Wie Dōgen in dem zentralen Kapitel des Shōbōgenzō „Die
Sein-Zeit der Wirklichkeit im Hier und Jetzt“ ausführt, gibt es im Buddhismus eine unauflösbare Einheit der Wirklichkeit und Wahrheit einerseits und
der wahren Zeit andererseits. Außerdem
sind Geist und Zeit ohne jeden
Abstand und ohne jede Unterscheidung, sodass „kein Haar dazwischen passt“.
Diese Einheit, die Überwindung des Dualismus, kann
durch unterscheidendes Denken nicht erfahren werden, denn dies basiert auf der
Tätigkeit des Verstandes und kann daher nur die gedankliche und theoretische Teilsicht der Wirklichkeit und
Wahrheit vermitteln. Solche Gedanken und Ideen des Menschen, und seien sie noch
so intelligent, sind damit nur ein kleiner Teil des hier von Dōgen
beschriebenen Geistes, der nicht erfasst werden kann, und dürfen nicht mit ihm
verwechselt werden.
Wir gelangen mit Dōgen zu der wesentlichen Aussage:
Der Geist
ist das ganze Leben und Sterben sowie Kommen und Gehen, ist also das Handeln
und das Leben selbst.
Diese totale Wirklichkeit kann nicht durch Denken erfasst werden,
sondern es gibt nur einen umfassenden intuitiven Zugang in der Gegenwart, im
klaren Hier und Jetzt und im tätigen Handeln. Damit verschiebt sich die Frage,
ob man den Geist erfassen kann oder nicht, dahingehend, dass die umfassende
Wirklichkeit des Hier und Jetzt nicht vollständig begriffen und schon gar nicht
mit dem unterscheidenden Verstand gedacht werden kann.
Diese Wirklichkeit umfasst sowohl die Lehre des Buddhismus als auch alle
konkreten Gegebenheiten und Dinge wie Mauern, Zäune, Ziegel und Kieselsteine -
in der Tat eine für westliches Denken erstaunliche Aussage. Dann ist diese
Wirklichkeit also ganz real, vielfältig und unser Alltag. Der Geist offenbart
sich laut Dōgen in der Wirklichkeit, der buddhistischen Praxis und im Alltag.
Er ist nichts Dauerhaftes oder Statisches und bleibt nicht irgendwo konstant am
Ort oder im Ablauf der Zeit. Aber je nach Klarheit des Menschen gibt es sehr
unterschiedliche konkrete Zustände eines solchen handelnden Geistes:
"Erleuchtung
ist Feuerholz tragen und Wasser schöpfen"
Das Denken über den Geist kann also mit dem Bild des Reiskuchens
verglichen werden, auf das Dōgen im Kapitel „Die Stimmen des Tales und die Form
der Berge“ eingeht. Dieses Bild ist ein stark vereinfachtes Modell der
Wirklichkeit. Als solches ist es durchaus von gewissem Nutzen. Aber man kann
dieses Modell nicht essen, um seinen Hunger zu stillen und sich zu ernähren.
In diesem Sinne kannte der Gelehrte Tokuzan
zunächst nur die Theorie des
Diamant-Sūtra, hatte also nur das Abbild oder Modell der Wirklichkeit erfasst.
Erst durch das Lernen in der Praxis unter einem wahren buddhistischen Meister
konnte er zur Wirklichkeit, Wahrheit und Freiheit vorstoßen. Erst dadurch wurde
er von einem Gelehrten zu einem buddhistischen Lehrer und Meister, der anderen
Menschen den Buddha-Dharma lehren konnte.