Samstag, 17. August 2019

Die Erste Erleuchtung im ZEN


(Von G. W. Nishijima)
Aus meinem Buch: "Stern-Stunden des Buddhismus"


"Durch das Sitzen werden Gleichgewicht und Harmonie ermöglicht, von denen wir heute wissen, dass sie die Balance des vegetativen Nervensystems ausmachen. Diese Zazen-Praxis bezeichne ich als die erste Erleuchtung, wenn sie sich verwirklicht.

Sie kann aber nicht auftreten, wenn sich intellektuelle oder andere unruhige Gedanken im Gehirn festsetzen, wenn Gefühle vorherrschen, wenn verzerrte Wahrnehmung dominiert oder man gierig nach irgendetwas verlangt, zum Beispiel auch nach der großen eigenen Erleuchtung. Besonders schädlich sind die Gier nach Ruhm, Ansehen, eigener Wichtigkeit, Macht oder Profit und der damit verbundene Stolz.

Daher ist es so wesentlich, durch Shikantaza ("Nichts-als-Sitzen") nicht unbedingt irgendein „großartiges“ Ergebnis wie die Erleuchtung erlangen zu wollen und sich nicht auf irgendetwas Spezielles zu konzentrieren. Besonders starke Affekte verhindern das "Nichts-als-Sitzen". Vielmehr kommt es darauf an, die richtige körperliche Haltung einzunehmen und das Sitzen als Handeln zu verwirklichen. Nur dann wird sich die erste Erleuchtung bei der Zazen-Praxis wie von selbst ereignen.

Gautama Buddha hatte im damaligen Indien zunächst versucht, durch die bekannten Formen der Meditation und geistigen Konzentration sowie durch extreme Übungen der Askese die Befreiung und das Erwachen zu erlangen und war dabei gescheitert. Die damals in Indien gelehrte Philosophie des Idealismus, bei dem Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Ideale vorherrschend waren, hatte nicht zum ersehnten Erwachen geführt. Aber auch die materielle Lebensphilosophie, die behauptet, allein die Wahrnehmung, Beobachtung und der sinnliche Genuss seien wirklich, hatte sich für ihn als Sackgasse erwiesen. Auch Skeptizismus und Nihilismus, die es schon damals als Denkrichtungen gab, führten nicht zum Erwachen.


Schließlich erkannte Gautama Buddha beim Zazen und dem Leuchten des Morgensterns, wie Meister Dōgen es ausdrückt:

Die ganze Erde und alle Lebewesen verwirklichen zusammen die Wahrheit.“

Ihm wurde plötzlich klar, dass er über das gewöhnliche unterscheidende Denken und die übliche vordergründige Wahrnehmung hinausgehen musste, um die Wahrheit und Wirklichkeit der Welt direkt zu erfahren und zu erleben. Dazu benutzte er die Praxis des Zazen in der seit Langem bekannten Yogahaltung des halben oder ganzen Lotossitzes.

Durch den einfachen Akt des Sitzens im Augenblick und im Hier und Jetzt verlassen wir das oft quälende dualistische Bewusstsein von Körper und Geist. Wir erfahren unser Leben im Einklang und in der Harmonie mit dem Universum ganzheitlich und unmittelbar intuitiv. In der wirklichen Erfahrung des Zazen können wir den Buddha-Dharma vollkommen verwirklichen, wenn wir, wie ich immer wieder betone, zweimal täglich diese Übung praktizieren."