Mittwoch, 17. Dezember 2008

Der Mönch in der vierten Meditationsstufe der Vertiefung, Teil 2 (Dhyana).

Dôgen zitiert eine Geschichte aus dem alten Indien, wo ein Mönch ebenfalls in den Irrtum der eigenen Erleuchtung verfallen war, aber dies nicht zuletzt durch die Hilfe des Meisters klar erkannte.
Kloster Ehei-ji, früherer Haupteingang
Er gab dann seinen Irrtum zu und akzeptierte den notwendigen Lernprozess. Dadurch konnte er sich von der Blockade und den Fesseln seiner Illusion lösen und sich fortentwickeln. Wenn man erkennt, dass man kein Arhat ist, die höchste Stufe des Buddha-Weges also noch nicht erreicht hat, beginnt der wahre Lernprozess. Die selbstgerechte Überschätzung verfliegt, sodass ein ehrliches, einfaches Handeln und Lernen in der Praxis möglich wird.
Dann vermeidet man, die Schuld auf Buddha und seine Lehre zu schieben und hütet sich davor, den Buddha herabzusetzen oder gar zu verleumden. Dies war nämlich der eigentliche Grund, warum der vorherige Mönch in die Hölle kam. Wenn der Geist wieder frei wird, lösen sich illusionäre und maßlose Visionen von selbst auf. Dann hat die Wirklichkeit wieder eine Chance. Besonders gefährlich ist es, sich selbst als voll erleuchtet anzusehen und sich auf die gleiche Stufe wie Gautama Buddha oder die großen Meister zu stellen.

Dôgen vergleicht solche Menschen mit den nicht-buddhistischen Philosophen in der Zeit von Gautama Buddha und zitiert einen Meister der Vergangenheit:
"Auch als der große Meister (Buddha) in der Welt war, gab es Menschen mit falschen Gedanken und Sichtweisen. Wie viel schlechter sind jene nach dem Dahinscheiden (des Tathagata), die keinen Lehrer haben und unfähig sind, irgendeine Meditation zu erlangen."

Solche Irrtümer und Fehler gäbe es sogar bei jenen, die die vierte Vertiefung in der Meditation erreicht haben. Dies gilt nach Dôgen in erhöhtem Maße für Menschen, die diese Vertiefung überhaupt noch nicht erlangt haben. Sie versinken sinnlos in der Gier nach Ruhm und sind berauscht vom eigenen Vorteil und Gewinn. Sie kriechen und dienern nach Unterstützung der Mächtigen und wollen unbedingt eine weltliche Karriere hinlegen. Dôgen sagt, dass es damals im großen Königreich der Sung viele solcher falsch informierten und törichten Menschen gibt:
"Sie sagen, dass der Buddha-Dharma und die Methoden des Konfuzius und Laotse das selbe sind und sich nicht unterscheiden."
Damit wird sicher der Opportunismus der damaligen Zeit angesprochen.
Dôgen berichtet dann von einem Mönch mit dem Namen Shoju, der 1208 gestorben ist, also eine Generation vor Dôgen gelebt hatte, der ein umfangreiches Werk in dreißig Bänden veröffentlichte. Er verglich die Lehren von Gautama Buddha, Konfuzius und Laotse mit einem dreibeinigen Kessel, bei dem diese drei Lehren eine wunderbare stabile Einheit bilden würden. Wenn ein Bein fehlte, würde der Kessel umfallen. Er sagte:

"Ich habe erkannt, dass die Essenz, die der Konfuzius lehrt, die Redlichkeit ist. Die Essenz dessen, was das Tao lehrt, ist das Loslösen. Die Essenz der Lehre von Shakyamuni besteht darin, die Natur zu sehen. Redlichkeit, Loslösen und Natur zu sehen haben verschieden Namen (aber) sind dieselbe Substanz. Wenn wir den Punkt meistern, an dem sie sich annähern, gibt es nichts, das nicht genau im Einklang mit dieser Wahrheit ist."

Dôgen bedauert, dass es viele Menschen gäbe, die solches falsche Denken und falsche Sichtweisen hätten. Dieses sei schwerwiegender, als wenn man die vierte Vertiefung in der Meditation mit der Arhatschaft verwechselt. Im Verhältnis zum Buddhismus seien die anderen Lehren nämlich ungenau und für die Lebenspraxis wenig geeignet. Daher könne man sie überhaupt nicht als qualitativ gleichwertig ansehen.
Dôgen zählt dann die wichtigsten Merkmale der Wirklichkeit des Buddhismus auf, die Nishijima Roshi z. B. durch die vier Lebensphilosophien des Idealismus, Materialismus, des Handelns im Augenblick und des höchsten Zustandes des Gleichgewichts und Erwachens kennzeichnet. In der Tat sucht man eine derartige tiefgründige und zugleich realistische Genauigkeit bei den Lehren von Konfuzius und Laotse vergebens. Obgleich ein Sutra des großen Daikan Enô den Begriff „die Natur zu sehen“ scheinbar enthält, sei dies kein verlässlicher Originaltext, sondern eine Fälschung.
Es handelt sich dabei niemals um die Worte des großen Daikan Enô, sondern sie stammen von einem unzuverlässigen Nachfolger, der nicht vertrauenswürdig sei. Dôgen wehrt sich insbesondere dagegen, dass Konfuzius und Laotse wahre Bodhisattvas seien, die zur großen Lehre des Buddha-Dharma gehören und den wahren Kern des Buddhismus lehren.
Nishijima Roshi bemerkt in der Fußnote zu diesem Kapitel, dass in der späteren Zeit die Lehren von Konfuzius und Laotse in China erheblich an Bedeutung gewonnen haben und dass sich die Regierung und die gesamte Obrigkeit mehr oder minder deutlich vom Buddhismus abwendeten.
Dies mag z. T. den Niedergang des Buddhismus in China nach dem 11. Jahrhundert erklären. Sicher gab es in dieser Zeit auch sog. Meister, die ihr Fähnchen opportunistisch nach dem Wind der offiziellen Politik drehten und bewusst oder unbewusst eine solche Vermischung lehrten. Es gab in jener Zeit in China auch Strömungen, die den Buddhismus ganz ablehnten, weil er nicht in China selbst entstanden sei, sondern aus einer fremden Kultur importiert wurde.
Sie griffen daher stärker auf die nationalen Philosophen Konfuzius und Laotse zurück und versuchten den Einfluss des Buddhismus zurückzudrängen. Es gab sogar regelrechte Verfolgungen der Buddhisten und in der Tat ging die große Blütezeit des Zen-Buddhismus damit zu Ende. Dôgen betont immer wieder, wie wichtig es für ihn selbst war, einen wahren buddhistischen Meister gefunden zu haben, nachdem er ihn mehrere Jahre in China vergeblich gesucht hatte.
Dôgen zitiert dann die Lehre von Chuang-tzu, der sagte:

"Vornehmheit und Niedrigkeit, Leiden und Freude, Richtig und Falsch, Gewinn und Verlust: alles dies ist nur der natürliche Zustand."

Dôgen betont dagegen, dass die obigen Zustände sich nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung, also dem Karma, richten und Bewertungen sind. Sie sind daher keineswegs natürlich und die Wirklichkeit selbst, so wie sie ist. Es handele sich um menschliche Bewertungen, die zwar eventuell Konsens in der jeweiligen Gruppe oder in der Mehrheit der Gesellschaft seien, aber überhaupt nicht der wahren Wirklichkeit entsprechen.

Dôgen wendet sich dann gegen die Lehre des Konfuzius, der eine angeborene und weitgehend festgelegte und konstante Intelligenz des Menschen lehrte. Im Gegensatz dazu sei das Wesentliche im Buddha-Dharma gerade der Lernprozess des Menschen. Denn jeder könne dem Weg Gautama Buddhas folgen, wenn er ausdauernd Zazen praktiziert, die Buddha-Lehre studiert und einen wahren Lehrer hat.

Dôgen zitiert dazu den zweiten chinesischen Nachfolger im Dharma, Taiso Eka:

„Die Lehren des Konfuzius und Laotse betreffen nur die Kunst der Höflichkeit und enthalten Kriterien für das (richtige, äußere)Verhalten. Die Schriften von Chuang tzu und I-ching (Lehre des Yin und Yang) sind unvollkommen in Bezug auf die ausgezeichnete Wahrheit (des Buddha-Dharma)“.
Wenn es den zweiten Nachfolger im Dharma nicht gegeben hätte, wäre nach Dôgen die Lehre Buddhas in China überhaupt nicht weitergegeben worden.

Am Ende dieses Kapitels beschäftigt sich Dôgen mit verschiedenen indischen Philosophen und deren Lehren, die sich später allerdings Gautama Buddha angeschlossen haben. Einige vertraten z. B. die Lehre, dass alle Fragen in einer differenzierenden und kontroversen Diskussion zergliedert werden müssten, um zur Wahrheit zu gelangen. Andere sagten, dass jeder Gelehrte nur seine eigene Wahrheit verkündet und alles andere ablehnt. Gautama Buddha habe dagegen in aller Klarheit gelehrt, dass es nur eine einzige Wahrheit und eine einzige Lehre des großen Buddha-Dharma gäbe.
Wer nur auf seiner eigenen subjektiven Wahrheit beharrt, sei an sein Ich gefesselt, neige zur Überheblichkeit und würde sich nur selbst bespiegeln. Eine intellektuelle Erklärung des Nirvana sei völlig unbrauchbar, da dies nur in der Praxis erlernt werden könne. Wer im Wettstreit der Argumente gewinnen würde, fällt nach Dôgen nur in seine eigene Grube der eingebildeten Überlegenheit.
Wer aber im Streitgespräch verliert, versinke in die düstere Stimmung der Unterlegenheit. Beides sei daher nicht sinnvoll und entspricht nicht dem Mittleren Weg. Weiterhin seien Begriffe wie „Leerheit“ oder „Substanz“ nicht die Wahrheit und Wirklichkeit dieser Welt selbst, denn diese können nur praktisch erfahren und erlebt werden und übersteigen Begriffe und Sprache.