Donnerstag, 3. Dezember 2020

Das Lotos-Sutra: Die tiefe Weisheit des Zen-Meisters Dogen

Das Lotos-Sūtra ist zweifellos eines der wichtigsten und am meisten gelesenen buddhistischen Schriften Asiens. Es hat gute Hinweise für Dich, wie man mit Freude lebt und Gefahren vermeidet. Es ist überaus poetisch und entfaltet nicht zuletzt durch die Gleichnisse die volle Kraft und Lebensbejahung für jeden von uns, zum Beispiel vom brennenden Haus und verlorenen Sohn. Wörtlich könnte man es als „Sūtra der Lotosblume des wunderbaren Dharma“ bezeichnen. Es wird oft als eine Art Märchenbuch des Buddhismus verstanden. Aber das nicht einmal die halbe Wahrheit.

Was ist nun der Kern dieses großen Werkes?

Dōgens zentrale Aussage lautet:

Die Dharma-Blume bewegt und dreht die Wahrheit der Welt

Diese Zitat erschließt sich nicht durch dualistisches Denken und einseitigen Intellekt.[1] Was ist gemeint? Antwort: Du kannst in deinem Rahmen mitwirken und bist nicht vereinsamt! Denn Einsamkeit ist heute vermutlich die wichtigste Ursache für Depression und Passivität.  Das Lotos-Sutra sagt uns, wie wir besser mit unseren Problemen fertig werden. Denn die Dharma-Blume deines Lebens dreht sich nach  Dōgen bei der natürlichen Praxis des Bodhisattva-Weges und weicht nicht einmal geringfügig davon ab. Gleichzeitig verwirklichen sich die guten Dinge und Phänomene dieser Welt unmittelbar für dich, in und mit der wunderbaren Dharma-Blume. Dann verliert verliert sich deine Dharma-Blume nicht in fantastischen Illusionen und wirklichkeitsfernen Träumen. Denn so etwas endet immer in Enttäuschungen, Negativität und Leiden für dich. Im Gegensatz dazu enthüllt, offenbart und verwirklicht sich die Dharma-Blume, und damit ist der Zugang zu ihr für die Menschen in der ganzen Welt und im großen Universum eröffnet. Dann sind schädliche Ideologien und Dogmen wirkungslos, wie Nagarjuna im Mittleren Weg präzise herausarbeitet. Dann können wir das Leiden verlassen!

Mit der Blume des Dharma sind die Orte wirklich, an denen Buddha lehrte Es gibt den Raum, den großen Ozean und die große Erde, und diese sind für die Menschen das eigene vertraute Land. Wenn sich die Dharma-Blume dreht, ist sie dieses Handeln, das nicht starr, unveränderlich und unbeweglich ist. Im Gegenteil, es es ist die lebendige Wirklichkeit und der Schatz des wahren Dharma-Auges. Dieses Auge sieht weiter und tiefer. Das ist die authentische Lehre Buddhas.

Dōgen zitiert die Geschichte von Hotatsu, der in jungen Jahren Mönch wurde und sich vollständig dem Lotos-Sūtra widmete. Er prahlte sogar damit, dass er das Lotos-Sūtra  bereits auswendig  mehr als dreitausend Mal rezitiert hatte. Der große Meister Daikan Enō (Hui Neng), der selbst nicht lesen und schreiben konnte, sagte ihm jedoch:

„Auch wenn du das Sūtra zehntausendmal (rezitiert hast), wirst du nicht in der Lage sein, (deine eigenen) Fehler zu erkennen, wenn du es nicht wirklich verstanden hast.“

Daraufhin wurde der Mönch Hotatsu sehr nachdenklich und war tief verunsichert. Meister Daikan Enō fuhr fort:

„Wenn der Geist in Täuschung ist, dreht sich die Blume des Dharma (ohne uns).

Wenn der Geist in der Verwirklichung ist, drehen wir die Blume des Dharma.

Wenn wir nicht Klarheit über uns selbst haben, wird (das Sūtra) wegen seiner großen Kraft zu

(unserem) Feind, ganz gleich, wie häufig wir es rezitieren.

Ohne (egoistische) Absicht ist der Geist wahrhaftig.

Mit (egoistischer) Absicht wird der Geist falsch.

Wenn wir dieses dualistische „Mit oder Ohne“ (Egoismus) überschreiten,

fahren wir von jetzt an im weißen Ochsengespann.“

Meister Daikan Enō erläuterte dem Mönch vertieft das Wesentliche des Lotos-Sūtra. Er sagte, dass die meisten Probleme durch die eigenen Vorstellungen, Dogmen und Fantasien entstehen, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Diese vom unheilsamen Geist fabrizierten Schein-Wahrheiten isolieren uns von dem lebenden Fluss des wahren Lebens, wie auch Meister Vasubandhu sagte.

Gerade wenn man den Verstand und Intellekt bis zum Äußersten anstrengt und damit weiter ins Extrem fortfährt, wird man sich vom wahren Inhalt des Sūtras immer weiter entfernen. Extreme sind immer falsch und rauben wichtige Energien. Diese Energien kommen aus der Mitte!

Beispiel: Gautama Buddha gestattete seinen Zuhörern bei einer seiner berühmten Lehrreden, ihren Platz zu verlassen und fortzugehen, wenn sie mit dem Gesagten nicht einverstanden waren. Dadurch drehte sich die Dharma-Blume allerdings ohne sie. Sie verpassten einen fundamentalen positiven Schub in ihrem eigenen Leben! Das passiert leider vielen von uns. Daher sollten wir wachsam sein, was wirklich Qualität hat. 

Nach Dōgen gibt es nur dieses eine authentische buddhistische Fahrzeug in der Gegenwart. Durch dieses Fahrzeug gelangt man zur lebendigen Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist gerade keine isolierte Vorstellung und kein Begriff, sondern der Schatz der Dharma-Blume, der uns gehören kann und uns gehört. Das Sūtra der Blume des Dharma sei immer anwesend, von Zeitalter zu Zeitalter, vom Morgen bis zum Abend. Wir legen das Sutra in Wirklichkeit niemals aus der Hand. Es gibt überhaupt keine Zeit, in der wir es nicht lesen, denn es ist das Universum selbst. Aber viele Menschen vergessen das. Dann dreht sich die Blume des Dharma isoliert von sie, und wir verarmen und verkümmern in unheilsamen Doktrinen und Dogmen. Wir verlieren den Sinn ihres Lebens und sind innerlich hohl. Wir müssen uns von falschen Doktrinen entleeren! Das ist die zentrale Aussage von Meister Nagarjuna.

In der obigen Geschichte erfuhr der Mönch Hotatsu plötzlich das große Erwachen und sprang vor Freude in die Höhe. Von nun an verpasste er nicht mehr die buddhistische Wahrheit sondern drehte sie in Wechselwirkung auch selbst.

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Video: Das Leiden verlassen, Herz-Sutra

[1] Siehe mein Buch: Lotos-Sutra und ZEN-Perle