Mittwoch, 15. April 2015

Kein zusätzlicher Fleck hat jemals die Einheit des Geistes verschmutzt



Dōgen präzisiert die Wirklichkeit des Geistes:
„Ferner mag es noch den ewigen Geist geben, der Buddha praktiziert, den ewigen Geist, der Buddha erfährt, den ewigen Geist, der Buddha wird. Es mag sein, dass das ewig Zeitlose eines Buddhas das Wirken dieses Geistes ist.“

Der Begriff „Geist“ ist demnach umfassend zu verstehen und schließt alles mit ein. Dies kommt in der Aufzählung der Praxis, des Erfahrens und des Buddha-Werdens zum Ausdruck. Praktizieren und Erfahren bilden nach westlicher Vorstellung häufig einen Gegensatz zum Geist, der meist mit dem Denken und Bewusstsein gleichgesetzt wird. In diesem Kapitel arbeitet Dōgen jedoch, ähnlich wie in der zentralen Aussage „Geist hier und jetzt ist Buddha“,

die Einheit von Denken und Bewusstsein, Materiellem und Körperlichem, von Handeln und Erfahren mit dem höchsten Zustand des Erwachens und der Erleuchtung heraus.

Anschließend stellt Dōgen mit markanten Formulierungen über den Geist der Buddhas die Verbindung zu verschiedenen überlieferten Zen-Zitaten und Kōan-Gesprächen her, die er in anderen Kapiteln des Shōbōgenzō[i] genau behandelt.

„Weil (die Einheit von) Geist und Buddha zwangsläufig ewig ist, ist der ewige Geist ein Stuhl aus Bambus und Holz, und es kann kein Mensch gefunden werden, der den Buddha-Dharma (nur intellektuell !) versteht.“

Der Kern des betreffenden Kōan-Gesprächs ist zweifellos, dass man dem losgelösten Geist, was auch immer man darunter versteht, nicht die höchste Priorität geben kann, sondern dass es immer um die Einheit mit den Dingen und Phänomenen dieser Welt geht, seien sie vom Menschen gefertigt wie ein Stuhl, oder seien es die Materialien wie Bambus und Holz. Der gegenwärtige existentielle Augenblick ist dabei laut Dōgen von besonderer Bedeutung für die Realität des ewigen Geistes.

Wir können Zäune, Mauern, Ziegel und Kieselsteine, von denen bereits die Rede war, aus der Sicht eines Subjektes betrachten, wenn wir zum Beispiel direkt davor stehen. Wenn man jedoch umgekehrt von den Dingen ausgeht, teilen diese sich den Menschen mit, die dann eher eine passive und aufnehmende Rolle spielen. Im Zustand der Erleuchtung und des Gleichgewichts kommen beide Sichtweisen zusammen und überschreiten die aktive und passive Rolle des Menschen.

 Erst in der Einheit mit dem Menschen sind die Gegenstände wirkliche Zäune, Mauern, Ziegel und Kieselsteine, und genau dann verwirklicht sich der ewige Geist der Buddhas und beschränkt sich nicht auf Denken oder Wahrnehmung.

„In der vollkommenen Verwirklichung gibt es Mauern, die tausend Fuß oder zehntausend Fuß aufragen. Es gibt Zäune, die rund um die Erde und rund um die Himmel stehen.“

Ähnliches sagt Dōgen für die Ziegel und Kieselsteine:
„Was so existiert, ist nicht nur der Geist, sondern auch der Körper selbst und gleichzeitig Objekt-und-Subjekt.“

Er stellt dann eine ganze Reihe von Fragen, die er aber nicht beantwortet und somit uns überlässt. Zum Beispiel was die Zäune und Mauern eigentlich sind, welche Form sie haben und wie sie gefertigt wurden oder ob sie unabhängig von einem Arbeitsprozess entstanden sind. Wichtig ist ihm auch, ob wir mit der sinnlichen Wahrnehmung und mit mentaler, gedanklicher Anstrengung weiterkommen oder nicht. Damit verweisen seine Fragen auf die höchste Lebensweise, die durch Gleichgewicht und Wirklichkeit geprägt ist:

„Kein zusätzlicher Fleck von Schmutz ist jemals hervorgetreten, um (den Geist als Einheit) zu verschmutzen.“




[i] z. B. Kap. 23, Kap. 36 und Kap. 20 des Shobogenzo