Sonntag, 3. Mai 2015

Die Tsunami-Katastrophe: materiell und ideologisch


Der große Meister Zengen Chukos sagt, dass die Welt zertrümmert sei: man kann  und sollte das meines Erachtens mehrschichtig interpretieren und nicht bei einer platten Negativität stehen bleiben. Es ist denkbar, dass damit die tatsächlichen Probleme dieser realen Welt gemeint sind, also die Katastrophen und Zusammenbrüche, die es immer wieder gibt. Ich möchte in diesem Zusammenhang beispielhaft an die nukleare Katastrophe von Fukushima erinnern, die durch ein starkes Erdbeben und eine hohe Tsunami-Welle ausgelöst wurde.

Die Natur hat hier ihre vom Menschen nicht beherrschbare Gewalt geäußert, aber die eigentliche Ursache für das Unglück ist in der fehlerhaften Planung des Atomkraftwerkes zu suchen. Die angenommenen Grenzwerte waren zu niedrig angesetzt, und die Besiedlung des Küstenstreifens ist wegen der dauernden Gefahr von Tsunamis unverantwortlich, um nicht zu sagen menschenverachtend. Eine vorausschauende Regionalplanung hätte die Bebauung in diesem Gebiet vermeiden müssen.

Im Folgenden einige weiteren Interpretationen: Die Vorstellungen, Ideologien, Täuschungen und Verdrängungen der Menschen sind die Ursachen ideologischer Tsunamis. Sie müssen zerschmettert werden: Wenn wir das Gleichgewicht und die Erleuchtung erlangt haben, gibt es sie nicht mehr! Leider müssen wir auch in der heutigen Zeit immer wieder erleben, dass politische und wirtschaftliche Ideologien und ungezügelte Gier zu schwerwiegenden Katastrophen führen, die viele Menschen in große Not und Verzweiflung stürzen.

Derartige Akteure müssen erkennen, dass sie sich von der Wirklichkeit und dem wahren Ethos, also der Humanität, entfernt haben und neu ansetzen müssen.

Eine solche Interpretation ergibt auch einen Sinn in der Debatte, wie es möglich sei, ohne den eigenen Körper zu sein: Überspitzt ausgedrückt kann man sagen, dass die Ideologie eines losgelösten Geistes beim Menschen und in der Welt zu Zusammenbrüchen führen muss, denn der Geist ist immer eine unauflösbare Einheit mit dem Körper. Dieser Körper-und-Geist ist der Geist der ewigen Buddhas, das ist die Wirklichkeit.

Dōgen betont in aller Klarheit, dass der Geist der ewigen Buddhas, also die von Natur aus gegebene Wahrheit und Wirklichkeit, schon immer existiert hat und sich im gegenwärtigen Augenblick verwirklicht:

„Vor allen Buddhas blüht der Geist der ewigen Buddhas, und nach all den Buddhas trägt der Geist der ewigen Buddhas Frucht. Vom ‚Geist der ewigen Buddhas‘ (als Begriff und erstarrte Vorstellung) ist der Geist der ewigen Buddhas befreit.“

Diese Äußerungen sind nur verständlich, wenn wir uns daran erinnern, dass der Buddha-Geist von den Vorstellungen, Begriffen und Lehrinhalten grundsätzlich unterschieden werden muss und als direkte Wirklichkeit in seiner Klarheit und Natürlichkeit verwirklicht wird. Das ist die Befreiung von verengenden Ideen und oberflächlichem Materialismus.