Dienstag, 27. November 2007

Der Geist der großen Meister, die ewige Buddhas sind

In dem Kapitel "Der Geist der ewigen Buddhas" (Kap. 44, Kobusshin) fasst Dôgen viele Bereiche der großen buddhistischen Lehre des Shôbôgenzô verhältnismäßig kurz aber sehr aussagekräftig zusammen.

Datong, großer Buddha


Seine hohe Verehrung für die alten großen Meister in Indien und in China, die er häufig die „ewigen Buddhas“ nennt, kommt hier besonders klar zum Ausdruck. Er erläutert eindeutig, dass der Begriff "Geist" nicht ohne den Körper und auch nicht ohne die vielen Dinge in der Welt verstanden werden darf. Sowohl in Deutsch als auch allgemein in westlichen Sprachen denkt man bei dem Wort „Geist“ schnell an etwas Unkörperliches und nicht Materielles, da wir die grundsätzliche Unterscheidung von Körper und Geist in unserer Kultur stark verinnerlicht haben. Auch der englische Begriff "mind" wird meist als Gegensatz zum Körperlichen und Dinglichen verstanden. Demgegenüber gibt es im Buddhismus eine solche grundsätzliche Trennung nicht, und Nishijima Roshi erklärt dies so, dass wir im Westen nur das Ideelle des Idealismus als Geist verstehen und von dem Körperlichen und Form-Gebundenen des Materialismus abgespalten haben und dass eine solche Spaltung nunmehr im 21. Jahrhundert wirkungsvoll überwunden werden kann und muss.
Der Geist der alten großen Meister und Vorfahren im Dharma ist ganzheitlich zu verstehen und umfasst mehr als nur das Denken und die Wahrnehmung durch unsere sinnesgebundenen Organe wie Augen, Ohren, und das Tasten, Schmecken usw.
Zunächst betont Dôgen die lebendige Ader der Übertragung im Buddhismus von einem großen Meister, den er als ewigen Buddha bezeichnet, zum anderen. Er sagt:

"Die Dharma-Weitergabe der alten Meister umfasst vierzig Vorfahren, wenn wir die sieben Buddhas einbeziehen, bis zu Meister Daikan Enô und umfasst auch vierzig Buddhas, wenn wir von Daikan Enô zurück bis zu den sieben Buddhas gehen."

Diese lebendige und authentische Weitergabe der Buddha-Lehre von einem Meister zum nächsten hat im Buddhismus eine ganz große Bedeutung. Es geht dabei um die Einheit des Meisters und des Schülers, der danach selbst Meister wird. Dies vollzieht sich in einem lebendigen, ganzheitlichen Vorgang und im gegenwärtigen Augenblick des Hier und Jetzt bei der Übertragung. Dabei hat jeder Meister selbstverständlich auch seine Besonderheiten, weil er eben auch ein wirklicher Mensch ist. Dôgen sagt hierzu:

"Da Daikan Enô dieselbe Tugend (wie die sieben Buddhas) hatte, hat er den authentischen Dharma von den sieben Buddhas empfangen und er hat ihn von sich selbst empfangen und an die späteren Buddhas weiter gegeben."

Dieser Augenblick des Empfangens und der Weitergabe des wahren Dharma ist nach Dôgen nicht mit den Vorstellungen der linearen Zeit des Vorher und Nachher sowie der Vergangenheit und der Zukunft zu erfassen. Vielmehr findet dies unmittelbar in der Sein-Zeit statt, die in Kapitel 11 (Uji) des Shôbôgenzô tiefgründig aufgezeigt und erläutert wird. Im Buddha-Dharma und im Zazen empfängt man das Selbst, das aber nicht mit dem abgegrenzten Ich verwechselt werden darf und benutzt es, indem man handelt und sich dadurch aktiv verwirklicht.
Es wird dann erläutert, wie die großen Meister sich aufeinander beziehen, sich als Einheit verstehen und die Anwesenheit der anderen Meister trotz der zeitlichen Trennung von manchmal vielen Jahrhunderten erleben. Obgleich die alten Meister „körperlich“ nicht mehr anwesend sind, gibt es eine lebendige, gegenwärtige und unverzichtbare Gemeinschaft.
Hierzu sind Aussprüche vieler großer Meister überliefert. Z. B. zitiert Dôgen seinen eigenen Lehrer Tendo Nyojô mit den Worten:

"Ich begegne Wanshi, dem ewigen Buddha."

Meister Wanshi lebte aber etwa einhundert Jahre vor Tendo Nyojô, ist also gar kein Zeitgenosse von ihm. Weiterhin wird die gegenseitige große Hochachtung der Meister und ewigen Buddhas füreinander mit klaren Worten betont. Besonders wenn sie in derselben Zeit lebten, gab es sehr enge Verbindungen zwischen ihnen und sie lernten voneinander in direktem Austausch oder auch über Mönche, die von einem zum anderen wanderten und von den anderen großen Meister berichteten. Eine solche fruchtbare Wechselwirkung kommt nach Dôgen dann zustande, wenn die Meister je am lebendigen Buddha-Dharma teilhaben und sich daher umfassend intuitiv verstehen können. Dôgen rät uns:

"Ihr solltet die Lebzeiten eines ewigen Buddhas erfahren und erforschen"
,
und er meint damit, dass wir uns nicht mit einem vordergründigen Verstehen zufrieden geben sollen und dass wir uns nicht nur in schöne romantische Stimmungen über die alten großen Meister versetzen sollten, sondern wirklich eine intuitive Einheit mit ihnen anstreben und verwirklichen. Ein von Dôgen hoch verehrter Meister, der Nachfolger von Daikan Enô war und Landesmeister genannt wurde, antwortete auf die Frage eines Mönchs, was der Geist der ewigen Buddhas sei:

"Die Zäune, Mauern, Ziegel und Kieselsteine."

Dieser berühmte Ausspruch beschreibt die umfassende Wirklichkeit der Dinge und Phänomene dieser Welt und soll klären, dass wir uns nicht den Geist der ewigen Buddhas als etwas Immaterielles und nur Ideelles vorstellen sollen. Dôgen vergleicht dies mit dem "Öffnen der Blumen", also der Entfaltung der buddhistischen Lehre in der Welt, die häufig durch diesen Ausdruck bezeichnet wird. Er sagt weiterhin:

"Ferner mag es noch den ewigen Geist geben, der Buddha praktiziert, den ewigen Geist, der Buddha erfährt, den ewigen Geist, der Buddha wird und es mag sein, dass das ewig Zeitlose eines Buddhas das Wirken dieses Geistes ist."

Der Begriff "Geist" ist hier wieder umfassend zu verstehen und schließt alles mit ein. Dies wird durch die Aufzählung der Praxis des Erfahrens und des Buddha-Werdens im obigen Zitat gekennzeichnet. Praktizieren und Erfahren sind nach westlicher Vorstellung häufig der Gegensatz zum denkenden Geist, der meist mit dem Denken und Bewusstsein gleichgesetzt wird. In diesem Kapitel wird ähnlich wie in der zentralen Aussage: "Geist hier und jetzt ist Buddha", die Einheit von Denken und Bewusstsein, Materiellem und Körperlichem, Handeln und Erfahren mit dem höchsten Zustand des Erwachens und der Erleuchtung herausgearbeitet. Dieser höchste Zustand geht vor allem über das Denken und die übliche Wahrnehmung hinaus. Dôgen zitiert dabei den berühmten Ausspruch:

"Es ist unmöglich einen Menschen zu finden, der den Buddha-Dharma versteht, selbst wenn wir ihn auf der ganzen Erde suchen."

Das Verstehen muss also zur Intuition im Sinne des Buddha-Dharma erweitert werden, das alles einschließt, um den hier gemeinten Geist zu bezeichnen.
Die Aufzählung von Zäunen, Mauern, Ziegeln und Kieselsteinen wird häufig nur in zwei Sichtweisen verstanden: Einerseits aus der subjektiven Sicht, zum Beispiel des Beobachtenden oder Denkenden und andererseits aus der objektiven Sicht, dass nämlich diese Zäune, Ziegel usw. materiell vorhanden sind. Dôgen macht noch einmal deutlich, dass weder die subjektive noch die objektive Sichtweise ausreichend ist, und dass auch deren Kombination die Wirklichkeit und Wahrheit der buddhistischen Lehre nicht erfassen kann.
Am Ende dieses Kapitels warnt uns Dôgen noch einmal, die Welt zu idealisieren und uns in einen paradiesischen Zustand hineinzuträumen. Er zitiert ein Gespräch eines Mönchs mit einem großen alten Meister wie folgt: Der Mönch fragte:

"Was ist der Geist der ewigen Buddha?" Der Meister antwortete darauf fast unverständlich:
"Die Welt ist zertrümmert." Der Mönch fragte weiter:
"Was geschieht, wenn die Welt zertrümmert ist?" und der Meister antwortete:
"Wie wäre es möglich, ohne meinen Körper zu sein?"

Dass die Welt zertrümmert ist oder zusammenbricht, soll sicher bedeuten, dass es nach wie vor auch für die großen Meister keine heile Welt oder das reine Paradies auf dieser Erde gibt, sondern dass es auch immer Zerstörung und teilweisen Untergang gibt. Durch den ewigen Geist der Buddhas bekommt eine solche Zerstörung jedoch eine neue heilende Qualität, sie wird so gesehen, wie sie ist, ohne dass die übliche Panik und die großen Ängste ausbrechen und uns in die Verzweiflung werfen. Dass in der Welt etwas zusammenbricht, wird von uns häufig mit dem Körperlichen und Materiellen in Zusammenhang gebracht. Wie schon in den anderen Zitaten ist der Körper und die Form aus Dôgens Sicht Teil des Geistes der ewigen Buddhas und kann daher keineswegs als minderwertig oder unwesentlich bewertet werden.

Bekanntlich neigen idealistische Menschen dazu, den Körper und die materiellen Gegebenheiten der Welt als weniger wichtig oder sogar als kaum existent einzustufen und sie träumen sich gern in eine ideale Welt ohne Probleme und ohne Zusammenbrüche hinein. Dies vergrößert aber nach der buddhistischen Lehre ihr Leiden, da sich die Spannung zwischen Wirklichkeit und Ideal immer mehr vergrößert und man unter der Wirklichkeit immer mehr leidet und dazu neigt, aus ihr zu entfliegen. Eine solche Flucht aus der Wirklichkeit schlägt dabei immer auf den Menschen selbst zurück und ist überhaupt keine dauerhafte Lösung, um mit den Problemen der Welt fertig zu werden. Der Körper sollte aber auch nicht egoistisch für die eigenen Vorteile verwendet werden, sondern zum Beispiel im Bodhisattva-Handeln und im Einklang mit Moral und Ethik verwirklicht werden. Dôgen sagt schließlich:

"So blühte der Geist der ewigen Buddhas und nach allen Buddhas trug er seine Früchte."