Dass
der Geist mit dem üblichen Denken nicht erfasst werden kann, ist eine zentrale
Aussage aller Buddhas und Vorfahren im Dharma, welche die höchste
Lebensphilosophie des Erwachens (Sanskrit: anuttara-samyak-sambodhi)
verwirklicht haben. Damit wird laut Dōgen der wahre, große Geist von den gewöhnlichen unklaren Ideen und Gedanken
unterschieden, denn er hat eine umfassende Bedeutung, die über die Tätigkeit
des nur denkenden Gehirns und des einfachen Bewusstseins hinausgeht.
Ein
solches umfassendes Verständnis von Geist
wird bei Dōgen genauer untersucht. Zum Geist gehören auch die Berge, Flüsse,
Seen und das ganze Universum: das ist das gemeinsame Entstehen und das
gemeinsame Sein. Es mag einem westlich geschulten Philosophen recht eigenartig
erscheinen, weil er den Dualismus als methodische Grundlage der Philosophie annimmt. Aber für mich kommt darin ein
Kernpunkt des Buddhismus, der genau die lebendige gemeinsame Wirklichkeit
unseres Lebens trifft, präzise zum Ausdruck.
Eine
dualistische Trennung zwischen dem
Geist des denkenden Subjekts, das nur Ideen denkt und Wahrnehmungsinformationen
aus der Umwelt verarbeitet, und der umfassenden lebensvollen Wirklichkeit ist
damit überwunden. Diese Überwindung kennzeichnet den höchsten Zustand des
Menschen, den Nishijima Roshi als vierte
Lebensphilosophie bezeichnet. Gedanken und Ideen sowie die Wahrnehmung von
Sinneseindrücken und deren Verarbeitung, aber
vor allem das Handeln mit Menschen und Sachen im Augenblick dürfen nicht vom
Geist getrennt werden, sondern bilden mit dem Körper eine umfassende,
nicht-dualistische Gesamtheit. Das ist der Zen-Geist des Shōbōgenzō.
Dōgen
behandelt in diesem Kapitel fast nüchtern, dass ein solcher Geist nur mit dem üblichen
Denken und der unterscheidenden Wahrnehmung nicht erfasst werden kann, dass er
also unfassbar ist. Der Geist besitzt eine unendliche Komplexität, und es ist
völlig aussichtslos, ihn mit naturwissenschaftlichen Methoden, zum Beispiel der
Gehirnforschung, vollständig ausloten zu wollen. Aber der Geist ist keine Fata
Morgana, sondern Wirklichkeit, er kann zu großer Klarheit gelangen. Dōgen
zitiert aus dem Diamant-Sūtra:
„Der
vergangene Geist kann nicht erfasst werden, der gegenwärtige Geist kann nicht
erfasst werden, und der zukünftige Geist kann nicht erfasst werden.“
Diese
zentralen Aussagen sind aus seiner Sicht die Buddhas und die großen Meister
selbst. Wie es heißt, erfuhr Hui Neng
(Daikan Enō) die große Klarheit und beschloss Buddhismus zu erlernen, als
er diesen Satz auf einem Marktplatz hörte. Die Buddhas hätten diesen wichtigen
Satz bewahrt und darauf vertraut, dass die dreifache Welt des Geistes, also die
Wirklichkeit, nicht erfasst werden kann. Genauso hätten sie darauf vertraut,
dass der Geist der Dharmas, also der vielfältigen konkreten Dinge und
Phänomene, nicht zu erfassen sei.
Dieses Bewahren ist nach Dōgen
nur im lebendigen Strom der Übertragung
in den authentischen buddhistischen Linien möglich. Allein aus theoretischen
Schriften, also durch das Lesen von Büchern oder auch das Hören von
Dharma-Vorträgen, könne man den Buddhismus nicht verwirklichen, sondern er müsse
von einem lebenden Meister von Angesicht zu Angesicht, also von der Ganzheit
des überindividuellen Selbst eines Meisters zum anderen, weitergegeben werden.