, 25. September 2012

Geburt und Tod




Dōgen erklärt, dass die wahre Geburt über die damaligen genannten Lehren zur Geburt hinausgeht und dass wir immer die große Wahrheit der Gegenwart im Augenblick verwirklichen. Er verwendet dabei die im Zen-Buddhismus häufige Formulierung, dass dies „niemals verborgen gewesen ist“. Das heißt, dass die Wirklichkeit im Augenblick nichts verbirgt, während Vorstellungen und in Worte gefasste Gedanken immer nur Teilaspekte beleuchten können, also andere Bereiche der Wirklichkeit ausblenden, die dann sozusagen verborgen sind. Ganz davon abgesehen, dass uns jemand etwas Bestimmtes vormachen will, sei es dass er selbst unklar ist oder dass er uns sogar vorsätzlich täuschen will. 

Wie viel wäre der Welt und Deutschland erspart geblieben, wenn sich die meisten Deutschen von den Nazis nicht hätten täuschen lassen und wie viele Tote hätte es nicht gegeben! Ihre Täuschungen haben sie verbergen müssen, aber die Wirklichkeit verbirgt uns nichts.

„Es gibt jene Menschen, die nur die Formulierung ‚Nicht-Geburt‘ hören und dem nicht auf den Grund gehen. Sie scheinen die Anstrengung mit Körper und Geist beiseitezulassen.“

Mit den Anstrengungen sind die Übungspraxis des Zazen und das alltägliche klare Handeln gemeint. Da dieses nur im Augenblick stattfindet und dann die Wirklichkeit selbst ist, sind demgegenüber die Fragen zu Geburt und Sterben rein theoretischer Natur. Die Nicht-Geburt wird in einigen theoretischen buddhistischen Schulen als das Nirvāna bezeichnet, weil es nach der Lehre der Wiedergeburten keine erneute Geburt gibt, wenn man in das Nirvāna eingegangen ist. Für Dōgen haben solche doch spekulativen Gedanken keine große Bedeutung.

Wie lässt sich aber die Vorstellung von der Nicht-Geburt mit dem reinen und wahren Handeln der Buddhas in Verbindung bringen? Die ganze Wirklichkeit selbst ist im Zen-Buddhismus das Nirvāna; es ist also nichts Jenseitiges und nichts, in das man erst nach dem Tod eingeht.

Dōgen führt weiter aus, dass solche Menschen, welche die Anstrengung mit Körper und Geist vernachlässigen und von Nicht-Geburt reden, nicht einmal in die Nähe der plötzlichen und allmählichen Erleuchtung gelangen. Er kritisiert, dass sie sich nicht darum bemühen, Klarheit darüber zu erlangen, was im Buddha-Dharma mit Begriffen wie „Nicht-Buddha“, „Nicht-Wahrheit“, „Geist“ und „Erlöschen“ gemeint sein könnte. Denn mithilfe der gründlichen Untersuchung dieser Begriffe und Zusammenhänge sei es möglich, auf die Wirklichkeit des Buddha-Handelns selbst zu kommen und ein solches Handeln im eigenen Leben zu verwirklichen. 

Wie im Kapitel über Leben und Sterben behandelt wird, ist das Handeln für Buddhas Wahrheit von entscheidender Bedeutung. Wir können es wie ein „Werkzeug“und Wegweiser auffassen, das zur Wirklichkeit führt. Dōgen rät uns auch dringend herauszufinden, welche Absicht dahinter steckt, wenn Formulierungen wie „Nicht-Geburt“ oder „Nicht-Buddha“ verwendet werden! Sollen wir zum Beispiel damit gefangen oder getäuscht werden?

Donnerstag, 20. September 2012

Innerbuddhistischer Dialog




Liebe Freundinnen und Freunde des Zen,

wir überlegen mit Vertretern des Tibetischen Buddhismus, wie ein innerbuddhistischer Dialog zwischen den verschiedenen Traditionen durchgeführt werden könnte, in diesem Fall also zwischen dem Tibetischen Buddhismus und dem Zen.

Ich möchte Ihnen/Euch daher kurz meine Überlegungen dazu mitteilen, die auch auf meinen langjährigen Erfahrungen beim Umwelt-Dialog im nationalen und internationalen Bereich beruhen. Sie sind hoffentlich eine brauchbare Anregung für praktische Aktivitäten, denn der innerbuddhistische Dialog ist durch einen kürzlichen Diskussionsbeitrag in der Zeitschrift „Buddhismuas aktuell“ besonders aktuell geworden. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Zen nicht zuletzt auf der Grundlage von Dogens fulminantem Werk Shobogenzo dazu wertvolle Beiträge liefern kann.

Ein solcher Dialog, der im Tibetischen Ri-me heißt, sollte wirklich frei von offenen und verdeckten Hierarchien zwischen den Vertretern der Übertragungslinien sein und könnte folgende Elemente enthalten:

1. Einführende Worte eines Mediators, der keiner der beiden Übertragungslinien angehört.
2. Grundsatzreferate der beiden Vertreter zu einem zentralen Thema des Buddhismus, Dauer ca. 30-45 Minuten.
Folgende Themen könnten z. B. gewählt werden: Erwachen/Erleuchtung, Leerheit und bedingtes Entstehen, Buddha-Natur, Geist-Training, Einheit von Körper-und-Geist, intuitive Klarheit und Grenzen des Denkens, Ich-Losigkeit, Achtsamkeit, Meditation/Samadhi, wahres Handeln, Bodhisattva, Ethik/Moral, Karma und Wiedergeburt usw.
3. Freier und offener Dialog der beiden Vertreter miteinander.
4. Fragen des Mediators an beide Vertreter, vorbereitet und/oder spontan sowie Fragen von Dritten, z. B. aus dem Publikum.
5. Zusammenfassung und Ausblick des Mediators

Es ist klar, das sich ein solcher inner-buddhistischer Dialog fundamental von den Retreats, Lehr- und Praxistagen innerhalb einer Übertragungs-Linie unterscheidet. Beide Formen dürfen daher nicht vermischt und verwechselt werden.

Es darf auf keinen Fall das Ziel bestehen, den Vertreter der jeweils anderen Linie zu belehren oder besiegen oder auch nur mit Tricks mehr Redezeit für sich selbst heraus zu holen, sondern es geht um kreative Wechselwirkungen und Anregungen, die nicht zuletzt für die jeweils eigene Linie fruchtbar und vertiefend sind. Es darf keine offene oder verdeckte Höherstellung eines der beiden Vertreter geben. 

Die Teilnehmer sollten dabei anschließend gleichberechtigt den Dialog mitgestalten. Das kommt der Hermeneutik des Philosophen Gadama und der Empathie des Therapeuten Rogers sehr nahe. Im innerbudistischen Dialog geht es also um Kreativität im Dialog und nicht um den begrenzten Austausch bereits vorhandenen Wissens als unveränderliche Entität und schon gar nicht um Sieger und Besiegte. Es sollte auch kein festes Ziel vorgegeben werden, sondern es ist das Ziel kein Ziel zu haben: wir wissen nicht was herauskommt. Es geht nicht um falsch verstandene Belehrung oder Unterweisung von oben nach unten, sondern um einen "leeren" Dialog ohne Verfestigungen und Isolation der Teilnehmer von einander, ohne svabhava: kurz die Trennung des Dualismus im Gespräch wird aufgehoben. Das ist u. E. die zentrale Aussage von pratitya samutpada, das ist das wechselwirkende Aufblühen des Buddha Dharma.

Dabei ist auch der enge Bezug zum ursprünglichen Pali-Buddhismus besonders wichtig.

Es wäre sicher sinnvoll, die schriftlichen Fassungen auch allgemein verfügbar zu machen.

Was meinen Sie/meint Ihr dazu? Gibt es Erfahrungen für einen solchen fruchtbaren Dialog.
Ich habe gebeten einmal anzufragen, welche Themen für einen innerbuddhistischen Dialog besonders wichtig sind und ob mein Vorschlag zum Vorgehen auf Zustimmung stößt.

Mit herzlichen Grüßen
Yudo

Sonntag, 2. September 2012

Handeln ist einfacher als Denken



Weil das Denken ist letztlich viel komplizierter und schwieriger als das Handeln, stellt Dōgen im Einklang mit dem großen Meister Sōsan fest: „Bei der Wahrheit anzukommen ist ohne Schwierigkeit.“ Das ist auch deshalb so, weil beim reinen, wahren Handeln unser Denken nicht von verzerrenden Emotionen wie Abneigung, Hass, Gier oder auch Zuneigung gesteuert wird. Handeln ist also einfach und direkt, während intellektuelle Überlegungen kompliziert und oft mit starken Affekten und Verspannungen verbunden sind. Beim Handeln ist der Körper entspannt und wir befinden uns in der großen, natürlichen Wahrheit:
„Denkt daran, dass wir in der Einheit mit der Wahrheit geboren werden, wenn wir in das Leben geboren werden, und wenn wir in den Tod eingehen, gehen wir in ihn in Einheit mit der Wahrheit ein.“
Dōgen vergleicht diesen Zustand, der vom Anfang bis zum Ende richtig ist, auch mit einem sich drehenden Juwel und einer rollenden Perle. Dann ist das reine, strahlende Handeln vor uns manifestiert.
„Was einen Teil des reinen, wahren Handelns eines Buddhas vermittelt und benutzt, ist der ganze Kosmos, die ganze Erde und das Ganze von Leben-und-Tod und Kommen-und-Gehen. Es umfasst die Länder des (materiellen) Staubes und die (reinen) Lotusblume.“
Mit den Ländern sind nicht Erdteile, politische Einheiten oder bestimmte Regionen gemeint, sondern die materiellen Gegebenheiten unserer Welt. Mit der Lotusblume spricht Dōgen die Ästhetik an. Beide stellen nach Nishijima Roshi allerdings nur jeweils eine bestimmte Teil-Dimension oder Lebensphilosophie dar, während das Handeln der Buddhas im Augenblick den höchsten Zustand in seiner Ganzheit verwirklicht und das Materielle sowie das Ideelle einschließt.
Dōgen fordert uns auf, über diesen Zusammenhang und diese Wahrheit immer wieder gründlich nachzudenken und sie uns anzueignen. Wir müssen über Vorstellungen hinausgehen und im Handeln alles selbst erfahren. Mit dem Denken und der Wahrnehmung lässt sich das Handeln der Buddhas nämlich nicht erfassen. Wenn wir die Wahrheit erlangen, verschwinden die üblichen Maße dieser Welt. Das extrem Große gleicht dann dem extrem Kleinen. Beim wahren Handeln ist nichts verborgen im Kosmos und in der ganzen Welt und es ist genau das Handeln der Buddhas.