Die Aussage, dass Universum,
Körper und Geist einer leuchtenden Perle
gleichen, ist zunächst eine buddhistische Lehre, zwar mit sehr viel
Aussagekraft und Realitätsnähe, aber sie eine Lehre und Theorie und muss durch
die Praxis des Lebens verwirklicht werden. Sie muss lebendig und kraftvoll
werden.
So hat Meister Gensa zum
Beispiel einen Mönch, dem er diesen Satz gelehrt hatte, am folgenden Tag
gefragt, wie er die Äußerung verstehe. Dabei stellte Gensa fest, dass der
Schüler sich noch in abstrakten
intellektuellen Überlegungen erging: er bezeichnete das Denken in dessen
isoliertem Geist als
„gewaltige Anstrengung, um in die Höhle eines
Dämons in einem schwarzen Berg zu gelangen.“
Ich verstehe das so, dass
der abstrakte denkende Geist auch bei höchster Anstrengung nur in die „finstere
Höhle eines Dämons“ gelangen kann, ohne sich dessen eventuell bewusst zu sein. Gerade
komplexes Denken ist häufig nicht nur eine Sackgasse, sondern führt sogar in
eine dunkle Höhle der Psyche, in die kein Licht eindringen kann. Das Ego gerät dann
durch intellektuelle Energien in die Isolation der dunklen Höhle, es verliert
den Fluss und die Bindungskraft des Lebens mit seiner Umwelt und den anderen
Menschen: das ist gerade kein geistiges Heldentum.
Dies bedeutet aber
keinesfalls, dass Dōgen die Lehre und das ehrliche und gründliche Denken mit
dem Verstand ablehnt oder die Vernunft verwirft: Sein großes Werk Shōbōgenzō, „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“, ist der Beweis für das
genaue Gegenteil. Und niemand wird behaupten, dass dieses fulminante Werk, das sich jetzt für uns öffnen kann, geistig
leichte Kost ist. Aber Körper und Geist, Theorie und Praxis, Lehre und
Wirklichkeit dürfen nicht voneinander getrennt werden: Es ist die Einheit, die
uns zum befreiten Leben und Handeln führt.
Von großer Bedeutung ist
laut Dōgen auch „die Tugend der
leuchtenden Perle“, denn die buddhistische Wirklichkeit ist niemals von der
Ethik des Handelns abgetrennt. Das Leitbild des Bodhisattva, das in der Mahāyāna-Zeit
umfassend entwickelt wurde, beinhaltet gerade Handeln und Hilfe für andere
Menschen und nicht den spirituellen Egoismus, der nur an der eigenen
Erleuchtung interessiert ist.
Liebevolle Zuwendung,
Mitgefühl, Mitfreude und gelebter Gleichmut sind die wesentlichen Merkmale auch
des frühen Buddhismus. In den „himmlischen Verweilungen“ hat sie Gautama Buddha
selbst pädagogisch geschickt und überzeugend beschrieben.
Das ist daher kein
engstirniger Intellektualismus, kein egoistischer Materialismus, aber auch keine spirituelle Ideologie, die sich
aus der Wirklichkeit verabschiedet hat und in abgelegenen Klöstern ein Leben
führt, das dann nur als künstlich und unnatürlich bezeichnet werden kann. Der
wahre Buddhist geht auf den Marktplatz, auch wenn es dort äußerlich schmutzig
zugeht. Gerade die leuchtende Perle ist ein untrüglicher Hinweis darauf, dass
ein abgelöster, abstrakter Geist und intellektuelles Denken nicht ausreichen,
um die Wirklichkeit und Schönheit dieser Welt zu erfahren und die Einheit mit
ihr zu erleben.