Samstag, 10. Mai 2008

Anleitung zur Zazen-Praxis

Der große Meister Kodo Sawaki


In diesem Kapitel (Kap. 58, Zazengi) beschreibt Dôgen in knapper Form die Übungs-Praxis des Zazen. Im ganzen Shôbôgenzô wird deutlich, wie wichtig diese Praxis für Dôgen war, der sie erst unter seinem Lehrer Tendo Nyojo in China erlernt hatte und dann selbst praktizierte. Er lehrte sie in Japan nach seiner Rückkehr mit aller Klarheit und Überzeugungskraft als das Wesentliche im Buddhismus. In neuerer Zeit hat der große Meister Kodo Sawaki diese Zazen-Praxis belebt, vervollkommnet und an uns weiter gegeben (vgl. die historischen Fotos)

In seinem ersten kurzen Werk nach der Chinareise beschreibt er die Zazen-Praxis ausführlicher als hier und inhaltlich weitgehend identisch. (Anleitung zum Zazen, Fukan Zazengi), das von Nishijima Roshi kürzlich neu übersetzt und ausführlich kommentiert wurde (Internet, http://gudoblog-e.blogspot.com). Im Shôbôgenzô gibt es außerdem drei weitere bedeutende Kapitel, die sich speziell auf Zazen beziehen. Zum einen das erste Kapitel (Bendowa), in der das Streben nach der Wahrheit mit der Zazen-Praxis unauflösbar verschmolzen wird. Dies markiert für den japanischen Buddhismus vor allem der Sôtô-Tradition einen Neuanfang. Bis dahin war die Zazen-Praxis in der Form des Shikantaza, also der Zazen-Praxis ohne Konzentration und Denken, unbekannt. Es war dort lediglich die Koan-Methode der Rinzai-Linie durch den Meister Esei eingeführt worden, die Dôgen vor seiner Chinareise mehrere Jahre lang übte.
Zazen wird in zwei weiteren Kapiteln, "Die Bambusnadel der heilenden Zazen-Praxis" (Kap. 27, Zazenshin) und "Der Samadhi, welcher der König der Samadhis ist" (Kap. 72, Zanmai o zanmai) aus verschiedenen Sichtweisen beschrieben. Es gibt demnach insgesamt fünf wesentliche Quellen speziell zu dieser Übungs-Praxis, in denen Dôgen sehr konkrete praktische Hinweise gibt und auch philosophische und spirituelle Dimensionen anspricht. Nishijima Roshi hält die Zazen-Praxis ebenfalls für unerlässlich auf dem Buddha-Weg und bezeichnet die richtige Zazen-Praxis als die erste Erleuchtung im Augenblick des Hier und Jetzt, also des Sitzens bei der Übung.
Dôgen beginnt dieses kurze Kapitel wie folgt:

"Zen wirklich zu erfahren bedeutet, in Zazen zu sitzen."

Er empfiehlt einen ruhigen, sauberen Ort, der nicht zu dunkel ist und an dem man nicht durch Wind, Regen oder zu große Hitze und Kälte gestört wird. Es soll ein einfacher, aber sauberer Ort sein, der als Umgebung für die Zazen-Praxis geeignet ist. Dôgen verweist auf Gautama Buddha, der unter dem Bodhi-Baum praktizierte und dort das große Erwachen erlebte. Er berichtet von dem großen Meister Sekito Kisen, der auf einem flachen Felsen im Freien praktizierte. Beide benutzten nach der Überlieferung weiches Gras als Unterlage und als Zazen-Sitz. Dôgen spricht davon, dass es am Übungs-Ort "im Winter warm und im Sommer kühl“ sein soll und lehnt damit jede asketische Praxis ab. Viele meinen fälschlich, die Zazen-Praxis müsse als asketische und schmerzhafte Übung durchgeführt werden. Sie halten den Zazen-Raum zum Beispiel im Winter ausgesprochen kühl, indem sie die Heizung herunterdrehen. Dies ist nach Dogen nicht sinnvoll. Dasselbe gilt für zu heiße Räume, sodass im Sommer bei großer Hitze eine gewisse Kühlung sinnvoll ist.

Er rät uns, alle Gedanken und Bindungen an Schwierigkeiten, Hoffnungen, Ziele und Ängste des Alltags wegzulassen und uns davon vollständig zu lösen. Auch Bewertungen nach Recht und Unrecht und damit verbundene Gedankengänge und Gefühle sollen während der Zazen-Praxis vermieden werden. Genauso sollen Theorien über den Geist, über das Denken, über Anschauungen, Wahrnehmungen, buddhistische Lehren usw. weggelassen werden. Wir sollten während der Zazen-Zeit mäßig essen und trinken, d.h., weder hungern noch üppige Mahlzeiten zu uns nehmen.

Wie in den Kapiteln zum buddhistischen Gewand des Kesa betont Dôgen, dass man dieses bei der Zazen-Praxis anlegen sollte. Auch Nishijima Roshi empfiehlt uns, dieses buddhistische Kleidungsstück während der Übung zu tragen. Dôgen zieht ein rundes Sitzkissen vor, das mit Kapok gefüllt sein sollte. Die im Westen häufig verwendeten Getreide-Spelzen für die Füllung des Kissens werden von Nishijima Roshi nicht unterstützt. Nach meiner Erfahrung sind diese Kissen zwar zunächst ganz angenehm, werden aber sehr hart und drückend, wenn man längere Zeit praktiziert. Für eine Sesshin von mehreren Tagen mit vielen Sitzperioden sind sie daher weniger geeignet.

Man sollte in der Mitte des runden Sitzkissens Platz nehmen, also weder am vorderen, noch am hinteren Rand sitzen. Dadurch hat man einerseits eine genügend große Auflagefläche für das Gesäß, sodass unnötiger Druck auf die Haut vermieden wird. Auf der anderen Seite hat man eine gewisse Stütze durch den hinteren Teil des Kissens, das sich ein wenig hochwölbt, während man sitzt. Von großer Bedeutung ist die senkrechte Haltung mit gekreuzten Beinen, entweder im ganzen oder halben Lotossitz. Nishijima Roshi empfiehlt auch den burmesischen Lotossitz, bei dem die Unterschenkel und Füße nicht übereinander, sondern vor einander liegen, wenn die anderen Haltungen zu schmerzhaft sind. Von ganz großer Bedeutung ist ein völlig gestreckter gerader Rücken, so als ob man einen „Spazierstock verschluckt“ hat.

Man sieht immer wieder Bilder, bei denen Zazen Praktizierende mit jahrelanger Erfahrung einen etwas krummen und nicht völlig gestreckten Rücken haben oder sogar den Schneidersitz verwenden. Dabei werden die Knie nicht auf den Boden gedrückt, sondern stehen schräg nach oben. Diese Sitzhaltungen sind für die Zazen-Praxis ungeeignet und sollten vermieden werden. Außerdem sollten der Rücken und die Wirbelsäule wirklich gerade und senkrecht nach oben gehalten werden, sodass man weder nach links noch nach rechts geneigt ist.

Dôgen empfiehlt die ineinander gelegten Hände weder zu hoch noch zu tief zu halten und sagt uns, dass wir die leicht zusammengelegten Daumen in der Höhe des Bauchnabels halten sollten. Die Hände liegen dabei locker im Schoß und sind nicht zu weit unten aufgelegt. Die Augen sollten leicht geöffnet sein. Es wird also nicht empfohlen, die Augen zu schließen. Der Grund liegt darin, dass man bei geschlossenen Augen leicht in Träumereien und Gedanken verfällt, die bei der Zazen-Praxis gerade vermieden werden sollten.
Wie im Fukan Zazengi sagt Dogen in diesem Kapitel:

"Wenn ihr still und unbewegt sitzt, denkt aus dem Grund des Nichtdenkens. Wie kann man aus dem Grund des Nichtdenkens denken? Es ist jenseits des Denkens. Dies ist die wahre Kunst beim Zazen."

Er sagt uns also, dass wir unseren Geist vom Denken befreien und entlasten sollen und dass dies ganz wesentlich für die positive Wirkung dieser Übungs-Praxis ist. Dies bedeutet, dass wir nicht in Gedankengänge abgleiten und uns nicht an Bewertungen, z. B. über Recht und Unrecht festmachen. Wenn wir uns dessen bewusst werden, sollten wir uns möglichst bald davon lösen und zu einem Geist zurückzukehren, der keine Gedanken, Bewertungen und Gefühle hat. Dies bedeutet nicht, dass man ohne Bewusstsein ist, wie manchmal fälschlich gelehrt wird.
Dôgen sagt am Ende dieses Kapitels:

"Zazen bedeutet nicht, Zen-Konzentration zu erlernen, es ist vielmehr das Dharma-Tor des Friedens und der Freude. Es ist die reine Praxis und Erfahrung."

Das heißt, dass eine Konzentration auf das Zählen und den Atem für Dôgen nicht die richtige Zazen-Praxis ist und dass auch die intensive Beschäftigung mit einem Koan, mit einer Visualisierung, mit einem spirituellen Inhalt oder einer Frage nicht der richtigen Zazen-Praxis des Shikantaza angehört. Er sagt uns im Gegenteil, dass wir uns von solchen Konzentrationsübungen befreien sollten und dass sich dadurch "das Dharma-Tor des Friedens und der Freude" öffnet. Das heißt, dass wir eine gewisse geistige Entspannung beim Zazen erleben. Er betont an anderer Stelle, dass wir nicht an wunderbaren Zielen des Buddha-Weges haften sollen, zum Beispiel ein Buddha zu werden oder „mit Gewalt“ die Erleuchtung zu erlangen. Die Wirkung der Zazen-Praxis stellt sich im Augenblick dieses Handelns ohne Zielvorstellungen und Absichten ein. Konzentrationsübungen wären dafür hinderlich und würden die Praxis des Shikantaza unmöglich machen und damit die Wirkung dieser Übung verfehlen.