Dogen untersucht den Zusammenhang der Sein-Zeit mit dem, was wir wollen und was wir tatsächlich sagen. Er zitiert Meister Kisho, der zunächst einfach feststellt, welche Kombinationen es zwischen Wollen und Reden überhaupt geben kann, aber wohlgemerkt in der Einheit mit der wahren Zeit des Augenblicks.
Damit werden betrügerische Absichten, verbale Verführungen z. B. in der Politik und Falschdarstellungen in der Werbung z. B. für den ungerechtfertigten Profit der Wirtschaftsunternehmen ausgeschlossen. Aber auch aufgeregte Schein-Kontroversen, die wir heute von Talkshows kennen, haben mit der Sein-Zeit nicht viel zu schaffen. Kisho sagt:
„Manchmal, zur Sein-Zeit, ist der (wahre) Wille anwesend, aber die Worte sind nicht anwesend,
manchmal, zur Sein-Zeit, sind die (wahren) Worte anwesend, aber der Wille ist nicht anwesend,
manchmal, zur Sein-Zeit, sind der Wille und die Worte beide anwesend (und wahr),
manchmal, zur Sein-Zeit, sind der Wille und die Worte beide nicht anwesend‘.“
Das sind die verschiedenen Möglichkeiten, die genauer untersucht werden müssen. Meister Kisho bringt mit seinem Gedicht den Zusammenhang zwischen dem Gewollten und damit der mentalen Absicht einerseits und den wirklich geäußerten Worten andererseits zum Ausdruck. Beides steht mit der existenziellen Sein-Zeit in Verbindung, oder besser gesagt: Beides ist die wirkliche Sein-Zeit, wenn nicht gelogen und betrogen wird.
Ein untrügliches Zeichen für Wahrheit und Ehrlichkeit ist dadurch gegeben, wie der Mensch wirklich handelt. Wenn wir genau und achtsam beobachten und Widersprüche erkennen, ist sicher Vorsicht geboten. Dann fallen Reden und Handeln auseinander und Handeln ist eher die Wirklichkeit: Reden kann man alles, ob es stimmt oder nicht!
Es geht hier offensichtlich sehr konkret um einzelnen Menschen, um das, was sie wollen und was sie sagen. Damit sind Situationen bei einer Dharma-Übertragung und während einer Sesshin genauso gemeint wie unser Verhalten im Alltag. Was ist dabei die Realität? Manchmal ist der Wille vorhanden etwas zu tun und manchmal nicht. Manchmal besteht Übereinstimmung zwischen dem, was man denkt und sagen will, und dem, was man tatsächlich mit Worten formuliert und ausspricht, und manchmal nicht.
Häufig gelingt es uns nämlich nicht, das was wir sagen wollen, in die richtigen Worte zu fassen. Aber manchmal bedarf es gar keiner Worte und man handelt direkt intuitiv, durch den Willen geleitet. Und oft kann das Gewollte viel besser ohne Worte ausgedrückt werden.
Im Zusammenhang mit der Sein-Zeit geht es hier auch um ganz konkrete und realistische Erfahrungen beim Reden – insbesondere bei Dharma-Reden: Ein Lehrer hat z. B. bestimmte Vorstellungen und Absichten, was er den Schülern übermitteln will, und versucht, dies in Worte zu fassen, die den Sinn des von ihm Beabsichtigten treffen und andererseits bei den Schülern „ankommen“, also bei ihnen Kraft und Resonanz erzeugen. Eine solche Kraft ist dringend notwendig, damit ein Lernprozess angestoßen wird und sich das Verhalten des Menschen dauerhaft ändert. Sonst sind die Worte kraftlos und unnützes Gerede.
Meister Kisho will mit diesem Gedicht gerade kein oberflächliches und von Gier gesteuertes Gerede charakterisieren, sondern es geht ihm um Absichten und Worte des ehrlichen Buddha-Dharma. Darauf legt der Zen-Buddhismus großen Wert: gerade im Alltag, in der Familie, unter Freunden, im Beruf und nicht zuletzt bei Interessenskonflikten, die es zu lösen gilt. Kisho bezieht sich auch nicht auf verbale Täuschungsversuche, die unternommen werden, wenn jemand zum Beispiel seinen eigenen Vorteil, den Missbrauch seiner Macht oder den verdeckten Hass gegenüber anderen in beschönigende Worte kleiden will, also unaufrichtig und unmoralisch handelt. In diesem Fall wäre der Wille korrupt und entspräche nicht der buddhistischen Lehre.
Es geht ihm um das ehrliche Bemühen, Absichten und Worte in Übereinstimmung zu bringen. Es geht aber auch darum, klar zu sagen, dass es verschiedene Varianten der Übereinstimmung oder der Abweichung zwischen dem Willen und den Worten gibt. Viele wesentliche Inhalte bei der Kommunikation werden ohne Worte besser übermittelt! Wörter sind gerade in sehr existenziellen und lebensbedrohlichen Situationen oft weniger wichtig als unmittelbares helfendes Handeln: Im Augenblick des selbstlosen Bodhisattva-Handelns verwirklicht sich die Sein-Zeit unmittelbar, über das bloßes Denken und Reden hinaus. Dann kommt der selbstlose Wille zu helfen, direkt in der Gegenwart an.