Mittwoch, 30. Oktober 2013

Buddhas strahlende Klarheit


Dōgen unterstreicht: die strahlende Klarheit ist identisch mit dem Ganzen der Buddhas und der authentischen Meister. Die Klarheit bedeutet, dass die Buddhas zusammen mit den Buddhas die Wahrheit praktizieren und erfahren. Sie ist identisch mit dem strahlenden Zustand der Buddhas.

Im Lotos-Sūtra ein heißt es, dass die vielen Länder des Ostens von der strahlenden Klarheit erhellt werden. Dies solle man aber nicht abstrakt und losgelöst von der Wirklichkeit verstehen. Den Osten, wo bekanntlich die Sonne und das Licht aufgehen, darf man sich nicht nur materiell vorstellen und nicht auf die äußere Wahrnehmung der Sinne beschränken. Der hier gemeinte Osten, nämlich die Klarheit, ist überall, wo der Buddha-Dharma lebendig ist, und er existiert nicht zuletzt in uns selbst oder, wie Dōgen es ausdrückt, „im Inneren des Auges“.

Dōgen erzählt eine markantze Geschichte eines chinesischen Kaisers der Tang-Dynastie, der Reliquien von Gautama Buddha in seinen Palast gebracht hatte. Diese leuchteten in der Dunkelheit der Nacht und veranlassten die Untergebenen und Karrieristen bei Hofe zu großen Lobeshymnen und Gedichten. Sie sagten, dass dies die strahlende Klarheit Buddhas sei und sie die grenzenlose Tugend des Kaisers bestätigen würde. Das klingt in unseren Ohren doch sehr nach Schmeichelei!

Es gab jedoch den klar denkenden Dichter und Buddhisten Bunko, der sich solchen Schmeicheleien und diesem Wunderglauben nicht anschließen wollte, weil er mit großer Ernsthaftigkeit den Buddha-Dharma studiert und praktiziert hatte. Er wurde vom Kaiser, der deshalb sehr irritiert war, angesprochen, warum er die strahlende Klarheit der Reliquien nicht mit seiner großartigen Dichterkunst besingen würde, die doch im ganzen Land gerühmt wurden.
Der Dichter antwortete ihm:

„Buddhas strahlende Klarheit ist nicht blau, gelb, rot oder weiß. Dies hier ist nur das Licht, das Drachengötter bewahren.“

Der Kaiser war über diese Aussage verärgert und fragte bohrend und sogar drohend: „Was ist Buddhas Klarheit?“

Der Schriftsteller erkannte schlagartig, dass der Kaiser unfähig war, zu „verstehen“, was diese große Klarheit des Buddha-Dharma bedeutete, sie hat mit Schmeicheleien nichts zu schaffen, daher antwortete er überhaupt nicht. Dies wurde ihm als Aufsässigkeit und grobe Unverschämtheit ausgelegt, sodass er vom Hofe verbannt wurde und seine Karriere dort beendet war.

Diese Begebenheit erwähnt Dōgen auch in der Kōan-Sammlung Shinji Shōbōgenzō. Nishijima Roshi erklärt dazu, dass viele Religionen sogenannte „mystische Ereignisse“ sehr schätzen, diese aber im Buddhismus nicht als wesentliche Fakten anerkannt werden. Bunkos Schweigen auf die Frage des Kaisers symbolisiere genau das buddhistische Licht der Klarheit, denn es sei mit höflichen oder gar unterwürfigen Worten nicht zu beschreiben. Das buddhistische Licht unterliegt keiner Hierarchie und keiner Anbiederung. Es liegt total außerhalb von Schmeicheleien und eigenem Vorteilsdenken.

Leider hatte der Kaiser aber dafür kein Verständnis, sondern reagierte mit seinem beleidigten Ego. Er missbrauchte seine Macht, um Bunko zu erniedrigen und abzuschieben. Das war damals eine harte Strafe. Darin wird deutlich, dass der Kaiser kein wahres Verständnis des Buddhismus und der strahlenden Klarheit hatte.

Dōgen lobt die Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit Bunkos, der die Unzulänglichkeit von Worten erkannt hatte, obgleich er der Sprache als Dichter so mächtig war. Er konnte die strahlende Klarheit nicht einem Menschen erklären, der an Wundergeschichten glaubte und dem die Untergebenen als dem Mächtigen schmeichelten.

Nishijima Roshi erklärt das Leuchten der Reliquien mit dem Vorgang der Phosphoreszenz. So kann das geschilderte Phänomen heute physikalisch einfach und natürlich erklärt werden. Das phosphorisierende Leuchten der Knochen in der Dunkelheit kann man selbstverständlich keineswegs mit der von Dōgen beschriebenen strahlenden Klarheit gleichsetzen. Diese Klarheit könne man nur selbst erfahren und erforschen, wenn man keine Vorurteile und keine Eigeninteressen habe. Die Tatsachen bleiben so, wie sie sind, selbst wenn man wunderbar reden kann und die Sūtras des Buddhismus so beredt auslegt, als ob „Blumen vom Himmel regnen“.

„Die wirkliche strahlende Klarheit ist dasselbe wie die wahren Dinge (dieser Welt), also die Wurzeln, Stämme, Zweige, Blätter, Blumen, Früchte und deren Licht und deren Farbe.“

Dōgen fordert uns eindringlich auf, die Aussagen der großen Meister in allen Einzelheiten zu untersuchen, zu erfahren und in der Wirklichkeit zu praktizieren. Nur dann verwirklichen wir die strahlende Klarheit des Selbst, das über das Gewöhnliche und sogar das Heilige hinausgeht.


Sonntag, 20. Oktober 2013

Neues Buch: Das Geheimnis der Buddha-Natur


Die tiefe Erfahrung des Zen-Meisters Dogen
Von G. W. Nishijima und Yudo J. Seggelke

Was ist die Buddha-Natur? Und warum müssen wir überhaupt intensiv und ausdauernd praktizieren, wenn die Buddha-Natur unser wahres Wesen ist? Diese Fragen waren für Zen-Meister Dogen von existenzieller Bedeutung und wurden zum zentralen Bezugspunkt in seinem Leben. Sie werden in diesem Buch fundiert und doch verständlich behandelt. Dogen gibt uns dazu verblüffende Antworten.
Die ureigene Erfahrung des Mysteriums der Buddha-Natur kann nur in der Einheit von Körper-und-Geist im lebendigen Strom des Lebens und der Meditations-Praxis erfahren werden. Genau davon handelt dieses Buch.
Um die verstehen zu können, ist es wichtig, seine Grundlagen zumindest in den zentralen Punkten zu kennen. Die Grundlagen der Lehre und Schriften Dogens werden von G. W. Nishijima in Teil I des vorliegenden Buches dargestellt. Im Teil II werden von Yudo J. Seggelke zunächst die Aussagen zur Buddha-Natur des indischen Buddhismus beschrieben. Danach folgt der Hauptteil zu Meister Dogens Buddha-Natur aus dem Shobogenzo.

Hardcover, 176 Seiten 10 Abb., 20,90;
ISBN 978-3-941380-15-8
E-Book: 6,49


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Mittwoch, 16. Oktober 2013

Die Klarheit des Selbst



Dōgen zitiert dann noch einmal Meister Chosa Keichin:

„Das ganze Universum in den zehn Richtungen existiert in der leuchtenden Klarheit des Selbst.
Im ganzen Universum in den zehn Richtungen gibt es niemanden, der nicht er selbst ist.“

Das heißt, dass das leuchtende und klare Selbst und das ganze Universum in seiner vollen Wirklichkeit identisch sind, sie können nur künstlich im Geist getrennt werden. Meister Keichin verstärkt diese Aussage in der zweiten Zeile des Gedichts, indem er betont, dass es im ganzen Universum, also in der konkreten Welt, in der wir leben, keinen Menschen gibt, der nicht von Natur aus das klare Selbst ist, und zwar ganz eigenständig und ursprünglich, nämlich ohne schädliche Einflüsse durch andere Menschen oder die Umwelt. Es versteht sich natürlich von selbst, dass der Meister hier die Wirklichkeit des Erwachten beschreibt, wie sie von Natur aus beschaffen ist: die Buddha-Natur. Er spricht nicht von den gewöhnlichen Menschen, die „den eigenen Käfig nicht verschrotten“.

Im Mai 2012 besuchte der große japanische Kalligrafie-Meister und Dōgen-Kenner Kazuaku Tanahashi Berlin. Ich konnte dabei aus unmittelbarer Nähe beobachten, wie er mit dem Pinsel Kalligrafien zu bestimmten Themen des Lebens und zu überlieferten Geschichten anfertigte. Mich beeindruckten seine große Ruhe und Klarheit, mit denen er zu Werke ging – ganz auf seine künstlerische Darstellung bezogen und fokussiert. Das ist die strahlende Klarheit, die Dōgen in diesem Kapitel beschreibt.

Laut Dōgen ist es unbedingt erforderlich, diese Buddha-Wahrheit in der Praxis und mit Ausdauer zu erlernen. Wenn man nicht mit voller Aufrichtigkeit handelt, entfernt man sich immer mehr von dieser Wahrheit, erklärt er:

„Es gab nur wenige frühere Meister, die die strahlende Klarheit durch solche Anstrengungen erlernt haben.“

Er erinnert an Bodhidharma, der die authentische Praxis und Lehre des Buddhismus nach Ostasien brachte und an seinen authentischen Nachfolger Taiso Eka weitergab:

„Dies war die direkte Erfahrung der strahlenden Klarheit der buddhistischen Vorfahren im Dharma.“

Und Dōgen fügt noch hinzu, dass vor diesem historischen Ereignis niemand in China diese strahlende Klarheit der authentischen buddhistischen Meister gesehen oder davon gehört hatte. Er fragt deshalb: „Wie hätten sie ihre eigene strahlende Klarheit erkennen können?

Mit Bodhidharma kam also die buddhistische Praxis nach China, wo bis dahin die theoretische Lehre vorgeherrscht hatte, der nach Dōgen die Einheit von Theorie und Praxis fehlte. Die strahlende Klarheit des Körper-und-Geistes ist genau diese Verschmelzung von theoretischer Lehre und der Praxis des Zazen sowie des Handelns im Alltag.

Die strahlende Klarheit ist also keine schöne Vorstellung, kein Wunschdenken und keine Flucht aus der Wirklichkeit. Schließlich fragt uns Dōgen:
Wie kann irgendjemand seine eigene strahlende Klarheit (vorher) gekannt haben?“

Diesen Ansatz vertieft er weiter, indem er sagt, dass niemand vor diesem Ereignis es überhaupt wahrgenommen und erkannt hätte, wenn er der strahlenden Klarheit begegnet wäre. Vorher war es nur möglich, die Klarheit „mit dem Gehirn zu ergreifen“, das heißt also, sie nicht ganzheitlich zu erfahren, sondern sich lediglich im theoretischen Lernen und Denken vorzustellen. Dies ist aber gerade nicht die intuitive ganzheitliche Klarheit, die Dōgen beschreibt.

Er spricht sogar davon, dass es die gewöhnlichen Menschen verabscheuen, dieser großen Klarheit zu begegnen. Dadurch entfernen sie sich aber immer weiter von ihr und löschen sie vielleicht sogar ganz aus. Eine solche Entfremdung ist tief greifend und entwickelt eine unmittelbare negative Kraft. Sie führt zu Hektik oder Trägheit, Abhängigkeit oder Ablehnung, kurz gesagt: Sie ist unausweichlich mit den drei buddhistischen Giften Gier, Hass und Verblendung verbunden. Dōgen bezeichnet solche Menschen als „stinkende Hautsäcke“.

Dōgen erklärt, dass man sich die strahlende Klarheit nicht konkretistisch als rotes, weißes, blaues oder goldenes Licht vorstellen soll. Auch die Klarheit des Feuers oder des Wassers oder der Glanz einer Perle und das Glitzern eines Diamanten bleiben häufig auf der Ebene der äußeren Wahrnehmung hängen und können dann nicht als Beschreibung der umfassenden strahlenden Klarheit des Buddha-Dharma dienen. Wenn man auf sie fixiert ist, taugen sie noch nicht einmal als Gleichnis!

Er schildert, dass die Buddhas und Vorfahren im Dharma diese Klarheit praktizieren und erfahren, und genau dabei
„werden sie Buddha, sitzen als Buddha und erfahren Buddha.“

Es wird deutlich, dass Dōgen hier ebenfalls die Einheit der strahlenden Klarheit, der buddhistischen Praxis und des Handelns in den Mittelpunkt stellt. Das heißt, dass man ohne ein solches Handeln die strahlende Klarheit nicht erfahren kann.


Dienstag, 8. Oktober 2013

Das klare Selbst und das Universum sind identisch


Meister Chosa Keichin lebte im 9. Jahrhundert und wurde „Shin, die große Katze“ genannt, weil er einen außerordentlich präzisen und scharfen Geist besaß, der schnell wie ein Tiger war. Zweifellos war er ein großer Zen-Meister, der hervorragende geistige Klarheit und denkerische Fähigkeiten besaß, aber sich niemals in sinnlosen Theorien verstrickte oder der niemals mit seinem Wissen aus den buddhistischen Schriften prahlte.

Bei ihm war Denken und Handeln eine Einheit voller Klarheit. Von ihm ist ein bedeutendes Gedicht überliefert, das Dōgen hier zitiert:

„Das ganze Universum in den zehn Richtungen ist das Auge des Mönchs.
Das ganze Universum in den zehn Richtungen ist die tägliche Sprache des Mönchs.
Das ganze Universum in den zehn Richtungen ist der ganze Körper des Mönchs.
Das ganze Universum in den zehn Richtungen ist die strahlende Klarheit des Selbst.“

Nach der alten indischen Lehre besaßen das Universum und die Welt zehn konkrete Himmelsrichtungen. Sie stehen für ein ganz konkretes, realitätsnahes Bewusstsein und Verhalten in dieser Welt und im Universum. Mit dem Auge sind die sinnliche Wahrnehmung und vor allem das Sehen angesprochen. In der zweiten Zeile geht es um die klare und eindeutige Sprache der Buddhisten, die eine Verwirklichung der Welt und des Universums als Realität ist. Die Sprache und das Reden sind dabei keine Schein-Wirklichkeiten, die den Zuhörern vorgegaukelt werden und den Bezug zur Wirklichkeit und ethischen Klarheit verloren haben.

In der dritten Zeile geht es um die Form und den Körper, die ebenfalls zur leuchtenden Klarheit gehören. Ein abgehobener, angeblich klarer Geist, der ohne Körper auskommt, wird damit kategorisch ausgeschlossen. Wer intuitive Klarheit besitzt, hat auch eine klare Körperlichkeit und klare Gefühle: der Körper wird im Buddhismus nicht abgewertet.

In der letzten Zeile führt Meister Keichin das Selbst des Menschen auf, das sich radikal von einem abgegrenzten Ego des Egoisten unterscheidet, denn dieses hat weder die Klarheit über sich selbst, noch über die Welt oder über andere Menschen. Besonders ehrgeizige Ziele des Egoisten führen häufig dazu, dass der Mensch sich geistig verbarrikadiert und den realen Bezug zu anderen Menschen, zur Umwelt und zu sich selbst verliert. Dies kann bei Egoisten für die Dominanz des eigenen Körpers der Fall sein, zum Beispiel wegen dessen angeblicher oder wirklicher Schönheit oder Attraktivität. Es kann sich auch um geistigen Hochmut oder angebliche rhetorische Überlegenheit handeln. Für Egoisten gibt es kein offenes Selbst, das die eigenen engen Grenzen überschreitet und die Dualität von Subjekt und Objekt auflöst.

Die zehn Himmelsrichtungen werden in diesem Gedicht mit diesem offenen Selbst in strahlender Klarheit gleichgesetzt. Das wahre Selbst hat die Trennung von Subjekt und Objekt überwunden und sich zum ganzen Universum hin geöffnet. Es bildet eine großartige Einheit mit ihm. Bei dieser Öffnung entsteht laut Meister Keichin die strahlende Klarheit. Dieses so verstandene Selbst ist in allen Menschen ausnahmslos vorhanden und wirksam, es ist die Buddha-Natur.

Genau in diesem Sinne verstehe ich die häufig missverstandene Ich-Losigkeit, die im Buddhismus gelehrt wird. Es ist unsinnig zu behaupten, dass die Wirklichkeit des Körpers, der Gefühle und des Handelns nicht vorhanden wäre. Entscheidend ist, ob es sich um ein unklares und daher abgegrenztes Ego handelt, also um einen mehr oder weniger krankhaften Ich-Bezug und die übertriebene Zentrierung auf sich selbst.

Das ist das Gegenteil eines offenen Selbst, das Joanna Macy aufgrund ihrer langen Erfahrungen im Umgang mit vielfältigen und nicht zuletzt psychischen Leiden ihrer Schülerinnen und Schüler beschreibt. Wer sich hinter seinen engen Ich-Grenzen verbarrikadiert, verliert seine Lebendigkeit, Kreativität und Lebensfreude – und die lebende Verbindung zur Umwelt sowie zu anderen Menschen.

Bei ihm gibt es kein Fließen mehr. In Bezug auf die Dynamik der Psyche möchte ich nach Freud hinzufügen, dass eine derartige Abgrenzung und Verdrängungsleistung erhebliche Energien des Menschen verbraucht, die dann für andere Aufgaben und Lebensbereiche nicht mehr zur Verfügung stehen.

Verdrängungen sind keine optimalen Lösungen psychischer Probleme; sie ermöglichen zwar ein minimales Überleben im Alltag, sind aber doch psychische Krankheiten  und müssen zum Beispiel zusammen mit einem Therapeuten aufgearbeitet werden. Nicht zuletzt blockieren sie die wichtigen Lernprozesse der verschieden Lebensphasen: Buddhas Achtfacher Pfad zur Überwindung des Leiden ist dann verschlossen.