Montag, 5. Juli 2010

Verwirklichung des Menschen


Dôgen sagt:
„Die Verwirklichung (oder Erleuchtung) zerstört nicht den einzelnen (bisherigen) Menschen, so wie der (gespiegelte) Mond nicht das Wasser durchsticht.“

Mit diesen Worten drückt Dôgen aus, dass wir auch nach der Erleuchtung Menschen bleiben. Dies ist unmittelbar logisch, wenn wir an die erste Erleuchtung im Zazen denken. Nishijima Roshi ergänzt, die Verwirklichung oder Erleuchtung bedeute, dass wir zu unserem eigenen natürlichen Ursprung zurückkehren, weshalb sie keinen fundamentalen Umbruch in unserem ursprünglichen Charakter bewirke.

Derartige Sehnsüchte nach einem plötzlichen Durchbruch mögen allerdings viele spirituelle Anfänger hegen. Wie schön wäre es doch, auf diese Weise all seine Lebensprobleme loszuwerden! Aber das ist eine Illusion, mit der vielleicht falsche Meister locken mögen, die dabei die Notwendigkeit der ausdauernden Praxis verkennen.

„Der Mensch hindert nicht den Zustand der Verwirklichung, genau wie ein Tautropfen nicht den Himmel und den Mond hindert.“
Dôgen vergleicht hier einen Tautropfen mit einem einzelnen Menschen, der an der Verwirklichung teilhat und erwacht ist, sich also verwirklicht hat. Die Verwirklichung entspricht dabei dem Himmel und dem Mond, die sich im Tautropfen spiegeln. In diesem Zitat geht es also ebenfalls darum, dass die Erleuchtung oder Verwirklichung kein unnatürlicher oder übernatürlicher Zustand ist, sondern der eigentlichen Natur des Menschen genau entspricht. Auch die besondere Individualität eines Menschen steht der Erleuchtung überhaupt nicht entgegen.

Seine individuellen Charaktereigenschaften lassen sich sehr wohl mit dem Zustand des Gleichgewichts vereinbaren und steigern sogar die Individuation, ohne dass wir in die Grenzen des kleinen Ich zurückfallen. Jeder Mensch ist einzigartig und gleichzeitig Teil des großen Universums.