Donnerstag, 7. Juli 2022

Das ES verwandelt dich tiefgreifend und ist Befreiung



Meister Dōgen untersucht in seiner erleuchteten Klarheit das sogenannte „ES“ im Buddhismus, das die umfassende Wahrheit und Wirklichkeit selbst ist. Diese ES ist nach der buddhistischen Lehre eigentlich etwas ganz Natürliches. Aber häufig wird das Natürliche, also unsere Buddha-Natur, verzerrt, eingeengt oder sogar in Gegenteil verfälscht! Denn dieses große ES übersteigt kleinliche Trennungen von Ich und Du, von Egoismus und Habgier und von den beiden anderen Giften Hass und Verblendung. Dieses große gemeinsame ES verschwindet leider im Kampf-Modus vollständig, als ob es nicht existiert.

Das ES umfasst das Ganze der Lebens im Augenblick, darin fehlt nichts Wichtiges und es enthält nichts Überflüssiges. Das ES verwirklicht sich vor allem im gemeinsamen Bodhisattva-Handeln.

So ist der Streit um Weltanschauungen und Religionen häufig nur ein Disput um unterschiedliche Bedeutungen der Begriffe, die sich subjektiv und bewertend bei den verschiedenen Menschen festgesetzt haben. Oft dominiert sogar der Kampf-Modus: Jeder möchte sein trainierte Ego in den Kampf führen, um sich selbst zu bestätigen und den anderen zu besiegen. Und warum? Weil er innerlich ein klägliche unsicheres Ich hat, wie beim Narzisten. Aber noch schlimmer: Ein solches Ego gibt es in Wirklichkeit überhaupt nicht. Ein solches Ego ist ein Phantom und eine Fata Morgana ohne Wasser! Also einfacher Buddhismus.

Ich möchten die Bedeutung des ES, anhand des berühmten Buches" Zen in der Kunst des Bogenschießens" von Herrigel beleuchten. Er kam als deutscher Philosoph nach Japan. Seine dortigen Freunde überzeugten ihn, dass er eine praktische Zen-Disziplin erlernen müsse, um den Buddhismus zu „verstehen“, und er wählte die Kunst und den Weg des Bogenschießens, Kyudo. Er berichtet sein großes Problem, dass sich der Schuss des Pfeils in der "höchsten Spannung" des Körpers und Bogens wie von selbst lösen sollte. Aber das gelang überhaupt nicht, schon gar nicht durch intellektuelles Denken und verkrampften Willen.

Eines Tages, nach ausdauerndem Üben, löste sich plötzlich ein Schuss genau im Augenblick in selbstvergessener Klarheit und in höchster "Spannung" wie von selbst. Das war es! Zu seiner größten Überraschung verneigte sich sein Meister Awa vor diesem Schuss und sagte: „ES hat geschossen!“ Das große ES hatte sich verwirklicht. Das kleine Ego war weg geschossen! Das ist aus meiner Sicht die hervorragende Erfahrung der Zen-Methode des ganzheitlichen Koans für Körper und Geist. Das ES verwirklicht sich beim Lösen des Schusses und des Koans.

Dōgen zitiert einen alten Meister: „Wenn ihr das ES erlangen wollt, müsst ihr ein Mensch sein, der das ES ist. Da ihr bereits ein Mensch seid, der das ES ist: Warum macht ihr euch Sorgen, was das ES sei?“

Das Erwachen oder die höchste Wahrheit des Menschen werden hier mit dem Begriff „ES“ bezeichnet, das einerseits etwas intellektuell Ungewisses benennt, aber andererseits etwas Wirkliches und Wahres ist.

Die Bezeichnung „ES“ mag uns Menschen des Westens verwundern, aber der Begriff sagt nachdrücklich, dass die großartige Wirklichkeit nicht im logischen Sinne eindeutig erfasst werden kann. Um für dieses ES offen zu sein, müssen wir die eigenen rotierenden und oft hektischen Gedanken und auch verzerrende Emotionen des Ego loszuwerden, damit ES sich überhaupt zeigen und entwickeln kann. Dann kann ES schießen: einfach, gerade und zielsicher.

Dōgen sagt: "Deshalb mag das ES die Soheit der Klänge und Formen sein. Die Soheit von Körper-und-Geist mag des ES sein. Und die Soheit der Buddhas mag das ES sein.“ Das ES kann man daher auch als die eigentliche Wirklichkeit und Wahrheit bezeichnen.

Link: Das große ES der Umwandlung