Dienstag, 21. August 2012

Der fundamentale Unterschied von Täuschung und Handeln



 Nach Dōgen wird das wahre Handeln im Alltag vollzogen, zum Beispiel wenn wir etwas holen und forttragen, oder wenn wir „ein öffentliches Tor verlassen und betreten“, sodass alle dies sehen können. Er erläutert dann, dass die ganze Welt niemals verborgen war, weil sich die Wirklichkeit sich im Handeln offenbart. Im Handeln besteht auch die Einheit der Wirklichkeit mit der buddhistischen Lehre. Es gibt beim Handeln keine philosophischen Geheimnisse und nichts Verborgenes, sondern in der Gegenwart existieren die direkte Erfahrung, das direkte Handeln und die direkte Dharma-Übertragung. Darauf folgt ein Gedicht über die Schwierigkeiten im Alltag:
„Ich gehe hinaus durch das (gedachte) Tor, nur Gras.
Ich komme herein durch das (gedachte) Tor, nur Gras.
(Handeln:) Zehntausend Meilen weit, kein bisschen Gras.“
Gras ist im Buddhismus häufig ein Symbol für Unkraut beziehungsweise die Widerstände oder Widrigkeiten des täglichen Lebens. Die ersten beiden Verse bedeuten also, dass man im Leben unter vielen Problemen leidet, vor allem wenn man eine idealistische Weltanschauung hat und das Handeln vernachlässigt. So interpretiere ich den Begriff „Tor“. Dieser Begriff wird häufig für die Erleuchtung und Befreiung im sogenannten idealistischen Buddhismus verwendet. Aber er ist dann nur ein Wort und eine Vorstellung, die sich von der Wirklichkeit entfernt hat und in der Theorie und Denken verliert.
Die dritte Zeile geht auf ein berühmtes Kōan-Gespräch zurück, das ein großer Meister am Ende des wichtigen Sommer-Retreats seinen Schülern übermittelte. Sie scheint zunächst den Aussagen der ersten beiden Zeilen zu widersprechen. Aber dieser dritte Vers drückt aus, dass durch das Handeln der Buddhas und insbesondere die Zazen-Praxis das „Unkraut“ und die Widerstände des Lebens in der bisherigen Form verschwinden. Dann gibt es das Unkraut des realitätsfernen Denkens nicht mehr
Der zweite Teil des Gedichts lautet:
„Das Wort ‚hereinkommen‘
und das Wort ‚hinausgehen‘
sind nutzlos an diesem Ort
und nutzlos an jenem Ort.“
Dōgen stellt hier das Tun in den Mittelpunkt und verdeutlicht, dass den Worten meist keine große Bedeutung zukommt. Gegenüber der Wirklichkeit des Handelns im Augenblick und an diesem Ort sind Wörter ohne großen Nutzen. Eine solche Einschätzung wird von westlichen Philosophen wohl kaum geteilt.
Dōgen erläutert, dass unser scheinbares Verstehen und Begreifen meistens nicht auf dem Handeln basieren, sondern eher mit einem Traum, einer Illusion zu vergleichen sind – oder, wie es an anderer Stelle im Shōbōgenzō heißt, mit gedachten Blumen im Raum.
Im Gegensatz zum Träumen macht man beim Handeln allerdings manchmal Fehler. Demnach unterscheiden sich Träume und Hoffnungen einerseits, denn sie erscheinen meist fehlerlos, von der Wirklichkeit anderseits, die auch Irrtümer und reale Bedingungen hat. Aber das konkrete Handeln die Unwirklichkeit soll und kann die Täuschungen des Denkens und der Illusionen aufklären.
Aber wie können wir die Fehler beim Handeln vermeiden und durch einen Lernprozess des Handelns zur befreienden Wirklichkeit gelangen? Wenn wir in Illusionen und Träumen stecken bleiben und vor der Wirklichkeit davonlaufen, sind keine Lern- und Befreiungsprozesse möglich.
Schließlich hebt Dōgen noch einmal die Fehler beim Denken und die häufig dadurch entstehende Ausweglosigkeit hervor:
„Ein Schritt vorwärts ist (beim Denken) ein Fehler, ein Schritt rückwärts ist (beim Denken) ein Fehler.
(So) ist ein Schritt ist ein Fehler und sind zwei Schritte Fehler, daher ist (solches Denken) in jedem Augenblick ein Fehler.“
Beim Träumen und bei Illusionen kann man nicht überprüfen, ob es sich um Fehler handelt oder nicht, aber die Wirklichkeit wird sich irgendwann durchsetzen und das ist der Grund, warum Idealisten so häufig enttäuscht sind im Leben. Nishijima Roshi betont, dass sie immer leiden, weil sie sich der Wirklichkeit durch ihre Träume und Ideen zu entziehen versuchen. Der Unterschied zwischen Denken und Handeln ist laut Dōgen so groß wie der zwischen Himmel und Erde. Diese Formulierung verwendet er auch im Fukan zazengi, um die Übungspraxis des Zazen von Theorien und illusionärem Denken abzugrenzen.