Mittwoch, 12. Juni 2013

Die Erweckung des Bodhi-Geistes



Diese Erweckung ist der erste Schritt, um den Willen zur Wahrheit zu erwecken und entschlossen zu handeln, damit andere befreit werden und ihnen geholfen wird. Dōgen nennt dies „die erste Erweckung des Geistes“. Damit eröffnet sich eine neue Welt und eine neue Lebensphilosophie, und man „begegnet zahllosen Buddhas“ und ehrt sie.

Im heutigen Sprachgebrauch würden wir sagen, dass eine selbstverstärkende Entwicklung und Klärung in Gang gekommen ist. Der Weg des Helfens und des Bodhisattva wird dadurch nachhaltig beschritten und entwickelt eine sich beschleunigende Kraft. Auf diese Weise eröffnen sich für Geist und Handeln völlig neue Bereiche, die harmonisch zueinander passen und auf spannendes Neuland führen. Der Mensch beginnt, den „eigenen Käfig zu verschrotten“. Dōgen sagt dazu:

Wenn ihr „fortfahrt, den Bodhi-Geist zu erwecken, fügt ihr dem Schnee noch den Frost hinzu“. Damit meint er, dass der Bodhi-Geist nicht wieder verschwindet, sondern sich kräftigt und stabilisiert, so wie der Frost dafür sorgt, dass der Schnee erhalten bleibt und fest wird.

Anschließend weist Dōgen auf die enge Beziehung zwischen der Erweckung des Bodhi-Geistes und dem vollkommenen Erwachen hin. Dies sei das Höchste, weil man dann Buddha werde. Er schätzt es deutlich höher ein, diese große Verwirklichung zu erreichen, als den Bodhi-Geist zu erwecken, aber dessen Erweckung ist der erste maßgebliche Schritt dazu. Das große Erwachen vergleicht er mit dem großen Feuer am Ende eines Weltzeitalters und den Bodhi-Geist mit dem Licht eines Leuchtkäfers. Aber er fügt hinzu, dass beide letztlich eine Einheit bilden und es daher außerordentlich wichtig ist, den Bodhi-Geist real zu erwecken – und zwar unbedingt zuerst.

Dōgen ermahnt uns, ständig an Folgendes zu denken:
„Wie kann ich die Lebewesen dazu bringen,
dass sie in die höchste Wahrheit eingehen können,
und schnell einen Körper Buddhas verwirklichen?“
Damit stellt er eine Verbindung zum Lotos-Sūtra her, bei dem im Kapitel „Die Lebensdauer des Tathāgata“ die gleichen Zeilen erscheinen. Wenn man den Lebewesen helfen will, ist es laut Dōgen sehr wichtig, auch bei ihnen den Bodhi-Geist zu erwecken, damit sie ebenfalls den klaren Entschluss fassen, andere zu befreien, bevor sie selbst Erleuchtung erlangt haben. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass ein egoistischer und berechnender Wille, durch dieses Handeln die Befreiung und Erleuchtung selbst zu erlangen, falsch sei und ein Hindernis dafür darstelle. Dadurch werden Körper und Geist unruhig und unklar.

Genauso irrig sei es, sich bei der Zazen-Praxis das egoistische Ziel zu setzen, ein berühmter Buddha zu werden. Auch das Bodhisattva-Handeln sei falsch verstanden, wenn man nur das eigene Karma verbessern und sich dadurch spirituelle Vorteile verschaffen wolle. Es gehe immer darum, die wachsenden Kräfte und die sich entwickelnde Klarheit im Handeln den anderen Menschen zugutekommen zu lassen und keine egoistischen Ziele zu verfolgen.

Nachdem der Bodhi-Geist erweckt worden ist, verwandelt sich die Erde vollständig zu Gold, wenn wir sie umarmen. Und wenn wir den Ozean umrühren, wird er sofort zu süßem Tau.“

Dann bilden sogar einfache Handlungen, zum Beispiel einen Kieselstein aufzuheben oder Sand zu schaufeln, eine Einheit mit dem Bodhi-Geist. Genau dies meint Dōgen, wenn er davon spricht, dass sich die Erde zu Gold verwandelt. Demgegenüber sind beispielsweise weltliche Güter wie Ehrungen, hohe Positionen sowie die eigene „großartige“ materielle Körperlichkeit von untergeordneter Bedeutung.

Wenn der Bodhi-Geist erweckt wurde und das Bodhisattva-Handeln begonnen hat, stellen sich viele Hilfen in unserem Leben wie von selbst ein. Die Gegenstände dieser Welt, die Umgebung und ihre Bedingungen werden dann in vorher nicht gekannter Weise nützlich und hilfreich sein