Nach Dōgen wird das wahre Handeln im Alltag vollzogen, zum
Beispiel wenn wir etwas holen und forttragen, oder wenn wir „ein öffentliches
Tor verlassen und betreten“, sodass alle dies sehen können. Er erläutert dann,
dass die ganze Welt niemals verborgen war, weil sich die Wirklichkeit sich im
Handeln offenbart. Im Handeln besteht auch die Einheit der Wirklichkeit mit der
buddhistischen Lehre. Es gibt beim Handeln keine philosophischen Geheimnisse
und nichts Verborgenes, sondern in der Gegenwart existieren die direkte
Erfahrung, das direkte Handeln und die direkte Dharma-Übertragung. Darauf folgt
ein Gedicht über die Schwierigkeiten im Alltag:
„Ich gehe hinaus durch das (gedachte) Tor, nur Gras.
Ich komme herein durch das (gedachte) Tor, nur Gras.
(Handeln:) Zehntausend Meilen weit, kein bisschen Gras.“
Gras ist im Buddhismus häufig ein Symbol für Unkraut
beziehungsweise die Widerstände oder Widrigkeiten des täglichen Lebens. Die
ersten beiden Verse bedeuten also, dass man im Leben unter vielen Problemen
leidet, vor allem wenn man eine idealistische Weltanschauung hat und das
Handeln vernachlässigt. So interpretiere ich den Begriff „Tor“. Dieser Begriff
wird häufig für die Erleuchtung und Befreiung im sogenannten idealistischen
Buddhismus verwendet. Aber er ist dann nur ein Wort und eine Vorstellung, die
sich von der Wirklichkeit entfernt hat und in der Theorie und Denken verliert.
Die
dritte Zeile geht auf ein berühmtes Kōan-Gespräch zurück, das ein großer
Meister am Ende des wichtigen Sommer-Retreats seinen Schülern übermittelte. Sie
scheint zunächst den Aussagen der ersten beiden Zeilen zu widersprechen. Aber
dieser dritte Vers drückt aus, dass durch das Handeln der Buddhas und insbesondere die Zazen-Praxis das „Unkraut“ und die Widerstände des Lebens in der
bisherigen Form verschwinden. Dann gibt es das Unkraut des realitätsfernen Denkens nicht mehr
Der
zweite Teil des Gedichts lautet:
„Das Wort
‚hereinkommen‘
und das Wort ‚hinausgehen‘
sind nutzlos an diesem Ort
und nutzlos an jenem Ort.“
Dōgen
stellt hier das Tun in den
Mittelpunkt und verdeutlicht, dass den Worten
meist keine große Bedeutung zukommt. Gegenüber der Wirklichkeit des Handelns im
Augenblick und an diesem Ort sind Wörter ohne großen Nutzen. Eine solche
Einschätzung wird von westlichen Philosophen wohl kaum geteilt.
Dōgen erläutert, dass unser
scheinbares Verstehen und Begreifen meistens nicht auf dem Handeln basieren,
sondern eher mit einem Traum, einer Illusion zu vergleichen sind – oder, wie es
an anderer Stelle im Shōbōgenzō
heißt, mit gedachten Blumen im Raum.
Im
Gegensatz zum Träumen macht man beim Handeln
allerdings manchmal Fehler. Demnach unterscheiden sich Träume und Hoffnungen
einerseits, denn sie erscheinen meist fehlerlos, von der Wirklichkeit anderseits,
die auch Irrtümer und reale Bedingungen hat. Aber das konkrete Handeln die
Unwirklichkeit soll und kann die Täuschungen des Denkens und der Illusionen
aufklären.
Aber wie können wir die Fehler beim Handeln vermeiden und durch
einen Lernprozess des Handelns zur befreienden Wirklichkeit gelangen? Wenn wir
in Illusionen und Träumen stecken bleiben und vor der Wirklichkeit davonlaufen,
sind keine Lern- und Befreiungsprozesse möglich.
Schließlich hebt Dōgen noch
einmal die Fehler beim Denken und die häufig dadurch entstehende
Ausweglosigkeit hervor:
„Ein Schritt vorwärts ist (beim Denken) ein Fehler, ein Schritt rückwärts ist (beim
Denken) ein Fehler.
(So) ist ein Schritt ist ein Fehler und sind zwei Schritte
Fehler, daher ist (solches Denken) in jedem Augenblick ein Fehler.“
Beim
Träumen und bei Illusionen kann man nicht überprüfen, ob es sich um Fehler
handelt oder nicht, aber die Wirklichkeit wird sich irgendwann durchsetzen und
das ist der Grund, warum Idealisten so häufig enttäuscht sind im Leben. Nishijima Roshi betont, dass sie immer leiden, weil
sie sich der Wirklichkeit durch ihre Träume und Ideen zu entziehen versuchen.
Der Unterschied zwischen Denken und
Handeln ist laut Dōgen so groß wie der zwischen Himmel und Erde. Diese
Formulierung verwendet er auch im Fukan
zazengi, um die Übungspraxis des Zazen von Theorien und illusionärem Denken
abzugrenzen.