Dieses Kapitel des Shōbōgenzō
heißt auf Japanisch Senjō. Dabei
bedeutet sen „waschen“ und jo „reinigen“. Im Mittelpunkt steht, wie
sich die Mönche im damaligen China und Japan sauber hielten, also wuschen und
reinigten. Dōgen beschreibt diese Vorgänge sehr konkret und genau, aber das
Kapitel steht in einem größeren Zusammenhang, denn es geht nicht nur um den
Körper, sondern um die Einheit von Körper-und-Geist, ja um die spirituelle Einheit.
Es sagt ganz klar, dass wir mit dem Körper immer gleichzeitig unseren
Geist und damit uns selbst ganzheitlich reinigen. Die körperliche Reinigung ist
im Buddha-Dharma gleichzeitig eine geistige und spirituelle Handlung. Geistige
Reinheit bedeutet auch, dass man den Körper rein hält. Wer sich körperlich
verkommen lässt und unrein hält, kann laut Dōgen geistig nicht rein sein; wir
würden heute sogar sagen, dass er psychisch oder seelisch heruntergekommen ist.
Aus der Geschichte wissen
wir, dass nach dem Niedergang des Römischen Reiches, das eine ausgeprägte
Bäderkultur besaß, in Europa katastrophale
hygienische Verhältnisse herrschten und diese furchtbare Seuchen und großes
Leiden verursachten. Erst im 19. Jahrhundert hat zum Beispiel der große
Mediziner und Politiker Virchow in Berlin eine zentrale Abwasserableitung
politisch durchgesetzt und realisiert. Das war ein gewaltiger Fortschritt für
die Volkshygiene und führte zu einer schrittweisen Verbesserung der
Lebensbedingungen für alle und zu einem gravierenden Rückgang der
Seuchengefahr.
Aber zurück zu Dōgen: Der Buddhismus
bestehe mit allem Nachdruck darauf, dass die Reinigung unseres physischen Körpers
unauflösbar mit der Reinigung unseres Geistes
verbunden ist, erklären Nishijima und Cross, denn „Buddhismus ist weder
Idealismus noch Materialismus, sondern das (tiefe) Vertrauen in die
Wirklichkeit, die sowohl eine spirituelle als auch eine materielle Seite hat.“
Körper und Geist bilden eine umfassende Einheit, weder der Geist noch der
Körper werden für sich als wichtiger oder gar überlegen verstanden.
In den japanischen Klöstern werden Reinlichkeit und Sauberkeit bis heute sehr hoch geschätzt. Aber auch die Laien sollten die Tätigkeiten des Waschens mit ganzer
körperlicher und geistiger Aufmerksamkeit ausführen. Nach den Sesshins der Dōgen-Sangha
im japanischen Kloster Tokei-in
wäscht man sich zum Beispiel gründlich, indem man sich zunächst am ganzen
Körper einseift und mit klarem Wasser abspült. Danach setzt man sich zur
Entspannung in mehrere Wasserbassins, die verschiedene Temperaturen haben – eine
sehr angenehme Bade-Kultur.
Da die Bassins von allen Teilnehmern des Sesshins nacheinander benutzt
werden, wird genau darauf geachtet, dass sich jeder vorher gründlich wäscht und
abspült. Man steigt also schon rundum gereinigt in das warme oder heiße Wasser.
Männer und Frauen reinigen sich in getrennten Gruppen. Die vielleicht durch die
ausdauernde Zazen-Praxis verspannten Muskeln und Sehnen lockern und durchwärmen
sich durch die Bäder vor dem Schlaf. Ein solcher Abschluss des Zazen-Tages bewirkt
nicht nur ein rein körperliches Wohlempfinden,
sondern erfasst den ganzen Menschen, also den Körper-und-Geist.
Dōgen zitiert einen Kōan-Dialog, in dem es um die Reinheit von Körper
und Geist geht. Darin heißt es, wir sollen so leben und handeln, dass wir uns
nicht beschmutzen und verunreinigen. Der ältere Meister Daikan Enō fragt seinen Schüler Nangaku, der später ebenfalls Meister
wurde:
„Stützt du dich auf die Praxis
und Erfahrung (der Erleuchtung) oder nicht?“
Was hat diese Frage mit der Reinheit von Körper und Geist zu tun?
Nangaku antwortet fast kryptisch, dass die Praxis und die echte Erfahrung der
Erleuchtung nur dann als Wahrheit verwirklicht werden können, wenn sie im selben Augenblick zusammenfallen und als
totale Einheit erlebt werden. Praxis
und Erleuchtung des Geistes können nicht getrennt werden. Und er fügt hinzu:
„Der Zustand von Praxis und Erfahrung
(der Verwirklichung) kann niemals beschmutzt werden.“
Im Umkehrschluss heißt das,
dass wir uns selbst verunreinigen und beschmutzen, wenn wir zwar praktisch
handeln, zum Beispiel Zazen praktizieren, aber dies nicht in geistiger Einheit mit der Wirklichkeit im
Augenblick vollziehen. Das ist in der Tat eine erstaunliche Aussage
Nangakus. Von Natur aus und in der wahren Wirklichkeit kann die Einheit von
Körper-undGeist also nicht beschmutzt werden.
Dies gilt aber nur dann,
wenn wir Körper und Geist nicht künstlich
und damit gewaltsam trennen.
Beim Kōan-Gespräch zwischen
Daikan Enō und Nangaku ist sicherlich die Zazen-Praxis gemeint und dass der
Irrtum vermieden werden muss, eine in
Zukunft zu erlangende Erleuchtung anzustreben. Denn dann wären die
Zazen-Praxis und die Erleuchtung voneinander getrennt und damit verunreinigt! Diese Aussage gilt für alle
Tätigkeiten des Menschen und steht wegen ihrer fundamentalen Bedeutung sicher
nicht zufällig am Anfang dieses Kapitels über Waschen und Reinigen.
Somit müssen Praxis, Erfahrung und Reinheit, also sowohl körperliche als
auch geistige und ethische Sauberkeit, eine Einheit sein, damit Wirklichkeit
und Wahrheit erlangt werden. Diese Erkenntnis ist in der Tat bemerkenswert und
unterscheidet sich von den westlichen
Philosophien des Idealismus, in denen zwar moralische Reinheit angestrebt
wird, aber häufig die Praxis des Lebens und dessen körperlicher Bereich
vernachlässigt werden.
Auch die Philosophie des Materialismus, die ganz auf die Körperlichkeit,
Form und Materie abzielt, kann in diesem Licht nur als unzureichende Lebensphilosophie
gekennzeichnet werden. Sie scheint objektiv zu sein, ist aber eine einseitige Theorie, um nicht zu sagen Ideologie, die weder die volle
Wirklichkeit ausgewogen einbezieht, noch Ethik und Moral ausreichend
berücksichtigt.
Diese Einheit von Praxis, Erfahrung und Reinheit unterstreicht Meister
Daikan Enō wie folgt:
„Gerade
dieser unverschmutzte Zustand (der Reinheit) ist es, welche die Buddhas immer bewahrt
und erstrebt haben. So bist auch du, so bin ich, und so waren die alten Meister
in Indien.“