Montag, 18. Juni 2012

Durch Handeln überwinden wir die Dualität




Gautama Buddha hatte auf der Suche nach der Befreiung aus dem Leiden und der Wahrheit zunächst den Weg idealistischer Erlösungs-Philosophien beschritten, aber enttäuscht festgestellt, dass die angebotenen Lösungen, die allein auf dem Denken und der Sprache beruhten, nicht tragfähig waren. Wenn befreite Zustände entstanden, war das nur vorübergehend und nur während der Phase der Meditation. Auch eine materielle Lebensphilosophie kann nicht das erhoffte Glück und die angestrebte Befreiung bringen. Dies gilt sowohl für das Streben nach Genuss und Sinnlichkeit als auch für die körperliche Askese, weil über das Körperliche allein keine Befreiung möglich ist. Ganz anders sieht es beim Handeln aus, wie es Nishijima kurz und bündig formuliert: „Das buddhistische Konzept der Zeit und des Universums, das nur im gegenwärtigen Augenblick existiert, ist Teil der umfassenden Lehre des Buddhismus über das Handeln.“

Genau im Augenblick selbst können wir mit unserem Denkapparat nicht viel ausrichten, weil er viel zu langsam arbeitet. Wir können zwar im Vorhinein an das kommende Handeln denken und es planen und wir können später über unser Tun nachdenken und es analysieren. Der Augenblick selbst ist aber zu kurz, als dass wir mit dem Denken alles ausschöpfen könnten, was im Handeln geschieht. Nishijima Roshi fasst deshalb zusammen: „Gautama Buddha erklärte, dass das Leben im Wesentlichen aus Handlungen im Hier und Jetzt besteht.“ In der Tat handeln wir ununterbrochen, selbst wenn uns dies nur teilweise bewusst ist. Für das Handeln sind laut Nishijima die beiden Komponenten des Hier und Jetzt von zentraler Bedeutung. Der Ort des Hier und die Zeit des Jetzt kann jeder klar erkennen und sie sind auch dem „gesunden Menschenverstand“ und der Wahrnehmung direkt zugänglich.

Der Zen-Buddhismus legt großen Wert auf diesen konkreten Ort, dass man genau hier, wo man gerade ist, mit Bedacht und Aufmerksamkeit handelt. Demgegenüber ist die Zeit sehr viel schwerer zu erfassen. Im Kapitel über die Sein-Zeit erläutert Dōgen seine schon fast revolutionäre Sicht der Zeit, dass nämlich allein der Augenblick die Wirklichkeit erfasst, wobei Vergangenheit und Zukunft nur Gehirntätigkeiten der Erinnerung oder der Erwartung darstellen. „Mit anderen Worten ist die Situation hier und jetzt unser wirkliches Leben“, so formuliert es Nishijima Roshi.
Die buddhistische Lehre und Praxis besagt, dass wir nicht zuletzt darunter leiden, dass wir in der meist unbewussten Dualität von Ich und Umwelt, von Subjekt und Objekt, zu leben glauben. Aber dies ist ein fundamentaler Irrtum! In der Sein-Zeit im gegenwärtigen Augenblick wird diese Dualität nämlich aufgehoben und dies geschieht genau im Jetzt des Handelns. „Wenn wir handeln, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Körper und Geist“, stellt Nishijima fest und fährt fort: „Es gibt nur diesen Ort, diese Zeit, diese Handlung, dieses Leben, diese Existenz und dieses Universum: jetzt, jetzt, jetzt.“
Damit ist mit einfachen Worten die Lebensphilosophie des Handelns im jetzigen Augenblick beschrieben.

Dōgen erläutert, dass die Freiheit für den Menschen gerade im Augenblick des Handelns möglich ist. Damit ist das Dilemma zwischen ideell gedachter Freiheit, das Richtige zu tun und das Falsche zu unterlassen, einerseits und der Festlegung durch das Gesetz von Ursache und Wirkung andererseits aufgehoben. Wer im Augenblick lebt und die Zazen-Praxis ausübt, der kann zumindest im Rahmen seiner gegebenen Situation ein Optimum an Freiheit verwirklichen.