Dōgen gibt eine bekannte Geschichte über die Begegnung eines Gelehrten
mit einer einfachen Frau wieder, die am Wegesrand Reiskuchen verkauft. Er
zitiert dabei eine zentrale Aussage aus dem Diamant-Sūtra:
„Der vergangene Geist
kann nicht erfasst werden, der gegenwärtige Geist kann nicht erfasst werden,
und der zukünftige Geist kann nicht erfasst werden.“
Um zu erfahren, was dieser Satz wirklich bedeutet und was es heißt, dass
der Geist nicht erfassbar ist, sind nach Dōgen theoretische Studien unzureichend, da die Lehre des Buddha-Dharma
unauflösbar mit der Praxis und der authentischen Übertragung durch einen wahren
Meister verbunden ist. Dies wird durch die Geschichte von der alten Verkäuferin
und dem berühmten Gelehrten Tokuzan
beleuchtet.
Er war der große Experte des Diamant-Sūtra und hatte umfangreiche
Kommentare dazu verfasst. Auf sein intellektuelles Können war er sehr stolz,
und er nahm sich selbst außerordentlich wichtig. Auf einer Reise zu einem
konkurrierenden Meister begegnete er der alten Reiskuchenverkäuferin. Tokuzan
stellte sich ihr als „König des Diamant-Sūtra“ vor und bat sie, ihm Reiskuchen
zu verkaufen, weil er seinen Geist erfrischen wolle.
Sie wollte ihm jedoch nur Kuchen verkaufen, wenn er ihr eine Frage
beantworten könne, und sie sagte:
„Ich habe
gehört, dass es im Diamant-Sūtra heißt: ‚Der vergangene Geist kann nicht
erfasst werden, der gegenwärtige Geist kann nicht erfasst werden, und der
zukünftige Geist kann nicht erfasst werden.‘ Welchen Geist willst du mit meinem
Reiskuchen erfrischen?“
Der Gelehrte war verblüfft, und es verschlug ihm tatsächlich die
Sprache. Daraufhin weigerte sich die alte Frau konsequent, ihm die gewünschten
Reiskuchen zu verkaufen. Er empfand das Ganze als eine sehr bittere Niederlage.
Schließlich überwand Tokuzan jedoch seinen geistigen Hochmut und setzte
seine Reise zu dem großen Meister fort, den er nicht mehr als Konkurrent ansah.
Er wurde dessen Schüler und erhielt schließlich die Dharma-Übertragung und
Bestätigung als buddhistischer Meister. Sein bisheriges rein theoretisches
Verständnis hatte er überwunden und die Praxis
von Körper-und-Geist erlernt. Erst damit hatte er Zugang zum wahren Inhalt
des Diamant-Sūtra gefunden.
Was bedeutet nun die Aussage, dass der Geist nicht erfasst werden kann?
Dōgen lehnt die Spekulation ab, dass es
gar keinen Geist gibt und dass man ihn schon deswegen nicht erfassen könne.
Das wäre zu einfach. Er widerspricht auch der Vorstellung, dass der Geist jedem
einzelnen Menschen schon immer auf selbstverständliche Weise innewohnt und
deshalb nicht erfasst werden kann. Diese beiden Ansichten entspringen
theoretischem Denken und stimmen nicht mit dem Buddha-Dharma überein.
Allerdings sei es in Bezug auf
die obige Geschichte nicht klar, ob die alte Frau wirklich mit ihrem Reden und
Handeln in der Wahrheit des Buddha-Dharma gewesen ist, gibt Dōgen zu bedenken.
Der Gelehrte Tokuzan hätte sie selbst nach dem Geist befragen müssen, damit sie
ihrerseits hätte erklären müssen, wie sie die Aussage des Diamant-Sūtra versteht.
Das war aber nicht geschehen.
Dōgen sagt, dass eine solche
Frage nur jemand stellen kann, der
„das strahlende Licht und die klare
Erscheinung eines ewigen Buddhas hat“.
Dabei müsse es zu einem
buddhistischen Handeln des „Aufgreifens
und wieder Loslassens“ kommen, und man dürfe sich weder auf die eine noch
auf die andere Idee und Antwort versteifen und daran festhalten. Das habe
Gautama Buddha ganz eindeutig gelehrt: Der Buddhismus ist keine Ideologie
sondern eine praktische Lebens-Philosophie.