Dōgen unterstreicht: die
strahlende Klarheit ist identisch mit dem Ganzen der Buddhas und der
authentischen Meister. Die Klarheit bedeutet, dass die Buddhas zusammen mit den
Buddhas die Wahrheit praktizieren und
erfahren. Sie ist identisch mit dem strahlenden Zustand der Buddhas.
Im
Lotos-Sūtra ein heißt es, dass die
vielen Länder des Ostens von der strahlenden Klarheit erhellt werden. Dies
solle man aber nicht abstrakt und losgelöst von der Wirklichkeit verstehen. Den
Osten, wo bekanntlich die Sonne und das Licht aufgehen, darf man sich nicht nur
materiell vorstellen und nicht auf die äußere Wahrnehmung der Sinne
beschränken. Der hier gemeinte Osten, nämlich die Klarheit, ist überall, wo der
Buddha-Dharma lebendig ist, und er existiert
nicht zuletzt in uns selbst oder, wie Dōgen
es ausdrückt, „im Inneren des Auges“.
Dōgen erzählt eine
markantze Geschichte eines chinesischen Kaisers der Tang-Dynastie, der
Reliquien von Gautama Buddha in seinen Palast gebracht hatte. Diese leuchteten
in der Dunkelheit der Nacht und veranlassten die Untergebenen und Karrieristen
bei Hofe zu großen Lobeshymnen und Gedichten. Sie sagten, dass dies die
strahlende Klarheit Buddhas sei und sie die grenzenlose Tugend des Kaisers
bestätigen würde. Das klingt in unseren Ohren doch sehr nach Schmeichelei!
Es gab jedoch den klar denkenden
Dichter und Buddhisten Bunko, der
sich solchen Schmeicheleien und diesem Wunderglauben nicht anschließen wollte,
weil er mit großer Ernsthaftigkeit den Buddha-Dharma studiert und praktiziert
hatte. Er wurde vom Kaiser, der deshalb sehr irritiert war, angesprochen, warum
er die strahlende Klarheit der Reliquien nicht mit seiner großartigen
Dichterkunst besingen würde, die doch im ganzen Land gerühmt wurden.
Der Dichter antwortete ihm:
„Buddhas strahlende Klarheit ist nicht blau, gelb, rot oder
weiß. Dies hier ist nur das Licht, das Drachengötter bewahren.“
Der Kaiser war über diese Aussage
verärgert und fragte bohrend und sogar drohend: „Was ist Buddhas Klarheit?“
Der Schriftsteller erkannte
schlagartig, dass der Kaiser unfähig war,
zu „verstehen“, was diese große Klarheit des Buddha-Dharma bedeutete, sie
hat mit Schmeicheleien nichts zu schaffen, daher antwortete er überhaupt nicht.
Dies wurde ihm als Aufsässigkeit und grobe Unverschämtheit ausgelegt, sodass er
vom Hofe verbannt wurde und seine Karriere dort beendet war.
Diese
Begebenheit erwähnt Dōgen auch in der Kōan-Sammlung Shinji Shōbōgenzō. Nishijima Roshi erklärt dazu, dass viele
Religionen sogenannte „mystische Ereignisse“ sehr schätzen, diese aber im
Buddhismus nicht als wesentliche Fakten anerkannt werden. Bunkos Schweigen auf
die Frage des Kaisers symbolisiere genau das buddhistische Licht der Klarheit,
denn es sei mit höflichen oder gar unterwürfigen Worten nicht zu beschreiben.
Das buddhistische Licht unterliegt keiner Hierarchie und keiner Anbiederung. Es
liegt total außerhalb von Schmeicheleien und eigenem Vorteilsdenken.
Leider
hatte der Kaiser aber dafür kein Verständnis, sondern reagierte mit seinem beleidigten Ego. Er missbrauchte
seine Macht, um Bunko zu erniedrigen und abzuschieben. Das war damals eine
harte Strafe. Darin wird deutlich, dass der Kaiser kein wahres Verständnis des
Buddhismus und der strahlenden Klarheit hatte.
Dōgen lobt die Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit Bunkos, der die
Unzulänglichkeit von Worten erkannt hatte, obgleich er der Sprache als Dichter
so mächtig war. Er konnte die strahlende Klarheit nicht einem Menschen
erklären, der an Wundergeschichten
glaubte und dem die Untergebenen als
dem Mächtigen schmeichelten.
Nishijima Roshi erklärt das Leuchten
der Reliquien mit dem Vorgang der Phosphoreszenz. So kann das geschilderte
Phänomen heute physikalisch einfach und natürlich erklärt werden. Das
phosphorisierende Leuchten der Knochen in der Dunkelheit kann man
selbstverständlich keineswegs mit der von Dōgen beschriebenen strahlenden
Klarheit gleichsetzen. Diese Klarheit könne man nur selbst erfahren und
erforschen, wenn man keine Vorurteile und keine Eigeninteressen habe. Die
Tatsachen bleiben so, wie sie sind, selbst wenn man wunderbar reden kann und die
Sūtras des Buddhismus so beredt auslegt, als ob „Blumen vom Himmel regnen“.
„Die wirkliche strahlende Klarheit ist dasselbe wie die
wahren Dinge (dieser Welt), also die Wurzeln, Stämme, Zweige, Blätter, Blumen,
Früchte und deren Licht und deren Farbe.“
Dōgen
fordert uns eindringlich auf, die Aussagen der großen Meister in allen Einzelheiten zu untersuchen, zu
erfahren und in der Wirklichkeit zu praktizieren. Nur dann verwirklichen wir die strahlende Klarheit des Selbst, das über das
Gewöhnliche und sogar das Heilige hinausgeht.