Dienstag, 7. Januar 2014

Sich körperlich und geistig reinigen



Dieses Kapitel des Shōbōgenzō heißt auf Japanisch Senjō. Dabei bedeutet sen „waschen“ und jo „reinigen“. Im Mittelpunkt steht, wie sich die Mönche im damaligen China und Japan sauber hielten, also wuschen und reinigten. Dōgen beschreibt diese Vorgänge sehr konkret und genau, aber das Kapitel steht in einem größeren Zusammenhang, denn es geht nicht nur um den Körper, sondern um die Einheit von Körper-und-Geist, ja um die spirituelle Einheit.

Es sagt ganz klar, dass wir mit dem Körper immer gleichzeitig unseren Geist und damit uns selbst ganzheitlich reinigen. Die körperliche Reinigung ist im Buddha-Dharma gleichzeitig eine geistige und spirituelle Handlung. Geistige Reinheit bedeutet auch, dass man den Körper rein hält. Wer sich körperlich verkommen lässt und unrein hält, kann laut Dōgen geistig nicht rein sein; wir würden heute sogar sagen, dass er psychisch oder seelisch heruntergekommen ist.

Aus der Geschichte wissen wir, dass nach dem Niedergang des Römischen Reiches, das eine ausgeprägte Bäderkultur besaß, in Europa katastrophale hygienische Verhältnisse herrschten und diese furchtbare Seuchen und großes Leiden verursachten. Erst im 19. Jahrhundert hat zum Beispiel der große Mediziner und Politiker Virchow in Berlin eine zentrale Abwasserableitung politisch durchgesetzt und realisiert. Das war ein gewaltiger Fortschritt für die Volkshygiene und führte zu einer schrittweisen Verbesserung der Lebensbedingungen für alle und zu einem gravierenden Rückgang der Seuchengefahr.

Aber zurück zu Dōgen: Der Buddhismus bestehe mit allem Nachdruck darauf, dass die Reinigung unseres physischen Körpers unauflösbar mit der Reinigung unseres Geistes verbunden ist, erklären Nishijima und Cross, denn „Buddhismus ist weder Idealismus noch Materialismus, sondern das (tiefe) Vertrauen in die Wirklichkeit, die sowohl eine spirituelle als auch eine materielle Seite hat.“ Körper und Geist bilden eine umfassende Einheit, weder der Geist noch der Körper werden für sich als wichtiger oder gar überlegen verstanden.

In den japanischen Klöstern werden Reinlichkeit und Sauberkeit bis heute sehr hoch geschätzt. Aber auch die Laien sollten die Tätigkeiten des Waschens mit ganzer körperlicher und geistiger Aufmerksamkeit ausführen. Nach den Sesshins der Dōgen-Sangha im japanischen Kloster Tokei-in wäscht man sich zum Beispiel gründlich, indem man sich zunächst am ganzen Körper einseift und mit klarem Wasser abspült. Danach setzt man sich zur Entspannung in mehrere Wasserbassins, die verschiedene Temperaturen haben – eine sehr angenehme Bade-Kultur.

Da die Bassins von allen Teilnehmern des Sesshins nacheinander benutzt werden, wird genau darauf geachtet, dass sich jeder vorher gründlich wäscht und abspült. Man steigt also schon rundum gereinigt in das warme oder heiße Wasser. Männer und Frauen reinigen sich in getrennten Gruppen. Die vielleicht durch die ausdauernde Zazen-Praxis verspannten Muskeln und Sehnen lockern und durchwärmen sich durch die Bäder vor dem Schlaf. Ein solcher Abschluss des Zazen-Tages bewirkt nicht nur ein rein körperliches Wohlempfinden, sondern erfasst den ganzen Menschen, also den Körper-und-Geist.

Dōgen zitiert einen Kōan-Dialog, in dem es um die Reinheit von Körper und Geist geht. Darin heißt es, wir sollen so leben und handeln, dass wir uns nicht beschmutzen und verunreinigen. Der ältere Meister Daikan Enō fragt seinen Schüler Nangaku, der später ebenfalls Meister wurde:

„Stützt du dich auf die Praxis und Erfahrung (der Erleuchtung) oder nicht?“

Was hat diese Frage mit der Reinheit von Körper und Geist zu tun? Nangaku antwortet fast kryptisch, dass die Praxis und die echte Erfahrung der Erleuchtung nur dann als Wahrheit verwirklicht werden können, wenn sie im selben Augenblick zusammenfallen und als totale Einheit erlebt werden. Praxis und Erleuchtung des Geistes können nicht getrennt werden. Und er fügt hinzu:

„Der Zustand von Praxis und Erfahrung (der Verwirklichung) kann niemals beschmutzt werden.“

Im Umkehrschluss heißt das, dass wir uns selbst verunreinigen und beschmutzen, wenn wir zwar praktisch handeln, zum Beispiel Zazen praktizieren, aber dies nicht in geistiger Einheit mit der Wirklichkeit im Augenblick vollziehen. Das ist in der Tat eine erstaunliche Aussage Nangakus. Von Natur aus und in der wahren Wirklichkeit kann die Einheit von Körper-undGeist also nicht beschmutzt werden.

Dies gilt aber nur dann, wenn wir Körper und Geist nicht künstlich und damit gewaltsam trennen.
Beim Kōan-Gespräch zwischen Daikan Enō und Nangaku ist sicherlich die Zazen-Praxis gemeint und dass der Irrtum vermieden werden muss, eine in Zukunft zu erlangende Erleuchtung anzustreben. Denn dann wären die Zazen-Praxis und die Erleuchtung voneinander getrennt und damit verunreinigt! Diese Aussage gilt für alle Tätigkeiten des Menschen und steht wegen ihrer fundamentalen Bedeutung sicher nicht zufällig am Anfang dieses Kapitels über Waschen und Reinigen.

Somit müssen Praxis, Erfahrung und Reinheit, also sowohl körperliche als auch geistige und ethische Sauberkeit, eine Einheit sein, damit Wirklichkeit und Wahrheit erlangt werden. Diese Erkenntnis ist in der Tat bemerkenswert und unterscheidet sich von den westlichen Philosophien des Idealismus, in denen zwar moralische Reinheit angestrebt wird, aber häufig die Praxis des Lebens und dessen körperlicher Bereich vernachlässigt werden.

Auch die Philosophie des Materialismus, die ganz auf die Körperlichkeit, Form und Materie abzielt, kann in diesem Licht nur als unzureichende Lebensphilosophie gekennzeichnet werden. Sie scheint objektiv zu sein, ist aber eine einseitige Theorie, um nicht zu sagen Ideologie, die weder die volle Wirklichkeit ausgewogen einbezieht, noch Ethik und Moral ausreichend berücksichtigt.
Diese Einheit von Praxis, Erfahrung und Reinheit unterstreicht Meister Daikan Enō wie folgt:

„Gerade dieser unverschmutzte Zustand (der Reinheit) ist es, welche die Buddhas immer bewahrt und erstrebt haben. So bist auch du, so bin ich, und so waren die alten Meister in Indien.“