Samstag, 31. Dezember 2011

Fortführung des Blogs von Nishijima Roshi in Deutsch

Als Übersetzer dieses Blogs möchte ich darauf aufmerksam machen, dass jetzt der Text des berühmten Werkes von Meister Nargarjuna in Deutsch veröffentlicht wird (abgekürzt aus dem Sanskrit, MMK):

Verse des tiefgründigen Mittleren Weges

Nachdem das englische Buch zum MMK von Nishijima Roshi und Brad Warner veröffentlicht wurde, sind einige meiner eigenen früheren Verständnisprobleme lösbar geworden, sodass ich mich daran wage, die Übersetzung ins Deutsche anzugehen. Es ist in der Tat kein einfacher Text, aber Nishijima schätzt ihn außerordentlich: er sei auf dem selben ganz hohen buddhistischen Level wie das Shobogenzo von Meister Dogen. Dies sei der wahre und nicht verflachte oder dogmatisierte Buddhismus.

Es handelt sich nicht um eine ganz wörtliche Fassung, die noch schwerer zu verstehen wäre, sondern um die sinngemäße und interpretierte Fassung.

Zum Teil habe ich bei der Edition die Kommentare des neu erschienenen englischen Buches des MMK zu Hilfe genommen und verkürzt zugesetzt. Dadurch konnte das Verständnis im Sinne von Nishijima Roshi m. E. wesentlich verbessert werden; er hat mich dazu ausdrücklich ermutigt.
Bitte hier klicken:

Dogen-Sangha Blog, deutsch


Mit herzlichen Grüßen

Yudo J. Seggelke

Montag, 26. Dezember 2011

Buddha und Weihnachten

Liebe Freundinnen und Freunde des Buddhismus,

hoffentlich hatten Sie ein schönes und erfülltes Weihnachtsfest.

Für mich als Buddhist gibt es zwei Bereiche des Christentums und unserer westlichen kulturellen Welt, die mich sehr berühren und mir mit Buddhas Lehre und Praxis ganz eng verwandt erscheinen: Die Weihnachtsgeschichte des Neuen Testaments und der große Mensch Franz von Assisi.

Die Weihnachtsgeschichte ist voller Freude und Ermutigung, wesentliche Grundlage des Gleichgewichts und Kräftigung durch Lebensfreude und Licht. Wie die Himmlischen Verweilungen des frühen Buddhismus:
Liebevolle Zuwendung, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut.

Und Weihnachten ist ähnlich wie die Einheit der Vier Lebensbereiche nach Dōgen und Nishijima Roshi:
Ideelles/Spirituelles,
Dinge (Geschenke!),
Handeln (Vorbereitung, Schenken) und
Gleichgewicht/Erleuchtung/Höchster Lebenszustand.

Wenn das Materielle ein zu großes Übergewicht hat, kann der Höchste Lebenszustand nicht mehr verwirklicht werden, so einfach ist das. Kinder haben meist noch nicht die Trennung dieser Lebensbereiche und erfahren deswegen eine so tiefe natürliche Freude an Weihnachten, sie leben noch in der Einheit. Davon können wir wirklich viel lernen.

Franz von Assisi und seine ganze Umgebung in Umbrien haben m. E. die Enge einer einseitigen Religion hinter sich gelassen. In seiner Kirche in Assisi ergreift mich immer eine unerklärlich Schwingung und Energie, die Unendlichkeit des Augenblicks und des Universums und die Aufhebung der Trennung zwischen den Menschen. Meine Frau betet dort während ich im Zazen meditiere.

Mit den besten Wünschen zum neuen Jahr
Yudo. J. Seggelke

Montag, 19. Dezember 2011

Meine Sein-Zeit ist wahres Leben

Dōgen fährt fort:


„Um den wesentlichen Kern (der Zeit) zu erfassen und ihn zu formulieren: Alles was im ganzen Universum existiert, ist in einer Serie aneinandergereiht und zugleich sind es (jeweils) einzelne Augenblicke der Zeit. Weil (dies) Sein-Zeit ist, ist es meine Sein-Zeit (in der ich wirklich existiere).“


Hier verdeutlicht er, dass alles im Universum aus diesen jeweiligen Augenblicken der Sein-Zeit besteht, die nacheinander da sind, also als Serie unabhängiger Augenblicke verstanden werden können. Sie sind jeweils für sich die Wirklichkeit und Existenz, also das Sein. Nishijima Roshi erläutert dazu:

„Kurz gesagt, die ganze Existenz im ganzen Universum ist in einzelne Augenblicke unterteilt, auch wenn es so erscheint, als ob sie zu einer linearen Einheit verbunden sind. Und weil es Sein-Zeit ist, kann (und muss) ich es meine Sein-Zeit nennen.“


Da das Universum real nicht von mir getrennt ist, bildet es eine Wirklichkeit mit mir, also ist es meine eigene Sein-Zeit. Damit ist eine dualistische Sicht, die nicht wirklich ist und so viel Leiden und Unsicherheit für die Menschen erzeugt, überwunden. In jeder gegenwärtigen Zeit des wahren Seins gibt es diese großartige Wirklichkeit, die nicht von mir getrennt ist.


Die Jetzt-Zeiten des Seins werden hier von Dōgen als eine Folge oder Serie gekennzeichnet, die jeweils in der Wirklichkeit mit mir identisch sind. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass es sich dabei keineswegs um ein gedachtes theoretisches Modell der Zeit handelt, sondern um die wirkliche Erfahrung, die sich beim Handeln, vor Allem beim Zazen, jeweils in der Gegenwart offenbart.


Eine Theorie – und sei sie noch so anschaulich – ist das eine und die Wirklichkeit ist das andere. Und schlechte Theorien bergen große Gefahren für uns.
Ein Beispiel: Obgleich ich jetzt nur noch die Erinnerung an mein früheres Tun beim Bergsteigen oder Durchqueren des Flusses habe, ist es damals die ganze umfassende Wirklichkeit der Sein-Zeit gewesen. Das dürfen wir nicht außer Acht lassen. Ein solcher Ansatz kann verhindern, dass man aufgrund der jetzigen Stimmungslage vergangenes Handeln umdefiniert, beispielsweise positiv oder negativ bewertet, also Veränderungen, um nicht zu sagen Verzerrungen, in das frühere Geschehen hineindeutet.


Damit würde man nämlich der damaligen Sein-Zeit in der damaligen Wirklichkeit nicht gerecht werden. Ähnlich ist das psychisch bedingte Vergessen zu verstehen, das Freud als Verdrängung bezeichnet und als Erster gründlich untersucht hat.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Die Flucht aus der Zeit ist unmöglich




Das wesentliche Sein in unserem Leben besteht erfahrungsgemäß aus den zentralen Augenblicken und nicht aus Zeitstrecken, welche die Grundlage der üblichen linearen Zeitvorstellung bilden. Zeitstrecken und Termine sind organisatorische Randbedingungen unseres Lebens, nichts mehr und nichts weniger! Das Wesentliche findet innerhalb der Zeitstrecke statt.


Wir neigen dazu, vergangene Erfahrungen aus der zeitlichen Distanz her verkürzt zu erinnern und zu kommunizieren, gewissermaßen abgetrennt und wie ein fernes Objekt. Das ist jedoch ungenau und entspricht nicht der Wirklichkeit, die in den damaligen Augenblicken tatsächlich existierte. Das sollten wir nicht vergessen, sonst geht uns viel von dem damaligen wahren Sein verloren.


Als Nächstes spricht Dōgen das Fortschreiten der Zeit an:
„(Da die Zeit) so ist, sind Pinien die Zeit und Bambusse sind die Zeit. Wir sollten dies nicht nur so verstehen, dass die Zeit enteilt. Wir sollten nicht lernen, dass ‚enteilen‘ die einzige Eigenschaft und Fähigkeit der Zeit ist.“

In unserer gewöhnlichen Vorstellung haben wir den Eindruck, als ob die Zeit enteilt und flieht, und oft beunruhigt uns

das. Gute Momente wollen wir gern festhalten und wir haben manchmal Angst vor Veränderungen, die uns vielleicht in Gefahr bringen könnten.

Viele Menschen leben dauernd in Hast und unter Zeitdruck. Sie empfinden dies als Stress, dem sie eigentlich entkommen möchten. Sie träumen vielleicht davon, dass die Zeit gerade nicht unerbittlich voranschreitet und sie atemlos hinterherhetzen müssen. Sie wollen sogar der Zeit entfliehen. Aber das geht nicht und wäre auch fatal. In der Wirklichkeit haben die Augenblicke der Zeit ihre Ruhe und ihr Gleichgewicht, denn die Hetze – insbesondere der heutigen Industrie- und Konsumgesellschaft – ist meist unnötig und verhindert gerade das wirkliche Erleben. Zeithetze ist ist der Feind der Spiritualität.

Besonders Shunryu Suzuki rät uns, der Zeit in stabiler Gelassenheit zu begegnen und unsere Zentrierung nicht zu verlieren: Das ist der Mittlere Weg, bei dem jeder Augenblick aus der Leerheit neu und frisch entsteht, ja neu geboren wird. Das gibt Lebensfreude und Lebenskraft. Dann drehen wir nach Dōgen selbst die Blume des Dharma und werden nicht von der Umgebung und der Welt gedreht.


„Wenn wir genau die Zeit verlassen, um zu entfliehen, müssten (in der Zeit) einige Lücken erscheinen.“
Mit diesem kurzen Satz argumentiert Dōgen auf der logischen Ebene der Vernunft, indem er uns vor Augen führt, was passieren würde, wenn wir der Zeit wirklich entfliehen könnten. Wenn dies gelänge, wären wir tatsächlich von der Zeit getrennt, weil wir ihr ja gerade „erfolgreich“ entkommen wären.


Damit würden ein Abstand und eine Lücke zwischen den Zeitabschnitten und zwischen uns und der Zeit entstehen, wir würden gewissermaßen ohne Zeit existieren. Dann würden wir aber in den Lücken überhaupt nicht existieren. Da dies aber unmöglich ist, ist auch eine solche Flucht aus der Zeit schon logisch unmöglich. Die Flucht aus der Zeit ist eine Illusion. Aber warum überhaupt die Hetzte und Flucht? Ist das nicht ganz überflüssig? Ich glaube ja, und das Leben wird dann viel einfacher und effizienter. Die Zazen-Praxis ist dafür eine einzigartige Methode.

Montag, 5. Dezember 2011

Die Augenblicke kommen und gehen

Dōgen erklärt, wie die Wirklichkeit der vergangenen Augenblicke in die jetzige Gegenwart hineinreicht:

„Wie könnte jene Zeit des Ersteigens des Berges und Überqueren des Flusses etwas anderes sein, als genau die Sein-Zeit zu verschlucken und (wieder) auszuspeien, (jetzt da wir) im Juwelen-Palast mit schönen purpurnen Türmen (sind)?“

Das klingt in unseren Ohren recht fremdartig. Was ist damit gemeint? Aus meiner Sicht geht es hier um die Sein-Zeit der jeweiligen Augenblicke, in welcher von uns der Berg erstiegen und der Fluss überquert wurde. Auch damals war es die Sein-Zeit, die identisch mit der Wirklichkeit war. Das heißt, die beiden Handlungen – Ersteigen und Überqueren – vollzogen sich im Gleichgewicht des Augenblicks und damit in der Wirklichkeit.

Die einzelnen Augenblicke werden in der Sprache Dōgens „verschluckt“ und sofort wieder „ausgespien“ – eine sehr drastische Ausdrucksweise. Damit ist die Abfolge der einzelnen Augenblicke gemeint, die kommen und gehen. Der Juwelen-Palast mit purpurnen Türmen ist Symbol für einen sehr schönen und angenehmen Aufenthaltsort, der einen Gegensatz zur damaligen Mühsal der Überquerung von Bergen und Flüssen bildet. Diese Mühsal können wir auch als Übungspraxis deuten, aber auch die Praxis findet in der Sein-Zeit statt, ganz in der Gegenwart. Die Augenblicke der Praxis haben eigene große Bedeutung.

Der früher erwähnte goldener Buddha steht symbolisch für die Wirklichkeit des umfassenden Buddha-Dharma, die ebenfalls im Jetzt der Gegenwart wirklich und daher strahlend und golden ist.

„Genauso bezieht sich das buddhistische Grundprinzip von gestern und heute genau auf Augenblicke, in denen wir direkt in die Berge gehen und über Tausende oder Zehntausende Gipfel hinwegschauen. Es bezieht sich nicht darauf, was (in unserem Denken scheinbar) vergangen ist.“

Indem Dōgen die vielen Berggipfel erwähnt, stellt er einen sehr konkreten Bezug zum Beobachten und Erfahren im Gebirge her. Dafür müssen wir aufmachen, die Berge im Augenblick in uns hineinehmen. Eine solche Augenblicklichkeit der Wirklichkeit umfasst das Heute genauso wie das Gestern.

Wir sollten uns daher immer bewusst sein, dass eine nur abstrakte Erinnerung an vergangene Gegenstände oder Vorgänge ungenau ist. Wir sollten alles so erfahren, wie es sich zu dem damaligen Zeitpunkt als Sein-Zeit wirklich ereignete. Das Gleiche gilt für die früher erwähnte Statue des Tempelwächters mit drei Köpfen und acht Armen, die augenblicklich als meine Sein-Zeit erfahren wird, also von dieser jetzigen Sein-Zeit nicht getrennt werden kann. Der Tempelwächter ist dann und nur dann Wirklichkeit und nicht nur äußere rituelle Form.

Montag, 28. November 2011

Was ist die Vergangenheit der Sein-Zeit?

Wie behandelt Dōgen die Vergangenheit nach dem Verständnis der Sein-Zeit, die damals Wirklichkeit war?


„(Zur Sein-Zeit) ist zu sagen, dass ich dort in jener Zeit war, als ich einen Berg erstieg oder einen Fluss durchquerte. Dort muss Zeit in mir gewesen sein. Ich existiere jetzt tatsächlich, (sodass) die Zeit sich (seit dem) nicht (von mir) entfernt haben kann (, sie hat mich niemals verlassen). Wenn die Zeit nicht die Form des Verlassens und Kommens hat, ist die Zeit des Ersteigens eines Berges (bis jetzt) das Gegenwärtige als Sein-Zeit.“

Das klingt ziemlich kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach: In der damaligen Situation war die Sein-Zeit der Wirklichkeit in mir und mit mir identisch. Das gilt auch für den jetzigen Augenblick, also hat sie mich niemals verlassen. Damals war der gegenwärtige Augenblick die ganze Existenz und Wirklichkeit.



Auch wenn ich daran zurückdenke, ist dies von großer Bedeutung, weil ich den Berg und den Fluss nicht als von mir getrennte Objekte erinnern sollte, die ganz weit von mir entfernt sind. Damals waren sie gegenwärtige Augenblicke der lebendigen Existenz und damit die Sein-Zeit.
Diese Sein-Zeit ist dauernd mit mir identisch gewesen und hat mich niemals verlassen, bis zum Jetzt der Gegenwart. Die Prozesse des Bergsteigens und Durchquerens des Flusses sollte ich also nicht als eine frühere, von mir unabhängige Zeitstrecke ansehen, sondern als frühere existenzielle Augenblicke: Ich war damals in der Sein-Zeit und bin auch jetzt in der Sein-Zeit.
Nishijima erläutert diese fundamentale Lehre:


Das besagt, dass ich damals, in jenem Augenblick wirklich existiert habe, als ich den Berg erstieg und den Fluss überquerte. Daher habe ich genau zu jener Zeit existiert und es war und ist unmöglich für mich, die Zeit zu verlassen“ Und er fasst zusammen: „Ich habe im Augenblick der ganzen Wirklichkeit den Berg erstiegen.“

Dōgen sagt weiter:
„Wenn Zeit nicht die Form des Verlassens und Kommens hat (lineare Zeit), habe ich den gegenwärtigen Augenblick der Sein-Zeit, der genau die Sein-Zeit ist.“

Verlassen und Kommen haben für den Augenblick also keine große Bedeutung. Vereinfacht kann man sagen:

„Der Augenblick ist das Eingangs-Tor zum wirklichen Sein, zum wahren Selbst und damit zur Buddha-Natur. Ohne ethisches Handeln im Augenblick kann die Buddha-Natur ihre ursprüngliche Natur gar nicht verwirklichen“.


Dōgen unterstreicht den fundamentalen Unterschied zwischen der linearen Zeit als Zeitstrecke, die Kommen und Gehen umfasst, und der wirklichen existenziellen Sein-Zeit im Augenblick. Gleichzeitig stellt er den Bezug zum Selbst her, das identisch mit dem Gleichgewicht im Augenblick ist. Und Zazen ist die einzigartige Methode, um die Buddha-Natur zu verwirklichen.
In einer Fußnote des Shōbōgenzō erläutern Nishijima und Cross, dass Dōgen zwar die Sichtweise der Zeit als eine Linie einbezieht, aber der Zeit-Punkt oder Augenblick ist die ursprüngliche Wirklichkeit.

Zweifellos ist die uns bekannte lineare Zeit für viele organisatorische Bereiche des Lebens nützlich, wenn es zum Beispiel um Verabredungen zu einem bestimmten beruflichen oder privaten Termin geht. Aber das eigentliche existenzielle Erleben, das Dōgen als Sein-Zeit bezeichnet, findet nur in der Wirklichkeit der Gegenwart statt. Die lineare Zeit hat zwar die Funktion einer guten Organisation, ist aber kein inhaltlichen Erleben und nicht das wahren Sein.

Montag, 21. November 2011

Das wirkliche Sein im Augenblick: Unsere ursprüngliche Natur

Dōgen vertieft seine Erläuterungen zur Existenz, Sein-Zeit und damit zu der ganz zentralen Frage: Was ist unsere ursprüngliche Natur, die wir beim Zen wieder entdecken?:

„Weil (das wirkliche Sein) nur dieser genaue Augenblick ist, sind alle Augenblicke der Sein-Zeit das Ganze der Zeit und alle existierenden Dinge und alle existierenden Phänomene sind Zeit. Das Ganze der Existenz und das ganze Universum existieren in einzelnen Augenblicken der Zeit.“

Das heißt nichts anderes, als dass wir zu unserer ursprünglichen Natur durch die volle Öffnung zum Augenblick finden, am einfachsten durch die einzigartige Methode das Zazen. Oder anders ausgedrückt: Nur das reale Sein im Augenblick der Zeit ist wirklich, er ist der Zugang zu unserer wahren Natur.

Die Sein-Zeit ist die ganze Zeit, weil es daneben keine andere wirkliche Zeit gibt. Demgegenüber ist die lineare Zeit, die keine existenzielle Sein-Zeit ist, nur eine bestimmte Dimension der Zeit, aber sie ist nicht umfassend und nicht unsere existenzielle Wirklichkeit. Wenn wir an die lineare Zeit, glauben, haben wir es ganz schwer, wirklichen Zugang zur psychischen und spirituellen Realität zu bekommen. Die lineare Zeit ist für technische und organisatorische Randbedingungen nützlich, aber mehr auch nicht. Es gibt keine echte Liebe mit der Stoppuhr!

Sein-Zeit und ein wirklich existierendes Phänomen sind also beide die reale Zeit und beide existieren nach Nishijima in jedem Augenblick der Gegenwart:
„In der buddhistischen Philosophie sind Existenz und Zeit immer zu einer Einheit (der Wirklichkeit) verbunden. Wir können daher annehmen, dass die ganze Existenz und das ganze Universum genau zu der Zeit eines jeden Augenblicks existieren.“

Dōgen bittet uns, gründlich darüber nachzudenken, ob es überhaupt irgendetwas auf der Welt der ganzen Existenz gibt, das aus diesem gegenwärtigen Augenblick der Zeit herausfällt oder sich daraus wegbewegen kann. In diesem Zusammenhang beschreibt er die gewöhnlichen Menschen, die von dem Begriff der Existenz-Zeit nur Ungenaues gehört haben und denken, dass sie selbst vielleicht nur in der Vergangenheit in einer solchen existenziellen Sein-Zeit gelebt haben. Für sie sei die Sein-Zeit dann nur eine Erinnerung im Gehirn, aber nicht die Wirklichkeit, und damit haben sie sich leider schon aus der Gegenwart und dem wahren Sein verabschiedet. Sie meinen vielleicht, dass sie einmal früher, vielleicht für eine bestimmte Zeitstrecke, ein erwachter Mensch oder gar wie ein goldener Buddha gewesen wären, aber das sei jetzt vorbei.

Sie denken vielleicht, dass sie jetzt in einem schönen Palast sitzen, nachdem sie früher bei ihrer Wanderung die Berge mühsam überstiegen und die Flüsse durchquert haben und nun daran zurückdenken. Beides können wir auch als Gleichnis für den Weg der Praxis verstehen. Sie glauben deshalb, dass die Berge und Flüsse ganz weit weg sind und mit ihnen jetzt nichts mehr zu tun haben, bestreiten aber nicht, dass die Berge und Flüsse irgendwie noch existieren. Wörtlich sagt Dōgen:

„Der (erinnerte) Berg und der Fluss sind (so weit entfernt) von mir wie der Himmel von der Erde.“

Es geht ihm also darum, Missverständnisse des Begriffs der Sein-Zeit und der menschlichen Existenz aufzuzeigen und klarzustellen, dass die wirkliche Sein-Zeit etwas anderes ist als eine Erinnerung, die wir jetzt vielleicht haben. Er betont, dass umfassende Vernunft des Buddhismus nicht auf eine solche Sichtweise des unterscheidenden Denkens und Erinnerns der gewöhnlichen Menschen beschränkt ist. Erinnern ist nur das Wetterleuchten im Gehirn aber nicht die Realität des Hier und Jetzt selbst.

Montag, 14. November 2011

Gibt es das wahre Selbst ohne die Zeit?

Nishijima Roshi rät uns immer ganz genau hinzusehen:


„Weil alle Dinge und Phänomene genau so existieren, wie sie sind, sollten wir durch die (praktische) Erfahrung studieren, dass (sehr) verschiedenartige Phänomene und viele Dinge auf der Erde existieren“.


Im ZEN-Buddhismus ist das echte Handeln in unserem Leben von zentraler Bedeutung. Daher fährt er fort:


„Die Existenz von uns selbst ist die Existenz unseres Handelns (im Augenblick der Zeit) und daher ist es sonnenklar, dass wir genau selbst Zeit sind.“


Er bringt damit das Handeln im Augenblick ein und stellt fest, dass die wahre Existenz unser offenes Selbst ist, also unser freies Leben im Gleichgewicht: Nicht das egoistische verkrampfte Ich, das allein auf sich konzentriert ist, das unbedingt etwas haben will oder andere hasst und ablehnt. Das bedeutet, dass Dōgen den Menschen in seiner Wirklichkeit durch dessen Handeln im jeweiligen Augenblick beschreibt. Das ist ein radikaler Paradigmenwechsel weg von der Person hin zur Handlung. Die Vorstellungen und vorgefassten Meinungen über „den Menschen“ sind demnach eine grobe Abstraktion und missachten seine einzelnen wirklichen Handlungen und Handlungselementen. Solche Vorstellungen sind meistens weit von der Wirklichkeit entfernt und oft ganz falsch. Daran sollten wir uns immer wieder erinnern!

Auch die moderne Psychologie betont die große Vielfältigkeit des Menschen, der in bestimmten Situationen und bei bestimmten Handlungen sehr unterschiedliche Seiten zeigen kann. Eine monolithische Einheitlichkeit eines Charakters oder der Psyche des Menschen ist daher eine gedachte Fiktion und Täuschung, die oft eher zu Verwirrungen und Fehleinschätzungen führen, als dass sie weiterhelfen. Erschwerend kommt dann häufig noch hinzu, dass man das eingebildete, auf sich selbst bezogene Ich mit dem wahren offenen Selbst verwechselt.


Eine Handlung findet immer im Augenblick statt. Sie ist auch für den gesunden Menschenverstand ohne die Existenz-Zeit undenkbar. Die angebliche Konstanz eines Menschen im Ablauf der Zeit erweist sich schon durch diese einfache Überlegung als falsch: die Handlungs-Augenblicke sind das Wesentliche des Menschen.


Aber wir sollten unsere Erwartungen nicht zu hoch schrauben:
Solches Hin und Her ist ein erster Schritt (auf dem Weg) der Praxis. Wenn wir im Bereich des Unfassbaren ankommen, gibt es hier und jetzt genau (ein) konkretes Ding und ein (konkretes) Phänomen. Diese sind (jenseits) des intellektuellen Verstehens der Phänomene und Dinge und sind (jenseits) des Nicht-Verstehens“


Das Leben besteht aus vielfältigen Bewegungen, aus oft ungeordnetem scheinbaren oder wirklichen Durcheinander, aus Kommen und Gehen: Das meint Dōgen mit dem „Hin und Her“. Aber das ist der Anfang der Übungspraxis, durch die wir in eine neue Phase unseres Lebens eintreten; zum Beispiel wenn wir den klaren Entschluss gefasst haben, uns auf den Weg des Buddha-Dharma und der Wahrheit zu begeben. Wir erkennen dann auch, dass Denken und Worte eine bestimmte Grenze haben, die mit dem unterscheidenden Verstand allein nicht überschritten werden kann. Die große Wahrheit und überhaupt die wirklichen Dinge und Phänomene dieser Welt sind letztlich mit dem Denken niemals vollständig fassbar. Sie sind eine Wirklichkeit, die über unser Denken und unsere Emotionen hinausgeht, was sich zum Beispiel beim Bodhisattva-Handeln zeigt. Sie benötigen eine geschulte intuitive Vernunft im Augenblick.


Dōgen beschreibt auch an anderer Stelle, dass der Geist und damit die Einheit von Körper-und-Geist intellektuell nicht erfasst werden können. Nishijima Roshi bezeichnet dies als das „höchste Unfassbare“ und schreibt dazu:


„Ein solches Kommen und Gehen ist der Anfangspunkt der Praxis. Im Falle des Ankommens beim höchsten Unfassbaren ist die Situation jedoch unteilbar genau eine Sache oder ein Phänomen. Dies ist das (wahre) Verstehen jenseits des „Verstehens“. Oder es ist das (wirklich) Verstehen eines Dinges jenseits eines (vorgestellten) Dinges.“


Das unterscheidende Denken ist daher für die große spirituelle Wirklichkeit unbrauchbar und der Dualismus wird im höchsten Zustand außer Kraft gesetzt. Wahres Leben und Zeit sind im Augenblick zu einer Einheit verschmolzen. Das macht frei und gibt Energie.

Montag, 7. November 2011

Erweckung der genauen Wirklichkeit im Augenblick

Nishijima Roshi formuliert die Übereinstimmung der Zeit im Augenblick:


„Daher kann sich zum selben Augenblick das Erwecken des Willens zur Wahrheit ereignen und derselbe Wille zur Wahrheit kann sich zum selben Augenblick ereignen. Die Praxis und die Verwirklichung der Wahrheit sind auch in (ein und) derselben Situation (und im selben Augenblick).“


Derartige Augenblicke sind Ereignisse von größter Bedeutung im Leben eines Menschen. Sie geschehen im gegenwärtigen Jetzt, sind also weder die allmählich verblassende oder romantisierende Erinnerungen an die Vergangenheit, noch sind sie Hoffnungen, Erwartungen oder Ängste für die Zukunft. Das sind nur Bereiche des Denkens und der Psyche aber nicht die leuchtende Wirklichkeit.
Nun kommt Dōgen auf das eigene Selbst zu sprechen und erklärt, dass auch das Selbst die Sein-Zeit ist:


„Indem wir das Selbst in Ordnung bringen, sehen wir, was es ist. Die Wahrheit, dass das Selbst (genau) Zeit ist, ist so beschaffen.“


Er spricht hier nicht nur vom erwachten Selbst, sondern formuliert diese Aussage zur Sein-Zeit ganz allgemein, also für Dich und mich, wie wir sind. Er sagt zur Sein-Zeit, dass nichts in diesem Universum unabhängig von der wahren Zeit ist; nichts in unserer Welt und nichts in unserem Leben. Wenn wir unser Leben in Ordnung bringen, können wir nach Dōgen das Selbst in diesem Augenblick genau so sehen, wie es ist. Nishijima unterstreicht: „Daher ist es sehr klar, dass wir genau Zeit sind.“

Dōgen fährt fort: „Wir sollten in der Praxis lernen, dass die ganze Erde wegen dieser Wahrheit unzählige Phänomen und Hunderte von Dingen einschließt und dass jedes Phänomen und jedes Ding auf der ganzen Erde (wirklich) existiert.“

Die einzelnen Dinge und Phänomene dieser Welt, also die Dharmas, sollten wir in der Praxis genau so erfahren und sehen, wie sie sind, also nichts hinzusetzen und nichts wegnehmen. Vor allem durch Ideologien werden die Menschen zu ganz einseitigen Bewertungen verführt, sie denken oder fantasieren dann zusätzliche Phänomene hinzu, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Oft geschieht dies unbewusst.


Dieses Thema behandelt Dōgen zum Beispiel eingehend im Kapitel über die Wirklichkeit des Mondes. Einerseits reduzieren wir den wirklichen Mond häufig auf ganz wenige Formen, etwa auf den Vollmond als Symbol der Erleuchtung oder auf eine schmale Sichel, während er sich jedoch dauernd verändert und schon während einer Nacht die sichtbare Form nicht dieselbe bleibt. In jedem Augenblick sieht er anders als vorher aus. So unendlich vielfältig ist die Welt, in der wir leben!


Andererseits erzeugen wir künstlich im Geist durch Illusionen und Täuschungen viele angeblich verschiedene Monde, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Deshalb fordert uns der Buddhismus auf, auch die Formen oder – wie es hier heißt – die Dinge und Phänomene genau so in der Praxis zu erfahren, wie sie sind. Immer ganz genau hinsehen und in sich aufnehmen; dann ist man auch vor Täuschungen durch andere geschützt.

Montag, 31. Oktober 2011

Im Einklang mit den Gesetzen des Universums

Dōgen geht es nun im Zusammenhang mit der Sein-Zeit und dem Augenblick um Ordnung, aber nicht im alltäglichen Sinne, sondern um eine ganz besondere für uns wichtige Ordnung: die des Universums und des Lebens.

„Wir bringen uns selbst in Ordnung und sehen (den entstandenen Zustand) wie das ganze Universum. Jeder einzelne Mensch und jedes Objekt in diesem ganzen Universum sollten als einzelner Augenblick der Zeit erblickt werden.“

Was meint er damit? Er unterstreicht mit diesen Sätzen nachdrücklich, dass jeder Mensch und jede Sache als Augenblick oder Zeitpunkt, also Sein-Zeit, angesehen werden sollten. Die heißt in der Gegenwart ganz präsent zu sein, in jedem wertvollen Augenblick! In unserem Leben ordnen wir durch die wesentlichen, spirituellen Augenblicke uns selbst und betrachten dies mit Recht als die Welt und das Universum.

Alles innerhalb dieses Universums sollten wir als Augenblicke der Zeit sehen und verstehen. Das Universum hat nach Dōgen genau die natürliche Ordnung wie wir selbst. Nishijima sagt dazu:

„Ich bin geordnet wie das Universum und jeder Mensch und jedes Ding sind genau dasselbe wie jede einzelne Zeit.“

Nach Dōgen bedeutet Erleuchtung, dass wir mit den Gesetzen des Universums im Einklang sind, uns also in derselben Weise ordnen. Als Anschauung für die einzelnen Augenblicke wählt er die Objekte der Welt

„Ein Objekt behindert nicht ein (anderes) Objekt, genau wie ein Augenblick der Zeit keinen (anderen) Augenblick der Zeit behindert. Aus diesem Grund gibt es Entschlüsse des Geistes, die im selben Augenblick der Zeit gefasst werden, und es gibt Augenblicke der Zeit, in denen derselbe Entschluss des Geistes gefasst wird. Mit der Praxis und Verwirklichung der Wahrheit verhält es sich ebenso.“

Hier vergleicht Dōgen die Unabhängigkeit der Augenblicke der Zeit mit der Unabhängigkeit von einzelnen Objekten. Er wendet die Lebensphilosophie des Augenblicks auf unseren Entschluss an, nach der Wahrheit zu streben und somit den Weg des Buddha-Dharma zu beginnen. In anderen Kapiteln behandelt er im Einzelnen, wie wichtig es ist, den Willen zur Wahrheit zu erwecken und den Entschluss zu fassen, den Buddha-Weg zu gehen. Er hebt in den obigen Zeilen hervor, dass dieser fundamentale Entschluss zur Wahrheit bei mehreren Menschen genau im selben Augenblick gefasst werden kann. Das gelte auch für die Praxis und das Erreichen der Wahrheit. Damit ist vor allem die Übungspraxis des Zazen und das Erlangen der buddhistischen Wahrheit, also die Erleuchtung oder das Erwachen, gemeint.

Kurz und bündig: Im Mittelpunkt steht die Entscheidung für den Weg der Wahrheit, den Buddha-Weg Augenblick für Augenblick zu gehen; sei es allein oder mit anderen zusammen.

Montag, 24. Oktober 2011

Aus dem Zeitzwang zum wahren Erleben

Dōgen wendet sich dem Problem der Bestimmung nach Maß und Zahl der zwölf beziehungsweise 24 Stunden für die Zeit zu. Er will den Unterschied der wirklich wesentlichen Augenblicke in unserem Leben und der formalen Zeit herausarbeiten, an die wir uns leider so sehr gewöhnt haben:

„Wir können niemals messen, wie lang und entfernt oder wie kurz und dringlich zwölf (heute 24) Stunden sind, gleichzeitig nennen wir es ‚zwölf Stunden‘.“


Denn in der Tat sagen die Angabe der Zeitdauer von Stunden und Tagen unseres Lebens wenig darüber aus, was wir in bestimmten Augenblicken existentiell oder spirituell erleben. Wir reden zwar von 24 Stunden des Tages, aber genau genommen ist es unmöglich, die Länge oder Kürze einer solchen Zeitstrecke existenziell zu bestimmen. Auch die Dringlichkeit und der Zeitdruck lassen sich logisch nicht exakt bestimmen, aber trotzdem haben wir uns daran gewöhnt – nicht zuletzt aus Bequemlichkeit –, von den 24 Stunden des Tages als einer Zeitstrecke zu sprechen. Eigentlich ist das nur eine Übereinkunft, die keine präzise psychologische Grundlage besitzt.


Nishijima Roshi bemerkt dazu: „Die Bedeutung von ‚Sein-Zeit‘ beinhaltet, dass Zeit genau dasselbe ist wie das Sein. Und das Sein ist in jedem Fall genau dasselbe wie die Zeit. Der goldene Leib von Gautama Buddha, dessen (Standbild) 16 Fuß hoch ist, ist genau der gegenwärtige Augenblick. Weil er der gegenwärtige Augenblick ist, hat er das großartige Leuchten wie die Zeit. Wir sollten studieren, dass die Zeit genau als Zeit verstanden werden sollte, und dies ist dasselbe wie (die Augenblicke der) 24 Stunden des Tages.“


Eine lineare Zeitstrecke ist nicht die Realität des wesentlichen Seins.
Dōgen fährt mit seinem Kommentar fort:


„Das Verlassen und Kommen der Richtungen und Spuren (der Zeit) sind (nur scheinbar) klar und daher bezweifeln es die Menschen nicht. Sie bezweifeln es nicht, aber dies bedeutet nicht, dass sie (die Zeit wirklich) kennen.“


Wir betrachten die Zeit als Selbstverständlichkeit und die Frage, was denn die Zeit nun wirklich ist, halten die meisten für theoretische Philosophie, die im Alltag keine Bedeutung hat – oder sogar für Haarspalterei. Das ist aber nicht richtig und geht am echten Leben vorbei: auf die wesentlichen Augenblicke kommt es an.


Das war wohl schon in früheren Jahrhunderten so, als die Menschen noch viel „mehr Zeit hatten“ und weder über mechanische noch quarzgesteuerte Uhren verfügten, aber umso mehr gilt es in der heutigen Zeit. Unser Alltag ist im beruflichen und privaten Bereich wesentlich festgelegt durch Termine, also Zeitpunkte und Zeitstrecken, vor allem aber durch „Zeitdruck“ und „Zeitmangel“. In diese unwesentliche Zeit sind wir wie eingezwängt: Weg mit diesem Käfig und zur Gegenwart des Tun und Schauen!


Für Dōgen ist die Frage nach der Wirklichkeit der Sein-Zeit von ganz zentraler Bedeutung, seine Aussagen ist genau auf den Punkt.

Montag, 17. Oktober 2011

Spirituelle Zeit

Nur in der Wirklichkeit des Hier und Jetzt kann der Mensch nach Dōgen ein erfülltes, freudiges und ausgeglichenes Leben führen. Das bedeutet aber nicht, dass es verboten ist, zu denken und zu überlegen. Es bedeutet schon gar nicht, vernünftige Planungen für die Zukunft zu machen und lebendige klare Erfahrungen einzubeziehen. Ganz im Gegenteil! Ohne Vernunft geht es nicht, aber sie ist kein auf Vorteil bedachtes Kalkulieren.

Wir müssen uns im Klaren darüber sein, wann wir uns Vorstellungen und schönen oder erbaulichen Illusionen hingeben, und wann wir in dieser echten Wirklichkeit leben. Und es geht um die spirituelle Wirklichkeit und nicht um Zahlen, Bankonten und Vorteilslogik. Es geht auch nicht um die eigene „Erfolgs-Ethik“, die ja gerade kein Ethos ist.

Allzu häufig lassen wir nämlich nur unser eigenes „Heimkino“ im Gehirn ablaufen, das wir jedoch nicht mit der Wirklichkeit verwechseln dürfen. Sie besteht zum Beispiel aus den 24 Stunden des Tages, dem goldenen Körper Buddhas und ist die Zeit als die wahre Sein-Zeit selbst. Das ist die wahre spirituelle Existenz, nach der sich heute so viele Menschen sehnen, weil sie sich nicht mehr gängeln und bedrohen lassen.
Dōgen erläutert das Gedicht (vgl. früherer Block) folgendermaßen:

„In diesen Worten ‚manchmal, zur Sein-Zeit‘ ist Zeit schon genau Existenz und jede Existenz ist Zeit. Der 16 Fuß goldene Leib ist selbst Zeit. Weil er Zeit ist, ist er der strahlende Glanz der Zeit. Wir sollten sie als die 24 (wörtlich: zwölf) Stunden des Tages erlernen.“

Ein Hinweis vorab: In China wurde der Tag in zwölf Stunden eingeteilt und so erscheint es wörtlich im obigen Zitat. Gemeint sind damit aber nach unserer heutigen Zeiteinteilung die 24 Stunden des ganzen Tages.
Die Bedeutung der Sein-Zeit als wahre Existenz beinhaltet, dass Zeit und Existenz immer und in jedem Falle eine Einheit bilden. Es gibt also keine wirkliche Existenz außerhalb der Zeit! Wichtig: Hier ist nicht die gedachte, vorgestellte oder berechnete Zeit – also die sogenannte lineare Zeit – gemeint. Es geht um das existenzielle Jetzt der Gegenwart, das mit der Wirklichkeit zusammenfällt.

Dōgen betont, dass wir nicht an die lineare Zeitstrecke von 24 Stunden denken sollten, sondern an die jeweiligen Augenblicke der gegenwärtigen Zeit, die als Zeitpunkt im Jetzt des Augenblicks erfahren wird. Verkürzt heißt das, dass wir den ganzen Tag und die ganze Nacht mit der Sein-Zeit identisch sind. Das ist unser wahres, offenes und lebendiges Selbst. Dōgen beschreibt diese Zeit als strahlend und leuchtend – sie ist also nicht durch Angstdruck, Pessimismus und Grübeleien oder durch illusionäre Euphorie gekennzeichnet. Dies ist der Gleichgewichtszustand in der Gegenwart! Dōgen stellt eine intuitive Verbindung mit den goldenen Buddha-Statuen her, aber er mahnt uns auch, die Statuen und Bilder nicht oberflächlich mit der Wirklichkeit zu verwechseln, denn nur sie ist die Existenz-Zeit. Er erläutet weiter:

„Die drei Köpfe und acht Arme sind selbst Zeit. Weil sie Zeit sind, sind sie vollständig dasselbe wie die 24 Stunden des Heute.“

Warum? Die Statue des Tempelwächters mit drei Köpfen und acht Armen stand häufig in den buddhistischen Tempeln und war einerseits ein konkreter Gegenstand mit spiritueller Kraft und andererseits durch sein zorniges Aussehen ein Symbol für Ärger, Abwehr oder sogar Aggressivität. Er sollte einerseits das Böse vom Tempel fernhalten und andererseits als menschlicher Zorn interpretiert werden, der berechtigt oder unberechtigt sein mag. Damit stellt Dōgen klar, dass auch unangenehme emotionale Zustände Teil der Sein-Zeit und der Existenz sind. Aber es gibt das begründetes große Vertrauen, dass wir durch den Buddha-Weg zu Frieden, Verantwortung und echter Menschlichkeit kommen.

Sonntag, 9. Oktober 2011

Die wesentlichen Augenblicke unseres Leben

Die Gesamtheit der Welt wird durch den höchsten Berg, den tiefsten Ozean, durch den Tempelwächter und die Buddha-Statuen exemplarische beschrieben. Sie alle haben sowohl eine räumliche, konkrete Dimension als auch eine tiefe spirituelle Bedeutung im Buddhismus. Die Gegenstände der buddhistischen Zeremonien, wie Stab und Fliegenwedel, werden ebenso genannt wie die Stützpfeiler des Tempels, die meist außerhalb der Räume des Klosters stehen, und die Steinlaternen, die im Allgemeinen im Klostergarten aufgestellt sind.

Mit den weit verbreiteten chinesischen Familiennamen Chang und Li – vergleichbar mit den Namen Schmidt, Müller oder Schulze bei uns (bitte entschuldigen Sie, wenn Sie so heißen) – bezieht das Gedicht auch das Alltagsleben der normalen Familien ein. Am Schluss werden die Erde und der Raum genannt, wodurch die Aussage der ersten Zeile des Gedichts verallgemeinert wird; der Kreis schließt sich.

Gemeint ist die ganze Welt, die Erde, das Leben und überhaupt alles im Universum. Das heißt, dass die Sein-Zeit im Sinne des Buddhismus unauflösbar mit all diesem verbunden ist und dass das Sein ohne die Zeit überhaupt nicht sein und existieren kann. Auch wir können ohne die Zeit überhaupt nicht leben; es ist wichtig, dass wir uns das wieder klar machen.

Nishijima Roshi sagt dazu: „Nach der buddhistischen Lehre existiert alles wirklich genau im gegenwärtigen Augenblick, daher beschreibt das buddhistische Gedicht (des alten Meisters) genau die wirklichen Situationen unseres menschlichen Lebens.“

Es geht um die wirkliche Existenz-Zeit und die Vielfalt des Lebens. Der Tempelwächter wird meistens mit einem zornigen Gesicht dargestellt, was darauf hinweist, dass sich die Sein-Zeit nicht nur auf heilige und verklärte emotionale Zustände bezieht, sondern genauso auf das wirkliche Leben, in dem es eben auch Zorn und Ärger gibt. Sein und Zeit bilden eine großartige Einheit, die in der erfahrenen und erlebten Wirklichkeit untrennbar miteinander verbunden sind.

Eine Trennung in Zeit und eine sachliche oder spirituelle Welt wird nur in unserem Verstand durch Überlegungen und unterscheidendes, dualistisches Denken konstruiert. Mit solchen Gedankenkonstrukten haben wir dann allerdings die Wirklichkeit und Wahrheit des Buddha-Dharma bereits verlassen. Wir „leben“ nur noch im Bereich des Denkens und der Vorstellungen, die oft psychodynamisch durch unbewusste starke Emotionen oder sogar Gier und Hass gesteuert werden.

Doch es gibt einen Weg zurück zur Wirklichkeit des Hier und Jetzt: Das ist der Buddha-Weg. Die Zazen-Praxis hilft dabei ganz wesentlich, dass wir uns aus den meist unbewussten, spekulativen und abstrakten „Denknestern“, Täuschungen und Fantasiegebilden sowie den damit verbundenen Emotionen befreien und die Flucht aus der Realität des Lebens radikal beenden. Denn diese Flucht ist nach buddhistischer Lehre eine wesentliche Ursache unseres Leidens, das wir doch gerade überwinden wollen und auch können.

Montag, 3. Oktober 2011

Die Einheit der Sein-Zeit mit dem Leben und der Welt

Der zentralen Frage nach der Zeit wollen wir jetzt nachgehen, indem wir uns dem Kapitel des Shōbōgenzō über die Sein-Zeit widmen.

Meines Wissens hat Philip Kapleau mit Unterstützung von Harada Roshi zum ersten Mal einen Teil dieses Kapitels in eine westliche Sprache übertragen. Nach seiner Überzeugung war Dōgen „wahrscheinlich der glänzendste Geist, den der japanische Buddhimus hervorgebracht hat“.
Und weiter:
„In unterrichteten Zen-Kreisen sagt man, dass die tiefsinnigen Kapitel des Shōbōgenzō der Mount Everest des japanischen Buddhismus seien.“ Dabei sei das Kapitel 11 über die Sein-Zeit „vermutlich das tiefsinnigste dieses Buches (Shōbōgenzō)“.

Dōgen gelangt zu der radikalen Schlussfolgerung, dass die Wirklichkeit, die Zeit als Gegenwart und das Handeln unauflösbar miteinander verbunden sind! Nur wenn wir dies in unserem Leben praktisch realisieren, sind wir in der Wirklichkeit und Wahrheit, und das ist der Buddha-Dharma oder das Erwachen.
Eine solche Erfahrung kann man besonders klar bei der Zazen-Praxis machen; ich bezeichne sie mit Nishijima Roshi als die erste Erleuchtung.

Der Zen-Buddhismus legt großen Wert auf das tägliche Leben, in dem sich die Sein-Zeit sowohl in der Zazen-Praxis als auch im Alltagshandeln als erste Erleuchtung ereignen kann. Erleuchtung ist nämlich kein erträumter Idealzustand des Geistes, der unabhängig vom Körper und der Zeit existiert, sondern praktisches Leben im Hier und Jetzt.
Gehen wir nun aber ins Detail und klären die einzelnen Aussagen Dōgens Schritt für Schritt.
Am Anfang des Kapitels zitiert Dōgen ein Gedicht des alten Meisters Yakusan Igen:

„Ein ewiger Buddha sagt:
‚Manchmal, zur Sein-Zeit, auf dem höchsten Berggipfel stehend.
Manchmal, zur Sein-Zeit, auf dem Grund des tiefsten Ozeans bewegend.
Manchmal, zur Sein-Zeit, drei Köpfe und acht Arme (des zornigen Tempelwächters).
Manchmal, zur Sein-Zeit, der 16 Fuß (stehende), oder der acht Fuß (sitzende goldene Leib des Buddhas).
Manchmal, zur Sein-Zeit, ein Stab oder ein Fliegenwedel (für die Zeremonien).
Manchmal, zur Sein-Zeit, ein Außenpfeiler (des Tempels) oder eine Steinlaterne.
Manchmal, zur Sein-Zeit, der (ganz normale) dritte Sohn des Chang oder der vierte Sohn des Li.
Manchmal, zur Sein-Zeit, die Erde und der Raum.‘“

Dieses Gedicht drückt die Einheit der Sein-Zeit mit allen Bereichen und Dingen des Lebens und der Welt aus.

Montag, 26. September 2011

Die Sein-Zeit der Wirklichkeit im Hier und Jetzt (Uji)

Dōgens Ausführungen über die „Sein-Zeit“ zählen zweifellos zu den wichtigsten Texten des Buddhismus, aber sie erschließen sich uns westlichen Menschen nicht leicht. Trotzdem wollen wir uns jetzt daran wagen.

Stark verkürzt ausgedrückt bedeutet die Sein-Zeit, dass unser wahres Leben und Handeln, also das existenzielle Sein, nicht von der Zeit und dem Augenblick getrennt werden kann, in dem alles stattfindet. Wenn wir das ganz klar selbst erfahren, befinden wir uns in der Wirklichkeit.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich spreche im Folgenden von der „linearen Zeit“ im Gegensatz zur „Sein-Zeit“, wenn die uns vertraute Vorstellung gemeint ist, dass die Zeit von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft wie eine Linie verläuft. Diese lineare Zeit hat jedoch in diesem Kapitel Dōgens nur eine nebengeordnete Bedeutung.

Das U im japanischen Titel bedeutet „Existenz“ und ji heißt „Zeit“. Also kann man Uji mit „Existenz-Zeit“ oder „Sein-Zeit“ übersetzen. Wichtig ist, dass es sich hier bei dem Begriff „Sein“ nicht um ein unverändertes „ewiges Sein“ handelt, wie es in der europäischen Philosophie häufiger beschrieben wird. Dōgens realistisches Verständnis der Zeit und des Seins geht von unserem Leben und Handeln im Augenblick aus und nicht von abstrakter Dauerhaftigkeit oder gar Ewigkeit. Das Sein der Wirklichkeit lässt sich nach Dōgen von der Zeit überhaupt nicht trennen. Warum?

Beides bildet in der Wirklichkeit eine Einheit – nur im theoretischen Denken kann man Sein und Zeit überhaupt voneinander trennen und unterscheiden. Durch eine solche Unterscheidung geht jedoch die entscheidende Qualität der Wirklichkeit und der Existenz gerade verloren, die im Buddhismus und besonders in diesem Kapitel im Mittelpunkt steht. Wir landen dann im Elfenbeintürmchen der Philosophie. Im gegenwärtigen Augenblick stoßen die Vergangenheit, die immer Erinnerung in unserem Gehirn ist, und die Zukunft, die eine Erwartung darstellt, genau zusammen. Das und nur das ist die Wirklichkeit!

Nicht zu vergessen: Das Handeln ist bei Dōgen die Grundvoraussetzung für die Wirklichkeit. Handeln ist ohne Zeit unmöglich, sodass die Sein-Zeit in der buddhistischen Erfahrung und Lehre identisch mit dem Augenblick des Handelns ist. An diesem Punkt schlagen Nishijima Roshi und M. Cross die Brücke zur westlichen Philosophie:

„So erinnert die Sichtweise der Zeit im Buddhismus an den Existenzialismus in der modernen Philosophie. Es ist sehr wichtig, die buddhistische Sichtweise der Zeit zu verstehen, um die wahre Bedeutung des Buddhismus zu erfassen“.

In der Tat ist auch im Existenzialismus die Frage nach der wirklichen Zeit von zentraler Bedeutung. Martin Heidegger hat sein großes Werk Sein und Zeit genannt. In der Philosophie der Gegenwart hat sich Rolf Elberfeld in seinem Buch "Phänomenologie der Zeit im Buddhismus, Methoden interkulturellen Philosophierens" intensiv mit diesem Thema beschäftigt und auf den Buddhismus zurückgegriffen. Auch in der westlichen Welt und im westlichen Denken rückt also die Wirklichkeit der wahren Zeit immer mehr ins Blickfeld.

Die Psychologie beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema Wirklichkeit und Zeit. Sigmund Freud, Verena Kast und andere namhafte Psychologen haben herausgearbeitet, dass man sich der Wirklichkeit unbedingt stellen muss, um psychisch gesund zu sein oder zu werden. Und: Erleuchtung ist das Verschrotten des eigenen Käfigs, den wir uns aus Vorurteilen, Gier, Hass und Verblendung selbst gebaut haben.
Diese Erkenntnis bildet die Grundlage wirkungsvoller Therapien – vor allem bei tiefenpsychologisch orientierten Ansätzen –, bei denen der Therapeut gemeinsam mit dem Patienten Verdrängungen aufdeckt, bewusst macht und neu bewältigt. Auf diese Weise kommt der psychische Heilungsprozess in Gang, durch den man der Wirklichkeit ins Auge sehen kann und zurück in ein gesundes Leben findet.

Nakagawa Roshi schreibt zum Thema Zeit:
„Wenn man Zeit tief begreift, findet man das wahre Leben. So möchte ich spontan auf die Frage antworten, ob man dem Druck der Zeit entfliehen kann. Doch dann kommt sofort die Frage: Was ist überhaupt die Zeit?“.
Dieser Frage möchte ich nun in diesem Blog nachgehen.

Montag, 19. September 2011

Zazen auf dem Dharma-Weg

Alle Worte der Lehre, und seien sie auch noch so poetisch oder scharfsinnig, können immer nur auf die große Wahrheit hinweisen, sie aber nicht ersetzen. Sie sind dauernd in Gefahr, in Spitzfindigkeiten auszuarten oder romantische Träumereien zu erzeugen, die vom Hier und Jetzt wegführen.

Dōgen macht deutlich, dass die Zazen-Praxis uns Klarheit gibt, wenn unser Geist sich in abstrakten Vorstellungen verloren hat, und uns in die Gegenwart des Hier und Jetzt als Einheit von Körper und Geist zurückholt. Dann wird auch die dualistische Trennung von Welt und Ich überwunden und wir finden zur umfassenden Einheit zurück.

So könne man die große buddhistische Wahrheit empfangen, sie schauen und im Handeln benutzen. Nach Dōgens Erfahrung ist Zazen als Übung des Gleichgewichts – so hat es Nishijima Roshi formuliert – von unschätzbarem Wert und darf auf keinen Fall auf dem Dharma-Weg ausgelassen werden, indem man sich zum Beispiel nur auf die übrigen Bereiche des Achtfachen Pfades zur Überwindung des Leidens konzentriert.

Dabei darf man sich auch nicht mit der Bezeichnung „Zen-Schule“ aufhalten, denn sie wurde der Gruppe um den indischen Meister Bodhidharma erst später in China gegeben, als er dort die Zazen-Praxis übte und die damaligen chinesischen Mönche und Laien noch wenig Verständnis dafür hatten. Zazen ist keine bestimmtem Schule und nichts anderes als genau der Samādhi nach der authentischen Lehre Gautama Buddhas, die Bezeichnung ist daher von untergeordneter Bedeutung. Bereits in den Reden Gautama Buddhas heißt es häufig, dass man sich mit gekreuzten Beinen an einem ruhigen Ort im Samādhi niedersetzen solle.

Zazen kann jeder praktizieren, unabhängig davon, ob er gemäß der buddhistischen Lehre und nach den buddhistischen Geboten ein vollständig reines Leben führt oder nicht. Diese Praxis ist also keinesfalls nur den Mönchen und Nonnen mit „reinem Lebenswandel“ vorbehalten, sondern steht jedem offen und sollte auch von jedem geübt werden. Dabei ist es laut Dōgen völlig unsinnig, den Wert des Menschen nach Mann und Frau zu unterscheiden. Auch viel beschäftigte Laien sind gut beraten, Zazen zu praktizieren, selbst wenn der Tagesablauf durch die Arbeit weitgehend ausgefüllt ist und scheinbar keine zeitliche Lücke besteht, um zu praktizieren. Wer das Streben und die Entschlossenheit zur Wahrheit mit der Übungspraxis des Zazen verbindet, werde trotz seiner weltlichen Aufgaben und Pflichten zweifellos zur Klarheit gelangen.

Die scheinbare Erkenntnis, dass unser Geist ohne Anstrengung schon immer Buddha sei, muss ebenfalls als bloße Vorstellung, Illusion und falsche Theorie durchschaut werden, kann niemals die große Kraft der Übungspraxis in der Gegenwart erreichen und grenzt wahrhaftig an Populismus. Das Wissen allein kann ohne die Einheit von Körper-und-Geist und das Handeln im Augenblick nicht die nötige Kraft und Ausdauer entwickeln, die erforderlich sind, um zur Wahrheit zu gelangen.

Dieser Unterschied zwischen Wissen und Reden einerseits und der ganzheitlichen Erfahrung im Handeln in der Einheit von Geist, Psyche, Körper, Universum und Selbst andererseits wird im Zen-Buddhismus immer wieder hervorgehoben und ist zweifellos ein ganz wesentlicher Beitrag für unsere westliche Kultur, in der die einseitige Theorie meist überschätzt wird und der Idealismus nur allzu leicht in gefährliche Ideologien umschlägt. Dann sind Lehre und Praxis meilenweit von einander entfernt und der Geist ist total unklar! Dies führte leider immer wieder zu großen Katastrophen und furchtbaren Kriegen mit all ihren Brutalitäten und Unmenschlichkeiten, die wir gerade in Deutschland erleben mussten.

Freitag, 16. September 2011

Die erste Erleuchtung des Zazen

Der große lebende Meister Nishijima Roshi bezeichnet den Zustand des Zazen als die erste Erleuchtung und genau die Erfahrung, in diesem Augenblick ein Buddha zu sein!

Die erste Erleuchtung ist aber kein willentliches und absichtsvolles Tun und nicht das Erreichen eines ersehnten Zieles, denn dadurch würde das wahre Handeln des Zazen im natürlichen Zustand gerade unmöglich und verhindert werden. Zazen soll nicht verknüpft sein mit der Erwartung, etwas Grandioses zu erhalten, beziehungsweise den eigenen Aufwand mit besserer Münze zurückzubekommen.

Von wesentlicher Bedeutung ist allerdings der feste und klare Wille zur Wahrheit und das tiefe Vertrauen, dass die Wirklichkeit und Wahrheit des Lebens und der Welt das Leiden überwinden und auflösen. Vertrauen ist nicht unkritischer Glaube, denn die unmittelbare Wirkung des Zazen kann und soll jeder genau bei sich selbst analysieren. Wenn der Wille zur Wahrheit einen Menschen auf den Buddha-Weg geführt hat und der Betreffende Zazen praktiziert, ereignet sich die direkt erste Erleuchtung.

Dann verschwinden die Gedanken des gewöhnlichen Verstandes und die von Gier gesteuerten Emotionen und Ängste. Dann verflüchtigen sich Zwangsvorstellungen und Zwangsbilder.
Dōgen grenzt Zazen als Streben nach der Wahrheit von falschen oder unklaren Lehrmeinungen ab. Er widerlegt vielfältige Argumente seiner Zeit gegen die Zazen-Praxis. Dabei vertieft er die wahre Bedeutung und Kraft des Zazen.

Er nennt die Zazen-Praxis das wahre Tor zum Buddha-Dharma und macht auf die Frage, ob dies das einzige richtige Tor sei, ganz deutlich, dass alle Buddhas und Vorfahren im Dharma des westlichen Himmels (Indien) und des östlichen Landes (China) den großen Weg tatsächlich durch Zazen vollendet haben.
Dies sei keineswegs müßiges Sitzen in Untätigkeit. Das Lesen der Sūtras und Rezitieren von Buddhas Namen komme dem Zazen keineswegs gleich, denn dies sei der Samādhi der Buddhas, „in dem sich das Selbst empfängt und sich erfährt“. Er beschreibt es als Erfahrung und intuitive Erkenntnis jenseits des gewöhnlichen Denkens des Alltags. In seiner Klarheit und Einfachheit könne man Zazen fast als schmucklos bezeichnen.

Romantische Verzierungen und Träumereien sind ihm fremd. Einseitige Verstandestätigkeit, Einbildungen, Vorstellungen und Erinnerungen sind etwas anderes als diese Übungspraxis, die niemals nach Ruhm, Gewinn und Ich-Überhöhung strebt, sondern sich im Handeln selbst erfüllt und genau dadurch vollendet wird. Zazen als Kern des Zen-Buddhismus übersteigt Mythos und Ideologie und hat mit Populismus nichts gemein. Diese Praxis ist keine einseitige körperliche und auch keine asketische Übung, denn dadurch würde die Einheit von Körper-und-Geist gerade zerstört werden und wir wären im körperlichen Materialismus gefangen. Zazen gleicht also dem Yoga, das von Anfang an die Einheit von Körper-und-Geist voraussetzt.

Sonntag, 4. September 2011

Das Selbst empfängt und erfährt sich beim Zazen

Der Zen-Buddhismus lehrt uns in Theorie und Praxis, wie wir zur Wirklichkeit und Wahrheit gelangen und damit ein freies, friedliches Leben voller Freude und Tatkraft führen können. Das ist die Erleuchtung oder mit einem anderen Wort das Erwachen. Dabei ist die Zazen-Praxis oder, wie es im Indischen heißt, der Samādhi ein zentrales Moment und der Kern der Übungspraxis. Beim Zazen werden Gedanken, Bilder und Emotionen zum Verschwinden gebracht, sodass der gewöhnliche Alltagsgeist überschritten wird und wir den wahren umfassenden Körper-und-Geist von quälenden und einengenden Vorstellungen, Emotionen von Hektik und Stress befreien. Dadurch kann sich unser natürliches Potential voll entfalten.

Dōgen selbst hat auf der Suche nach dem wahren Buddhismus, den er in Japan seinerzeit nicht finden konnte, in China schließlich seinen Meister Tendō Nyojō getroffen. Bei ihm lernte er, dass die vielfältigen theoretischen Probleme und Fragestellungen der buddhistischen Philosophie letztlich auf dem Weg zur Erleuchtung nicht weiterführen, sondern dass das Zazen als Übungspraxis hinzukommen muss, damit man die buddhistische Lehre überhaupt „versteht“. Dies ist aber keine Verachtung der Vernunft!
Dōgen verwendet gern für Zazen und den Zugang zum Buddha-Dharma die Formulierung:

Das Selbst empfängt sich und erfährt sich.“

Das wahre „Selbst“, das sich durch diese Übungspraxis intuitiv und ganzheitlich eröffnet, hat den Bereich der dualistischen Unterscheidung von Ich und Du, von Ich und Welt, von Subjekt und Objekt und all der vielen anderen Dualitäten und Bewertungen, welche die meisten Menschen in ihrem Leben vornehmen und auf die sie fixiert sind, verlassen und gelangt in das unmittelbare Handeln, Geschehen-Lassen und Schauen in der Gegenwart.

Allerdings negiert Dōgen keinesfalls die Bedeutung der theoretischen Lehre oder bestimmter Bilder und Vorstellungen im Buddhismus. Er betont jedoch immer wieder, dass die Theorie und die Ideen einseitig und unvollständig sind und nur einen Teil der Wirklichkeit und Wahrheit darstellen. Ohne das Handeln und die Praxis des Zazen finden wir keinen Zugang zum wahren Buddhismus. Nur in deren Zusammenwirken können wir ein Leben der Freude und der Überwindung des Leidens und des Dualismus führen.

Gerade die Freude ist eines der zentralen Themen Dōgens. Wir wissen aus der heutigen Psychologie, dass aus der Freude erhebliche Lebensenergien erwachsen, die es uns ermöglichen, auch schwierige Lebenskrisen zu meistern: Wer im Zazen sitzt, erfährt intuitiv und ganzheitlich, dass er den Körper und denkenden Geist, also auch das kleine, ängstliche oder aggressive Ich, fallen lässt und die festgefahrenen Ansichten, Gedanken und Gefühle jäh abschüttelt.

Sonntag, 28. August 2011

Dōgen lehrt den wahren Buddhismus

Nachdem Dōgen aus China im Alter von 27 Jahren zurückgekehrt war, beschloss er, Buddhas authentische Lehre in Japan ohne Verzug zu lehren und zu verbreiten. Er wollte nicht auf ein offizielles Dekret des Königs warten, das damals eventuell notwendig oder zumindest üblich gewesen wäre:

„Welcher Ort könnte nicht ein Buddha-Land (innerhalb) der Grenzen sein, in denen es diese (authentische) Lehre gibt? Wenn wir daher die Lehre der buddhistischen Vorfahren im Dharma verbreiten wollen, ist es nicht immer notwendig, einen (besonderen) Ort auszuwählen oder auf (besonders günstige) Umstände zu warten. Warum sollen wir gerade heute bezweifeln, dass dies (der richtige) Startpunkt (für die Verbreitung) ist? (also nicht zweifeln sondern anfangen!)“

Dōgen bezeichnet eine Region, in welcher der Buddha-Dharma verbreitet wird, als „Buddha-Land“. D. h. auch das heutige Deutschland ist insofern Buddha-Land, weil wir Zugang zum authentischen Buddhismus haben. Wir können nämlich davon ausgehen, dass wir wirklich verlässliche Übersetzungen der Sutras und vieler buddhistischen Schriften zur Verfügung haben, z. B. aus dem ZEN, frühen Buddhismus, usw.. Die anderen jeweiligen Merkmale der Regionen neben dem Buddhismus erscheinen Dōgen weniger wichtig. Deshalb fasst er den klaren Entschluss, dass die Verbreitung seiner in China gesammelten praktischen und theoretischen Erfahrungen und Kenntnisse dort erfolgen soll, wo er sich jetzt gerade befindet.

Man brauche dafür keinen bestimmten Ort auszuwählen, der besonders geeignet erscheine, sondern man könne und solle überall und sofort beginnen, ohne auf besonders günstige Umstände zu warten.
Nishijima Roshi sagt dazu:

„Der jetzige Augenblick ist genau die richtige Zeit für uns, (sofort mit dem Buddhismus) zu beginnen.“ Und er fährt fort: „Ich finde die obigen Worte (Dōgens) besonders spannend, denn im Buddhismus gibt es keine andere wirkliche Zeit als den gegenwärtigen Augenblick, der real existiert.“

Voraussetzung für die Verbreitung der Lehre durch einen Meister ist natürlich, dass er den wahren Buddha-Dharma in Theorie und Praxis selbst kennt und erfahren hat und daher an andere vermitteln kann und will.
Zum Schluss begründet Dōgen die Entscheidung, seine eigenen praktischen und theoretischen Erfahrungen auch schriftlich niederzulegen. Er möchte sie den Schülern, die ehrlich nach der Wahrheit suchen, verfügbar machen und sie vor falschen und unfähigen Lehrern bewahren, die große Schäden anrichten können.

Diesem Entschluss verdanken wir das große Werk Shōbōgenzō, „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“, und andere wesentliche Texte, die er schriftlich ausgearbeitet hat. Es gibt nämlich leider Texte, die nicht vom Meister selbst sondern von den folgenden Schülern verfasst wurden, die nicht immer verlässlich sind. Manche Schüler schreiben nicht selten in Verklärung und einer Art Über-Loyalität dem Meister gegenüber; sie verfälschen damit ungewollt die ursprüngliche Lehre. Dōgen erwähnt an anderer Stelle zum Beispiel falsche oder sogar absichtlich gefälschte Zitate, die angeblich von Daikan Enō stammen. Nicht zuletzt deswegen sind die Schriften von Dōgen für uns von großem Wert, der kaum überschätzt werden kann.

Sonntag, 21. August 2011

Dharma und Zazen in einem Land geringer Ethik

Ein Skeptiker sagt zu Dōgen, dass Japan doch ein kulturell sehr rückständiges Land sei, sodass es dort schwierig ist, die wahre Lehre des Buddhismus zu verbreiten. Weiterhin sei die Moral im damaligen Japan deutlich niedriger als in den menschlich und kulturell hoch stehenden Ländern wie China und Indien. Wie könne daher in Japan überhaupt sinnvoll der unverfälschte Dharma und die Zazen-Praxis gelehrt werden?


Auch im Westen müssen wir uns ehrlich fragen, ob das ethische Niveau nicht viel zu niedrig ist, um den Buddhismus zu lehren. Ist die materielle Gier bei uns nicht viel zu weit verbreitet?

Dōgen teilt zunächst die Einschätzung über seine Landsleute:
„Selbst wenn wir (den Menschen in Japan) den richtigen und gradlinigen Dharma lehren, werden sie Nektar in Gift umwandeln.“
Das ist eine starke Formulierung: „Nektar in Gift umwandeln“! Ruhm und Vorteil seien in Japan das große Ziel der meisten Menschen; Täuschungen und das „Anhangen“ des Geistes durch Gier seien kaum auszuschließen. Aber die Zazen-Praxis ist davon völlig unabhängig und könne von jedem geübt werden. Dafür sei weltliches Wissen und große kulturelle Qualität nicht erforderlich.

Es gibt dazu die berühmten Beispiele aus der Zeit Gautama Buddhas, dass ein geistig beschränkter Mönch durch einen ganz einfachen Vorgang das Erwachen erlebte und dass eine Prostituierte durch das Anlegen des buddhistischen Gewandes, der Kashaya, ebenfalls aus ihren Täuschungen herausfand. Intelligenz und gesellschaftlicher Stand sind für den Buddhismus nicht wesentlich. Maßgeblich sei vielmehr, dass man in der Stille und Ruhe Zazen praktiziert und das richtige Vertrauen in die Übungspraxis hat:

„Obgleich unser Land keine Nation der Güte und Weisheit ist und die Menschen geistig dumpf sind, sollt ihr auf keinen Fall denken, dass es für uns unmöglich ist, den Buddha-Dharma zu erlernen. Darüber hinaus besitzen alle Menschen den wahren Samen der Prajnya-Weisheit im Überfluss. Es ist wohl einfach so, dass wenige von uns (in Japan) den wirklichen Zustand (des Dharma) direkt erfahren haben. Wir sind daher (noch) nicht vorbereitet, ihn zu empfangen und zu nutzen.“

Dōgen schreibt an mehreren Stellen im Shōbōgenzō, dass Japan kulturell nicht zu den führenden Nationen der damaligen Welt gehört, und zählt Indien und China zu jenen überlegenen Kulturbereichen. Aber er lässt das Argument überhaupt nicht gelten, dass Japanerinnen und Japaner deshalb keinen Zugang zum wahren Dharma haben könnten. Nishijima Roshi fasst dieses Zitat sogar als Ermutigung für Japan auf, gerade nicht zu resignieren und auf dem Weg der Buddha-Wahrheit weiterzugehen.

Eine mögliche Hauptursache für die buddhistische Rückständigkeit Japans sieht Dōgen darin, dass es nur wenigen vergönnt war, einen direkten Kontakt zu einem wahren Lehrer und damit zum wahren Buddha-Dharma zu haben. Dies ist nach Dōgen aber die Voraussetzung dafür, den Buddha-Dharma in der Praxis zu erlernen. Deshalb seien viele Japanerinnen und Japaner einfach noch nicht vorbereitet für die wahre buddhistische Lehre. Er war jedoch ganz sicher, dass wirklich alle Menschen die intuitive Fähigkeit zum ganzheitlichen Gleichgewicht und zur Erleuchtung haben.

Samstag, 13. August 2011

Neues Buch zum Umwelt-ZEN




Liebe Freundinnen und Freunde des ZEN,
als alter Umweltschützer war es mir ein großes Bedürfnis, ein Buch über das tiefgründige Wissen zur Natur von Meister Dōgen und die von der modernen Gesellschaft verursachten dramatischen Probleme des Umweltschutzes zu schreiben. Nun ist das Buch fertig. Nach meiner festen Überzeugung müssen wir zu den Wurzeln des Buddhismus zurückkehren, um endlich wieder Frieden und Harmonie mit der Natur zu finden. Denn die Natur ist nicht getrennt von uns, sondern wir sind mit ihr eine Einheit. Wenn wir die Natur zerstören, dann zerstören wir unsere eigene Buddha-Natur!

Neues Buch: Umwelt-ZEN
Im Auge des Zen, Band 3
Von Yudo J. Seggelke
Dieses Buch beschreibt Meister Dōgens tiefes Verständnis der Natur und baut die bisher fehlende Brücke zu den drängenden Problemen des Umweltschutzes. Dazu werden vier zentrale Kapitel aus Dōgens großem Werk Shōbōgenzō ausführlich beschrieben:

Die Stimmen des Tales und die Form der Berge, Die Pflaumenblüten sind die Augen Gautamas, Die Natur und die nicht-empfindenden Wesen lehren den Dharma und Das Sūtra der Berge und Wasser.

Zen-Meister Nishijima, Tokio, sagt dazu: Die Texte von Herrn Prof. Dr. Yudo J. Seggelke sind überaus schön und klar verständlich und bieten zum ersten Mal in deutscher Sprache eine sehr gute und exakte Wiedergabe des Shobogenzo von Meister Dogen und meiner Interpretation seines buddhistischen Denkens.
Broschur: 323 S., 12 Abb.
ISBN 978-3-941380-07-3
Bestellung in jeder Buchhandlung oder über Internet, z. B.:
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Libri

Mit den besten Wünschen
Yudo J. Seggelke

Sonntag, 7. August 2011

Der zweite gedachte Mensch in uns



Nishijima Roshi sagt zusammenfassend zum Problem von Realität und intellektuellem Denken: „Wir sollten klar den Unterschied zwischen der intellektuellen und wirklichen Welt erkennen.“ Er betont die große Lücke zwischen dem intellektuellen Verstehen eines Satzes sowie der Wirklichkeit und fügt hinzu:

„Ich denke, dass fast alle anderen Philosophien in dieser Welt, außer dem Buddhismus, nicht eine solche wertvolle Dimension der Unterscheidung (zwischen Denken und der Wirklichkeit) überhaupt treffen.“

Handeln und das genaue Beobachten des eigenen und fremden Handelns können wirksam helfen, diesen Unterschied immer klarer zu erfassen. Man lässt sich dann auch nicht so leicht von schönen Worten „einseifen“!
Dōgen bringt dieses Thema auf den Punkt:
„Wir sollten wissen, dass jene Menschen der Vergangenheit und Gegenwart, die den Geist geklärt haben, indem sie die Formen (wirklich) sehen, und die Wirklichkeit realisiert haben, indem sie die Laute (wirklich) hören, (überhaupt) keine intellektuellen Zweifel hatten, nach der Wahrheit zu streben. Genau im Augenblick der Gegenwart gibt es keinen zweiten (gedachten) Menschen.“
Für Dōgen ist es von großer Bedeutung, dass wir grundsätzlich an die Wahrheit in dieser Welt und in unserem Leben glauben und nicht durch Zweifelsucht und dauerndes Kritisieren uns selbst verwirren. Gerade intellektuelle Zyniker sind häufig von Grund auf misstrauisch und kritisieren alles und jeden. Sie verlieren dadurch selbst ihre Freude sowie deren psychische Energie und damit die wesentliche Grundlage ihres eigenen Lebens.

Nach Gautama Buddha ist eine solche Zweifelsucht ein maßgebliches Hemmnis für die Erleuchtung. Zweifelsucht ist etwas ganz anderes als ausgewogene Vernunft und sachlich begründete Kritik. Sie basiert oft auf der Unzufriedenheit mit sich selbst und diese wird dann nach außen auf andere Menschen oder Situationen projiziert.

Dazu kommen dann meist noch die Klage und der moralische Vorwurf, dass es nicht gerecht in der Welt zugehe und sie selbst etwas Besseres verdient hätten. Häufig handelt es sich dabei um mehr oder minder geschickt maskierten Neid. Das bedeutet aber nicht, dass wir naiv und allzu gläubig irgendwelchen angeblichen Wahrheiten hinterherlaufen, sondern wir sollten selbst einen klaren Geist entwickeln, um erkennen zu können, was zur Wahrheit gehört und was nicht.
Dōgen führt einige Beispiele an, dass Menschen sogar zur Wahrheit gefunden haben, ohne dass sie, wie er es sonst lehrt, intensiv Zazen praktizierten. Aber sie hätten das tiefe Vertrauen in die Wahrheit gehabt und dadurch einen Wegweiser durch alle Verwirrungen und Täuschungen des Lebens besessen. Wir sollten uns der Mode-Erscheinung nicht anschließen, alles und jedes zu bezweifeln und uns damit interessant machen. Das ist nicht lange interessant, sondern stößt andere Menschen bald ab.
Sehr wichtig ist, dass es in uns „keinen zweiten Menschen“ gibt. Was bedeutet diese eigenartige alte chinesische Formulierung? Nishijima Roshi erläutert sie: „Es ist wichtig, keinen Zweifel an der Wahrheit zu haben und keine Spaltung in unserer eigenen Person (also in uns selbst) zu haben.“ Wir sollen also nicht quasi aus zwei Menschen bestehen, denn dann verfügen wir über kein inneres Gleichgewicht. Eine Unterscheidung in ein spirituelles Ich und ein physisches, körperliches Ich bewirkt zum Beispiel, dass wir keinen Zugang zur Wirklichkeit besitzen.
Wenn man bewusst oder unbewusst nur an die Wirklichkeit der Ideen glaubt, ist es nicht möglich, ein tragfähiges Vertrauen in die Wahrheit des Lebens, des Handelns und der Welt zu entwickeln. Dann ist letztlich alles rtelativ. Dasselbe gilt, wenn man recht oberflächlich nur an materielle Realitäten glaubt, denn auch Materialisten finden keinen Zugang zur umfassenden Wahrheit.

Sonntag, 31. Juli 2011

Wirkliche Erfahrung der Buddha-Wahrheit





Jemand fragt Dōgen kritisch: „Genau zu wissen, dass der Buddha-Dharma in jedem von uns ursprünglich zu Hause ist, ist das Ganze des Erlangens der Wahrheit. Es gibt keinen Bedarf, irgendetwas anderes bei anderen Menschen (z. B. Lehrern) zu suchen. Wie viel weniger müssen wir uns darum kümmern, die Wahrheit im Zazen anzustreben (und mühsam zu praktizieren).“


Dōgen weist dieses Argument mit ungewöhnlicher Schärfe zurück. Selbst sehr intelligente Menschen können den Dharma nicht theoretisch erfahren, ohne zu praktizieren und in der Praxis zu lernen. Gerade bei intelligenten Denkvorgängen gerate man unversehens in die Falle der Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, also dem Menschen, der denkt, und dem Thema oder dem Ding, über das er nachdenkt.


Dies gelte nicht zuletzt für den Gedanken, dass wir selbst Buddha sind. Und er fügt noch hinzu: „Shākyamuni hätte sich nicht so sehr bemüht, in der Vergangenheit den moralischen (und realen) Weg zu lehren.“ Denken – und sei es noch so scharfsinnig – kann nicht außerhalb der Praxis und Ethik zur Befreiung des Menschen führen. Denken ist zwar ein wichtiges Werkzeug im Leben der Menschen, aber es ist bei weitem nicht ausreichend!


Mit einer bekannten, aber nicht ganz einfach zu verstehenden Kōan-Geschichte vertieft Dōgen die Darstellung des Unterschieds zwischen der verstandesmäßigen Buddha-Theorie und der wahren ganzheitlichen Lehre-und-Praxis. Er schildert einen Dialog zwischen dem großen Meister Hōgen, der von 885 bis 958 lebte und die bekannte Hōgen-Linie begründete, und einem Mönch namens Soku:


Zen-Meister (Hōgen) fragte (seinen Mönch Soku): „Aufgrund welcher Worte konntest du (in den Dharma) eintreten?“
Dieser berichtete als Antwort eine frühere Begebenheit: „Ich fragte einst (meinen damaligen Meister) Seiho: ´Was ist genau der Schüler, der das Ich ist?´“


(Meister) Seiho erwiderte mir damals: „Die Kinder des Feuers kommen, um nach dem Feuer zu suchen.“ Was ist damit gemeint?
(Meister) Hōgen sagte dazu: „Schöne Worte. Aber ich fürchte, dass du (sie) wohl nicht verstanden hast.“
(Der Mönch) Soku erklärte daraufhin sein Verständnis:

„Die Kinder des Feuers gehören zum Feuer. (Daher) habe ich verstanden, dass sie (selbst) das Feuer sind, aber (ganz unnötig trotzdem) nach dem Feuer suchen. Damit wird ausgedrückt, dass ich selbst bereits das Ich bin, aber trotzdem nach meinem Ich suche.“

Das klingt durchaus zunächst einleuchtend. Aber Zen-Meister (Hōgen) war ganz anderer Meinung und sah seine Skepsis vollauf bestätigt:
„Nun bin ich sicher, dass du es nicht verstanden hast. Wenn der Buddha-Dharma so wäre, könnte er niemals bis zum heutigen Tag übertragen worden sein (weil er keinen großen Wert hätte).“

Dadurch geriet Soku in große Verwirrung, verfiel in Zweifel und stand abrupt auf, um den Meister zu verlassen. Er war tief verletzt, verlor fast seinen bisherigen Halt im Leben und lief davon. Aber auf der Straße besann er sich: “Zen-Meister (Hōgen) wird im ganzen Land (als) guter Lehrer (hoch geachtet) und ist ein großer Meister, der 500 Menschen anleitet. Es muss sicher etwas Richtiges und Gutes an seiner Kritik wegen meiner Fehler sein.“


Er ging zurück zum Meister, wollte ernsthaft weiter lernen und gestand seinen Fehler der Selbstüberschätzung ein. Er machte als Entschuldigung eine Niederwerfung. Dann fragte er den Meister das selbe wie früher:
„Was ist genau der Schüler, der das Ich ist?“

Der Zen-Meister gab verblüffender Weise genau die selbe Antwort: „Die Kinder des Feuers kommen, um nach dem Feuer zu suchen.“
Mit der direkten klärenden Energie und Gegenwart des Meisters und seiner Worte, verwirklichte Soku den Buddha-Dharma auf großartige Weise. Ihm war klar geworden, dass Theorie verbunden mit intellektuellem Hochmut niemals die Buddha-Wahrheit ist.

Sonntag, 24. Juli 2011

Zazen-Praxis in degenerierten Zeiten

Dōgen wird von einem skeptischen Historiker gefragt:

“Ist es in der korrupten Welt dieses fortgeschrittenen Zeitalter überhaupt noch möglich, den Zustand der wirklichen Erfahrung und Erleuchtung zu realisieren, wenn wir (Zazen) praktizieren?“

Diese Frage zielt auf eine bestimmte Theorie innerhalb des Buddhismus, dass es verschiedene Zeitalter der Blüte und des Niedergangs im Buddhismus gebe. Danach gibt es drei Zeitperioden „wahres, nachahmendes und spätes, degeneriertes Zeitalter“. Dōgen gibt dazu folgende Antwort:

„Die Theoretiker haben sich selbst mit solchen Begriffen und formalen Festlegungen gefangen. Aber in der wirklichen Lehre des großen Fahrzeugs sagen wir, dass alle diejenigen, die praktizieren, den Zustand der Wahrheit erlangen, und zwar ohne Unterschied zwischen dem richtigen, nachahmenden und späten Dharma.“

Derartige theoretische Diskussionen und Vorstellungen haben mit der Wirklichkeit im Hier und Jetzt nicht viel zu tun und sind – auch nach Nishijima Roshis Ansicht – häufig nur geschickte Ausreden dafür, dass man nicht intensiv nach der Wahrheit strebt und praktiziert. Außerdem kommt darin ein bestimmter Kultur-Pessimismus zum Ausdruck, der immer mal wieder modern ist und in bestimmten Gruppen und Sekten gepflegt wird.

Heute neigen nicht zuletzt die Medien dazu, Informationen negativ zu färben, offensichtlich in der Annahme, ihre Medienprodukte besser verkaufen zu können. Damit werden in der Folge vor Allem die Werbe-Einnahmen erhöht. Die Werbung gaukelt uns im Gegensatz dazu eine wunderbare Welt vor, an der wir teilnehmen können, wenn wir bestimmte Produkte kaufen. Ein grotesker Gegensatz und überhaupt kein Gleichgewicht!

Dōgen bezeichnet die Theorie, dass in einem späten, sogenannten degenerierten Zeitalter die buddhistische Wahrheit nicht mehr erlangt werden könne, als völlig unsinnig. Die Methode des Zazen sei unabhängig von jedem historischen Geschehen, durch sie erlange man direkt das Gleichgewicht und damit die erste Erleuchtung.

In dieser Formulierung Dōgens steckt gleichzeitig die Aufforderung, dass wir direkt und unmittelbar handeln, Zazen praktizieren und uns dem Buddha-Dharma widmen sollen, statt uns vielleicht mit theoretisch verbrämten Ausreden davor zu drücken. Ich möchte noch hinzufügen, dass die Zen-Meditation umso wichtiger ist, je schwieriger ein Zeitalter ist. Zazen hilft uns gerade in Krisenzeiten, seien es gesellschaftliche oder persönliche Krisen.

Dienstag, 19. Juli 2011

Einheit mit dem wahren Gesetz des Lebens



Dōgen zitiert den wichtigen chinesischen Minister Hyo mit folgendem Gedicht:


Wenn es das offizielle Geschäft erlaubt, sitze ich gern im Zazen.
Ich habe selten geschlafen, indem meine Seite ein Bett berührte.
Obgleich ich jetzt erster Minister wurde,
hat sich mein Ruf als erfahrener (Zen-)Praktizierender über die vier Meere verbreitet.

Dōgen rät dringend, dass wir uns an diesem Beispiel orientieren und nicht mit Scheinbegründungen die Zazen-Praxis vernachlässigen sollen; besonders und gerade als sogenannte Laien wie Du und Ich. Hyo sagt übrigens, dass er „gern“ im Zazen sitzt, also nicht dass er sich damit abquält, sondern ganz im Gegenteil, es bringt ihm Freude! Er hat so einen Ausgleich zu seiner stressigen politischen Arbeit verwirklicht und muss wegen seiner effizienten Lebensweise sogar weniger schlafen als die meisten. Denn er verschwendet keine wertvollen Energien für unnütze Aktivitäten.


(Es ist klar), „dass weltliche Angelegenheiten den Buddha-Dharma nicht hindern.“

Und er beschreibt die große Blütezeit Chinas und des Zen-Buddhismus:
„Im großen Königreich des Sung widmet die gegenwärtige Generation ihren Geist ganz der Wahrheit des großen alten Meisters (Bodhidharma), (es sind) Könige und Minister sowie öffentliche und bürgerliche Männer und Frauen, und dies ohne jede Ausnahme. Sowohl die Berufsgruppen der Militärs (!) als auch der Verwaltung sind fest entschlossen, Zazen zu praktizieren und die Wahrheit zu erlernen.“

Dōgen ist überzeugt davon, dass die Menschen aus den unterschiedlichsten beruflichen und sozialen Gruppen durch ihre Entschlossenheit und Ausdauer den geistigen Zustand der Wahrheit klären und damit ihre Lebensweise ganz wesentlich verbessern. Daraus ergebe sich eindeutig, dass weltliche Angelegenheiten den Buddha-Dharma überhaupt nicht hindern. Nishijima Roshi geht sogar noch einen Schritt weiter:


Weltliche Angelegenheiten haben nicht die geringste Kraft, die buddhistischen Regeln im Universum zu hindern“ oder sogar außer Kraft zu setzen.


Die Welt und das Universum folgen den Gesetzen und Regeln, die genau identisch mit denen im Buddha-Dharma sind. Sie können nicht durch menschliche Aktivitäten in der Gesellschaft ausgehebelt werden. Wer gegen diese Regeln lebt, hat es schwer in seinem Leben und verschwendet durch seine Unklarheit viel Kraft. So sind zum Beispiel das Gesetz von Ursache und Wirkung und die Wahrheit der „Himmlischen Verweilungen“ völlig unabhängig davon, ob man sie kennt oder nicht und ob man daran glaubt oder nicht.

Dōgen erweitert diesen Gedanken auf ein ganzes Land und Nation, indem er erklärt, dass es dann friedlich regiert wird, wenn der Buddha-Dharma dort verbreitet ist und realisiert wird. Dies wiederum unterstütze den Buddha-Dharma und die Verbreitung der Lehre, weil es für alle einsichtig ist, dass die buddhistische Lehre eine ausgezeichnete Grundlage für das friedliche Zusammenleben und die Zusammenarbeit von Regierung und Bevölkerung darstellt. Er erinnert an die historischen Fakten, dass auch Regierende mit schweren moralischen Defiziten und „Sünden“ schon durch den direkten Kontakt mit Gautama Buddha ihre Lebensweise vollständig umgestellt haben, was ihnen selbst und den Menschen viel Gutes gebracht habe.

Samstag, 9. Juli 2011

Zazen ist wichtig für das soziale Leben

Dōgen erinnert an die großen chinesischen Kaiser Daiso und Junso, die in der Tang-Zeit im 8. und 9. Jahrhundert lebten und mit ihren Staatsgeschäften sehr stark belastet waren. Sie erlangten trotzdem durch die Zazen-Praxis die große Wahrheit. Dasselbe gilt für die Minister Lee und Bo, welche „die Arme und Beine“ der ganzen Nation waren, also Außerordentliches für das damalige China leisteten. Auch sie praktizierten Zazen und verwirklichten den Dharma.


Es sei auch völlig egal, wo man sich gerade aufhält, um Zazen zu praktizieren, zu Hause, auf Reisen oder im Kloster.
Nishijima Roshi betont an dieser Stelle noch einmal, dass es überhaupt keine Bedeutung hat, ob man Mönch, Nonne oder Laie ist. Entscheidend sei nur, ob der Wille zur Klarheit im Leben und in der Welt vorhanden ist oder nicht. Das ist gerade heute von entscheidender Bedeutung, um ein erfülltes Leben zu führen. Auch der Ort der Praxis sei nicht so wichtig.

Dōgen kommt erneut auf das Vertrauen in die Zazen-Praxis zu sprechen:
„Darüber hinaus wird jeder Mensch, der die Vorzüglichkeit oder Minderwertigkeit der Dinge (im Leben) fundiert erkennt, auf natürliche Weise Vertrauen (in die Praxis) haben.“

Wichtig ist, dass die Menschen der Zazen-Praxis vertrauen und dadurch zwischen dem Wichtigen und Unwichtigeren für sich und andere, also dem Höheren und Niedrigeren, unterscheiden können.


„Weiterhin behaupten einige Menschen, dass die weltlichen Tätigkeiten den Weg des Buddha-Dharma hindern. Sie behaupten damit aber nur, dass es überhaupt keinen Buddha-Dharma in der Welt gibt. Sie wissen nicht, dass es keine (getrennten) weltlichen Dharmas im Zustand des Buddhas gibt.“

Nishijima Roshi ergänzt dazu, dass die vom Buddhismus angeblich getrennten weltlichen Gesellschaften nur gedankliche Vorstellungen und Begriffe sind, aber nicht die reale Wirklichkeit der Welt. Das wirkliche Handeln ist total unabhängig davon, ob es sich um sogenannte Laien im Alltag oder Ordinierte handelt.


Das Leben in den sozialen Gruppen, im Beruf, in der Familie kann niemals außerhalb des Buddha-Dharma sein, weil dies der natürliche, ursprüngliche Zustand des Menschen ist. Nur dann ist er frei und lebt ein gutes, zufriedenes Leben! Die aufrichtige Suche nach der Wahrheit und die regelmäßige und richtige Zazen-Praxis sind daher von größter Bedeutung für uns.

Sonntag, 3. Juli 2011

Haben wir heute überhaupt Zeit für die Zazen-Praxis?

Frage an Dōgen:


„Die Menschen, die ihr Zuhause verlassen haben, werden sofort von allen (bisherigen) Bindungen frei, sodass sie keine Hindernisse mehr bei der Praxis des Zazen haben und nach der Wahrheit streben. Wie kann ein viel beschäftigter Laie die Übungen mit ganzer Hingabe praktizieren und eins mit dem Zustand der buddhistischen Wahrheit sein, die ohne (Berechnung) und Absicht ist?“


Dōgen nimmt wie folgt dazu Stellung:
„Der buddhistische Vorfahre im Dharma (Bodhidharma), übervoll des Erbarmens, hinterließ ein offenes, weites und großartiges Tor des Mitgefühls, sodass alle Lebewesen (den Zustand der Wahrheit) erfahren und in ihn eingehen können. Welcher Mensch oder Gott wollte nicht (in das Tor des Zazen) eintreten?“


Er macht klar, dass das Tor, das Bodhidharma durch die Zazen-Praxis geöffnet hat, jedem zugänglich ist, unabhängig davon, ob er Laie oder ordiniert ist. Weil sie eigentlich so einfach ist, hat sie sich in Japan sehr schnell verbreitet.


Obgleich dieses Thema auf den ersten Blick für die Gegenwart scheinbar keine große Rolle spielt, da es besonders im westlichen Buddhismus nur wenige ordinierte Nonnen und Mönche gibt, die in Klöstern leben, ist es dennoch auch für die heutige Zeit sehr bedeutsam. Häufig wird gegen die Zen-Meditation nämlich eingewendet, dass man angesichts der großen Last von beruflichen und familiären Aufgaben überhaupt keine Zeit mehr habe, um sich dieser Praxis zu widmen.


Ist das richtig? Dieses Argument dürfte jedoch meistens an der Wirklichkeit des Tagesablaufs total vorbeigehen. Wenn wir uns nur daran erinnern, wie viel Zeit heute die meisten Menschen vor dem Fernseher verbringen und wie viel Freizeit überhaupt zur Verfügung steht, so wird klar, dass sich immer etwas Zeit für die Praxis finden lässt. Schon 15 Minuten täglich wären ein wichtiger Schritt – und das gilt besonders, wenn wir in Hektik, Stress und Zeitnot zu versinken drohen. Übertriebener Aktionismus hat häufig eine sehr geringe Effizienz zur Folge, während mit innerem Gleichgewicht und größerer Ruhe die Arbeit sich nicht nur qualitativ verbessert, sondern auch manche unnötige Aktion ganz überflüssig würde. Wir machen auch deutlich weniger Fehler.

Wir sollten unseren Alltag deshalb so organisieren, dass wir Zeit für die Praxis haben, und uns einen ruhigen Ort schaffen, an dem wir sitzen können. Gerade wer im Beruf starkem Stress und psychischen Belastungen ausgesetzt ist, braucht unbedingt einen Ausgleich, um das Gleichgewicht zu halten, sich nicht unnötig aufzureiben und falschen Zielen nachzurennen. Auch Nishijima Roshi rät uns dringend, die tägliche Zazen-Praxis auf keinen Fall aufzugeben oder zu vernachlässigen. Gerade wenn es uns nicht so gut geht!


Er fügt hinzu, dass es in jedem Leben nicht nur aus ausgeglichene und gute Tage gibt, sondern auch Turbulenzen und Situationen, in denen wir hin- und hergeworfen werden, wenn wir nicht über eine wirkungsvolle Methode verfügen, die uns zurück ins Gleichgewicht bringen kann. Zusammenfassend bekräftigt er:


„Wenn wir daher durch Zazen glücklich werden wollen, ist es für uns notwendig, jeden Tag Zazen zu praktizieren.“