Samstag, 4. Mai 2013

Die Betrachtung der geistigen Gegebenheiten



Diese tiefgründige Betrachtung bildet eine der vier Grundlagen der Achtsamkeit. Sie werden sehr detailliert behandelt und umfassen etwa die Hälfte dieses Sūtra. Sie sind also von ganz entscheidender Bedeutung und berücksichtigen viele Bereiche des Lebens und der Wirklichkeit des Geistes.

Zu diesen Gegebenheiten zählen nicht zuletzt die Vier Edlen Wahrheiten mit dem Achtfachen Pfad. Dessen achtes Glied ist der Samādhi (Sammlung), zu dem die Zazen-Praxis gehört. Weiterhin nennt Buddha bei den geistigen Gegebenheiten zum Beispiel die Fünf Hemmnisse des Erwachens: auf Sinnlichkeit gerichtetes Wollen, Übelwollen, Erstarren und Trägsein, Aufgeregtheit und Unruhe sowie Zweifelsucht.

Bedeutsam ist, dass Gautama Buddha für alle diese Hemmnisse betont, dass wir erkennen sollen, ob sie in uns sind oder nicht, ob sie bereits entstanden sind oder vergehen und abgebaut werden und wie sie in der Vergangenheit und Zukunft entstehen oder vergehen. Dabei wiederholt er seine Aussage über den Übenden: „Unabhängig lebt er, und er haftet an nichts in dieser Welt.“

Ebenfalls in den Bereich der geistigen Gegebenheiten fällt die Anhaftung oder – wie Peter Gäng es formuliert – das „Anhangen“ an die Fünf Komponenten (skandas) des Lebens. Diese Komponenten sind nach der buddhistischen Lehre: Form, Gefühl, Wahrnehmung, formende Kräfte und Bewusstsein.

Zu der sinnlichen Wahrnehmung beziehungsweise den „sechs Wahrnehmungsfeldern“ gehören laut Buddha das Sehen mit den Augen, Hören mit den Ohren, Düfte erkennen mit der Nase, Geschmäcke erkennen mit der Zunge und Berührungen erkennen mit dem Körper. Alle diese Formen der Wahrnehmung sind zweifellos mit geistigen Aktivitäten verbunden oder, genauer gesagt, ohne geistige Gegebenheiten überhaupt nicht funktionsfähig. Es muss also eine wichtige buddhistische Übung sein, wirklich realitätsgetreu wahrzunehmen und nicht in unklaren geistigen und gefühlsmäßigen Energien hängen zu bleiben.

Als Nächstes führt Buddha die ebenfalls zu den geistigen Gegebenheiten gehörenden Sieben Glieder des Erwachens auf:
Achtsamkeit, Unterscheidung der Gegebenheiten, Energie, Freude, Gestilltheit, Sammlung und Gleichmut.

Wir dürfen uns nicht davon irritieren lassen, dass hier wiederum die Achtsamkeit aufgeführt wird, denn das gesamte Sūtra behandelt deren Grundlagen. Gautama Buddha geht nach meinem Verständnis meistens nach der Bedeutung und Wichtigkeit vor und legt auf die logische Gliederung weniger Wert. Daher kann es sein, dass bestimmte Bereiche seiner Lehre mehrfach an verschiedenen Stellen aufgeführt und in verschiedene Gruppierungen eingeordnet werden.

Bei den Gliedern des Erwachens verwendet Buddha in diesem gesamten Kapitel die Formulierung, ob sie völlig „entfaltet“ sind oder nicht. Damit wird auch gesagt, dass Erwachen ein natürlicher Zustand des Menschen ist, der sich „entfaltet“, so wie er wirklich ist und nicht künstlich erzeugt oder gelernt wird.

Das Kernstück der buddhistischen Lehre und Praxis sind Buddhas Aussagen in den Vier Edlen Wahrheiten über das Leiden: Welches Leiden gibt es, wie entsteht das Leiden, und wie wird es aufgehoben und überwunden?

Was nun, ihr Mönche, ist die Edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens, eben jenes Durstes restlose von Gier freie Aufhebung, sein Aufgeben, seine Entäußerung, die Befreiung davon, das ohne Grundlage sein?

Den Begriff Durst verwendet Peter Gäng in seiner Übersetzung für die Abhängigkeit von der Gier, denn der Durst muss gelöscht werden, damit der Mensch überhaupt leben kann. Gautama Buddha benutzt also sehr lebensnahe Begriffe, die in einem heißen Land wie Indien besonders anschaulich sind. Wer bei der Hitze Durst hat und nichts zu trinken bekommt, stirbt schon nach wenigen Tagen. Der psychisch-geistige Druck, der beim Menschen zum Beispiel durch die Gier und Sucht erzeugt wird, ist subjektiv von gleicher Qualität. Der Mensch ist fest davon überzeugt, dass er dieser Gier nachgeben muss, damit er überhaupt existieren kann. Dies ist nach Gautama Buddha eine zentrale Ursache für das Leiden, und seine Übungen zielen vor allem darauf ab, die Abhängigkeit von der Gier aufzuheben und existentiell zu erfahren, dass es dafür überhaupt keine realen Grundlagen gibt.