Am 3. Juli 2012 ergab die
Suchanfrage „Geist“ bei Google im Internet die kaum vorstellbare Zahl von ca.
49 Millionen Treffern. Es wäre sicher eine Mammut-Aufgabe, in dieser Vielfalt
den roten Faden bei der Frage zu finden, was der Geist wirklich ist und wie er
in verschiedenen Kulturen und Traditionen verstanden wird. Einen solchen
Versuch möchte ich nicht unternehmen, sondern die Frage nach dem Geist auf den
Zen-Buddhismus zuschneiden.
Vielleicht gewinnt sie durch
die jüngsten Ergebnisse der Gehirnforschung sogar eine ganz neue Pragmatik und
zusätzliche Dimensionen. Das heißt nichts anderes, als dass unsere westliche,
scheinbar überwiegend materialistische Gesellschaft ein außerordentlich hohes
Interesse gerade an den spirituellen, philosophischen und psychischen Bereichen
hat, die mit dem Begriff Geist verbunden werden.
Die meisten Menschen möchten
nicht zuletzt Befreiung von vielfältigen Fesseln des Geistes erleben. Sie
möchten mehr Klarheit über sich selbst, das soziale Zusammenleben und die
politischen Abhängigkeiten gewinnen. Denn es ist sicher unbestritten, dass
unsere Welt eine bisher in der Menschheit völlig unbekannte, gewaltige
Komplexität erreicht hat. Allein die Überflutung mit verschiedensten
Informationen und Daten, zum Beispiel durch die Medien, hat ungeahnte
Dimensionen angenommen.
Dabei verwirrt nicht nur die
gewaltige Informationsmenge, sondern auch die unüberschaubare Vielfalt und
Widersprüchlichkeit der moralischen Werte und Bewertungen. Kann der
Zen-Buddhismus hier fulminante Impulse geben und den Aufbruch zu neuer Klarheit
ermöglichen? Ich meine ja, auf jeden Fall! Die suggestiven Versprechungen der
Konsumgesellschaft und die sehr begrenzten Möglichkeiten, die der materielle
Reichtum bietet, können den meisten von uns offenbar auf dem Weg zur geistigen
Freiheit und Klarheit nicht helfen.
Wie ist es dazu gekommen,
dass Gautama Buddha den Weg der Befreiung von den Fesseln von Körper-und-Geist
und der Überwindung psychisch-geistiger Leiden mit großem Scharfsinn und
unermüdlicher Ausdauer gegangen ist? Er musste einen ganz neuen, eigenen Weg
suchen. Und tatsächlich fand er neben anderen Lehren vor allem mit den Vier Edlen Wahrheiten und dem Achtfachen Pfad den Weg zum Erwachen des
Geistes und zur Überwindung des menschlichen Leidens.
Dieser Weg ist wesentlicher
Teil der sogenannten „Geistigen Gegebenheiten“ im Sūtra der Grundlagen der
Achtsamkeit. Dabei spielen die umfassend verstandene Achtsamkeit und die
Sammlung, der Samādhi, mit den vier Vertiefungsstufen (Jhana) eine zentrale Rolle. Die vierte Stufe der Vertiefung ist
nach meiner festen Überzeugung identisch mit der Zazen-Praxis des
Zen-Buddhismus, die für Meister Dōgen zum Schlüssel des Erwachens, der
Erleuchtung und der Klärung von Körper-und-Geist wurde.
Für Dōgens Weg zur Befreiung und Klarheit ist es zwingend, die Einheit
von Körper, Psyche, Geist und Universum zu erlernen und zu praktizieren. Dabei
sind abstrakte Theorien und Lehren nur von begrenzter Wirksamkeit, denn das
Lernen und die Klarheit des Geistes sind nicht auf unser Neuhirn beschränkt,
und selbst das ist Teil unseres Körpers. Mit Dōgen lernen wir, ganz konkret und
mit intuitiver Klarheit im Hier und Jetzt zu handeln, nicht zuletzt durch die
Zen-Meditation. Diese Klarheit schließt gerade Ethik und Moral mit ein. Von
großer Bedeutung ist dabei ein ausgeprägter Realitätssinn, wo die Grenzen unserer
Vernunft liegen, denn Dōgen sagt: „Der Geist kann nicht (vollständig) erfasst
werden.“
Nach meinem Verständnis ist
eine solche Bescheidenheit notwendig, um die Qualität intuitiver Vernunft und
Klarheit so auszubauen, wie es unserer wahren Natur entspricht. Wer seinen
Geist permanent überschätzt, kann sein eigenes, fast unbegrenztes Potential in
seinem Leben niemals wirklich entwickeln und ausschöpfen. Dadurch sind schwere
Existenzkrisen vorprogrammiert und kaum zu vermeiden.