Dienstag, 2. Juli 2019

Freiheit, Glück und Unabhängigkeit des buddhistischen Menschen

Aktive Wechselwirkung statt Abhängigkeit

Eine wirklich zentrale Aussage Buddhas zum menschlichen Leben wird bisher meist als "abhängiges Entstehen" oder "bedingtes Entstehen" übersetzt. Aber kann das eine wirklich korrekte Wiedergabe seiner Lehre sein? Denn er lehrt gerade die Selbstbestimmung und zunehmende Freiheit des Menschen auf dem Buddha-Weg, um die Abhängigkeit und das Leiden von äußeren und inneren Fesseln zu verringern oder sogar zu überwinden. Denn starke Abhängigkeit macht depressiv, erzeugt Stress und macht Angst. Wer will schon abhängig sein? Abhängigkeit und Glück passen nicht zusammen. Dass der Mensch andererseits nicht total isoliert lebt und leben kann, ist dabei ohne Zweifel richtig und von sehr großer Bedeutung. Denn Einsamkeit ist heute die häufigste Todesursache. Es geht also um die Klärung der Bedeutung von Abhängigkeit!

Ich bin überzeugt, dass bei der bisherigen Übersetzung des abhängigen Entstehens etwas nicht stimmt, dass  sie zu begrenzt ist oder zumindest missverstanden werden kann. Übrigens sagt auch Hegel, dass bedingtes Leben Unfreiheit bedeutet und dass unbedingtes Leben, Denken und Handeln Freiheit des Individuums und der Gesellschaft bedeutet.

Um diese zentrale Frage anzugehen und gründlich zu klären, ist es ratsam, auf die verlässlichen Begriffe in Sanskrit zurückgehen. Was hat Buddha wirklich gesagt, um uns in unserem Leben zu helfen? Er formulierte pratitya samutpada und das bedeute in korrekter Übersetzung m. E.  gemeinsames Entstehen in Wechselwirkung. Also weder Abhängigkeit noch Isolation. Das Wort prati wurde bisher offensichtlich zu eng als abhängig oder bedingt interpretiert und daher nicht wirklich korrekt übersetzt. In keinem Sanskrit-Lexikon habe ich diese unkorrekte Übersetzung gefunden, sie ist also in dieser Form nicht wirklich authentisch. Die wahre Bedeutung von prati ist hin und zurück, entgegen, zurück und wieder. Warum, wo und wie daraus die zu einseitige (unidirektional) Abhängigkeit als buddhistische Lehre wurde, ist sicher spannend. Die volle Wirklichkeit ist nicht so simpel wie die genannte einseitige Abhängigkeit. Was meinen Sie? Übrigens heißt abhängig korrekt auf Sanskrit paratantra oder samsakta aber nicht prati. Und wer wirklich abhängig ist, kann nicht frei und glücklich sein, er kann also sein Leiden nicht überwinden. Aber absolute Freiheit gibt es natürlich auch nicht, das wäre ein unrealistisches und idealisiertes Extrem und eine psychische Sackgasse.

Heute benutzen wir für diese realen Prozesse die Begriffe Vernetzung oder Rückkoppelung. Das sind zentrale und unverzichtbare Zusammenhänge der Ökologie, Psychologie und Gehirnforschung. Sie sind wissenschaftlich bereits gut untersucht und verlässlich. Daher haben die Indologin Elisabeth Steinbrückner und ich die Bezeichnung Wechselwirkung gewählt. Um auch Hegel zu nennen: Für ihn ist die wechselseitige Anerkennung der Menschen von zentraler Bedeutung für die moderne Welt und die nun mögliche Freiheit. Sein Denken hat also eine gewisse Übereinstimmung mit Buddha, wobei im Buddhismus die praktische Wirkung und das gemeinsame Handeln noch stärker betont werden. Das gilt besonders für den Zen-Buddhismus.

Alpenrose in Südtirol
Buddha hat also vermutlich als erster klar erkannt, dass wir grundsätzlich in einer vernetzten Welt leben. Diese Wissens ist dann wohl zum Teil verloren gegangen und hat die praktische Wirksamkeit seiner Lehre verringert. Es kommt nun nämlich darauf an, die vorhandenen zu starken Abhängigkeiten zu erkennen, zu vermindern und zu überwinden. Wodurch? Durch Selbststeuerung und auch durch Selbstkontrolle können wir den eigenen Freiheitsraum nutzen und vergrößern. Dazu hat Buddha wirksame Übungen  entwickelt, z. B. Meditation, Achtsamkeit und die Fokussierung im Augenblick. Dann finden wir und gehen wir in unserer vernetzen Welt den eigenen besseren Weg. Dieser eröffnet Befreiung und Selbstbestimmung, er lässt unser Leiden und unsere Schmerzen zur Ruhe kommen. Das ist genau das Anliegen Buddhas und der großen Meister. Resümèe: Die Übersetzung "abhängiges Entstehen" ist nicht ganz falsch aber zu begrenzt. Sie bezeichnet eine bestimmte abhängige Beziehung und ist richtiger Weise gegen das isolierte Entstehen gerichtet. Aber sie erschwert das Verständnis der Wirklichkeit und damit auch das Verständnis des MMK. Ist das ein Grund für die bisherigen vielen Missverständnisse und Fehlinterpretationen des MMK?

Dabei sind eigene und direkte Erfahrungen im Hier und Jetzt und die Unabhängigkeit von den Medien sowie fake News wesentlich. Fatalistische Abhängigkeiten führen immer in die Sackgasse. Selbst erleben, selbst denken und handeln, ohne in eine Falle zu starker Abhängigkeit zu geraten, macht glücklich und gibt Freiheit. Das ist m. E. die zentrale Botschaft Buddhas und der großen Meister Nagarjuna und Dôgen. Wegen dieser Wahrheit hat der Buddhismus eine weltweite positive Bedeutung erlangt und heilende Wirkung erfahren: auch und gerade für unsere heutige westliche Welt. Machen Sie mit der buddhistischen Weisheit und Praxis Ihr Ding! Was sagt Buddha in den Grundlagen der Achtsamkeit über den buddhistischen Menschen?  "Unabhängig lebt er und haftet an nichts in der Welt"