Montag, 22. Februar 2016

Buddha-Natur im Zen


In seinem Werk Shôbôgenzô schildert Dôgen in dem umfassenden und außerordentlich tiefgründigen Kapitel über die Buddha-Natur seine eigenen Erfahrungen als Suchender, der sich mit vordergründigen Argumenten und theoretischen Ratschlägen nicht zufriedengeben konnte.

Um die Lehre und die Schriften Dôgens verstehen zu können, ist es wichtig, seine Grundlagen zumindest in den zentralen Punkten, die der Schlüssel zu seinem gesamten Lebenswerk sind, zu kennen. Diese Grundlagen werden von G. W. Nishijima so entschlüsselt, dass Dôgens Aussagen wesentlich durch seinen Ansatz der Vier Lebensphilosophien, die verschiedene Dimensionen des Zugangs zur Wahrheit und Wirklichkeit sind:

Materielle Sichtweise,
ideelle und idealistische Sichtweise,
Handeln und Organisation und
viertens die Erleuchtung,
also die höchste Lebensform des Menschen.

Eine übersichtliche Beschreibung verschiedener buddhistischer Schulen findet der Leser in dem Band des Buddhistischen Studienverlags zum Thema „Buddha-Natur“[i].

Die Lehre und das Verständnis der Buddha-Natur im tibetischen Buddhismus ist eng mit dem Glauben an die Wiedergeburt verbunden. Im Zen des Handelns im Hier und Jetzt hat die zukünftige Reinkarnation nach meinem Verständnis dagegen eine geringere Bedeutung. Gleichwohl wäre eine Gegenüberstellung mit Dôgens Ausführungen sicher außerordentlich spannend.

Der Dalai Lama hat seine Lehre über die Buddha-Natur in einem kleinen Buch[ii] in Form von Fragen niedergelegt, und Ringu Tulku Rinpoche äußert sich kurz dazu in einem Video von YouTube, ohne allerdings Einzelheiten zu erläutern und zu kommentieren.

Mein Eindruck ist, dass die Erfahrungen und Lehren zur Buddha-Natur im Zen-Buddhismus und im tibetischen Buddhismus sich zwar in bestimmten Bereichen decken, aber in anderen nicht unwesentlich voneinander abweichen.

Gemeinsam ist ihnen die Ablehnung des âtman aus der alten indischen Tradition (z.B. den Upanishaden), also eines absolut konstanten Seelen- und Wesenskerns des Menschen, der unverändert durch die Wiedergeburten wandert und sich schließlich als Individualität im Nirvâna auflöst und auf diese Weise mit Brahman vereinigt und verschmilzt.[iii] Eine vertiefte Analyse der Buddha-Natur im tibetischen Buddhismus und im Zen bei Dôgen muss allerdings einer späteren Arbeit vorbehalten bleiben.

Stephen Batchelor bezeichnet in seinem Buch zu Nâgârjunas Philosophie des Mittleren Weges, MMK,  das Kapitel zum Tathâgata als Buddha-Natur und unterstreicht damit deren fundamentale Bedeutung für den Buddhismus.[iv]

Ich halte Dôgens Texte zur Buddha-Natur für außerordentlich ergiebig und von großem Nutzen für unser Leben, allerdings nicht gerade einfach zu verstehen. Genau dort möchte ich ansetzen: bei möglichst guter Verständlichkeit nicht zu vereinfachen oder zu verbiegen und nicht hinzu zu fantasieren.





[i] Wachs, Marianne (Hrsg.): Buddha-Natur, Themenschwerpunkt. In: Form ist Leere – Leere Form
[ii] Dalai Lama: Die Buddha-Natur. Tod und Unsterblichkeit im Buddhismus
[iii] Seele, Katrin: „Das bist Du!“ „Das Selbst“ (âtman) und das „Andere“ in der Philosophie der frühen Upanisaden und bei Buddha
[iv] Batchelor, Stephen: Nagarjuna: Verse aus der Mitte, Kapitel 22, S. 126 f.

Dienstag, 26. Januar 2016

Dogens existentielle Frage: Unsere Buddha-Natur





Was ist die Buddha-Natur? Und warum müssen wir überhaupt intensiv und ausdauernd praktizieren, wenn die Buddha-Natur unser wahres Wesen ist? Das behaupteten damals namhaft Buddhisten. Diese Fragen waren für Meister Dôgen von existenzieller Bedeutung und wurden zum zentralen Bezugspunkt in seinem Leben.

Er hatte ein schweres persönliches Schicksal, denn als er erst zwei Jahre alt war, starb sein Vater; er konnte sich nicht mehr an ihn erinnern. Leider starb auch seine Mutter, als er erst sieben war. Mit ihr war er sehr eng verbunden – nicht zuletzt, weil sie wohl nicht mit Dôgens Vater verheiratet gewesen war und er deshalb nicht als eheliches Kind angesehen wurde. Seine Mutter förderte ihn sehr, er scheint ein ungewöhnlich intelligentes und sensibles Kind gewesen zu sein

Es heißt, dass er bereits in sehr jungen Jahren fließend Chinesisch lesen und schreiben konnte und in dieser Sprache sogar Gedichte verfasste. Ich vermute, dass er durch den Tod seiner Mutter unausweichlich mit den existenziellen Fragen des Lebens konfrontiert wurde. Daraus muss sich auch die eindringliche Suche nach der Erkenntnis über die Buddha-Natur ergeben haben.

Schon mit zwölf Jahren trat Dôgen in ein Kloster ein, in dem das Lotos-Sûtra die wesentliche Grundlage des Buddha-Weges bildete. Man könnte annehmen, dass sich in dieser Umgebung jemand gefunden hätte, der ihm seine Fragen nach der Buddha-Natur umfassend und zufriedenstellend beantworten konnte. Dies war aber wohl nicht der Fall.

Als Mönch befragte er laut Überlieferung die berühmtesten buddhistischen Äbte und Meister seiner Zeit, er studierte zudem die vorhandene buddhistische Literatur mit aller Gründlichkeit, aber auf seine Frage nach der Wahrheit der Buddha-Natur erhielt er damals in Japan keine Antwort.

Zu dieser Zeit kehrte der erste Japaner als Zen-Meister aus China zurück, denn bis dahin waren der Zen-Buddhismus und vor allem die Zen-Praxis und die einfache direkte buddhistische Lebensweise des Zen in Japan noch unbekannt gewesen. Dôgen hoffte nun, die Wahrheit der Buddha-Natur mithilfe des Zen-Buddhismus zu finden.

Er beschäftigte sich intensiv mit den neu in Japan gelehrten Kôans des Zen. Schließlich reifte bei ihm der Plan, selbst nach China zu reisen, um dort bei den großen Meistern zu erfahren, was die Buddha-Natur sei. Sein damaliger Meister Myozen, der der Rinzai-Linie des Zen angehörte, entschloss sich, mit ihm zusammen die damals nicht ungefährliche Schiffsreise nach China zu unternehmen, um dort nach der Wahrheit des Buddha-Weges zu suchen. Leider starb Meister Myozen während des Aufenthalts in China.

Dôgen war 25 Jahre alt, als er in China ankam und sich auf die Suche nach einem Kloster und einem Meister machte, um den Zen-Buddhismus sorgfältig zu erlernen und das Wesen der Buddha-Natur zu ergründen. Bald musste er jedoch enttäuscht feststellen, dass in vielen Klöstern in China der Buddhismus bereits im Niedergang begriffen war. So schwand seine Hoffnung, hier die Antwort auf seine Fragen zu finden.

Er war bereits wieder auf dem Heimweg nach Japan – so wird berichtet –, als er ein Kloster zum zweiten Mal besuchte, das er schon kurz nach seiner Ankunft kennengelernt hatte. Dort fand er endlich für sich den Meister Tendô Nyojô, der auf ganz überraschende und verblüffende Weise das mit dem Intellekt nicht zu lösende Geheimnis der Buddha-Natur klärte.

Allein durch das Studium der buddhistischen Texte, durch Überlegungen und tiefgründige Dialoge mit anderen Meistern ist die ureigene Erfahrung des Mysteriums der Buddha-Natur nämlich nicht zu verstehen, sondern nur in der Einheit von Körper-und-Geist im lebendigen Strom des Lebens und der Praxis – und nicht zuletzt durch

die Zazen-Meditation, bei der man Körper und Geist gleichsam „fallen lässt“, das Bewusstsein also von Denken und Emotionen entleert wird.


Donnerstag, 14. Januar 2016

Den Ziegel zu polieren ist der Tür-Öffner des Erwachens




 Dōgen gibt die berühmte und oft nur halb verstandene Koān-Geschichte vom Polieren eines Ziegels wieder: Der alte Meister Nangaku besuchte seinen Schüler Baso, der später selbst ein großer Zen-Meister wurde, als dieser zehn Jahre lang in einer einfachen Hütte unter oft unwirtlichen Bedingungen praktiziert hatte. Er fragte seinen Schüler, was er gerade mache, und Baso antwortete:

„Diese Tage sitzt Baso nur.“

Daraufhin fragte Meister Nangaku:
„Was ist das Ziel, in Zazen zu sitzen?“

Sein Schüler Baso erwiderte:
„Das Ziel des Sitzens in Zazen ist, Buddha zu werden.“

Was hätten Sie geantwortet? Ist doch ganz richtig, oder?
Meister Nangaku nahm aber überraschend einen Ziegel und schliff und rieb ihn an einem Felsen. Als Baso dies sah und hörte, fragte er verwundert, was der Meister tue. Dieser antwortete:

„Einen Ziegel polieren.“

Der Schüler benutzte dann eine ähnliche Formulierung wie vorher der Meister und fragte:
„Was ist der Nutzen, einen Ziegel zu polieren?“

Der Meister antwortete:
„Ich poliere ihn zu einem Spiegel.“

Erstaunt fragte der Schüler:
„Wie kann das Polieren eines Ziegels ihn zu einem Spiegel machen?“

Nun antwortete der Meister mit einer berühmten Gegenfrage:
„Wie kann das Sitzen im Zazen dich zu einem Buddha machen?“

Dōgen warnt davor, dass wir uns bei diesem Kōan mit einfachen und schnellen Antworten zufriedengeben, die wir vielleicht irgendwo gehört haben oder schnell "ablassen"! Er schätzte dieses Gespräch zur Lehre des Buddha-Dharma außerordentlich. In der Tat entwickelte diese Kōan-Geschichte eine große Kraft im Buddhismus, die sie auch heute noch besitzt. Was würden Sie antworten?

Durch das direkte Handeln ohne viele Worte wollte der Meister seinem Schüler zur intuitiven Klarheit von Körper-und-Geist verhelfen. Der Sinn dieses Kōans liegt vor allem darin, dass sowohl beim Zazen als auch beim Polieren des Ziegels das Erstreben eines Ergebnisses nicht maßgeblich ist, sondern der Vorgang und das Tun selbst. Ohne ausdauerndes Zazen ist es allerdings unmöglich, den Buddhismus ganzheitlich mit klarem Körper-und-Geist zu erfahren.

Das Handeln im Zazen wird aber nachhaltig gestört, wenn wir mit aller Anstrengung des Willens das Ziel der Erleuchtung anstreben, denn das Zazen-Sitzen selbst bedeutet nach Nishijima Roshi nichts anderes, als dass wir die erste Erleuchtung unmittelbar erfahren und damit Buddha sind.[i] Das klingt paradox ist es aber überhaupt nicht. Man darf nicht vergessen, dass der Schüler Baso mit großer Intensität und Eindeutigkeit Zazen praktizierte und dass er zum Zeitpunkt dieses Gesprächs schon einen weiten Weg im Buddhismus gegangen war. Durch Zazen erfährt man also den ewigen Spiegel, der als Symbol des umfassenden intuitiven Geistes zu verstehen ist.

Dōgen sagt, dass es dasselbe ist, einen ewigen Spiegel zu erzeugen und ein Buddha zu werden. Durch das Handeln und Praktizieren entsteht dieser ewige Spiegel, also die intuitive Klarheit des Geistes, und dies kann auch durch das Schleifen eines Ziegels geschehen. Genau das hat in der Kōan-Geschichte der Schüler Baso erkannt, denn ihm wurde schlagartig klar, dass die Zazen-Praxis selbst das wesentliche Handeln – der ewige Spiegel – ist. So kann man sagen, dass der materielle Ziegel durch Meister Nangaku für den Schüler Baso zum spirituellen Spiegel, zum plötzlichen Türöffner des Erwachens geworden ist und dass durch den Spiegel die Menschen zu Buddha werden.

Dōgen stellt uns die folgende Frage:
„Wer kann (wirklich) erkennen, dass es Spiegel gibt, in denen die Ziegel erscheinen, (wenn) die Ziegel kommen. Und wer kann (wirklich) erkennen, dass es Spiegel gibt, in denen die Spiegel erscheinen, wenn die Spiegel kommen?“

Der erste Satz bezieht sich darauf, dass bei Baso die intuitive Weisheit, also der Spiegel des klaren Geistes, entstanden ist, weil sein Meister den Ziegel poliert hat. Den zweiten Satz kann man so deuten, dass es sehr selten vorkommt, dass ein klarer, intuitiver Geist einem anderen genauso klaren Geist begegnet, der ein ewiger Spiegel ist, und dass sich beide als solche unmittelbar erkennen.




[i] Nishijima, Gudo Wafu: Aus meinem Leben. Wirklichkeit und Buddhismus, S. 47 ff.

Freitag, 8. Januar 2016

Die Affen tragen den ewigen Spiegel


In einem anderen bekannten Kōan begegnen die beiden großen Meister Seppō und Sanshō E-nen einer Herde Affen, und der eine Meister sagt:

„Auch die Affen tragen den ewigen Spiegel auf dem Rücken.“

Was soll denn dass heißen? Das bedeutet laut Dōgen, dass auch die Tiere, also nicht nur der Mensch, den Geist der intuitiven Weisheit besitzen, auch wenn sie nicht sprechen und schreiben können und nicht, wie wir Menschen, über einen hoch entwickelten Verstand verfügen.

In der Äußerung über die Affen wird die hohe Wertschätzung deutlich, die im Buddhismus allen Lebewesen ohne Unterschied erwiesen wird: Alle sind „Buddha hier und jetzt“. Haben wir nicht oft bei Tieren den Eindruck, dass sie an einer höheren intuitiven Weisheit teilhaben als wir selbst?

Diese Geschichte besagt also gerade nicht, dass der menschliche Geist in jeder Hinsicht einzigartig und allem überlegen und der Mensch daher grundsätzlich wertvoller als die Tiere ist, sondern im Gegenteil: Die intuitiven Fähigkeiten der Affen werden mit dem ewigen Spiegel und dem intuitiven Geist in Verbindung gebracht. In gleicher Weise bezieht Dōgen in diesem Kapitel über die intuitive Weisheit andere Lebewesen ein, zum Beispiel: "Hat auch ein Hund die Buddha-Natur?"

Er verdeutlicht durch seine Gleichnisse, dass sowohl ein Kind, das nicht lesen und schreiben kann, als auch Tiere den Geist des ewigen Spiegels besitzen. Damit will er sagen, dass erlerntes Wissen und die Schärfe des Verstandes nicht allein das Wesentliche des intuitiven Geistes sind. Er warnt davor, voreilig und unbedarft „schöne“ Begriffe zu verwenden und diese mit der intuitiven Weisheit selbst gleichzusetzen.

Es besteht immer die Gefahr, dass Worte und Begriffe sich verselbstständigen und ein gefährliches Eigenleben in der Kommunikation entwickeln. Dies bringt uns nicht der Wirklichkeit und Wahrheit näher, sondern führt uns weiter oft von ihr fort. Gerade psychische Probleme dürfen nicht durch falsche oder ungenaue Begriffe, die vielleicht sogar durch Scheinmoral legitimiert werden, verdeckt werden. Nur wenn es gelingt, die problematische psychische Wirklichkeit so klar wie möglich zu erkennen und zu benennen, kann ein Lösungsweg gefunden werden.

Gleichwohl hält Dōgen Fragen und Antworten zum Buddha-Dharma für außerordentlich wichtig, vorausgesetzt man ist sich darüber im Klaren, welche Grenzen und Möglichkeiten dabei bestehen. Denn wenn man sich wichtigen Fragen nicht stellt und keine Antworten sucht, bleibt vieles ungeklärt und beliebig: Der Körper-und-Geist bleibt unklar und verschwommen.

Dabei schätzt Dōgen das gütige und zugewandte Verhalten der buddhistischen Meister auch bei törichten oder sogar unverschämten Fragen, denn die Meister lassen sich nicht provozieren, und es liegt ihnen fern, den Fragenden wegen seines eventuell ungebührlichen Verhaltens zu erniedrigen und abzustrafen. Das bringt wirklich niemanden etwas.

Es zeigt wohl eher, dass der sog. Meister selbst narzistische Probleme hat. Ist er dann überhaupt eine Meister? Aus meiner Sicht gerade nicht!


Montag, 28. Dezember 2015

Plötzlich kommt ein klarer Spiegel daher



Dōgen zitiert einen berühmten Dialog zwischen den beiden großen Zen-Meistern Seppō und Gensa. Der ältere Seppō fragte:

„Wenn plötzlich ein klarer Spiegel daherkommt, was dann?“

Damit wird das Gleichnis des Spiegels aus einer anderen Perspektive betrachtet: der Spiegel kommt daher und nicht ein Mensch. Vorher hatte Meister Seppō erläutert, dass sein eigenes Gesicht wie ein ewiger Spiegel sei, er also über den intuitiven buddhistischen Weisheits-Geist verfüge und deshalb einen Fremden genau als Fremden und einen Chinesen genau als Chinesen sehe, wenn sie kommen. Damit will er ausdrücken, dass er die Wirklichkeit genau so sieht, wie sie ist.

Der jüngere Meister Gensa war mit dieser Aussage jedoch nicht ganz zufrieden, denn er wollte noch stärker zwischen Vorstellung und Wirklichkeit unterscheiden. Daher antwortete er:

„Zerschlagen in hundert Teile und Stücke!“

Diese Bemerkung klingt zunächst unverständlich oder gar unhöflich. Warum zerbirst der ewige Spiegel in hundert Stücke, wenn vor ihm ein anderer Spiegel erscheint? Also zwei ewige Spiegel begegnen sich wirklich, sie sind dann in Wechsel-Wirkung. M. E. ist das ein Super-Kōan.

Nishijima Roshi deutet diese Aussage so, dass im konkreten Hier und Jetzt auch der ewige Spiegel nur eine Idee ist und so verstanden werden muss. Diese Idee habe in Bezug auf die Wirklichkeit und den Körper-und-Geist selbst keinen eigenständigen Bestand. So tiefgründig und poetisch das Gleichnis des ewigen Spiegels für den intuitiven klaren Geist auch sei, so sehr müsse man sich davon auch wieder lösen, um die volle Wirklichkeit und Wahrheit der Gegenwart zu erfahren und zu erfassen. Die Idee eines Geistes ist etwas anderes als der wirkliche Körper-und-Geist.


Deshalb sagte Meister Gensa, dass der Spiegel als Gleichnis und Idee in hundert Stücke zerspringt, wenn er mit der Wirklichkeit selbst konfrontiert wird. Denn Gleichnisse und Worte können die Wirklichkeit des Buddha-Dharma immer nur teilweise beschreiben und dürfen nicht mit der Wirklichkeit selbst verwechselt werden. Worte dienen der Verständigung zwischen den Menschen und auch der Weitergabe der Lehre des Buddhismus. Sie sind wichtig und unverzichtbar in der menschlichen Kultur, aber sie haben auch ihre Grenzen und bergen Gefahren.

Im Zen-Buddhismus geht es darum, durch die Praxis, vor allem des Zazen, zur Wirklichkeit selbst zu gelangen, die durch Worte zwar in einem gewissen Umfang beschrieben und vorbereitet, aber nicht ersetzt werden kann. So sind Gleichnisse wie zum Beispiel das Symbol des ewigen Spiegels wie ein Fingerzeig auf den Mond, aber nicht die Wirklichkeit des Mondes selbst.

Am Ende seiner Erläuterung zu diesem Kōan stellt Dōgen selbst eine Frage an den damals jungen Meister Gensa:

„Mag es sein, dass das, was sich vor uns offenbart, nur die Zungenspitze als Sand, Kieselsteine, Zäune und Mauern (materielle Wahrnehmung) geworden ist und auf diese Weise zu ‚Zerschlagen in hundert Teile und Stücke‘ wurde. Welche Form nimmt das ‚Zerschlagen‘ an? Ewige blaue Tiefe; der Mond im Raum.“

Vielleicht hatte Gensa in der Tat zwar die symbolische und abstrakte Sichtweise des ewigen Spiegels kritisiert, wäre aber selbst nicht über ein begrenztes Verständnis der äußeren Form und des Materiellen und der sie beschreibenden Sprache hinausgekommen. Dem folge ich nicht.

Dōgen selbst antwortet im selben Sinne poetisch, man könnte wohl sagen paradox. Dem möchte ich gerne folgen:

"Ewige blaue Tiefe; der Mond im Raum !"