Mittwoch, 21. März 2012

Ein Zeichen mit den Augen geben

Die Formulierung „ein Zeichen mit dem Auge geben“ wird im Zen-Buddhismus häufiger verwendet und beschreibt die Dharma-Übertragung von Gautama Buddha auf seinen authentischen Nachfolger Mahākāshyapa. Damit ist eine tiefe Übereinstimmung gemeint, die keiner großen Worte bedarf. Dieses Zeichen mit den Augen hat eine gewaltige Bedeutung gehabt und den Buddhismus als Lehre und Praxis in die Welt getragen, bis zu uns in der heutigen Zeit.

Eine ähnliche Bedeutung hat das verständnisvolle Lächeln zweier Menschen, die sich ansehen und dadurch eine umständliche verbale Kommunikation überflüssig machen. Brad Warner beschreibt einen solchen Augenblick während eines Dharma-Vortrages von Nishijima Roshi:

„Ich blicke auf und sehe, dass er mich direkt anschaut. Ich lächle, er lächelt zurück.“ Und weiter: „Begreift Nishijima, was er wörtlich gesagt hat, was ich mit den Ohren gehört habe? Im Augenblick einer solchen direkten Verständigung spielt das keine Rolle!“

Meister Baso beantwortet die theoretische Frage nach Bodhidharma also sehr praktisch mit seinem eigenen Verhalten und dem Zeichen mit den Augen: Bodhidharma hat als Erster die wahre und authentische Dharma-Übertragung des Buddhismus nach China ermöglicht. Einfache nonverbale Handlungen symbolisieren diese Übertragung: das Heben der Augenbraue und ein Zeichen mit dem Auge. Da Meister Baso selbst der authentischen Übertragungslinie von Bodhidharma angehört, ist er mit diesen Handlungen unauflösbar verbunden.

Durch die scheinbare Nebensächlichkeit der Gesten soll meines Erachtens einer spirituellen Romantisierung der wahren Existenz in der Augenblicklichkeit entgegengewirkt werden. Auf keinen Fall dürfen die Aussagen Basos jedoch als unwichtig oder gar lächerlich verstanden werden, denn es geht um die wahre Dharma-Übertragung und um die authentische Weitergabe der Lehre und Praxis des Buddhismus.

Baso spricht auch davon, dass es in einer bestimmten Situation richtig ist, in einer bestimmten Weise zu handeln, während es in einer anderen Situation im Gegenteil gerade nicht richtig ist. Damit spricht er die Wirklichkeit der Sein-Zeit an, die erst seit Bodhidharma in China praktisch und theoretisch gelehrt wird; laut Überlieferung war sie dort vorher unbekannt. Baso beschreibt mit seiner Antwort also das Wesentliche der Arbeit von Bodhidharma und den großen Meistern in China und gleichzeitig charakterisiert er das praktische, einfache Leben in jedem Augenblick der Gegenwart.

Nishijima Roshi ergänzt hierzu:
„Unser Handeln wird immer zu der Sein-Zeit durchgeführt und daher ist unser Verhalten zur Sein-Zeit (je nach Situation ! ) nicht immer dasselbe. In einer solchen Situation vollzieht sich genau das Handeln zur Sein-Zeit. Wir können daher sagen, dass dies genau die Lebensphilosophie des Handelns ist.“
Diese höchste Lebensphilosophie gibt dem Leben eine ganz neue Klarheit und wurzelt in der Augenblicklichkeit der Sein-Zeit. Im Jetzt liegt die Kraft.

Sonntag, 4. März 2012

Ein Kōan-Gespräch über die Sein-Zeit




Im Folgenden gibt Dōgen ein berühmtes, historisch überliefertes Kōan-Gespräch über die Sein-Zeit wieder, das zwischen Meister Baso und dem späteren Meister Yakusan stattgefunden hat.
Yakusan fragte Baso während eines Besuchs gefragt, was die Absicht von Bodhidharma gewesen sei, als er von Indien nach China kam. Diese Frage wird im Zen-Buddhismus an mehreren Stellen behandelt und meistens so beantwortet, dass eine derartig theoretische und spekulative Frage wenig Sinn mache, weil sie die Fantasie und den Verstand derart okkupiere, dass die Wirklichkeit direkt vor unserer Nase im Hier und Jetzt verschwimmt oder ganz verschwindet. Dōgen erörtert dieses Thema in Kapitel 67 des Shōbogenzō ausführlich. Kommen wir nun aber zum Kōan-Gespräch.


Nach Bodhidharma befragt, sagte Zen-Meister Baso in Form eines Gedichts:


"Manchmal (zur Sein-Zeit) veranlasse ich ihn (mich selbst), eine Augenbraue zu heben oder ein Zeichen mit dem Auge zu geben.
Manchmal (zur Sein-Zeit) veranlasse ich ihn (mich selbst), nicht eine Augenbraue zu heben oder ein Zeichen mit dem Auge zu geben.
Manchmal (zur Sein-Zeit) ist es richtig, ihn (mich selbst) zu veranlassen, eine Augenbraue zu heben oder ein Zeichen mit dem Auge zu geben.
Manchmal (zur Sein-Zeit) ist es nicht richtig, ihn (mich selbst) zu veranlassen, eine Augenbraue zu heben oder ein Zeichen mit dem Auge zu geben.“


Das klingt kompliziert und zunächst etwas banal. Was ist gemeint?
Meister Baso geht zunächst auf die theoretische und recht spekulative Frage zu Bodhidharma scheinbar überhaupt nicht ein. Er beschreibt bestimmte Handlungen aus seinem praktischen Leben als Meister, dass er manchmal die Augenbraue hebt und ein Zeichen mit dem Auge gibt und manchmal nicht.


Welche Bedeutung mag diese alte chinesische Aussage haben, „eine Augenbraue zu heben“? Heißt es einfach, dass man willkürlich, jedoch ohne besonderen Grund, die Augenbraue bewegt? Vielleicht heißt es sogar, dass man die Stirn runzelt und dabei die Augenbraue automatisch hochzieht, zum Beispiel wenn man über etwas nachdenkt? Oder signalisiert diese Geste eine nonverbale Ablehnung gegenüber einem Gesprächspartner?


Aber befragen wir dazu am besten das Shōbōgenzō selbst. Dōgen beschreibt die Geste des Hebens der Augenbraue in Kapitel 59 behandelt. Dort wird über den erleuchteten indischen Mönch Pindola berichtet, der vom König gefragt wurde, ob er Gautama Buddha ganz direkt und persönlich kenne, ob er also die Lehre und Praxis so verwirklicht habe wie der Erwachte selbst. Der ehrwürdige Mönch Pindola bestätigt dies ohne Worte, indem er eine Augenbraue mit seiner Hand anhebt. Die Augenbraue heben bedeutet also, mit Buddha direkt zusammen zu sein.


Dōgen zitiert dazu auch seinen eigenen Meister Tendō Nyojō, der diese Begebenheit in einem Gedicht formuliert:
„Indem er eine Augenbraue hebt, beantwortet (Pindola) den Kern der Frage.
Er ist dem Buddha direkt begegnet, ohne irgendein gegenseitiges Missverständnis.“

Dōgen erläutert, dass man selbst Buddha wird, wenn man „Buddha direkt begegnet“. Damit haben wir die Bedeutung dieser Geste im obigen Text Dōgens gefunden: Eine Augenbraue zu heben heißt, Buddha wirklich zu begegnen und damit selbst Buddha zu werden und erwacht zu sein. Und genau dies ist identisch mit der Sein-Zeit!