Sonntag, 13. Juli 2008

Die buddhistische Praxis das Gesicht zu waschen

In diesem Kapitel (Kap. 56, Senmen) beschreibt Dôgen sehr genau, wie man sich das Gesicht wäscht und die Zähne putzt. Bereits im Kapitel 7, (Senjo), „Sich waschen und Körper-Geist reinigen“ betont er, dass körperliche Sauberkeit ganz selbstverständlich Teil eines buddhistischen Lebens und der Praxis ist.

Brunnen im Kloster Tokein


Während in den meisten Religionen der Körper keine sehr positive Bedeutung hat und oft sogar als unrein oder gar sündig angesehen wird, betont der Buddhismus die Pflege und Sauberkeit des Körpers. Kurz gesagt sei geistige und moralische Reinheit mit einem unsauberen Körper unmöglich.

Wir wissen heute, dass viele Krankheiten durch Schmutz und Unrat ausgelöst werden und dass viele verheerende Seuchen durch mangelnde medizinische Kenntnis über die Bedeutung der Sauberkeit entstanden sind. Im Mittelalter wurde von offizieller kirchlicher Seite zum Teil behauptet, dass beim Waschen durch das Wasser Krankheiten entstehen und dass dies sündig sei, sodass Gläubige es vermeiden mussten, sich zu waschen und sauber zu halten. Wir sollten uns zum Beispiel erinnern, dass in den altdeutschen Städten die menschlichen Fäkalien größtenteils direkt auf die Straße gekippt wurden, indem die Nachttöpfe einfach durch das Fenster ausgeleert wurden. Es war dann notwendig, dort erhöhte Trittsteine auszulegen, wurden, die man benutzen musste, um überhaupt trockenen Fußes über die Straßen zu kommen. Noch im 20. Jahrhundert flossen in den deutschen Dörfern die Jauchebäche oft in der Mitte der Dorfstraße und wurden ohne Kanalisation in vorhandene Bäche eingeleitet.

Man kann sich gut vorstellen, dass über den Städten und Dörfern im alten Deutschland ein für uns unerträglicher Gestank lagerte, der aber offensichtlich die damals lebenden Menschen nicht beeinträchtigte. Zweifellos sind jedoch die großen Seuchen des späten Mittelalters und der beginnenden Renaissance auf völlig unzureichende hygienische Verhältnisse zurückzuführen. Es wird sogar berichtet, dass es noch zu Zeiten Ludwig des XIV. in den höchsten Kreisen des französischen Adels nicht üblich war, sich zu waschen. Stattdessen wurde dicke Schichten von Puder und Parfum aufgetragen.

Die Bäderkultur der griechischen und römischen antiken Reiche war nach dem Zusammenbruch dieser großen Zivilisationen zum Erliegen gekommen, sodass es zu katastrophalen hygienischen Verhältnissen kam. Nach Nishijima Roshi müssen wir die christliche Religion weitgehend als idealistisch einstufen, die daher dazu neigt, den Körper abzuwerten und ihn deshalb auch nicht pflegt. Erst in der späteren Renaissance wurde dann die Schönheit und Reinheit des Körpers selbst wiederentdeckt. Es wird berichtet, dass die österreichische Kaiserin Sissi zu den ersten Menschen gehörte, die überhaupt eine Badewanne benutzte, sich also gründlich wusch und badete.

Im Buddhismus gilt immer die Einheit von Körper und Geist, sodass es von großer Bedeutung ist, sich körperlich sauber zu halten und zu pflegen. Es mag verwunderlich sein, dass Dôgen in seinem bedeutenden Werk Shôbôgenzô in zwei Kapiteln ausführlich beschreibt, wie sich die Mönche und Laien in seiner Zeit reinigen und sauber halten sollten.
In diesem Kapitel beschreibt er vor allem, wie das Gesicht zu waschen ist und wie die Zähne geputzt werden. Dazu verwendete man damals einen kurzen Weidenzweig, dessen eines Ende kräftig gekaut wurde, sodass er sich auffaserte, und eine Art Bürste entstand, mit der man die Zähne und deren Zwischenräume gründlich säubern konnte. Nishijima Roshi schreibt in der Einleitung zu diesem Kapitel:

"Der Buddhadharma hat jedoch seine Wurzeln in der Wirklichkeit des täglichen Lebens, sodass solche Tätigkeiten (alltägliches Handeln, das Gesicht zu waschen und ein Bad zu nehmen) als eine wichtige religiöse Praxis auf dem Buddhaweg betrachtet werden."

Dôgen sagt am Anfang dieses Kapitels: "(Ein Bodhisattva) reibt seinen Körper mit Öl ein und wäscht Staub und Schmutz ab, er legt ein neues und reines Gewand an und ist innen und außen rein."

Er sagt weiter:
"Daher ist es im Buddha-Dharma von höchster Wichtigkeit, dass man seinen Körper und Geist wäscht und badet, Staub und Schmutz beseitigt und sich mit wohlriechendem Öl einreibt. Es ist auch eine Art der Reinigung, wenn man ein neues und sauberes Gewand anzieht. Wenn ihr Staub und Schmutz weg wascht und euch mit wohlriechenden Ölen einreibt, wird euer Inneres und Äußeres vollkommen rein."

Damit wird die praktische Grundhaltung und Lebensführung im Buddhismus eindeutig dargestellt. Auch heute gibt es in jedem Kloster die Möglichkeit sich zu baden. Es ist wichtig, sich vorher gründlich mit Seife und frischem Wasser zu waschen, bevor man in das gemeinsame Bad steigt. Dabei baden Männer und Frauen in öffentlichen Bädern voneinander getrennt. In diesen Bädern achten die Japaner besonders darauf, dass sich auch Europäer und Amerikaner daran halten, sich also zunächst mit Seife und fließendem Wasser gründlich zu säubern, bevor sie in das gemeinsame Wasser steigen.

Dôgen verwehrt sich dagegen, dass man es nur als äußerliche Säuberung der Haut ansieht, wenn man sich wäscht. Er unterstreicht immer den gesamtheitlichen Aspekt, dass dabei auch der Geist, und wir würden sagen die Psyche, gesäubert und ein umfassender Zustand der Reinheit erreicht wird. Er kritisiert, wenn man den Körper nur materiell und äußerlich nach Maßeinheiten einschätzt, indem man zum Beispiel die Größe oder das Körpergewicht allein als wichtig ansieht. Auch nur ideelle verbale Beschreibungen wie „existierend“ oder „nicht-existierend“ seien ungeeignet, die natürliche Reinheit von Körper und Geist zu beschreiben.

Dôgen zitiert Meister Fuke, der ein Zeitgenosse von Meister Rinzai war, nach einem Koan-Gespräch, das auch im Shinji-Shôbôgenzô, (Buch 1, Nr. 96) wiedergegeben ist:

"Hier ist der Ort, wo etwas Unfassbares existiert: grob oder fein, bezeichne es wie du willst."

Er antwortete damit auf den Vorwurf von Meister Rinzai, dass er sich grob und ungehobelt verhalten habe und macht deutlich, dass Worte und Maßeinheiten für das Wesentliche und Unfassbare des Menschen keine bedeutende Aussagefähigkeit besitzen. Wie an anderen Stellen sagt Dôgen hierzu:

"Die Dimension des Geistes kann nicht durch Denken und Unterscheidung erfasst werden und auch nicht durch Nicht-Denken oder Nichtunterscheidung ergründet werden. Gerade weil die Dimension von Körper und Geist so beschaffen ist, gilt dies auch für das Baden und Waschen."

Dabei sei es auch nicht wesentlich, wie man den Körper in verschiedene Bereiche enteilt, zum Beispiel in die materiellen Elemente oder die fünf Komponenten des Menschen (skandas).
Im Shôbôgenzô wird das Handeln im Alltag als wesentlicher Teil der Praxis angesehen, da im Handeln der direkte Zugang zur Wirklichkeit und Wahrheit möglich sei, während dies beim Denken und bei der sinnlichen Wahrnehmung nicht der Fall ist. Gerade die Tätigkeiten des Waschens und sich Reinigens sind ein Kernbestand des Handelns. Dôgen betont in diesem Kapitel besonders, dass man sich auf jeden Fall gründlich reinigen solle, bevor man buddhistische Zeremonien ausführt und bevor man Zazen praktiziert. Eine Unterscheidung von Innen und Außen des Körpers sei nicht sinnvoll und wirklichkeitsfremd.

Er zitiert dann Gautama Buddha: "Sich dreimal baden und dreimal Räucherwerk verbreiten, machen Körper und Geist sauber und rein."

Wenn man zwischen den Sitzperioden des Zazen im Kinhin-Gang schreitet, sei es notwendig, sich anschließend gründlich die Füße zu waschen. Dann sei die Tugend der Reinheit und Sauberkeit anwesend und direkt zu erfahren und zu erleben, indem sie sich klar offenbart.
Bevor Dôgen ganz genau beschreibt, wie man sich im einzelnen wäscht, wie man das Handtuch zu halten hat, mit welchen Teilen des Handtuchs man welche Körperteile abtrocknet usw., sagt er:

"Im Buddha-Dharma war es immer festgelegt, wie man sich wäscht. Wir waschen den Körper, den Geist, die Füße, das Gesicht, die Augen, den Mund, den Stuhl und den Harnausgang. Wir waschen die Hände, die Essschalen, das Kesa und den Kopf. All dies ist der wahre Dharma der Buddhas und Vorfahren in den drei Zeiten."

Er gibt dann genau die Tageszeit an, in der man sich das Gesicht waschen sollte und zwar morgens früh, am besten noch vor dem Morgengrauen.
Dôgen beschreibt exakt, wie man einen kleinen Weidenzweig so herrichtet, dass er zum Putzen der Zähne geeignet ist. Dazu nimmt man ein Stück eines Weidenzweiges und kaut einige Zeit auf dem einen Ende, sodass sich der Zweig in die einzelnen Fasern auflöst und sozusagen eine Zahnbürste im heutigen Sinne entsteht.

Er bedauert, dass im damaligen China diese Benutzung eines Weidenzweiges nicht mehr üblich war und stellt fest, dass viele Mönchen und Nonnen und sogar Meister einen abstoßenden Mundgeruch hatten, selbst wenn man drei Fuß vom anderen entfernt war. Dôgen führte diese Methode des Zähneputzens mit einem Weidenzweig im übrigen auch in dem von ihm gegründeten Kloster Eihei ein und betont, dass dabei auch ein Dharani-Wunsch ausgesprochen werden solle. Er zitiert dazu aus dem Girlanden-Sûtra:

"Wenn ihr den Weidenzweig in die Hand nehmt, solltet ihr darum bitten, dass alle Lebewesenden Geist des wahren Dharmas erlangenund auf natürliche Weise rein und sauber werden."

Er fügt dann noch einen zweiten Vers hinzu:
"Wenn ihr im Morgengrauen den Weidenzweig kaut, solltet ihr darum bitten, dass alle Lebewesenscharfe Zähne bekommen (um die Dämonen) zu besiegen und die verschiedenen Leidenschaften zu zerbeißen."

Durch diese Gedichte wird die Einheit von der buddhistischer Praxis und dem Weidenzweig zum Säubern der Zähne besonders deutlich. Vielleicht lächeln wir heute ein wenig darüber, wenn wir in diesem bedeutenden Werk des Shôbôgenzô die einfache Säuberungspraxis mit buddhistischen Inhalten verknüpft finden. In vielen Koan-Gesprächen wird aber gerade die Bedeutung des Handelns in der Praxis des Alltags hervorgehoben, weil sich darin die Wahrheit selbst verwirklicht. Dôgen beschreibt dann, wie man die Zunge selbst reinigt und dies hat offensichtlich in der damaligen Zeit eine erhebliche Bedeutung, die wir heute wohl nicht mehr richtig kennen.

Der beschriebene Weidenzweig wurde sogar als gegenseitige Aufmerksamkeit ausgetauscht und hatte eine symbolische Bedeutung, dass man dem anderen nämlich Reinheit und Sauberkeit geben möchte.
Von besonderer Bedeutung ist das Waschen und Reinigen für die Bodhisattvas, die sich durch Handeln selbst auszeichnen und für andere Menschen tätig sind. Wer mit anderen Menschen im sozialen Handeln in nahe Berührung kommt, sollte in der Tat darauf achten, dass er sauber und wohlriechend ist, um beim anderen Menschen nicht Abwehr oder gar Abscheu hervorzurufen. Dôgen lehnt es ab, dass man die eigene Verschmutzung als „natürlich“ bezeichnet, denn im Gegenteil sei die Reinheit von Körper und Geist der natürliche Zustand des Menschen.
Er zitiert das Sûtra der dreitausend würdevollen Formen wie folgt:

“Beim Benutzen des Weidenzweiges müssen fünf Dinge beachtet werden: Erstens sollte er im richtigen Maß zugeschnitten werden; zweitens sollte er in der richtigen Weise (in dünnen Fasern) gespalten sein; drittens sollte das Ende, das zum Kauen verwendet wird, drei Bu (etwa 9 mm) nicht überschreiten; viertens sollte man den Weidenzweig auch zwischen den Zähnen benutzen und dreimal darauf kauen, wenn es Lücken zwischen den Zähnen gibt. Fünftens sollte der Speichel, der beim Kauen entsteht, zum Spülen der Augen benutzt werden.“

Er berichtet dann, dass Meister Eisai diese Methode, sich die Zunge zu reinigen, aus China nach Japan mitbrachte. Dieser Meister lebte noch, als Dôgen in seinem Kloster die Zen-Methode der Koans, die er ebenfalls aus China mitgebracht hatte, erlernte.
Dôgen zitiert dann das Goldglanz-Sûtra wie folgt:

"Wenn wir Mund und Zähne spülen und reinigen erbitten wir, dass alle Lebewesen zum Tor des reinen Dharmas gelangenund die höchste Befreiung verwirklichen."

Am Ende des Kapitels beschreibt Dôgen sehr genau, wie man das Gesicht wäscht. Dabei wird heißes Wasser verwendet, das von der Küche bereitgestellt und in eine eigene Wasserschüssel umgegossen wird. Er erwähnt, dass man zunächst die Stirn wäscht, dann die Augenbrauen, Augen, Nasenlöcher und Ohren. Dann werden die Wangenknochen und die Wangen gewaschen. Er sagt:

„Lasst keine Tränen, Speichel oder Schleim aus der Nase in das heiße Wasser der Schüssel tropfen. Verschüttet oder verspritzt nicht das heiße Wasser beim Waschen, sodass es zu rasch aufgebraucht ist. Wascht euch so lange, bis ihr frei von Schmutz und Fett seid."

Es ist in der Tat erstaunlich, wie praktisch und genau er beschreibt, wie man sich gründlich und richtig wäscht. Er betont, dass man kein Wasser verschwenden solle, dass wir also nicht mit Wasser herumspritzen dürfen und sorgsam mit kaltem und warmem Wasser umgehen. Dies ist in der Tat im heutigen ökologischen Zeitalter von großer Aktualität. Er sagt dann klipp und klar, dass es gegen den Dharma verstößt, wenn man sich nicht wäscht und sich nicht sauber hält. Erst wenn man sich gewaschen und das Gesicht früh am Morgen gründlich gereinigt habe, solle man sich vor dem Buddha niederwerfen, die Sûtras rezitieren, Räucherwerk verbrennen und Zazen praktizieren. Er sagt:

"Es ist nicht achtungsvoll, auch nur eine dieser Übungen vor dem Waschen des Gesichts auszuführen."