Das
Sūtra von den Grundlagen der Achtsamkeit
ist zweifellos eine wesentliche Basis der authentischen Lehre Gautama Buddhas.
Am Anfang dieser Lehrrede heißt es:
„Der eine Weg ist dies, ihr Mönche, zur
Läuterung der Lebewesen, zur Überwindung von Kummer und Klage, zum Untergang
von Leiden und Betrübtheit, zum Erlangen des Richtigen, zur Verwirklichung vom
Nibbāna: Das sind die vier Grundlagen der Achtsamkeit.“
Wie
der Buddhologe Peter Gäng überzeugend darlegt, wird der Begriff „Achtsamkeit“
im heutigen Sprachgebrauch im Allgemeinen viel zu eng verstanden, denn er
bezieht sich meist nur auf individualpsychologische Bereiche und wird in diesem
Sinne oft auch für psychotherapeutische Verfahren verwendet. Dieser Ansatz
entspricht nicht dem umfassenden Verständnis und der Praxis von Gautama Buddha.
Denn wie er in diesem Sūtra sehr genau ausführt, handelt es sich um die
Achtsamkeit bei der klaren Betrachtung des
Körpers, der Gefühle, des Geistes und der sogenannten geistigen Gegebenheiten.
Dies sind die vier Grundlagen der
Achtsamkeit.
„Eifrig,
klar erkennend und achtsam nach Abwendung von Begierde und Betrübtheit in der
Welt“ soll die Betrachtung dieser Grundlagen erfolgen, sagt Buddha. Seine sehr
praktisch formulierten Aussagen über den Geist und die geistigen Gegebenheiten,
mit deren Hilfe das Leiden überwunden werden kann, bilden mit der Untersuchung
des Körpers und der Gefühle eine Einheit; es ist überhaupt nicht sinnvoll, sie
isoliert zu betrachten.
Bei
allen vier Grundlagen der Achtsamkeit weist Gautama Buddha den Übenden auf die
richtige Körperhaltung hin:
„(Der
Mönch) setzt sich mit gekreuzten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet
und errichtet ringsum die Achtsamkeit.“
Dabei
geht es um achtsames Atmen, klares Empfinden, Beruhigung der verschiedenartigen Aktivitäten sowie die Betrachtung, die von innen und
von außen stattfindet: „So weilt er innen (...), oder er weilt außen (...),
oder er weilt innen und außen.“ Bei diesen Prozessen der Achtsamkeit sollen wir
sowohl das Entstehen als auch das Vergehen betrachten.
Buddha
verwendet zudem die folgende interessante Formulierung für alle vier
Grundlagen: „So ist seine Achtsamkeit gegenwärtig, soweit es eben dem Wissen
dient, soweit es der Achtsamkeit dient, unabhängig lebt er und haftet an nichts
in der Welt.“ Aus diesen Worten spricht die große Lebenserfahrung und Weisheit Buddhas.
Achtsamkeit und Klarheit von Körper und Geist sind verbunden mit der
Unabhängigkeit und Freiheit von Anhaftungen des Menschen.
Ohne
hier die physische Betrachtung des
Körpers im Einzelnen zu vertiefen, möchte ich auf eine besondere Übung
Buddhas hinweisen, bei der er seinen Schülern rät, sich den eigenen Tod ganz
konkret vorzustellen, also der Frage nicht auszuweichen, wie der eigene Körper
nach dem Tod zerfällt und verwest. Das mag uns recht ungewöhnlich vorkommen,
denn in der modernen westlichen Gesellschaft werden Krankheit und Tod
weitgehend tabuisiert und als unfassbare Katastrophen empfunden. In früheren
Zeiten war der Tod aber noch viel gegenwärtiger und wegen der für unsere
heutigen Vorstellungen nur rudimentären medizinischen Versorgung fast
alltäglich. Neuere Forschungen haben zum Beispiel ergeben, dass zur Zeit von
Jesus in Palästina 50 Prozent der Kinder bis zu ihrem fünften Lebensjahr
gestorben sind, im alten Tibet sollen sogar die Hälfte der Neugeborenen im
ersten Lebensjahr gestorben sein.
Auch
Gautama Buddha selbst war tief bewegt, als er die Unausweichlichkeit von
Krankheit, Alter und Tod erfahren hat, nachdem er laut der Überlieferung in
seiner Jugend von diesen Lebensbereichen ferngehalten wurde. Nach seinem
Verständnis gehört es jedoch zur Überwindung des Leidens, dass wir uns mit dem
eigenen Tod sehr realistisch und pragmatisch beschäftigen und ihn nicht
verdrängen.
Bei
der Betrachtung der Gefühle
unterscheidet Buddha freudige, leidige
und weder freudige noch leidige Gefühle. Er sagt uns, dass wir sie ganz
konkret betrachten und ihnen durch die Übung der Achtsamkeit eine unnötige
Dramatik und überschießende Emotionalität nehmen sollen.
Er
versucht in diesem Sūtra nicht, den Geist zu definieren und philosophische
Grundsatztheorien darüber zu entwickeln. Bei der Betrachtung des Geistes erklärt er einfach, dass wir uns klar
darüber sein sollen, ob der Geist mit Lustverlangen, Hass oder Verblendung
erfüllt ist, oder ob er frei von diesen drei „Giften“ ist, wie es im Buddhismus
heißt. Lustverlangen wird häufig verkürzt als Gier bezeichnet und Verblendung
auch als Dummheit.
Ganz
wesentlich sei es, dass wir klar erkennen, „wenn der Geist befreit ist, oder
wenn er nicht befreit ist“. Dabei wird deutlich, dass ein mit Lustverlangen
oder Verblendung erfüllter Geist niemals befreit sein kann, weil er gerade
dadurch gefesselt und unklar ist. Die Aussagen Buddhas decken sich weitgehend
mit den Erkenntnissen der heutigen Psychologie und der psychischen Therapie im
Hinblick auf die Aufgabe, Klarheit zu gewinnen, was im Bereich der Gefühle und
des Geistes wirksam ist. Daraus können die wirklichen psychischen Tatsachen
klarer und unverstellter erkannt werden, die dann Grundlage einer erfolgreichen
Therapie sind.
Buddha
differenziert außerdem, ob der Geist gefasst oder zerstreut ist, und ob er „weit geworden ist“ oder „nicht weit geworden ist“. Und er ordnet
dem Geist die Begriffe niedrig und hoch zu, die wir auch ethisch verstehen
sollen. Sicher ist damit nicht nur die intellektuelle Scharfsinnigkeit des
Verstandes und des Geistes gemeint.