Durch
den Bodhi-Geist oder Wahrheitsgeist
entsteht der klare Entschluss, sich auf den Buddha-Weg zu begeben und anderen
Menschen und Lebewesen zu helfen und sie zu befreien, bevor man selbst die
große Befreiung erlangt hat. Wie hängt nun der Bodhi-Geist mit dem Handeln
zusammen? Kann man beide voneinander trennen und allein auf den Geist setzen?
Gibt es überhaupt einen vom Körper getrennten, eigenständigen Geist, wie sicher
viele annehmen?
Kann
man umgekehrt nach der buddhistischen Lehre ohne Bewusstsein und Klarheit „nur
so“ handeln, in den Tag hineinleben und den Geist und die Vernunft
vernachlässigen? Manche Zen-Buddhisten sind tatsächlich dieser Meinung. Solche
Fragen möchte ich im Folgenden anhand von Dōgens Ausführungen klären.
Zur
Erweckung des Wahrheitsgeistes auf dem Weg zum Erwachen finden sich im Shōbōgenzō zwei Kapitel. Fachleute
nehmen an, dass das Kapitel „Die Erweckung des Willens zur höchsten Wahrheit“
als Dharma-Rede für Laien bestimmt
war, vor allem für die Handwerker und Arbeiter, welche die Tempelanlage von Eihei-ji – den Haupttempel der Sōtō-Übertragungslinie
– unter der Leitung Dōgens erbauten. Den Schwerpunkt seiner Ausführungen legt
er daher auf die praktische buddhistische Arbeit, zum Beispiel das Errichten
von Stupas und das Erstellen von Buddha-Bildnissen.
Das
andere Kapitel „Die Erweckung des Bodhi-Geistes “ war vermutlich als
Dharma-Vortrag für Mönche konzipiert. Es stimmt inhaltlich weitgehend mit dem
vorherigen Kapitel überein, bezieht aber darüber hinaus auch tiefgründige
theoretische Aspekte der buddhistischen Lehre mit ein. Da es die wichtigen
Aussagen über die Sein-Zeit und
Augenblicklichkeit des Universums enthält, dient es für die folgenden
Untersuchungen als Grundlage.
Ich
möchte auch im Deutschen meist den Begriff „Bodhi-Geist“ für den Wahrheitsgeist
verwenden, damit keine Unklarheiten entstehen, was mit dem Begriff „Geist“
gemeint ist, und deutlich wird, dass der Geist nicht vom Körper und Handeln
getrennt werden kann. Er hat nämlich einen wesentlich breiteren semantischen
Umfang, als im westlichen Verständnis des Begriffs üblich.
Dieses
vielschichtige buddhistische Wort darf nicht mit „Bewusstsein“ oder „Denken“ im
westlichen Sinne verwechselt werden. Der Bodhi-Geist ist wirksam, wenn wir
anderen helfen, nach der Wahrheit zu streben, und nicht nur die eigene
Vervollkommnung und Erleuchtung zum Ziel haben. Es geht immer um die Einheit von
Körper-und-Geist sowie um Ethik, also moralisch klares Denken und Handeln.
Für
diese Haltung ist es laut Dōgen sehr wichtig, dass wir uns der Vergänglichkeit
unseres Lebens bewusst sind, damit wir es nicht verpassen, sondern im
Augenblick ganz präsent sind und unsere Aufgaben in der Gesellschaft
wahrnehmen. Wir sollen also angesichts der Vergänglichkeit nicht
niedergeschlagen und depressiv werden, sondern im Gegenteil im Gleichgewicht
und in der Fülle des Augenblicks
leben und handeln. Daraus wird ersichtlich, wie wichtig diese beiden Kapitel
über den Bodhi-Geist für die buddhistische Lehre sind.