Mittwoch, 15. September 2010

Wie genau können wir die Wirklichkeit erkennen?



Das im Zen beschriebene umfassende und intuitive Wissen geht über das einfache Sehen und naive Denken hinaus. Das Nachdenken und Erinnern über dieses Wissen ist von der Verwirklichung selbst getrennt. Der Ort und der Weg der Verwirklichung existieren nach Dōgen genau in diesem Zustand und dem Augenblick. Hiermit sind wohl die Zazen-Praxis und die damit verbundene erste Erleuchtung gemeint.

Eine solche Verwirklichung ist nicht unbedingt offensichtlich und nicht in aller logischen Schärfe zu erkennen. Er führt das darauf zurück, dass das Wissen und die Erkenntnis im selben Augenblick wie die Verwirklichung des Handelns vor sich gehen. Beides kann also nicht voneinander getrennt werden. Erst später ist es möglich, mit dem Verstand die vergangene Situation zu analysieren und eventuell sogar mit Worten zu beschreiben. Dies ist aber nicht der Augenblick der Wirklichkeit selbst.

Gegen Ende des Kapitels Genjo kōan warnt Dōgen vor dem falschen Ziel, alles solle für den Verstand und das Bewusstsein vollkommen klar sein:
Geht nicht davon aus, dass das, was erlangt ist, zwangsläufig für das Selbst vollkommen bewusst ist und durch den Intellekt erkannt wird.“
Diese zentrale Aussage formuliert Nishijima Roshi im selben Sinne und er fügt hinzu, dass intellektuelle und vom Verstand geleitete Menschen zu der Ansicht neigen, das erlangte Erwachen müsse auf jeden Fall dem eigenen Ich voll bewusst sein und es müsse durch den Verstand und Intellekt vollständig erkannt werden.

„Die Erfahrung des höchsten Zustandes wird sofort im Augenblick verwirklicht. Gleichzeitig ist ihre geheimnisvolle Existenz nicht notwendigerweise eine manifeste Verwirklichung. Die Verwirklichung ist selbst ein Zustand, der nicht ein-eindeutig ist (also eher einer Frage gleicht).“
Aufgrund seiner eigenen tiefen Erfahrung der Erleuchtung und der Verwirklichung ermahnt uns Dōgen, dass wir uns keine Illusionen darüber machen dürfen, dass die Verwirklichung logisch klar und eindeutig erfasst werden könne. Es bleibe immer ein Bereich des Geheimnisses und des Unfassbaren bestehen. Ich möchte hinzufügen des Göttlichen.

Wir haben zwar eine intuitive, gewisse Klarheit, wenn der Zustand der Verwirklichung unmittelbar und je im Augenblick da ist. Eine nachträgliche Reflexion über diesen Zustand kann aber auch keine logische Eindeutigkeit und Wahrheit ergeben, sondern ist im Gegensatz zur Verwirklichung selbst nur die Erinnerung an diesen Zustand und diesen Augenblick, weshalb diese Sichtweise wesentlich verengt ist.